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Die Flügel eines Engels berührt
ОглавлениеMarga Belz
Als die Sonne
den Oleander küsste
gabst du mir
dein Versprechen
Rudolph Kowalleck
Ach Schätzeken ach Mäuseken
Hasse mich noch lieb?
Oder bin ich gezz für dich
der letzte Eierdieb?
Machse mich en Bütterken
Brings mich en Fläschken Pils
na siehse geht doch alles klar
weiß gar nich watte willz
Heike Wenig
Das stille Glück
Die alte Dame saß wie immer auf ihrem Stammplatz in der Mitte der zehnten Reihe in der Philharmonie Essen. Der Platz neben ihr war frei. Sie legte die rote Rose, die sie regelmäßig mitbrachte, darauf. Hier hatte ihr Mann immer neben ihr gesessen. Vor zehn Jahren war er gestorben. Sie hatte seinen Platz nicht gekündigt. So hatte sie das Gefühl, dass er neben ihr säße und das Konzert mit ihr genieße. In Gedanken unterhielt sie sich regelmäßig mit ihm über die Musik, die sie hörte.
Sie hatten seit vielen Jahren regelmäßig diese Konzerte besucht. Zuerst hieß das Gebäude Saalbau. Es war 1904 eingeweiht und nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut worden. Dann wurde es 2004 restauriert und umgebaut und hieß seitdem Philharmonie. Ihr Mann war, als er jung war, als Konzertmeister nach Essen gekommen und die Musik war ihnen beiden eine Herzens-angelegenheit gewesen.
Vor zehn Jahren, als ihr Mann starb, waren sie an jenem Abend auch in einem Konzert gewesen. Ihr Mann hatte darauf bestanden, mit dem Auto hin zu fahren, obwohl sein Hausarzt ihm jegliche Anstrengung verboten hatte. Sie hatte ihm vorgeschlagen, doch ein Taxi zu nehmen, aber er hatte sich in seiner liebenswerten, aber unbeirrbaren Art darüber hinweg gesetzt. Als sie wieder zuhause ankamen, sagte er: Steig aus und geh schon mal ins Haus. Setz das Teewasser auf. Ich komme gleich, schließe noch in Ruhe die Garage ab.“
Sie hatte lange gewartet. Als er aber nicht kam, ging sie in die Garage zurück. Da saß er auf seinem Sitz, fast mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht. Sie beugte sich über ihn und wusste, er hatte sie für immer verlassen.
Sie blieb ganz ruhig, rief den alten Hausarzt an, der auch gleich kam. Als er ihr den Tod ihres Mannes bestätigte, ein Herzinfarkt sei es gewesen, bewies sie eine große Stärke und nahm es gelassen hin. Die Nichten und Neffen kamen und unterstützen sie bei allem, was nun zu tun war. Die Beerdigung kam herbei. Ihr Mann war sehr beliebt gewesen, was ihr die vielen Beileidsbezeugungen am Grab noch einmal bewiesen.
Allein mit der Familie sprachen alle Nichten und Neffen das aus, was sie wohl schon untereinander besprochen hatten: „Am besten gehst Du in ein Seniorenstift und verkaufst das große Haus. Da kannst Du ja nicht allein drin wohnen bleiben. Du musst ja auch an dein Alter denken. Oder willst Du zu einem von uns ziehen. Du weißt, wie gern wir Dich haben. Das würden wir auch möglich machen.“ Sie antwortete ihnen ganz liebevoll: “Danke für Eure Anteilnahme und Eure Hilfe. Ich werde aber vorerst noch hier im Haus wohnen bleiben und in aller Ruhe entscheiden, was zu tun ist.“
Sie musste allen noch versichern, dass sie sich sofort an sie wenden würde, wenn sie Hilfe brauche. Dann erst verließen die Nichten und Neffen sie.
Sie hatte es dann bis heute geschafft, mit einigen Hilfskräften, die sie im Haushalt und im Garten unterstützten, in ihrem geliebten Haus wohnen zu bleiben. Hier war ihr Ehemann ihr überall sehr nahe und sie hatte sich nie einsam gefühlt.
Nun saß sie wie immer auf ihrem Stammplatz in der zehnten Reihe. Sie wirkte alt und zerbrechlich, saß aber kerzengrade in ihrem Sitz und strahlte eine große Würde aus. Sie hatte sich mit dem Taxi bringen lassen. Schon vor einiger Zeit hatte sie das Autofahren aufgegeben. Sie gönnte sich alle vier Wochen das Taxi und es war schon zur Tradition geworden, dass immer derselbe Taxifahrer sie holte und dann wieder nach Hause brachte. Es war eine besondere Ehre für ihn. Er mochte die alte Dame. Auch die Beschließerin kannte sie schon seit vielen Jahren und ließ es sich nicht nehmen, sie höchst persönlich zu ihrem Platz zu geleiten. Für alle hatte die alte Dame freundliche Worte übrig und war von allen wohl gelitten.
Sie konzentrierte sich auf das Konzert, das wie immer ein großer Genuss war. Den Dirigenten hatte sie schon oft erlebt. Er war mit ihr alt geworden, leitete das Orchester aber trotz seiner beginnenden Parkinsonerkrankung mit einer bewunderns-werten Leichtigkeit. Sie hörte das Stück „The Isle of the dead“ von Rachmaninoff, ertappte sich aber dabei, wie ihre Gedanken immer wieder abschweiften und in die Vergangenheit glitten.
Sie war wieder die kleine Sängerin aus dem Chor, die für den noch jungen Konzertmeister schwärmte. Nie hätte sie damit gerechnet, dass seine Aufmerksamkeit eines Tages auf sie fiel, als sie ein kleines Solo singen durfte. Nach der Probe hatte er auf sie gewartet und sie gebeten, mit ihm noch auf ein Glas Wein zusammen zu sitzen. Stotternd hatte sie mit ja geantwortet und war mit erröteten Wangen mit ihm in die Theaterklause gegangen. Sie erinnerte sich noch, wie angenehm die Unterhaltung war und wie es ihm gelungen war, ihre Schüchternheit zu vertreiben. Danach hatten sie sich oft getroffen. Beide hatten gespürt, dass es die große Liebe zwischen ihnen war. Dann hatte er eines Abends gesagt, er müsse etwas sehr Wichtiges mit ihr besprechen, hatte von einem Engagement als zweiter Konzertmeister am Saalbau in Essen gesprochen und davon, dass dies eine große Chance für ihn sei. Er hatte sie dann gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, ihn dort hin zu begleiten, natürlich als seine Frau. Sie war ihm um den Hals gefallen und hatte ohne zu zögern ihm ihr Jawort gegeben. Nie in ihrem Leben hatte sie diesen Schritt bereut, auch dann nicht, als es sich als unmöglich heraus stellte, dass sie in Essen oder der Umgebung eine Stelle als Chorsängerin bekommen konnte.
Sie waren glücklich verheiratet und genossen das Leben zu zweit. Kinder waren ihnen verwehrt geblieben, warum, das hatten sie nie erforschen lassen. Die Natur hatte es ihnen nicht gegönnt und sie hatten es akzeptiert. Ihr Leben war geordnet verlaufen. Nie war ein böses Wort zwischen ihnen gefallen. Beide lebten für die Musik. Sie hatte einige Gesangsschülerinnen, er dirigierte viele Konzerte, die sie natürlich alle als Zuhörerin begleitete. Es hatte sich eingebürgert, dass sie mehrmals im Jahr Freunde zum gemeinsamen Musizieren einluden. Da durfte sie zu ihrer Freude singen und hatte diese Abende sehr genossen.
Ja, sie hatten ein glückliches Leben geführt. Sie versuchte, sich wieder auf das Konzert zu konzentrieren. Die Stücke von Rachmaninoff hatten sie beide sehr gern gehört. Sie bemerkte, dass sie das Meiste verpasst hatte und das Orchester zum Schlussakkord anhob. Ein tosender Applaus setzte nach den letzten Tönen ein und der Dirigent verbeugte sich ein um das andere Mal. Als er zum dritten Mal auf die Bühne zurück kam und der Applaus nicht enden wollte, drehte er sich zu seinen Geigerinnen um, die im Halbkreis standen und schüttelte jeder von ihnen die Hand. Man merkte ihm die Anstrengung des Konzertes doch sehr an. Sein Gang wirkte leicht unsicher. Als er bei der letzten Geigerin angekommen war, machte er einen unsicheren Schritt und drohte, von der Bühne zu fallen. Es wurde totenstill im Saal. Aber der Dirigent fiel nicht auf die Erde. Von unten kamen hilfreiche Hände, die ihn hielten und von oben griffen die am nächsten stehenden Geigerinnen zu und zogen den großen Meister wieder nach oben auf die Bühne. Der Applaus setzte wieder ein. Der Dirigent verbeugte sich noch einmal vor dem Publikum und verließ die Bühne, rechts und links von einer jungen Musikerin sicher geleitet.
Der alten Dame war klar, dass es heute keine Zugabe gab. Ja, der Meister war auch schon fünfundachtzig Jahre alt, nur fünf Jahre jünger als sie. Da konnte so etwas schon einmal passieren. Sie lehnte sich in Ruhe zurück und beobachtete, wie die anderen Konzertbesucher allmählich die Reihen verließen. Sie schaute versonnen auf die rote Rose auf dem Sitz neben ihr und fühlte sich ihrem Mann sehr nah. Bald, das spürte sie, würde sie ihn wieder treffen.
Der Saal hatte sich gelehrt. Die Beschließerin sah die alte Dame noch auf ihrem Platz sitzen und ging zu ihr, um ihr behilflich zu sein. Sie schien eingeschlafen zu sein. Vorsichtig berührte sie sie an der Schulter und sagte. „Es ist Zeit. Das Taxi kommt gleich für Sie.“ Als die alte Dame nicht reagierte, fasste sie etwas beherzter zu und schüttelte sie. Da fiel der alten Dame das Programmheft aus der Hand. Die Beschließerin erkannte erschrocken, dass dies letzte Konzert für die alte Dame für immer zu Ende war.
Marga Belz
Heute Nacht
Hoch über dir
in der Pappel
im Nest der Elster
lasse ich mich
in den Schlaf schaukeln
Morgen früh
mit Vogelblick
und Feder im Haar
siehst du mich fröhlich winken
Edelgard Moers
Bis zum Ende
Du lässt die Sonne aufgehen
Berührst meine Seele
Berauscht meine Sinne
Streichelst meinen Körper so lange
Bis ich glaube, die Schönste zu sein
Du teilst deine Liebe
Deine Träume und deine Hoffnung
Mit mir
Mit dir möchte ich bis zur letzten Stunde
Die gleiche Luft atmen
Und dann in der Unendlichkeit wie ein Stern Verglühen
Hana Sejkora
Platonische Liebe
Mit leisen Schritten
auf den Zehenspitzen
schleichst du dich in meinen Traum
Ich schließe meine Augen
wieder und wieder
atme durch deinen Mund
die Lippen zittern
durch die Wärme deiner Sehnsucht
Die Hände schmeicheln
wie weicher Samt auf der Haut
in meinem Gesicht
Mein Körper kann es nicht mehr ertragen
deine endlose Kraft
der unerklärliche Schmerz
unerfüllter Wünsche
erfolgloser Widerstand meiner Gedanken
Langsam schließt du die letzte Tür
meines schlechten Gewissens
noch schleiche ich durch kleine Spalten
in den Garten der unerfüllten Versprechungen
von Zärtlichkeit und Liebe
Mit leisen Schritten
auf Zehenspitzen
schleichst du dich immer wieder
in meine Träume der schlaflosen Nächte
Hermann Kuhl
Sternenflieger
Ein kosmisches Ereignis
Ein Aufprall
Ein Siegeszug
Eine Reise ins Raum-Zeit-Kontinuum
Die Gefäße der Luftröhre halten den Atem an
Kein lautes Staunen
Zirruswolken signieren den Standort einer Quantenblume
Diese Reise darf nicht gestört werden
Lorelei - das weiße Licht unserer Träume
Dafür lohnt es sich, vor eine fliegende Kugel zu springen
Wie schön es ist, zu zweit und glücklich zu sein
Rudolph Kowalleck
Annas Mund
Annas Mund war ein sprudelnder Quell
ihre Lippen so rund
doch ihre Stimme zu grell
sie verstand einfach nicht
dass kein richtiger Mann
zur gleichen Zeit lesen
und zuhören kann
So wurde auch Max
bald von der Frage geplagt
wie war das jetzt?
was hat die Anna gesagt?
Denn weiß er das nicht
hängt der Haussegen schief
wie neulich als sie
im Wohnzimmer schlief
Sie war schwer gekränkt
Nie hörst du mir zu
und in Tränen ertränkt
war ihre Liebe im Nu
Max wollte nett sein
fragte sachte nach Sex
jetzt stellte Anna sich taub
und Max war perplex
Anna zog zu ihrer Mutter zurück
und betrauerte lange
ihr verlorenes Glück
Männer sind Schweine
und so primitiv
lieber schlaf ich alleine
und zerreiß seinen Brief
Hermann Kuhl
Die Frau in meinen Worten
Bis zum Morgen habe ich mir deine Träume geliehen
Ein Zentrum der Schwerelosigkeit
Ein leichter Tanz
Ein Tag im Paradies
Unentdeckte, ferne Meere
Weiße Punkte
Pfauenaugen
Wenn mein Gehirn sich etwas wünschen könnte
Alicia Keys - Superwoman
Drachentöter
Das Land der Ferne ist kein Rückwärtsland
Als ich das letzte Mal hier war, lernte ich fliegen
Saint-Germain-des-Prés, Land´s End, Niagara
Bis ich dich finde ist der Kuss eines Orkas
Ein Schoßkind mit gemalten Zöpfen
Sylvia Wenig
Blick in den Himmel
Dein Lächeln war so präsent
Als ich ein Foto von dir in Händen hielt
Deine Stimme klang mir im Ohr
Als du mir Zeilen schriebst
Ich konnte dich spüren
Wenn du mir flüstertest
„Ich bin bei dir“
Deine Wärme empfing ich
Als säßen wir dicht beieinander
Ich hörte dein Lachen
Wenn ich dich neckte
Ermahnt fühlte ich mich von dir
Wenn ich unachtsam mit mir umging
Du wecktest in mir eingeschlafene Talente
Wenn wir durch die Straßen bummelten
All diese Erlebnisse wären plötzlich wieder präsent
Würden wir beide noch leben
Hana Sejkora
Bei dir
Ich kenne dich schon lange Zeit
du begleitest mich
durch farbige Striche der Natur
Du trägst meine Lasten
auf steinigen Straßen
Du legst einen Faden
in dunklen Gassen
Du schläfst bei mir
und wachst wieder auf
in der Ruhe
der nächtlichen Schatten
Du lässt mich einatmen
die Luft der süßen Düfte
Du lässt mich lieben -
Gewässer Wiesen Gebirge
Sonne Dunkelheit und Licht -
und die Menschen -
und dich!
Du lässt mich leben - bei dir!
Hermann Kuhl
Geliebte
Guten Morgen du Schöne
Was für ein Kuss
Ich habe die Flügel eines Engels berührt
Mein Kopf ist ein schwebender Stern
Dein Lippenstift - der Mittelstreifen auf den Traumstraßen der Welt
Mascara - die Tagseite eines Schmetterlings
Ich liebe diese Musik
„Set fire to the rain“ *
Champagner schleift die Mauern meiner Sprache
Der Auszug aus Ägypten ist die Geschichte dieses Sommers
Keine Türen, keine Wände
Keine Zeit verlieren
* Adele (brit. Sängerin)