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Der Mörder am Kontrabass

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Er saß in der letzten Reihe auf einem erhöhten Schemel an seinem Kontrabass. Wie ein Musiker sah er wirklich nicht aus: die markanten Gesichtszüge, die kräftige, hervorragende Nase, sein grimmiger Blick. Mit seinen breiten Fingern hielt er den Bogen fest im Griff. Seine Körperhaltung war aufrecht, das linke Bein leicht angewinkelt, das rechte ausgestreckt. Sein Kontrabass lehnte schräg an der Innenseite seines angewinkelten Beines. Sein Bogen aber flog leicht wie eine Feder über die vier Saiten seines Instrumentes. Ein berühmtes Nationalorchester trug die 4. Symphonie von Tschaikowsky vor unter einen sehr berühmten Dirigenten. Das gesamte Orchester spielte seine Instrumente mit Bravour. Es war ein Genuss, zuzuhören. Der Bassist fühlte sich wohl während des Konzertes. Dies war seine Welt. Hier gehörte er hin. Das Musizieren war von klein auf sein Ziel gewesen. Er fand eine Musiklehrerin, die an ihn glaubte und die ihm alles Wissenswerte über die Technik bei brachte. Das half ihm, die vielen Hänseleien seiner Mitschüler über sein Aussehen zu vergessen. Er wirkte bereits als Kind anders als alle Schüler und er litt sehr darunter. Nur wenn er seine Musikstunden hatte oder zuhause die Zeiten, wo er an seinem Kontrabass üben konnte, dann vergaß er alles und empfand ein großes Glück. Seine Eltern waren stolz auf ihn und unterstützen ihn, als er nach der Schule zum Konservatorium wechselte. Er war gut, sehr gut auf seinem Instrument, das sagten ihm alle seine Professoren, die ihn ausbildeten. Aber ihm wurde schon bald klar, dass er niemals eine Solokarriere haben würde. Wahrscheinlich auf Grund seines Aussehens kam er bei Wettbewerben nie auf die vordersten Plätze. Doch ihm reichte es, wenn er seine Musik spielen durfte. Er war nicht besonders ehrgeizig. Als er fertig war, gab ihm einer der Professoren den Tipp, sich als Bassist bei dem Nationalorchester zu bewerben. Das war schon eine Auszeichnung, dass sein Spiel als so hervorragend angesehen wurde, dass man ihm zutraute, im Nationalorchester mit zu spielen. Er bewarb sich und nach seinem Vorspielen wurde er auch sofort genommen. Er hatte hervorragende Reverenzen mitbekommen. So war er jetzt Teil des Nationalorchesters. Sie probten jeden Tag zusammen und natürlich mussten sie zuhause noch weiter ihren Part üben. Inzwischen hatte er eine Frau gefunden. Sie war ebenfalls auf das Konservatorium gegangen, hatte dann aber, als klar war, dass die beiden heiraten würden, alles abgebrochen und war nur noch Hausfrau. Ihr Instrument war die Geige, aber seit der Hochzeit hatte sie ihr Instrument nicht mehr in die Hand genommen. Einmal sagte sie: “Wenn ich nicht die Beste werde, dann höre ich lieber auf!“ und das zog sie voll durch. Zuerst war sie begeistert, dass sie sagen konnte: „Mein Mann spielt im Nationalorchester!“. Dann aber hörte sie auf, stolz auf ihn zu sein. Da sich keine Kinder einstellten, wurde es ihr allmählich langweilig zuhause und vor lauter Unzufriedenheit fing sie an, an ihm herum zu nörgeln. „Was machst Du eigentlich den ganzen Tag lang? Immer nur dein Instrument spielen. Und was ist mit mir? Warum unternehmen wir nichts zusammen?" Und so klang es tagaus, tagein. Anfangs versuchte er noch, sie zu beruhigen und daran zu erinnern, dass sie ja aus eigener Erfahrung genau wusste, wie der Tagesablauf eines Musikers aussah: üben, üben und üben. Aber es war vergeblich. Sie hörte nicht auf zu nörgeln und mit der Zeit klang ihre Stimme immer schriller. Auch, wenn er in den Orchesterproben saß, verfolgte ihn ihr Zetern und Schreien. Er musste sich anstrengen, sie aus seinem Kopf zu verdrängen. Die Proben waren immer eine Wohltat für ihn und dort blühte er sichtlich auf. Zuhause aber hatte er im Verlauf der Jahre immer mehr die Hölle auf Erden. Jetzt hatten sie sie sehr intensiv auf die Konzertreise, die sie in viele Hauptstädte der umliegenden Länder führen würde, vorbereitet. Vor Antritt der Tour konnten sie alle eine Woche Urlaub machen, um ausgeruht und gut erholt die Reise anzutreten. Er unternahm mit seiner Frau eine Fahrt in die Alpen, wo eine Tante von ihr ein kleines Ferienhäuschen besaß. Statt sich zu freuen, dass sie endlich einmal etwas zusammen unternahmen, setzte sie ihr Jammern und Lamentieren lautstark fort, egal, ob sie einen Spaziergang in der schönen Natur unternahmen oder in dem kleinen Chalet gemütlich vor dem Kaminfeuer, das er angezündet hatte, saßen. Sie zeterte und steigerte sich so hinein, dass sie richtig schrill schrie. Erschrocken hielt er ihr beide Hände vor den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie wehrte sich und wie von selbst glitten seine beiden Hände hinunter zu ihrem Hals. Seine kräftigen Hände fassten fest zu. Sie wurde still und ihr Körper erschlaffte. Er hatte nicht bemerkt, dass seine Hände die Blutzufuhr zu ihrem Kopf unterbunden und zu einem schnellen Tod geführt hatten. Er ließ sie auf das Sofa gleiten und genoss für einige Minuten die Stille um ihn herum, die er schon solange vermisst hatte. Dann erst wurde ihm bewusst, was er getan hatte. Er horchte in sich, spürte aber keine Schuldgefühle. Er musste zu diesem Befreiungsschlag ausholen. Sonst hätte er bald seine anspruchsvolle Arbeit als Konzertmusiker nicht mehr angemessen ausführen können. Geplant hatte er seine Tat nicht. Er wäre nicht in der Lage gewesen, seine Frau gezielt umzubringen, aber seine Hände hatten ihm unbewusst die Arbeit abgenommen. In der Nacht schlief er tief und traumlos. Am nächsten Morgen, als es langsam hell wurde, nahm er seine Frau über die Schulter und machte sich auf den Weg zu der naheliegenden Klamm. Die Hütte lag abseits vom Bergdorf und er war sich sicher, so früh keinem anderen anderer zu begegnen. Oberhalb der Klamm angekommen, hob er an einer Aussichtsplattform, die weit nach oben ragte, seine Frau über die Brüstung und ließ sie mit einem kräftigen Stoß nach vorn in die Tiefe fallen. Er schaute ihr nach und dachte: Hättest Du nur Deinen Mund halten können!“ Dann ging er langsam wieder zurück in die Hütte, packte alle Sachen zusammen und fuhr zurück nach Hause. Den Nachbarn sagte er, seine Frau würde für die lange Zeit seiner Konzertreise auf der Berghütte bleiben und den Herbst genießen. Die Konzerttour begann. Überall bekamen sie tosenden Applaus, ein riesiger Erfolg für das Orchester. Er konnte sich immer besser auf seine Musik konzentrieren. Die schrillen Worte seiner Frau verklangen allmählich aus seinen Ohren und auch er konnte die Aufführungen genießen. Am Ende der Reise kehrte er nach Hause zurück. Als er seine Wohnung betrat glaubte er im ersten Moment, seine Frau zetern zu hören, doch eine ruhevolle Stille empfing ihn. Nach einigen Tagen packte er alle Sachen seiner Frau zusammen und ließ sie von einer Spedition abholen. Den neugierigen Nachbarn sagte er, seine Frau hätte die Scheidung eingereicht und darauf bestanden, ihre Sachen ihr zuzusenden. Das Ziel der Spedition war aber in Wirklichkeit ein Sammellager in der nächsten Großstadt, das für Flüchtlinge Wohnungen einrichtete. Er lebte fortan nur für seine Musik. Seine Frau aber wurde von niemanden vermisst.

Der Engel an der Harfe

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