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Kapitel 3: Manipulationen

Das Bathura kam dampfend auf den Tisch, noch fettig vom Frittieren. Dazu wurde in einem kleinen Schälchen ein Joghurt-Kräuter-Dipp gereicht.

„Ich liebe dieses fluffige Brot!“, sagte Helena und griff zu, riss einfach ein wenig von dem Brot ab und aß es ohne den Dipp. „Hhm!“

Erstaunt betrachtete Jannik, mit welchem Genuss Helena das Brot kaute. Sie schloss dabei die Augen, schien jede Komponente der Zutaten im Mund zu zerlegen. Danach wischte sie sich die fettigen Finger an der Serviette ab.

„Sie sehen übrigens ganz anders aus als auf dem Foto. Der Bart macht Sie reifer, Jan.“

Innerlich schmunzelte Jannik. >Aha, die Kapodistrias haben also auch Erkundigungen eingeholt.<

„Der Bart ist ziemlich neu. Ich dachte mir, neues Land, neues Aussehen. Und hier habe ich nicht meinen Grund-seriösen Cousin neben mir, der sonst die Verträge abschließt.“

„Also dachten Sie sich, ich werde mich ein wenig raus putzen und Eindruck in der Geschäftswelt schinden?“

„So ungefähr. Ist doch gelungen, nicht wahr?“

Helena grinste. „Allerdings. Aber Ihre Kompetenz ist auch nicht zu verachten.“

Jan strich ein wenig von dem Dipp auf sein Bathura. „Wir haben jetzt genug ´Phishing-for-compliments` gespielt, finden Sie nicht?“ Sein Blick bohrte sich in ihre Augen.

Helenas Augenbraue zuckte kurz in die Höhe. „Wie meinen Sie das?“

Jannik schluckte sein Brot herunter, bevor er antwortete, wischte sich die Finger an der Serviette ab und trank einen Schluck Wasser.

„Ihr Onkel hat Sie mit Absicht auf mich losgelassen. Nicht, dass ich mich beschweren will. Im Gegenteil, Sie sind eine absolut angenehme und willkommene Gesellschaft. Aber Sie sollen mich – sagen wir – abtasten.“

Helena schmunzelte etwas. „Ich sagte Onkel Dim, dass man Ihnen nichts vormachen kann. Er meinte, Sie seien zu jung und unerfahren in der Geschäftswelt.“

„Onkel Dim?“

„Mein Bruder Stavros konnte als Kind nicht Dimítrios aussprechen. Also heißt er seit dem Onkel Dim.“

Janniks Mundwinkel zuckte kurz amüsiert, dann hatte er sich wieder im Griff. „Und Sie nennen ihn heute noch so?“

Helena wurde verlegen. „Eigentlich nur, wenn wir unter uns sind. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Dimítrios gegenüber das nicht erwähnen würden.“

Jannik grinste breit. „Schon vergessen. Ich habe über ihre Familie interessante Dinge gelesen, Helena.“

„Ach wirklich? Was denn zum Beispiel?“ Helena lehnte sich ein wenig vor und legte ihren Kopf zur Seite. Dadurch fiel ihr langes, schwarzes Haar wie ein Schleier zu der geneigten Seite.

„Dimítrios und sein Bruder Phillipos, Ihr Vater, gründeten ´Hellas Health` vor fast 25 Jahren. Hier in Deutschland. Sie fingen mit der Herstellung eines Reagenzglases an, das eine große Hitze aushält und somit in Laboratorien der ganzen Welt seinen Siegeszug begann. Inzwischen hat die Firma viele nützliche Produkte rund um die medizinische Forschung entwickelt und in Produktion.

Als Sie sechs Jahre alt waren und ihr Bruder drei wurden Ihre Eltern bei einem Überfall auf Ihr Zuhause getötet. Ihr Bruder Stavros wurde so schwer verletzt, dass er seitdem nur noch mit Gehhilfen laufen kann.“

Helenas Gesicht verdunkelte sich kurz und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Das war das Schlimmste, was Táwo und ich je durchmachen mussten“, sagte sie leise.

Jannik nickte verständnisvoll. „Ihr Onkel nahm Sie beide zu sich, zog Sie an Kindes statt auf. Die besten Privatschulen, ein Leben in Reichtum und Macht.“

„Aber auch mit Verantwortung, Jan.“ Helena nahm ihre Cola und trank einen Schluck.

Täuschte sich Jannik oder zitterte ihre Hand ganz leicht?

„Dimítrios zog uns in dem Wissen auf, dass es viele Menschen auf der Welt gibt, die nicht so privilegiert sind wie Táwo und ich. In den Ferien halfen wir in der Kirche aus, wir gaben den Armen Essen und Trinken. Kleidung, die uns zu klein geworden war, gaben wir direkt an hilfsbedürftige Familien. Ebenso Spielzeug, das wir nicht mehr wollten.

Dimítrios gab uns Taschengeld, aber immer nur einen Minimalbetrag. Er war der Meinung, dass wir lernen sollten, mit wenig auszukommen, damit wir schätzen lernten, was wir mehr hätten und es nicht als Selbstverständlich nähmen.“

„Das ist lobenswert. Ich habe nur eines in dem Bericht nicht verstanden, den ich gelesen habe.“ Jannik verschränkte die Arme und sah Helena direkt in die Augen.

„Und das wäre?“

„Sie und Ihr Bruder haben eine identische Ausbildung. Beide haben Sie einen fast gleich hohen IQ. Warum sind Sie Dimítrios rechte Hand geworden und nicht Ihr Bruder? Ich dachte immer, dass Griechen ihre Söhne bevorzugen!“

Helena lächelte. „Mein Bruder ist ein Künstler, Jan. Kein Geschäftsmann. Zahlen und Formeln sind nicht seine Welt. Táwo malt, formt Skulpturen und musiziert. Dimítrios hat das früh erkannt. Deswegen hat Táwo seine Studienfächer auch gewechselt. Er studiert Kunst, Musik und Griechische Geschichte.“

Die Art, wie Helena Kapodistrias über ihren Bruder redete, berührte Jannik. Er erkannte Liebe und Zärtlichkeit in ihrer Stimme.

Das Hauptgericht kam. Helena nahm Murg Balti, ein Hühnchengericht, das in einem Karahi, einer kleinen wokähnlichen Pfanne, mit zwei Griffen zubereitet und serviert wurde. Jannik nahm eine große Gemüsepfanne mit Curry. Dazu wurde ihnen der Reis in einem extra Gefäß serviert.

„Sind Sie Vegetarier?“ Helena klang überrascht, als sie Janniks Teller inspiziert hatte und kein Stück Fleisch entdeckte.

„Nein!“, lachte Jannik. „Ich esse nur sehr gerne Gemüse. Ich esse nicht jeden Tag Fleisch, manchmal nur einmal in der Woche.“

„Und wieder haben Sie mich überrascht!“, murmelte Helena.

„Weshalb?“

Helena nahm sich etwas Reis und von dem Murg, legte es sich auf ihren Essteller. „Sie entsprechen so gar nicht dem Bericht, den wir über Sie haben. Demnach hätten sie eher blutiges Steak bevorzugen sollen.“

Jannik lachte leise. „Welcher Idiot hat den Bericht denn verfasst?“

Helenas Augen blitzten, sie legte ihren Zeigefinger an die Lippe. „Firmengeheimnis.“

„Ah! Verstehe.“ Jannik nahm sich etwas von dem Reis und eine große Menge von dem Gemüse. Er hatte das Gefühl, dass Helena ihn genau beobachtete.

„Was steht denn noch in dem Bericht?“

Helena spülte kurz mit ihrer Cola nach und tupfte ihre Mundwinkel mit der Serviette ab. „Im Prager Krankenhaus 1984 geboren. Die Mutter verstarb dabei. Ihr Vater und ihr Onkel zogen Sie und Ihren Cousin Adolar in der Burg auf, die schon seit Jahrhunderten der Stammsitz der Cernýs ist, östlich von Ostrava in den Äußeren Karpaten. Ihr Cousin hat den Adelstitel des Grafen geerbt und Sie beide haben die Firma Ihrer Väter übernommen. Blutbanken, Blutgerinnung, Blutkrankheiten und so weiter.

Ihr Cousin hat vor vier Monaten geheiratet, eine deutsche Frau aus Hamburg. Sie selbst gelten als Lebemann, als Genussmensch. Als jemand, der nichts anbrennen lässt, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist.“

Jannik zog eine Augenbraue hoch. „Hm. Ich kann einer schönen Frau nun einmal kaum widerstehen. Aber zurzeit liegt mein hauptsächliches Interesse an der Firma, und nicht bei Frauen.“

„Vom Saulus zum Paulus?“ Helena hatte einen leicht provozierenden Unterton.

„Wohl kaum. Ich lege nur eine Pause ein.“

Helena beobachtete, wie Jannik beinahe gleichmütig eine Portion Gemüse in den Mund steckte. „Oder liegt es eher daran, dass Sie eigentlich in die Frau Ihres Cousins verliebt sind und seitdem einfach kein Interesse an anderen Frauen haben?“

Jannik erstarrte, stierte Helena an. Vorsichtig tastete er sich in Helenas Gedanken ein.

>Ich habe ihn! Verdammt, warum muss ich ihm wehtun?<

Jannik legte seine Gabel auf den Teller, wischte sich seinen Mund an der Serviette ab. „Nicole ist Adolars Frau. Unabhängig davon, was ich für sie empfinde, akzeptiere und respektiere ich diesen Umstand, Helena. Mehr ist dazu nicht zu sagen.“ Jannik merkte, dass sein Ton schärfer war, als er eigentlich beabsichtigt hatte, aber Helena hatte wirklich einen wunden Punkt getroffen.

Er und Adolar hatten schon lange vorgehabt nach Deutschland zu expandieren. Als die Beziehung zwischen Adolar und Nicole sich festigte und ein Hochzeitstermin feststand, forcierte Jannik die Absicht, nach Deutschland zu gehen und bat Adolar darum, die Zweigstelle persönlich leiten zu dürfen. Er wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Nicole bringen.

Helena sah ihn bestürzt an. Jannik spürte, dass es ihr wirklich Leid tat, las es auch in ihren Gedanken. „Es tut mir Leid, Jannik. Ich hätte das nicht sagen sollen.“

Er wedelte mit der Hand. „Wir haben uns doch gegenseitig provoziert, Helena. Den Tod Ihrer Eltern zu erwähnen war auch nicht gerade sehr elegant.“

Betreten schwiegen sie, aßen still weiter.

„Ich hoffe, dass der Vorfall eben nicht unsere geschäftlichen Beziehungen beeinträchtigen wird.“ Helena nahm ihren ganzen Mut zusammen und sah dem Tschechen in die braunen Augen.

Er lächelte versöhnlich. „Nein. Ich sehe das eher sportlich. Wir haben ein Remis und werden noch weitere Runden ausfechten müssen. Ich bin schon neugierig, welche Waffen dann zum Einsatz kommen.“

Helena runzelte die Stirn, sah Jannik merkwürdig betroffen an.

>Ich habe ihm wirklich wehgetan. Das habe ich nicht gewollt!< Ihre Gedanken strichen eine Saite bei ihm an, die er noch nicht kannte. Jannik wollte nicht, dass sich Helena schuldig oder schlecht fühlte.

Er zahlte, half ihr in den Mantel und sie gingen hinaus. Sie atmete die kalte, nasse Luft des Februars ein.

„Kommen Sie, ich fahre Sie in die Firma Ihres Onkels.“ Jannik ergriff Helenas Arm, wollte sie wieder zum Parkhaus führen.

„Nein, Jan. Ich … nehme ein Taxi.“

Verwirrt sah Jannik die junge Frau an. „Ich habe Ihren Onkel aber versprochen, dass ….“

„Ich werde ihm sagen, dass Sie einen dringenden Anruf aus dem Büro bekommen haben und umgehend zurückkehren mussten. Ich denke, es ist besser, wenn wir uns hier verabschieden.“

Jannik sah in die dunklen Augen und für einen Moment, für einen winzigen Moment, wollte er die Frau in die Arme nehmen und festhalten. Das verwirrte ihn noch mehr.

„Es tut mir aufrichtig Leid, dass ich Ihre Gefühle verletzt habe, Jan. Bitte verzeihen Sie mir.“ Helena reichte Jannik die Hand und er ergriff sie, hielt sie fest. Er zog die Hand an seine Lippen, deutete diesmal den Handkuss nicht an, sondern vollendete ihn.

„Es tut mir Leid, dass ich mich zu den harten Worten habe hinreißen lassen, Helena.“

Sie lächelte, entzog ihm ihre Hand und drehte sich um. Ein leeres Taxi fuhr genau in diesem Moment vorbei und Helena winkte ihm zu.

„Helena!“

Sie drehte sich noch einmal zu Jannik Cerný um, der sie sehr ernst ansah.

„Wir werden uns doch wieder sehen, nicht wahr?“

Helena lächelte wieder. „Ja. Das werden wir.“

Sie stieg in den Wagen, schloss die Tür, nannte dem Fahrer die Adresse und schnallte sich an. Als der Wagen losfuhr, blickte sie noch einmal zurück und sah, dass Jannik ihr nachsah.

Helena Kapodistrias warf ihre Handschuhe auf die Kommode und den Kaschmirmantel über den Kleiderständer. Wütend über sich selbst schleuderte sie ihre Schuhe von den Füssen. Sie landeten weit voneinander entfernt in den Ecken ihres Büros. Sie goss sich etwas Wasser in ein Glas und setzte sich in ihren Bürostuhl, zog die Beine an.

Die Tür ging auf und Dimítrios trat in ihr Büro. Er runzelte die Stirn, als er Helenas Gemütszustand sah. „Du bist zurück!“

„Offensichtlich“, knurrte Helena und schloss die Augen, lehnte ihren Kopf zurück.

„Ist etwas passiert?“

Helena sah in die dunklen, kalten Augen ihres Onkels. „Nein.“

„Warum bist du dann so merkwürdig?“

„Weil ich Cerný provoziert, und ihn damit verletzt habe. Und es tut mir Leid.“

Überrascht sah Dimítrios Kapodistrias seine Nichte an. „Es tut dir Leid?“, fragte er entsetzt.

„Er ist nicht das, was du denkst.“ Helena trank ihr Wasser und stellte das Glas lauter als gewöhnlich auf ihren Schreibtisch ab.

„Woher willst du das wissen?“, fragte Dimítrios lauernd.

„Erstens hat er kein Fleisch sondern Gemüse gegessen.“ Sie zählte die Punkte an ihren Fingern ab. „Zweitens haben sich seine Augen nicht einmal verändert und drittens habe ich es einfach im Gefühl, Onkel Dim.“

„Ach, du hast es im Gefühl?“ Hohn tropfte aus der Stimme und ließ Helena aufhorchen.

„Ich habe dir gesagt, dass ich aus der Sache raus bin. Ich spiele nicht mehr deinen Lockvogel. Bei Cerný liegst du falsch. Er ist kein Dämon!“

Die Augen des Griechen glühten. „Hast du dich in den Tschechen verliebt?“

Verblüfft runzelte Helena erneut die Augenbrauen. „Gott, nein! Aber er ist kein Kandidat für dein Kellervergnügen!“

Mit zwei Schritten war Dimítrios Kapodistrias bei seiner Nichte, holte aus und ohrfeigte sie. Der Schlag war so heftig, dass sie von dem Bürostuhl fiel und mit einem kleinen Aufschrei zu Boden stürzte. Es überraschte Helena mehr als das es sie schmerzte und sie sah ihren Onkel entsetzt an. Der schüttelte sich plötzlich, krampfte seine Hände zusammen.

„Glaubst du etwa, dass es mir Spaß macht, diese Ausgeburten der Hölle zu jagen und sie ihrer Erlösung zu übergeben?“ Seine Stimme war leise, schneidend. Er beugte sich zu Helena runter, nahm ihre Hand in seine. „Du hast doch gesehen, wozu diese Kreaturen fähig sind. Du hast gesehen, was deinen Eltern geschehen ist.“

Dimítrios zog Helena hoch, streichelte über ihre gerötete Wange. „Wenn Cerný ein normaler Mensch ist, hat er nichts zu befürchten. Ich verspreche dir, dass ich gründlicher als sonst recherchiere. Aber verstehe bitte, dass ich nicht aufhören kann, nur weil dein Gefühl es dir sagt.“ Er umklammerte ihren Kiefer, drückte unsanft zu. „Wenn du nicht mitmachen willst, steh´ mir nicht im Weg. Aber überlege es dir noch einmal. Denn wenn du nicht mein Vermächtnis fortführen willst, wird dein Bruder eingeweiht werden!“

Tränen schossen in Helenas Augen. Es war das erste Mal in ihrem Leben, das Dimítrios seiner Nichte körperlich wehtat. „Lass bitte Táwo aus dem Spiel“, flüsterte sie gequetscht.

„Das liegt nicht an mir, Lena.“

Dimítrios Kapodistrias ließ das Gesicht seiner Nichte los, drehte sich um und verließ das Büro, ohne noch ein einziges Wort zu sagen.

Helena war plötzlich speiübel. Keuchend stützte sie sich auf dem Schreibtisch ab, schwitzte.

>Hoffentlich habe ich Recht. Hoffentlich ist Jan keine von diesen Kreaturen!<

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