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Manuel

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Er brachte wie jeden Morgen seinen Sohn zur Schule. Heute war er spät dran. Wieder einmal hatte Manuel bitterlich geweint und sich gesträubt, zur Schule zu gehen. Er war mit seinen neun Jahren schmächtig und einer der jüngsten in der Klasse. Die anderen hänselten ihn immer wegen seines noch so kindlichen Aussehens und machten sich lustig über ihn, besonders seitdem er, der Vater, auf einem Elternabend großkotzig getönt hatte, dass sein Sohn zu etwas Höherem berufen sei. Das hatte den anderen Eltern wenig gefallen und noch zuhause darüber gesprochen. So kam es, das der eine oder andere Mitschüler dies zuhause aufschnappte und es den Mitschülern brühwarm erzählte. Nun riefen sie, wenn er über den Schulhof kam, laut zu ihm herüber: „Da kommt er ja, unser Manager. Oder ist er inzwischen der Herr Professor geworden?“ Manuel wusste nicht, wie er sich wehren konnte. Mit seinem Vater zu sprechen, hatte wenig Sinn. Der zeigte kein Verständnis, empfand seinen Sohn sowieso als Versager und zwang ihn ständig, Sachen zu machen, die ihm so gar nicht lagen. So musste er an einem Selbstverteidigungskurs teilnehmen oder zum Boxunterricht gehen. Erst die Trainer, die sahen, wie sehr er sich dabei quälte, überzeugten seinen Vater davon, dass es wenig Sinn brachte, ihn daran weiter teilnehmen zu lassen. Sein Vater ließ dann aber täglich seinen Ärger an ihm aus. Würde doch seine Mutter noch leben. Sie hatte sich immer liebevoll um ihn gekümmert und ihm Mut gemacht. Damals ging er auch noch freudig zur Schule. Dann aber, als seine Mutter bei einem Verkehrsunfall getötet wurde, fühlte er sich ganz allein. Sein Vater war jetzt derjenige, der sich um ihn kümmerte, aber der hatte seine Firma, immer wenig Zeit, war poltrig und oft jähzornig. Wenn er abends zuhause war, versuchte Manuel, sich möglichst unsichtbar zu machen. Nur morgens konnte er dem Vater nicht entgehen. Manuel hätte mit seinen neun Jahren schon allein zur Schule gehen können. Aber der Vater war von der Schule informiert worden, dass sein Sohn einige Male den Unterricht geschwänzt hatte. So stand es fortan fest, dass der Vater ihn regelmäßig zur Schule fuhr und ihn bis zum Eingang in das Schulgebäude brachte. Auch wegen dieser Tatsache war er erneuten Hänseleien durch seine Mitschüler ausgesetzt. Die meisten Lehrer kümmerte das nicht. Sie waren der Ansicht, dass die Schüler das untereinander regeln sollten. Nur ein Lehrer gab es, zu dem Manuel Vertrauen hatte. Dieser hatte ihm einmal auf dem Schulhof geholfen, als die anderen ihn johlend zu einem Baum getrieben und ihn gezwungen hatten, dort hinauf zu klettern. Der Lehrer hatte in seiner ruhigen Art die anderen in ihrem Handeln gestoppt und ihn geholfen, vom Baum herunter zu kommen. Dann hatte er ihn mitgenommen in ein leer stehendes Zimmer und ihn mit seiner ruhigen, freundlichen Stimme dazu gebracht, über seinen Kummer zu reden. Er hatte versprochen, mit seinem Vater zu sprechen, um eine Lösung seiner Probleme zu finden. Doch das Treffen zwischen dem Lehrer und seinem Vater war katastrophal verlaufen. Der Lehrer hatte versucht, den Vater davon zu überzeugen, dass Manuel besser in einer Walddorfschule aufgehoben sei, wo man auf seine Probleme eingehen und ihn speziell fördern würde. Dieser Vorschlag ließ den Vater explodieren. Sein Sohn auf eine Walddorfschule! Niemals. Sein Sohn würde das Gymnasium besuchen und danach studieren, am besten Wirtschaft. Dann könne er später seine Firma übernehmen. Der Einwand, dass Manuel mit Sicherheit keine Empfehlung für das Gymnasium bekommen würde, führte zu einem erneuten Zornesausbruch bei dem Vater. Er würde sich über ihn, dem Lehrer, beschweren, wenn er nicht in der Lage sei, seinem Sohn das beizubringen, dass er auf eine weiterführende Schule gehen könne. Oder würde eine höhere Summe Geld den Lehrer dazu bringen, die Empfehlung auszusprechen. Jetzt wurde auch der Lehrer laut, sagte, es sei eine ungeheure Beleidigung, ihn so etwas anzubieten. Er sei nicht bestechlich. Er könne immer mehr verstehen, warum Manuel so viele Probleme habe, bei solch einem Vater. Er würde sich weitere Schritte vorbehalten und sehen, wie man Manuel helfen könne. Wutschnaubend verließ der Vater das Schulgebäude. Was dieser Schwächling von Lehrer sich einbildete. Er wusste schließlich am Besten, was für seinen Sohn gut war. Und das würde er auch durchsetzten, koste es, was es wolle. Heute Morgen war in der engen Straße, an der die Schule lag, wieder einmal kein Parkplatz frei. Sehr viele Eltern brachten ihre Kinder zur Schule und die zehn Minuten vor Acht herrschte ein Verkehrschaos. Eifriges Türenklappen war zu hören. Hastende Mütter zogen ihre Kinder hinter sich her zum Eingang, weil sie schon zu spät dran waren. Einige liefen mit dem Pausenbrot, das die Kinder im Auto vergessen hatten, hinter diesen her, um es ihnen noch rechtzeitig zu bringen. Er fand keinen Parkplatz, ließ das Auto, ein schwerer Vierradantrieb, mitten auf der Fahrbahn stehen, so dass keiner mehr vorbei kam, zerrte seinen Sohn aus dem Wagen und ging eilig zum Schulgebäude. Beim Aussteigen sah er, wie vor seinem Auto ein Mensch vorbeieilen wollte, ins Stolpern kam und vor seinem Auto hinfiel. Er hatte den Lehrer erkannt, mit dem er neulich den Disput hatte und dachte: „Geschieht ihm recht!“ Er scheuchte Manuel zur Tür hinein und eilte zu seinem Auto zurück. Inzwischen hatte das Hubkonzert, das bereits einige Zeit ertönte, deutlich zugenommen. Regt Euch ab. Was wollt Ihr eigentlich. Ihr seid doch nur Mütter und habt alle Zeit der Welt. Er startete sein Auto, ließ den Motor aufbrausen und fuhr los. Es holperte schrecklich, aber dank seines großen Autos überwand er das Hindernis und fuhr weiter. Alle zehn Autos, die hinter ihm gestanden hatten, fuhren ebenfalls zügig davon. Er hielt an, stieg aus und schaute zurück. Da lag ein Bündel auf der Straße. Er ging zurück und erkannte den Lehrer, der sich nicht mehr rührte. Kurz meldete sich sein Gewissen. Hast Du ihn mit Absicht überfahren“ Du wusstest doch, dass er hingefallen war. Dann aber wurde er wütend. Geschieht ihm ganz recht. Ich habe kein Mitleid mit ihm. Hätte er mich doch besser bei meinem Sohn helfen können. Er richtete sich auf und sah, dass Manuel, der heimlich das Schulgebäude wieder verlassen hatte, mit großen Augen vor ihm stand. Diesen entsetzten Blick würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen. Auch, als er später wegen Totschlag im Affekt mehrere Jahre hinter Gitter musste, sah er jede Nacht seinen Sohn mit den weit aufgerissenen Augen vor sich. Dieser besuchte ihn nicht. Er war von der Schwester seiner Mutter, die im Süden lebte, aufgenommen worden. Diese war genauso warmherzig wie seine Mutter und schenkte ihm alle ihre Liebe. Er lebte dort mit seinen Cousins zusammen und es gelang ihm, das schreckliche Erlebnis zu vergessen.

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