Читать книгу Hatschepsut - Heike Rüster - Страница 11
8. Kapitel
Оглавление„Lass uns mal logisch an die ganze Sache rangehen!“, fährt Annabel dann fort. „Wem hast du alles von der Geschichte in dem Shop erzählt?“
„Niemandem. Annabel ich schwör’s dir! Niemand außer dir weiß davon. Deshalb dachte ich doch, dass du…“
„Gut. Ich habe aber nun auch niemanden eingeweiht. Deshalb stellt sich mir nun die Frage, wer nur davon wissen kann. Der Ladenbesitzer? Aber wieso sollte er das tun? Und woher sollte er überhaupt deine Adresse haben?“
Annabel kratzt sich nachdenklich am Kopf und runzelt die Stirn. Immer wenn sie über wirklich wichtige oder extrem schwierige Dinge nachdenkt, macht sie das. Dann schaut sie auf und sieht mir direkt in die Augen. Dabei fällt mir wieder einmal auf, wie groß die ihren sind. Noch dazu hat sie als gebürtige Südamerikanerin für ihren dunklen Typ ungewöhnliche hellgrüne Augen. Sie reißt mich aus meinen Gedanken. Offensichtlich kann sie mir ansehen, dass meine Gedanken allmählich abzuschweifen drohten.
„Hallo! Noch da? Also woran kannst du dich denn noch erinnern, wenn du an unseren Ladenbesuch denkst?“
An was ich mich erinnern kann? Jede Sekunde ist mir so präsent, als würde ich alles noch einmal erleben.
„Am meisten schaudert es mir noch immer, wenn ich an das Gefühl denke, von jemandem… oder etwas beobachtet zu werden, ohne zu wissen, wer oder was es ist. Ich hatte das Gefühl, alle meine Gedanken seien nicht mehr die meinen.“
„Und diese komische Unterhaltung von dir und dem Ladenbesitzer? Was ist damit? Ich meine, hey, die war echt abgefahren! Und ich muss dir wohl nicht nochmal sagen, dass ich kein Wort verstanden habe, was ihr da gefaselt habt! Also diese „Sprache“ habe ich echt noch nie gehört.“
Bei dem Wort „Sprache“ malt Annabel mit ihren Zeige- und Mittelfingern zwei Anführungszeichen in die Luft.
„So ganz sicher bin ich mir nicht. Ich meine, wir haben beide Ägyptologie studiert. Welche Sprache sollte ich also sprechen, die dir fremd ist? Mir ist immer noch nicht bewusst, dass ich eine fremde Sprache gesprochen habe.“
Einen Moment überlegt Annabel, dann scheint sie einen Entschluss gefasst zu haben. Ohne mir zu sagen, wo es hingeht, fordert sie mich auf, meine Sachen zu nehmen und mitzukommen.
„Und die Arbeit?“, frage ich verwirrt.
„Wir sind heute allein im Büro, die kann also warten. Du glaubst doch nicht, dass sich ausgerechnet heute jemand hierher verirrt.“
Mit diesen Worten schnappt auch Annabel ihre Tasche und den Büroschlüssel und marschiert zur Tür. Bevor sie diese schließt, befestigt sie jedoch rasch noch das „Geschlossen“-Schild.
Als wir uns in ihr aufgeheiztes Auto setzen und warten, bis die Klimaanlage die Luft von guten fünfzig Grad Celsius auf etwas erträglichere Temperaturen abgekühlt hat, halte ich es nicht mehr aus.
„Wo willst du eigentlich mit mir hin? Annabel, ich will wissen, was du mit mir vorhast!“
Kurz befürchte ich, keine Antwort zu erhalten, und dass stattdessen die Verriegelungen der Autotüren schließen. Kurz danach würde ich mich dann wahrscheinlich in einem Irrenhaus wiederfinden und sorgfältig in eine Zwangsjacke eingewickelt irgendwo in der Ecke sitzen mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt und… aber dann reißt mich Annabel glücklicherweise wieder aus meinen abgedrehten Gedanken.
„Pass auf!“, beginnt meine Freundin dann doch eine Erklärung. „Ich habe einen guten Freund hier, Ahmed. Er arbeitet in einer kleinen Bücherei ganz in der Nähe von hier. Er weiß alles über ägyptische Sprachen und kennt jeden Dialekt, den es mal gab oder noch gibt. Er weiß weitaus mehr, als du und ich. Wenn er nicht weiß, was du da geredet hast, dann niemand. In die Klapse bringen kann ich dich dann ja immer noch.“
Obwohl sie den letzten Satz mit einem Augenzwinkern und einem fetten Grinsen auf den Lippen beendet, bin ich mir nicht sicher, wie ernst er wirklich gemeint ist. Ein eisiger Schauer läuft mir über den Rücken. Was ist, wenn ich wirklich langsam verrückt werde. Obwohl in Annabels VW Golf noch immer an die dreißig Grad herrschen müssen, bekomme ich kurz eine Gänsehaut.
Bevor ich länger darüber nachdenken kann, fährt Annabel endlich los. Schon ganz wie ein echter Ägypter steuert sie unter lautstarkem Einsatz der Hupe ihren kleinen blauen Flitzer durch Luxor. Es fasziniert mich immer wieder, wie wenig die Straßenverkehrsordnung in Ägypten zählt. Wozu beleuchtet man hier in der Nacht die Verkehrsschilder und zeigt über eine kleine Uhr die verbleibende Zeit einer Ampelphase an, wenn sich darum sowieso kein Mensch kümmert? Doch trotzdem habe ich noch nie einen wirklich gravierenden Verkehrsunfall miterlebt.
Allmählich kann ich ein wenig abschalten und versinke wieder einmal in Erinnerungen an Begegnungen mit diesem wunderbaren Land. Bei einem Blick gen Himmel fällt mir mein erster Besuch dieses sagenumwobenen Tales wieder ein, in dem noch heute Dutzende von Touristen täglich in die kleinen, engen Felsgräber klettern, um einmal in einem echten Königsgrab zu stehen. Obwohl es am Ende der 20. Dynastie zu großen Plünderungen kam, blieben einige Gräber im Tal der Könige erhalten. So entdeckte Howard Carter 1922 wohl eines der bekanntesten: das Grab von Tutanchamun.
Ein lautes Hupen und dann ein lauter Knall reißen mich aus meinen Gedanken. Aufgebracht stürzt ein Ägypter aus seinem Auto vor uns und stürmt auf einen seiner Landsleute zu. Gekonnt steuert Annabel um die Unfallstelle.
Soviel dazu, denke ich mir und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Dass man in Ägypten keine Fahrschule besuchen muss, sondern lediglich die Prüfung zu bestehen hat, welche man mit dem nötigen Kleingeld schon so gut wie in der Tasche hat, merke ich bei jeder Fahrt aufs Neue. Deshalb atme ich besonders auf, als Annabel den Wagen vor einem kleinen unscheinbaren Lädchen gekonnt in eine winzige Parklücke manövriert.
„Da sind wir!“, flötet sie mir ins Ohr und springt aus dem Auto.
Schade, wo das Auto gerade die richtige Temperatur hat. Auf die Plätze, fertig, schwitz…