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Der Beginn der Reise

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Das Schicksal stieß einen schicksalsschweren Seufzer aus und fällte eine Entscheidung. Eine von vielen, die es fortwährend treffen musste. Und doch war diese anders. Hier ging es nicht um das Schicksal einzelner, sondern um das Schicksal der Welten. Und es war nicht so, als würde sich die Handlung des Schicksals auf eine Entscheidung beschränken. Nein, es hatte sich dazu entschlossen, selbst einzugreifen und die Dinge zu verändern. Die Welten ins Ungleichgewicht zu bringen.

Es würde hinausgehen und eigenhändig Schicksal spielen. Möglicherweise konnte es so die Aufmerksamkeit auf das lenken, was geschehen war. Vielleicht würde es dadurch alle Beteiligten zur Vernunft bringen. Auf jeden Fall aber konnte es zur Entstehung einer Geschichte beitragen. Ob diese gut oder schlecht enden würde, sollte noch entschieden werden.

Das Schicksal holte sein gelbes Kleid aus dem Schrank und streifte es über. Dann machte es sich auf den Weg, das Schicksal der Welten zu verändern.

Die Sonne war untergegangen, während ich für die Reise nach überall und nirgends gepackt hatte. Nun war es dunkel und kalt. Nur der verirrte Schein einzeln stehender Straßenlaternen leuchtete uns den Weg. Ich hatte meine Schritte denen des Trolls angepasst und ging neben ihm die einsam liegende Straße entlang. Was für ein wundersames Paar wir doch abgeben mussten! Der kleine Kerl mit den nackten Trollfüßen und ich selbst, ein recht normales Exemplar von Mensch mit unscheinbaren braunen Haaren, der sich nur deshalb von der nächtlichen Umgebung abhob, weil er sich in einen quietschgelben Mantel gezwängt hatte. Trotzig wickelte ich mich bei diesem Gedanken noch fester in meinen Lieblingsmantel. Und wenn schon! Ein wenig Farbe konnte dieser merkwürdigen Geschichte nun wirklich nicht schaden.

Während wir so nebeneinander die nächtlichen Straßen entlangschritten, überkam mich eine merkwürdige Ruhe. Eine innere Gewissheit, das Richtige zu tun. Dieses Gefühl erstaunte mich. Es war lange her, dass ich es zuletzt gespürt hatte. Und nun kam es zurück – gerade als ich die unvernünftigste Entscheidung meines Lebens getroffen hatte. Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen, als ich diese Gelassenheit willkommen hieß. Wie es schien, brauchte man nicht viel, um mit dem Leben erneut in Einklang zu sein. Nur einen nächtlichen Spaziergang zusammen mit einem Troll. Das würde ich mir für die Zukunft merken.

Mein Begleiter führte mich aus dem kleinen fränkischen Dorf, in dem ich lebte, hinaus und in Richtung der Wälder. Das vereinzelte Licht der Laternen blieb hinter uns zurück, genau wie die geteerten Straßen und die dunklen Schatten der Häuser, die unseren Weg bisher flankiert hatten. Stattdessen trampelten die bloßen Füße meines Begleiters nun auf unbefestigtem Boden, hin und wieder unterbrochen von leichtem Geplätscher, wenn er in eine der zahlreichen Pfützen trat. Der Dezember hatte es bisher allzu gut mit uns gemeint. Schauerartige Regenfälle waren an der Tagesordnung gewesen, genauso wie eine immerhin ertragbare nächtliche Kälte und herbstliche Nebelschwaden jeden Morgen. Im Grunde war ich erstaunt darüber, dass die Nässe seit Verlassen meines Hauses nur unsere Füße begrüßte. Und einen Augenblick später wurde ich daran erinnert, dass man sich nie zu früh freuen sollte. Dann nämlich, als ein leichtes Tröpfeln, das auf unsere Köpfe klopfte, einen weiteren Regenschauer ankündigte. Ich seufzte. Der Troll hingegen schien sich in diesem Wetter pudelwohl zu fühlen. Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, als die zahlreicher werdenden Regentropfen anfingen, sein Gesicht hinab zu rinnen. Fasziniert beobachtete ich durch den Wasserschleier, der sich in der Luft bildete, wie der kleine Kerl versuchte, die Regentropfen, die von seiner Knollennase abperlten, mit der Zunge zu fangen, bevor sie zu Boden fielen. Das ungewohnte Schauspiel schaffte es beinahe, mich von der Tatsache abzulenken, dass sich das kalte Wasser einen Weg in meinen Nacken bahnte und nun einen gemeinen Anschlag auf meinen Rücken vorbereitete. Ich zitterte und versuchte, meinen Mantelkragen noch höher zu schlagen, während ich sehnsuchtsvoll an meinen roten Regenschirm dachte, dessen Nutzen auf dieser Reise mir jemand ausgeredet hatte.

Gerade als ich diesen Gedanken mit meinem Begleiter teilen wollte, wurde es auf einmal dunkel um uns herum. Für einen Moment verlor ich die Orientierung, aber dann wurde mir klar, dass wir den Wald erreicht haben mussten und die dichten Bäume das letzte bisschen Licht abhielten, das uns trotz der Regenwolken durch den Mond und die Sterne noch zuteil geworden war. Als mir so plötzlich die Sehfähigkeit geraubt wurde, blieb ich einfach stocksteif stehen und rührte mich nicht mehr.

„Was ist los?“, kam die verwirrte Frage des Trolls durch den Regen und die Dunkelheit. Ich verspürte Erleichterung darüber, dass mein Begleiter noch da war. Sehen konnte ich ihn nicht mehr.

„Es ist zu dunkel“, antwortete ich gereizt und konnte die aufkommende Hilflosigkeit nicht völlig aus meinen Worten verbannen.

Einen Moment lang hörte ich nur das prasselnde Geräusch des Regens, der auf die Blätter der Bäume traf und dort in unzählige kleine Tropfen zerbrach. Dann meinte ich, noch ein anderes Geräusch wahrzunehmen. Einen kehligen Laut, der von dem Troll zu kommen schien und sich in unregelmäßigen Abständen wiederholte. Als mir bewusst wurde, dass der kleine Kerl lachte, wurde ich wütend.

„Was ist so lustig?“, wollte ich von dem amüsierten Troll wissen.

Das Gelächter verstummte und die Stimme meines Begleiters klang überaus ernst, als er meine Frage schließlich beantwortete: „Das hier ist keine echte Dunkelheit. Die Welt um uns herum ist nicht untergegangen.“ Trauer schwang in seinen Worten mit.

Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, doch ich verspürte bei seinen Worten eine unerklärliche Furcht in mir aufsteigen, die ich nur mühsam unterdrückte. Stattdessen lenkte ich das Gespräch lieber wieder in eine Richtung, die ich verstand. „Mag sein. Dennoch kann ich nichts mehr sehen. Und ich habe keine Lust darauf, im Dunkeln vor mich hinzustolpern.“

Es blieb einen Moment lang ruhig, dann hörte ich wieder die Stimme meines stämmigen Gefährten. „Ich führe dich. Trollaugen können auch in dieser gewöhnlichen Dunkelheit sehen.“

Eine zu seinem Körper unverhältnismäßig große Hand schob sich in meine Manteltasche und griff nach der meinigen, die ich dort vor dem Regen versteckt hatte. Ich ließ es zu, dass der Troll meine Hand wieder hinaus in die Nässe beförderte und folgte ihm dann vertrauensvoll durch den für Menschenaugen stockdüsteren Wald. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass es für eine Umkehr zu spät war.

Wie lange wir so durch den Wald gingen – in meinem Fall war es eher ein rutschen und straucheln – wusste ich nicht. Die Dunkelheit, die keine wirkliche Dunkelheit war, hüllte uns ebenso ein, wie das gleichmäßige Geräusch des prasselnden Regens. Obwohl uns das Blätterdach vor einem Großteil der Nässe bewahrte, spürte ich doch, wie sich der dicke Wollpullover, den ich unter meinem gelben Mantel trug, langsam aber sicher vollsog. Feucht und schwer hing er an meinem Körper und hüllte mich in eine kalte Ungemütlichkeit, die ich nicht mehr lange würde ignorieren können.

Als ich ungefähr zum zweihundertdreiundachtzigsten Mal stolperte, spürte ich, wie der Zug an meiner linken Hand nachließ und schließlich ganz ausblieb. Die Stimme des Trolls erklang neben mir und suchte sich ihren Weg durch das gewaltige Konzert von knatternden Tropfen und berstenden Blättern. „Wir sind da.“

Ich versuchte erfolglos die Finsternis, die uns umgab, mit den Augen zu durchdringen.

„Wir sind wo?“, fragte ich schließlich verwirrt. Hörte ich da etwa ein unterdrücktes Seufzen von meinem Begleiter?

„Am Übergang“, lautete seine unwirsche Antwort. Ich unterdrückte nun selbst einen Seufzer. „Aha.“

Wir schwiegen uns eine Weile an, nicht sicher, ob wir uns gegenseitig verstanden. Der kulturelle Unterschied schien plötzlich unüberbrückbar. Dann spürte ich, wie der kleine Kerl erneut an meiner Hand zog.

„Lass uns durchgehen“, meinte er ungeduldig.

„In Ordnung“, stimmte ich zu und ließ mich widerstandslos weiter durch die Dunkelheit ziehen.

Nasse Farnwedel klatschten mir gegen die Beine, meine rechte Schulter schabte unschön an einem harten Baumstamm vorbei und dann war der Wald plötzlich verschwunden. Oder eigentlich wusste ich nicht, ob der Wald verschwunden war. Tatsache war jedoch, dass ich ihn ganz plötzlich nicht mehr um mich herum wahrnehmen konnte. Der unebene Boden, die drohenden Umrisse der Bäume, die ich nur noch erahnt hatte, der nasse Farn und das prasselnde Geräusch des heftigen Regens – das war alles plötzlich weg. Was blieb, war die Dunkelheit. Sehr zu meinem Verdruss. Und inmitten der Dunkelheit schien sich etwas anderes um uns herum zu bilden. Etwas Weiches, Elastisches. Es war, als hätte man uns in einen riesigen weich gekauten Kaugummi gestoßen, durch den wir uns nun Hand in Hand kämpfen mussten. Das Gefühl dauerte eine Weile an und verging dann genauso plötzlich, wie es gekommen war.

Sonne, Mond und Troll

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