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4. „Schritt halten“

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Der eine besitzt vierzig Paar, der andere nur vier. Wir laufen in ihnen durch unser Leben, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Ohne Schuhe kämen wir nicht meilenweit. In Leder, Fell, Bast, Kork, Holz, Gummi oder Polyethylen wird gelaufen, gestöckelt, gelatscht, gestiefelt und gewalkt. Auf dem Eis getanzt, der Ball gerollt oder ein Rekord gerannt. Im Grunde müsste jeder Tag der des heiligen Nikolaus sein, an welchem ein Schuh mit Konfekt als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung verschenkt wird. Doch zu viel Zuckerware macht krank. Ein hübscher Mokassin, ein mit Perlen verziertes, ledernes Modell, das den Hauch von wilder Freiheit und Naturverbundenheit versprach, gefiel mir just in der Schaufensterauslage. War dieses Alltagsding der intime Ausdruck der eigenen Identität, in welcher sich insgeheim die Frage verbirgt: Was ist dein Ziel? Einige Exemplare, die anlängsten entsorgt sind, schlimmstenfalls auf einer afrikanischen oder südasischen Müllkippe dümpeln, sind partout unvergesslich. Weisse, schicke Sonntagshalbschuhe der Zehnjährigen. Elegante, weinrote Winterstiefel mit Schnallen, mit welchen die Zwanzigjährige ihren besten Freund beeindruckte. Ein zerrissener Ballettschuh wurde wie eine Kostbarkeit in der Kommode verwahrt. Der profane, begehrte Artikel, der noch vor einhundert Jahren für viele Menschen kaum erschwinglich war, hat sich unverrückbar in die Sprache eingeschlichen. „Mir geht es gut. Nein, der Schuh drückt nicht!“, heisst es bis heute. Mit Entrüstung: „Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an!“ Dabei ist unbestreitbar, dass Schuhe die Füsse vor einer Verletzung schützen, wärmen, die Schritte und den Gehvorgang stabilisieren. Jeder möchte Schritt halten, sich mit seiner Auswahl von dem anderen unterscheiden. Oder wie ein französischer Sonnenkönig etwa mittels roter Absätze auf sich aufmerksam machen und hervorheben. Auch das Schuhhandwerk besitzt Historie. Die Schusterkunst unterschied in simpler Weise einst zwischen Schaft und Boden. Ihre Machart: Schneiden, Kleben, Nähen, Nageln. Das älteste Laufutensil wurde in Fort Rock, Oregon (USA) sichergestellt. Es handelt sich um zehntausend Jahre alte Bastschuhe von Paläoindianern. Sechstausend Jahre hat ein Lederschuh, Schnidejocher genannt, aus den Berner Alpen überdauert. Wer den Schnürsenkel, eine geniale Angelegenheit, erfand, bleibt im Dunkeln. Den verwickelten Bundschuhen von Moorleichen folgten die Schnabelschuhe der Aristrokraten. Dann das feste Schuhwerk der bürgerlichen Vernunft. Im Maßzuschnitt. Bestenfalls Blasen und Hühneraugen vermeidend. Aus den ollen Galoschen entstand das Phantasiedesign, verwirklicht in der industriellen Fabrikation. Sneaker, Slipper, Pumps, Turn- und Wanderschuhe. Mit und ohne Markennamen. Eine Idealanfertigung - weiss der Kenner - liegt vor, wenn eine fiktive, schnurgerade Linie durch das zweite Zehengrundgelenk des Trägers bis hin zur Mitte seiner Verse gezogen werden kann. Dann fällt er nicht aus den Pantoffeln. Oder: Umgekehrt wird ebenso ein Schuh daraus. Der sogar therapeutischen Nutzen hat, wenn Fetischgelüste, neurotische Ticks ihre friedliche Passion finden. Einschüchtern lassen sollte sich niemand mit seinen neuen Leisten. Falls er oder sie es wagen sollten, in den passenden Schuhen einer anderen Person weiterzulaufen. Einen weisen Rat gab dazu der amerikanische Sänger Elvis, der Schuhe über alles liebte: „Imagine You are standing in my shoes what a suprise it could be to see Me.“

Bonjour Motte!

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