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Der Engel an der Harfe.

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Sie sah gut aus, engelsgleich, mit ihren langen blonden Haaren und der schlanken, anmutigen Gestalt. Wenn sie an der mächtigen Harfe spielte, lockte sie leise, zarte Töne, dann aber auch starke, kräftige Akkorde hervor. Keiner hätte ihr diese Kraft zugetraut. Schon lange spielte sie im Orchester, kannte alle Partituren der anderen Instrumente, auch wenn sie selbst nur gelegentlich zum Einsatz kam. Wenn sie dann aber spielte, fühlte sie sich als wichtigste Musikerin der gesamten Truppe und konnte es nur schlecht aushalten, wenn die anderen sie mit flapsigen Worten neckten. Sie sagten: eigentlich dürftest Du nur die Hälfte des Gehaltes bekommen, so selten, wie Du einen Einsatz hast oder: man hört Dich ja kaum, obwohl Du doch das größte Instrument hast. Sie ließ sich nichts anmerken, aber innerlich kochte sie vor Wut. Sie war die Beste. Warum nur sahen die anderen das nicht ein. Um den Spott der anderen zu entgehen, zog sie sich nach Ende der Proben immer mehr zurück und ging auch nicht mehr mit in das Stammlokal des Orchesters. So saß sie Abend für Abend ganz allein zuhause in ihrer kleinen Wohnung. Sie war einsam. Eines Abends klickte sie an ihrem Computer ihre mails durch. Als sie die mail einer Paaragentur las, beschloss sie, sich dort einmal einzuklicken. Es wäre schön, wenn sie endlich einen Partner fände, mit dem sie sich austauschen könne und der sie als Mensch und Musikerin schätzen würde. Dass die Partneragentur europaweit Kontakte versprach, kam ihr sehr entgegen. Ihr Orchester würde im nächsten Jahr eine Europatournee unternehmen. Es dauerte nicht lange, bis sie in jedem der Städte in Europa, wo ihr Orchester ein Konzert geben würde, Partner zum Chatten gefunden hatte. Es machte ihr viel Spaß und die einsamen Abende vergingen so im Fluge. Ein Chatfreund lebte in der gleichen Stadt wie sie. Aber mit einem Treffen ließen sie sich lange Zeit. Tagsüber, wenn keine Proben stattfanden, übte sie auf ihrer Harfe im Konzerthaus. Für zuhause war die Harfe zu schwer und zu groß. Eines Tages sprang eine Saite ihrer Harfe. Sie löste sie los und steckte sie in die Tasche, damit sie eine neue besorgen konnte. Ausgerechnet heute war sie aber sehr in Zeitdruck. Abends war Generalprobe für ihr kommendes Konzert. Ihrem Chatpartner hatte sie eine Karte für die Aufführung zugeschickt. Er würde kommen und nach dem Konzert würden sie sich zum ersten Mal sehen. Ein gemeinsames Essen war geplant und sie war schon sehr aufgeregt. Damit sie sich am Bühnenausgang nicht verfehlen würden, hatten sie noch kurz ihre Fotos per mail ausgetauscht. Der Freund sah sehr interessant aus und sie freute sich schon auf das Treffen. Das Konzert verlief gut. Sie hatte nicht viel zu spielen, aber sie fand, dass sie es hervorragend ausgeführt habe. Am Ausgang wurde sie erwartet. Beschwingt ging sie neben ihm her zu einem Lokal ganz in der Nähe, was so spät abends noch Essen servierte. Sie unterhielten sich nach anfänglicher Scheu ganz ungezwungen über ihr Kennenlernen und die mails, die sie ausgetauscht hatten. Es war ein schöner Abend. Sie genoss ihn sehr. Nur eins fehlte ihr noch und darauf wartete sie ganz sehnsüchtig Warum sagte er nichts zu ihrem Spiel Gerade heute hatte sie doch der Harfe ganz verzaubernde Töne voller Leidenschaft entlockt. Sie wurde innerlich immer unruhiger und konnte sich äußerlich kaum noch beherrschen. Nach dem Essen schlug er einen Spaziergang durch den nahegelegenen Park vor. Sie freute sich. Dort würde er ihr bestimmt Komplimente zu ihrer Musik machen. Sie gingen durch den Park. Er legte ihr einen Arm um die Schulter. Sie schwiegen beide und sahen zum Sternenhimmel hoch. Dann schlug er vor, sich auf eine Bank zu setzen und dort küsste er sie. Das war ganz angenehm, doch sie konnte es nicht richtig genießen. Sie wartete immer noch, dass er endlich etwas zu ihrer Musik sagen würde. Als er aber schwieg, platzte sie heraus: Und, wie war ich an der Harfe? War ich gut? Er antwortete, dass er ja so gut wie nichts von Musik verstünde, dass das Konzert ihm aber gut gefallen habe. Ja, und ich, sagte sie: Und Du, soll ich ehrlich sein? Ich habe mich gewundert, dass Du so wenig zu tun hattest und wenn Du gespielt hast, warst Du für mich kaum heraus zu hören. Sie war entsetzt. Etwas in ihr zerbrach und sie ballte ihre Fäuste in der Tasche zusammen. Da spürte sie die Harfensaite, die noch in der Manteltasche steckte. Sie wurde ganz ruhig und sagt: Macht doch nichts. Hauptsache, es war ein schöner Abend für Dich. Leg doch Deinen Kopf in meinen Schoss und lass uns noch etwas den Sternen zusehen. Er tat es und war ganz entspannt. Sie griff, ohne sich groß zu bewegen, die Saite mit den Händen an beiden Seiten an, schob sie mit einer plötzlichen Bewegung über seinen Hals und zog sie hinten straff zusammen. Er bäumte sich auf, nach Luft ringend, doch sie besaß in diesem Moment eine extreme Kraft und erdrosselte ihn. Eine Woche später ging das Orchester auf Europatournee. Die meisten nahmen ihre Instrumente mit, doch für sie stand in jeder Stadt, wo sie auftraten, eine Harfe zur Verfügung. Insgesamt waren es sieben Konzerte in sieben verschiedenen Großstädten. Sie flogen von Deutschland nach Frankreich, von dort nach Italien, Spanien, Griechenland und England. Sie hatte ihren verschiedenen Chatpartnern jeweils den Konzerttermin mitgeteilt und versprochen, dass eine Karte für die Aufführung an der Kasse bereitläge. Sie setzte immer noch große Hoffnung auf die Treffen. In London spielte sie wie immer voller Herzblut auf ihrer Harfe, löste dann aber, als das Konzert vorbei war, wie in Trance eine Saite aus dem Instrument, ohne dass es jemand bemerkte und steckte sie in die Tasche. Das Treffen mit dem Engländer verlief harmonisch. Sie aßen nett miteinander und sie schlug einen anschließenden Spaziergang im Park vor. Und nun verlief alles genauso wie zuhause. Er machte ein paar Späße über ihre Musik und sie erdrosselte ihn. Völlig gefühllos saß sie am nächsten Tag mit den anderen im Flugzeug nach Rom. Sie verhielt sich wie immer und keinem fiel etwas auf. Es passierte das Gleiche in Rom in Genua, in Lissabon, auf Mallorca, in Athen und in Athen. Und mit jedem Konzert gab es einen Toten mehr in der darauffolgenden Nacht. Sie hatte kein Schuldgefühl. Es war, als sei das sie das nicht selbst, die da nächtlicher Weise mordete, sondern ein ganz anderer Mensch. In Berlin, wo das letzte Konzert des Orchesters stattgefunden hatte, war ein junger Kommissar damit beschäftigt, die Umstände des Toten im Park aufzuhellen. Als ihm der Pathologe auf die Frage, womit der Tote denn erdrosselt sein könnte, ihm antwortete: Es war ein ganz dünner Draht oder Ähnliches, etwa so dünn wie eine Harfensaite, kam ihm eine Idee. Da müsste es doch irgendwo eine Harfe geben, wo eine Saite fehlte. Er schaute in den Zeitungen nach und las, dass an dem Abend, wo in der Nacht die Leiche gefunden wurde, ein berühmtes Orchester zum Abschluss seiner Europatournee ein Konzert gegeben hatte. Er rief im Konzerthaus an und fragte nach, ob es irgendetwas Auffälliges nach dem Konzert gegeben habe. „Nein, eigentlich nicht,“ war die Antwort, „nur, da sei schon etwas komisch gewesen: Als die Harfe, die ja dem Haus gehörte und nicht dem Orchester, wieder an ihren Platz zurückgestellt wurde, fiel auf, dass eine Saite fehlte. Erklären könnte sich das keiner“. Der Kommissar wurde nachdenklich und ließ sich den Tourneeplan dieses Orchesters geben. Er hatte da so eine Idee. Als der Plan vor ihm lag, ließ er sich mit den jeweiligen Polizeikommissariaten der Städte, wo das Orchester seinen Auftritt hatte, verbinden und fragte nach, ob es in der jeweils darauffolgenden Nacht einen unbekannten männlichen Toten gegeben habe. Meist konnte er heraushören, wie sein ausländischer Kollege seine Anfrage belächelte, aber als er alle Rückrufe bekommen hatte, sah er seine Theorie bestätigt. In allen Großstädten, wo das Orchester gastiert hatte, war eine männliche, erdrosselte Leiche gefunden worden. Und bisher hatte noch kein Kommissariat den Mord aufklären können. Er führte eine zweite Anfrage aus, diesmal schriftlich und bat seine Kollegen, herauszufinden, ob nach dem erfolgten Orchesterauftritten im Anschluss eine Saite der benutzten Harfe gefehlt hatte. Auch dieses wurde von allen Städten bestätigt. Das war höchst interessant. Er begann, sich mit dem Orchester genauer zu beschäftigen und fand heraus, dass es nur eine Rolle an der Harfe gab: eine junge Harfenspielerin, die, wie er über das Internet herausfand, sehr schön aussah, wie ein Engel. Auf nicht ganz legalem Weg, (er hatte da so einen alten Freund, ein Multitalent in Bezug auf Computer) kam er an ihr email Konto heran und konnte feststellen, dass sie mit Mitgliedern einer Partneragentur eifrig Kontakte pflegte. Er beschloss, sich ihr auf einem ganz unkonventionellen Weg zu nähern und wurde ebenfalls Mitglied dieser Agentur. Seine Kollegen hatte er nicht in sein Vorhaben eingeweiht. Er wollte derjenige sein, der diesen Mord in Berlin und all die anderen in Europa ganz allein aufklärte. Über die Agentur nahm er Kontakt zu der Harfenspielerin auf und schon bald chattete er regelmäßig mit ihr. Das war ganz angenehm und manchmal musste er sich mit Gewalt daran erinnern, dass er sie eigentlich als Mörderin verdächtigte, was ihm einigermaßen schwer fiel, da sie sehr liebenswert wirkte. Sie erzählte ihm von ihrer Liebe zu Musik und dass sie Harfenspielerin aus Leidenschaft sei. Nach einiger Zeit lud sie ihn in ihre Heimatstadt zu einem Konzert ein. Sie schickte ein Bild von sich und schrieb, dass sie eine Eintrittskarte an der Kasse hinterlegen würde. Er nahm ein paar Tage Urlaub und antwortete ihr, dass er gerne käme. Er hatte das Gefühl, dass die Aufklärung der Morde immer näher rückte. Das Konzert war gut gespielt. Ihr Part an der Harfe war nur kurz. Er hatte ihr Spiel nur deswegen mitbekommen, weil er sie die gesamte Zeit intensiv beobachtete. Sie gefiel ihm sehr und er fühlte sich richtig zu ihr hingezogen. Vielleicht hatte er sich ja auch verrannt mit seiner Idee, dass sie die gesuchte Mörderin war. Er wartete am Bühnenausgang auf sie. Sie kam, erkannte ihn und schien sich sehr zu freuen. Gemeinsam gingen sie in ein Lokal, wo sie so spät abends noch etwas zu essen bekamen. Er fühlte sich sehr wohl in ihrer Gesellschaft Sie sprachen über alles, auch über das Konzert. Als sie wissen wollte, wie ihm ihr Spiel gefallen hatte, antwortete er ganz ehrlich: ich habe mich so auf Dich konzentriert. Du siehst ganz toll aus. Dein Spiel habe ich gar nicht wahrgenommen. Es schien ihr nichts auszumachen. Sie plaudere ganz locker weiter und er begann, sich in sie zu verlieben. Dem Spaziergang in den Park stimmte er begeistert zu. Es war sehr romantisch, eine Nacht voller Mondschein. Sie setzten sich auf eine Bank und es kam zu ihrem ersten Kuss. Er legte seinen Kopf auf ihren Schoß und begann zu träumen. Als er plötzlich ihre beiden Hände mit der Harfensaite über sich sah, wehrte er sich. Sein letzter Gedanke war: so also sieht der Todesengel aus.

Der Engel an der Harfe

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