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Prolog

Bertrand Leclerc hörte jemanden schreien. Derjenige musste unglaubliche Qualen erleiden, unsägliche Schmerzen haben. Dann merkte Leclerc, dass er geschrien hatte.

Panisch riss er die Augen auf, aber nur ein Auge konnte etwas erkennen. Das andere war zugeschwollen und die Art seiner Verletzungen, die er jetzt spürte, ließ ihn vermuten, dass eine Selbstheilung nicht wirken konnte. Er hing bäuchlings in Ketten, Arme und Beine kreuzförmig gestreckt. Unter ihm hatte sich eine riesige Blutlache gebildet. Sein Blut.

Leclerc stöhnte auf. Zu mehr war er im Moment nicht fähig. Sein Körper war von tiefen Schnitten überzogen, sein Kiefer mehrfach gebrochen. An einigen Stellen waren frische Brandwunden zu erkennen. Nichts an dem geschundenen Körper erinnerte an den stolzen und manchmal arroganten Franzosen, der im Jahr 1734 geboren worden war.

Wütend knurrte Bertrand Leclerc. Er hatte die Französische Revolution überlebt, Napoleon Bonaparte, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Und hier, in einem mit kaltem Neonlicht erhellten Keller, sollte er nun zu Grunde gehen? In einer letzten Kraftanstrengung bäumte sich der Vampir auf, zerrte an seinen Ketten. Ein hämisches Lachen war die Antwort.

„Sieh an, sieh an!“ Die Stimme des Mannes, den Leclerc nicht sehen konnte, tropfte nur so vor Verachtung und Hass. „Du lebst ja immer noch? Erstaunlich zäh!“

Leclerc zwang sich, seinen Peiniger anzusehen. Der Mann vor ihm hatte einen Kittel an, der die Kleidung darunter vor den Blutspritzern schützen sollte. Die Hosenbeine, die unter dem Kittel hervorguckten und auch die Schuhe sagten über seinen Träger aus, dass er einen erlesenen und teuren Geschmack haben musste. Die Hände, die jetzt ohne Gummihandschuhe zu sehen waren, waren gepflegt. Ein großer und schwerer goldener Ring zierte den manikürten Ringfinger der linken Hand. Das Gesicht von Leclercs Peiniger war gut geschnitten, beinahe aristokratisch. Ein kurzer und gepflegter dunkler Vollbart mit einigen grauen Strähnen gaben dem Mann etwas Gebieterisches. Die dunklen Augen blickten Leclerc gefühllos an.

„Warum tust du das?“, quetschte Leclerc hervor.

Der Mann schürzte amüsiert die Lippen. „Du bist ein Monster. Widernatürlich. Ein Dämon. Du darfst nicht existieren.“

Bitter lachte Leclerc auf. „Ich bin ein Monster? Mich zu foltern ist also legitim?“ Der Vampir bekam vor Anstrengung einen Hustenanfall.

„Du wärst schon längst tot und erlöst, wenn du mir Namen gegeben hättest.“

Irritiert sah Leclerc den Mann an. „Was für Namen?“, keuchte er.

Wieder schürzte der Mann seine Lippen. „Natürlich die Namen anderer Dämonen wie dir. Und wo ich sie finde.“

Verblüfft sah Leclerc den Mann an, dann dämmerte es ihm. „Du bist für die verschwundenen Brüder und Schwestern der letzten Jahre verantwortlich, nicht wahr?“

Der Mann verbeugte sich vor seinem Gefangenen. „Ganz recht. Aber leider hat bisher keiner mehr als ein oder zwei Namen genannt. Du bist der erste, der bisher nicht mal einen genannt hat. Kompliment, du bist sehr willensstark.“

Leclerc knurrte, wusste aber, dass ihm das nichts nützen würde. „Bring es hinter dich, Mensch!“, sagte er verächtlich. „Man kann Vieles über mich sagen und manche Dinge sind weder schmeichelhaft noch übertrieben. Aber ich verrate niemanden!“

Der Mann legte seinen Kopf schräg und lächelte. „Irgendwie wusste ich, dass du das sagen würdest.“ Er nahm ein Messer von dem kleinen Tisch, der in seiner Reichweite stand. Es war ein Messer, mit dem man Schlachtvieh ausweidete. Leclerc erkannte es und holte entsetzt Luft.

„Willst du es dir nicht noch mal überlegen? Nur drei Namen, Franzose, und ich gewähre dir einen schnellen Tod!“

„Was zum Teufel tust du da?“

Leclercs Kopf ruckte hoch und er sah in die Richtung, aus der die weibliche Stimme kam. Er erkannte sie. „Du?“ Die Erkenntnis kam unvermittelt und er lachte ein bitteres Lachen. „Du hast mich in die Falle gelockt, Weib!“

Die Frau starrte den an Ketten hängenden Mann erschrocken an. „Ich wusste nicht, dass ….“

„Hier mein Kind. Du hast die Ehre diesem Monster den Bauch aufzuschlitzen!“ Der gepflegte Mann gab der Frau das Ausweidemesser in die Hand. Die Frau starrte auf das Messer.

„Nein!“ Angewidert schleuderte sie das Messer in die Ecke des Kellers. „Du hast gesagt, du würdest ihn töten, nicht foltern. Warum tust du das?“

Der gepflegte Mann lächelte der jungen Frau milde ins Gesicht. „Du brauchst kein Mitleid mit ihm haben. Er und die anderen sind Monster, Dämonen! Was glaubst du denn, was die mit uns tun? Denke an deine Eltern!“

Leclerc hatte für einen kurzen Moment Hoffnung geschöpft, als die Frau das Messer in die Ecke geworfen hatte. Doch er sah in ihren Augen, dass er keine Gnade zu erwarten hatte.

„Wenn wir sie foltern, stellen wir uns auf dieselbe Stufe mit denen. Töte ihn und lass es gut sein!“

Der gepflegte Mann lächelte wieder, nahm ein weiteres Messer von dem Tisch und eine Kurzsichel. Wortlos drückte er die Sichel in die Hand der Frau.

„Töte du ihn, denn ich werde sonst noch ein bisschen mit ihm plaudern.“

Die Frau sah den älteren Mann mit großen Augen an, die Stirn vor Entsetzen gerunzelt. „Du wolltest mich da raus lassen. Du hattest es mir versprochen!“

„Nun, ich werde auch nicht jünger. Ich brauche jemanden, der mein Vermächtnis fortführt, wenn ich nicht mehr bin. Du sollst das tun. Also ist es Zeit für dich zu lernen, hart zu werden und keine Gnade zu kennen.“

Lange funkelte die Frau den gepflegten Mann an. „Es ist falsch!“

Der Mann zuckte nur mit den Schultern, drehte sich um und stieß Leclerc das Messer in den Bauch. Leclerc schrie, wimmerte, als der Mann das Messer langsam nach oben zum Brustbein zog.

„Halt!“ Die Frau warf sich dem gepflegten Mann regelrecht in die Arme, schubste ihn zur Seite. Dann sah sie den Vampir an.

Leclerc erkannte hinter seinem blutigen Tränenschleier, dass die Frau ihn mitleidig ansah.

„Verzeih mir, Vampir. Gott möge deiner Seele gnädig sein!“

Leclerc brachte tatsächlich ein Lächeln zustande. „Wenn die anderen dich und den Mann finden, möchte ich nicht in eurer Haut stecken!“, presste er hervor und schloss die Augen.

Die Frau holte mit der Sichel aus und trennte dem Vampir mit einem Schlag den Kopf vom Rumpf. Schwer atmend starrte sie eine Weile auf den Schädel, der vor ihren Füßen lag. „Das war das letzte Mal, dass ich dir einen ausgeliefert habe. Ich werde nicht mehr den Lockvogel spielen. Das ging zu weit!“ Die Frau drehte sich um und stapfte aus dem Keller. Der gepflegte Mann sah ihr hinterher, lächelte zynisch.

„Das werden wir ja sehen!“, murmelte er.

Vampirjagd

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