Читать книгу Die Superaugen ... und der Schuhdieb - Heidi Troi - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеDie Schulglocke ertönt und die Kinder verlassen die Klasse. Ulli kriecht auf allen vieren unter ihrer Bank herum, um ihre Stifte aufzusammeln. Wie üblich hat sie ihre Schulsachen überall um ihren Platz herum verteilt. Ordnung ist nicht ihre größte Stärke. Djamila hilft ihr.
Da hören sie von draußen auf dem Flur wütende Stimmen – eine davon gehört Olli. „… noch nie irgendetwas weggekommen und jetzt sind diese beiden Neuen da und plötzlich verschwindet Zeug!“, schreit Freddie gerade, als auch Djamila und Ulli auf den Gang treten.
„Ich bin ja die ganze Zeit nicht auf dem Flur gewesen! Wie soll ich das geschafft haben?“ Olli ist hochrot im Gesicht und Ulli sieht, dass er Unterstützung braucht. So schlau ihr Bruder ist, so hilflos ist er, wenn ihn jemand anfeindet.
„Gibt’s da ein Problem?“, fragt sie und baut sich vor Freddie auf.
Auch wenn er einen halben Kopf größer ist als sie, weicht Stoppelkopf zurück. Aber klein beigeben tut er nicht. „Ja, gibt es. Einer von euch hat meine Schuhe gestohlen.“
„Ach so? Und wo haben wir deine Schuhe hingetan, Stoppelkopf?“ Ulli blitzt ihn wütend an.
„Was weiß ich? Gefressen?“
Ulli antwortet nicht auf diese blöde Anschuldigung, sondern sieht dem Kerl weiterhin furchtlos in die Augen. Zufrieden beobachtet sie, wie ein feiner Rosaton seine Wangen überzieht.
„Was ist hier los?“, fragt die Lehrerin.
Dankbar, dass er den Blickkontakt unterbrechen kann, sieht Freddie zu ihr. „Jemand hat meine Schuhe gestohlen“, sagt er klagend und wirft Ulli noch einmal einen vorwurfsvollen Blick zu, den die Lehrerin nicht missverstehen kann.
„Und du wirfst Ulli vor, sie gestohlen zu haben?“, fragt sie.
Stoppelkopf druckst herum.
Ulli schnaubt verächtlich. „Das ist ja eine feine Schule“, sagt sie. „Wir sind keinen Tag hier und werden schon als Diebe beschuldigt.“
„Ja, da muss ich dir recht geben“, sagt die Lehrerin. „Und es tut mir leid, dass wir euch keinen netteren Empfang bereitet haben. Freddie?“
Der Junge schäumt innerlich vor Wut, das kann Ulli sehen. Aber trotzdem stößt er ein gemurmeltes „Entschuldigung“ hervor. Dann sieht er die Lehrerin anklagend an: „Und was soll ich jetzt tun? Ohne Schuhe?“
„Es wird dir nichts anderes übrigbleiben, als in deinen Pantoffeln nach Hause zu gehen“, sagt die Lehrerin. „Zum Glück ist es heute trocken.“
Freddie schießt Ulli und Olli nochmals einen wütenden Blick zu, dann packt er seine Schultasche und seine Jacke und verschwindet.
„Wir besprechen das morgen“, sagt die Lehrerin entschuldigend, dann hängt auch sie ihre Ledertasche über die Schulter. „Ihr kommt zurecht?“
„Sonst können wir helfen. Nicht wahr, Tim?“, meint Djamila.
Der Junge mit der knallgrünen Brille reckt begeistert beide Daumen hoch und die Lehrerin bedankt sich mit einem Lächeln bei ihnen, bevor auch sie den Flur entlang Richtung Ausgang geht.
Ulli und Olli sehen ihr nach.
„Toller erster Schultag“, sagt Ulli.
„Ja“, pflichtet ihr Olli bei. „Meinst du, Jakob und Philipp gehen heute durch den Wald nach Hause?“ Jakob und Philipp sind Ollis beste Freunde aus seiner alten Schule. Bei schönem Wetter haben die drei immer den längeren Weg durch den Wald nach Hause genommen, bei Regen die Straße.
„Klar, bei dem Wetter!“ Ulli deutet nach draußen. Ein blauer Herbsthimmel spannt sich über ihren Heimatberg, der Gipfel ist zum ersten Mal mit etwas Schnee überzuckert und die Lärchen leuchten wie gelbe Tupfen aus dem Wald.
„Jetzt sind sie vielleicht schon bei unserem Lager“, sagt Olli sehnsüchtig.
„Oder beim Bach“, ergänzt Ulli. Auch sie seufzt. Egal wo die beiden sich jetzt befinden: Es wird nach feuchtem Moos duften und nach Baumharz, der Wind wird in den Wipfeln der Kiefern flüstern und die Baumstämme werden sich quietschend aneinanderreiben. Ob Jakob und Philipp ohne die Zwillinge auch so viele Schätze finden? Eigentlich war es immer Ulli, die alles Mögliche entdeckt hat. Eine Feder von einem Eichelhäher, ein Eichhörnchen, eine Baumhöhle, aus der ein Käuzchen geschaut hat … Jetzt werden die beiden wohl an all diesen Wundern vorbeilaufen. Ob sie auch in der Stadt solche kleine Wunder entdecken wird? Sicher nicht. Ulli sehnt sich nach ihrem Dorf. So sehr, dass es weh tut.
„Du hast Heimweh?“, fragt Djamila mitfühlend.
Statt einer Antwort seufzt Ulli.
„Das kann ich verstehen.“
Ulli sieht das Mädchen an und erkennt, dass ein trauriger Schleier sich über sein Gesicht gelegt hat. „Du hast auch Heimweh?“
Djamila schneidet eine wehmütige Grimasse. „Ja, nach meiner Heimat. Marokko. Immer wenn wir nach den Ferien hierher zurückkommen, muss ich mich neu an die Kälte gewöhnen und daran, dass die Farben anders sind und die Gerüche. Und ich vermisse meine Cousinen und meine Oma“, fügt sie hinzu.
Das kann Ulli verstehen. „Ich auch. Und den Hund von meiner Oma.“
Ein Leuchten zieht über Djamilas Gesicht. „Deine Oma hat einen Hund?“
„Ja, einen Wuschel“, sagt Ulli. Die kleine wuschelige Promenadenmischung, die Oma bei sich aufgenommen hat, ist das süßeste Hundchen, das es auf der ganzen Welt gibt.
„Können wir jetzt endlich nach Hause gehen?“, fragt Olli.
Tim fragt, wo sie wohnen, und als sie ihm das hohe graue Haus mit dem Fußballkäfig beschreiben, meint er: „Ist bei mir auf dem Weg. Ich geh ein Stückchen mit euch.“
Auf dem Weg nach draußen begegnet ihnen die Schuldienerin Dragomira. Sie sieht die Kinder, seufzt und sieht vorwurfsvoll auf die Uhr. „Zeit zum Heimgehen“, sagt sie und seufzt noch einmal.