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ОглавлениеKapitel 5: Wer ist der Feind?
Jannik Cerný stellte gerade vier Gläser auf der Theke seiner Küche bereit, als es klingelte. Mit ein paar langen Schritten war er an der Wohnungstür seines Lofts und sah auf den kleinen Monitor, der an der Gegensprechanlage neben der Tür hing. Eine kleine Frau mit langen Haaren sah direkt in die Kamera und grinste breit.
„Sie weiß einfach, wie man auftritt!“, murmelte Jannik bewundernd und drückte auf den Knopf um die Haustür zu öffnen. Fünf Sekunden später öffnete er die Wohnungstür und prallte zurück. „Gott!“
Die Frau musste die Treppen wahrlich hochgeflogen sein, denn knappe Einmetersechzig grinsten ihn von unten sehr breit an. „Es reicht, wenn du mich Rona nennst, Jan.“ Eine Stimme so klar wie eine Gebirgsquelle tropfte ihm entgegen und der Duft von wildem Thymian stieg ihm in die Nase.
„Bescheidenheit lag dir noch nie, Rowena Mc Dougall!“, stellte Jan fest und nahm die kleine Frau in seine Arme. Sie lachte ein helles Lachen und küsste ihn lange auf die Lippen und er erwiderte den Kuss ebenso innig.
„Wie lange ist es her?“, fragte Rowena, nachdem Jannik sie auf den Boden gestellt hatte.
Jannik überlegte kurz. „Etwa fünfzig Jahre. Damals trafen wir uns in Florenz. Eine Ewigkeit ist das her.“
Rowena lächelte verschmitzt. „Für dich mag es ewig her sein. Für mich war es gestern.“
„Angeberin!“ Seine Beleidigung klang zärtlich.
Rowena Mc Dougall war eine zarte Erscheinung. Ihre geringe Körpergröße und der zarte Körperbau erweckten in jedem Mann, der ihr begegnete den Wunsch, sie zu beschützen. Sie hatte ein rundliches, eher blasses Gesicht, umrahmt von honigblondem Haar. Einen kleinen, immer roten Kussmund und wie alle ihrer Art wunderschöne, perfekt geformte und strahlend-weiße Zähne. Aber das Schönste und zugleich Auffälligste an ihr waren die Augen. Sie waren von einer tiefvioletten Färbung, wie sie es nur ganz selten auf der Welt gibt.
„Ich muss schon sagen, Jan. Du hast Geschmack. Und zwar in jeder Epoche!“ Anerkennend inspizierte Rowena das Loft ihres alten Freundes.
„Danke. Aus deinem Mund ist das wirklich ein Kompliment, Rona.“
Überall lag helles Parkett, hier und da durch eine Teppichbrücke aus edler Faser unterbrochen. Moderne Möbel, teils rot lackiert, teils schwarz abgesetzt. Alles aufeinander abgestimmt. Die Sitzelemente waren ebenfalls modern, entsprachen aber den Anforderungen für ein gesundes Sitzen inklusive Bequemlichkeit. Weiches rotes Leder mit schwarzen Applikationen luden zum Sitzen und einiges mehr ein.
„Wie ich dich kenne wirst du hier schon den einen oder anderen One-Night-Stand gehabt haben.“
Jannik lachte auf. „Auch wenn du mir nicht glaubst, die Putzfrau war bisher die einzige Dame, die diese Räume betreten hat, seitdem ich hier wohne.“
Überrascht sah die Frau Jan an. „Bist du abstinent oder hast du endlich die Richtige gefunden?“
Jannik führte Rowena auf die Dachterrasse. Es war kalt und im Westen ging die Sonne gerade in einem herrlichen Abendrot unter. Die beiden Vampire spürten die Kälte aber nicht. Sie konnten Temperaturschwankungen von Minus 20° Celsius bis Plus 60° Celsius mühelos überstehen.
„Weder noch.“ Er dachte kurz an eine dunkelhaarige, griechischstämmige Frau, die er gestern kennen gelernt hatte. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich möchte nur meine … Eroberungen nicht hierher bringen, dass ist alles.“
Schalkhaft sah sie ihn von unten her an. „Ich bin doch hier“, sagte sie mit einem Unterton, der ihm deutlich machte, dass Rowena durchaus für ihn zu haben war.
Jannik zog amüsiert eine Augenbraue hoch. „Rona, du kannst mich gerne für einen Schuft halten. Aber deine Freundschaft ist mir viel wichtiger als eine heiße Affäre mit dir. Und die hatten wir. Mehrfach sogar.“
Theatralisch fasste sich die schöne Frau an den wohlgeformten Busen, in etwa da, wo ihr Herz schlug. „Autsch! Das war ein mordsmäßiger Pfeil.“
>Mir bedeutet unsere Freundschaft auch sehr viel, Jan. Du bist mir wichtig.<
Die Wärme, die Rona ihm mit ihren Gedanken schickte, ließ ihn zutiefst glücklich lächeln. Jannik umarmte die kleine Frau und presste seine Lippen auf ihr duftendes Haar.
„Für ´ne alte Frau riechst du verdammt gut!“, neckte er sie. Zur Strafe boxte sie ihm in die Rippen und eine der Rippen knackte tatsächlich verdächtig. Schmerz durchzuckte Jans Körper und er zog zischend die Luft ein. „Okay okay! Das habe ich verdient!“, quetschte er hervor und ließ Rowena los, rieb sich die Rippe, die schon wieder im Begriff war zu heilen.
„Niemals solltest du eine Frau auf ihr Alter ansprechen, Jannik Cerný!“, ermahnte Rowena ihn mit einem Lachen in den Augen. „Auch wenn die Frau älter ist als deine Religion!“
Rowena Mc Dougall, wie sie sich seit ein paar Jahrhunderten nannte, wurde im Jahre 63 vor Christi Geburt im heutigen Schottland geboren. Sie war eine Piktin, eine Bemalte vom alten Stamm. Und sie war eine Schamanin!
Eine der mächtigsten Vampire auf der ganzen Erde.
„Wen erwartest du noch?“
Jannik atmete tief durch, rieb sich dabei weiter seine Rippe. „Tristan Kadian und Tobias Kerner, beide sehr gute Freunde von mir und absolut zuverlässig.“
Rowena nickte. „Tris kenne ich. Sogar länger als ich dich kenne, mein Herz.“ Sie grinste ihn wieder anzüglich an.
Jannik konnte der Frau nicht lange böse sein und grinste zurück. Er war froh, dass Verletzungen dieser Art praktisch sofort wieder heilten.
„Aber Tobias Kerner kenne ich nicht.“
„Du wirst ihn mögen, glaube mir.“
In dem Moment klingelte es wieder und Jannik ging erneut zur Eingangstür. Im Monitor sah er, dass die beiden Männer, auf die er gewartet hatte, zusammen ankamen. Die beiden gingen die drei Stockwerke in einem normalen Tempo hinauf und Jannik sah Rowena, die es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte, mit hochgezogener Augenbraue an.
„Siehst du, Rona. So kann man auch die Treppen hochgehen!“
„Werde nicht frech, Tscheche! Sonst wende ich ein klein bisschen meiner Schamanenkunst an dich an.“ Dabei machte sie mit ihrem Zeigefinger eine langsame Abwärtsbewegung und sah deutlich auf Janniks Genitalbereich.
Jannik nickte. „Ja. Das traue ich dir durchaus zu.“
Tobias Kerner betrat als erster das Loft und streckte Jan seine erhobene rechte Hand hin. Jannik ergriff sie mit einem lauten Klatscher, die Männer umarmten sich, wie Männer es eben tun und klopften sich kurz auf den Rücken.
Der zweite Mann, der das Loft betrat, hätte der Zwillingsbruder von Tobias sein können. Schlank, schmale Hüfte, langes, dunkelblondes Haar mit hohem Haaransatz und grünbraune Augen. Die Nase etwas länger als die von Tobias, aber ebenso schmal und gerade. Die Lippen für einen Mann ungewöhnlich voll und sinnlich. Nur war Tristan Kadian gut zwanzig Zentimeter größer und die Bewegungen und die Körperhaltung erinnerten weniger an einen Tänzer als an einen Schwertkämpfer.
Beim zweiten Hinsehen sah man die Unterschiede im Gesicht. Die Augen von Tobias lagen etwas weiter auseinander. Der Ausdruck war eher melancholisch. Bei Tristan lag eine gewisse Kälte in den Augen, ein grausamer Zug umspielte seinen Mund. Er lachte selten.
Er war einst ein Krieger.
Und war es noch heute.
Auch Jannik und Tristan begrüßten sich auf die gleiche Art und Weise wie zuvor Jan und Tobi.
„Tobi, du kennst Rowena Mc Dougall wahrscheinlich noch nicht. Rona, das ist mein Freund Tobi.“
Tobi hatte sich, bevor er das Wohnzimmer betrat in einer fließenden Bewegung die Schuhe ausgezogen und ging lächelnd auf die Frau zu.
„Ich habe schon sehr viel von Ihnen gehört, Miss Mc Dougall.“ Er ergriff ihre Hand und verbeugte sich kurz, sah ihr dabei aber direkt in die violetten Augen.
Rowenas Augen flackerten kurz hell auf, sie lächelte herzlich zurück. „Es freut mich ebenfalls. Aber ich denke, wir sollten uns duzen.“
Tobias grinste breit und seine Augen wurden einige Nuancen heller. Er roch das Interesse der Frau an seine Person, verschloss aber instinktiv seine Gedanken vor ihr. Was dann kam, überraschte ihn allerdings sehr.
Tristan schubste Tobias sanft zur Seite, beugte sich über die Frau und nahm sie einfach hoch, in dem er seine Hände unter ihren Po schob und sich dann aufrichtete. Dann drückte der große Vampir seine Lippen auf Rowenas, tauchte seine Zunge in ihren Mund. Rowena war zuerst überrascht, doch dann erwiderte sie den Kuss und genoss den Geschmack des Mannes, den sie seit etwa einhundert Jahren nicht mehr gesehen hatte.
„Ähm, ich kann euch beiden gerne das Gästezimmer nachher anbieten, Freunde!“, ließ Jannik sich vernehmen. Er hatte seine Arme gekreuzt und betrachtete das Schauspiel, das sich ihm gerade bot, höchst amüsiert. Zumal der Anblick von Tobias, der mit offenem Mund daneben stand und Tristan und Rowena regelrecht anglotzte, ein Bild für Götter war.
„Wir sollten erst einmal über den Grund unseres Treffens reden, Leute!“, versuchte es Jannik erneut, als Rowena und Tristan sich immer noch nicht lösten.
>Hey!< Jannik hatte genug, schickte einen energischen Impuls an Tristan.
Langsam lösten sich Tristans Lippen von den Lippen der Frau. Rowenas Gesicht glühte und die Augen leuchteten hellviolett. „Das nenne ich mal eine Begrüßung“, keuchte sie atemlos und leckte sich über die Lippen.
„Wir haben uns fast hundert Jahre nicht gesehen, Ro.“ Die Bassstimme des Franzosen mit dem entzückenden Akzent erfüllte den Raum und bewirkte, dass Rowenas Augen auf Halbmast gingen.
Jannik hatte genug. Er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Indigniert drehte sich Tristan langsam um, hatte die Frau immer noch im Arm. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er registrierte, dass Tobias ihn in höchstem Maße erstaunt und Jannik ihn äußerst genervt ansah.
„Probleme?“, fragte er leichthin und setzt Rowena wieder auf das Sofa ab, ganz sanft.
„Tris, ich glaube ich weiß noch verdammt wenig von dir“, bemerkte Tobi und kratzte sich am Hinterkopf.
Tristan schenkte seinem Freund ein breites Lächeln, zeigte dabei seine scharfen Zähne. „Selbstverständlich.“
„Möchte jemand etwas trinken oder etwas Spezielles haben?“, fragte Jannik und ging zur Bar.
„Hast du zufällig AB Negativ hier?“, fragte Rowena.
Jannik lächelte. Er wusste, dass diese seltene Blutgruppe nicht nur Rowenas Lieblingsblut war. Es war das einzige Konservenblut, das sie sättigte, ohne noch zusätzlich lebende Menschen beißen zu müssen. Offensichtlich ging bei einer Blutspende in einen Blutbeutel bei den Blutgruppen 0, A und B ein Enzym oder Eiweiß verloren, dass Rowena dringend brauchte, um bei perfekter Gesundheit zu bleiben. Bei der Blutgruppe AB passierte das nicht und Negativ hatte einfach einen edleren Geschmack als Positiv.
Zu dumm nur, dass AB eine relativ seltene Blutgruppe war, wobei der Rhesusfaktor positiv dabei häufiger vorkam als negativ.
„Na klar, Rona. Habe ich extra für dich besorgt.“
„Du bist ein Schatz, Jan.“
„Ich hätte gern einen Beaujolais“, sagte Tristan.
„Ich auch, Jan“, schloss sich Tobias an und setzte sich auf einen der Sessel, da Tristan sich neben Rowena gesetzt hatte und den Arm um sie legte.
Jannik goss den Wein in zwei Gläser, holte zwei Blutbeutel aus dem anderen Kühlschrank unterhalb des Tresens, der nur mit einer bestimmten Zahlenkombination wie bei einem Tresor zu öffnen war und goss den Inhalt vorsichtig ebenfalls in zwei Gläser. Dann brachte er das kleine Tablett geschickt zum Couchtisch, verteilte die Getränke, nahm sich sein Glas mit der Blutgruppe B und setzte sich in den zweiten Sessel. Schmunzelnd sah er zu Tristan und Rowena.
„Ich bin wirklich überrascht, Tris. Aber angenehm überrascht. Warum hast du nie etwas gesagt?“
Tristan kräuselte süffisant die Lippen. „Ein Kavalier schweigt, Jan.“
Jannik wurde fast so rot wie das Blut in seinem Glas. Rasch trank er einen kräftigen Schluck, leckte sich über die Lippen.
„In Berlin geht ein Vampirjäger um“, begann er und stellte das Glas auf den Tisch. „In den vergangenen Epochen gab es immer wieder Sterbliche, die von unserer Existenz erfuhren. Oft wurden wir gejagt. Aber in letzter Zeit hatte sich die Lage für uns weltweit weitestgehend entspannt.“
„Ja, das ausgehende 20. und beginnende 21. Jahrhundert hat einen wahren Vampir-Boom erfahren. Ausgelöst durch Literatur und Filme.“ Rowena kuschelte sich an Tristan, als ob keine einhundert Jahre zwischen der letzten Begegnung und dieser lagen. Dabei nippte sie an ihrem Blut. „Der Spender ist ein ausgezeichneter Jahrgang und sehr gesund!“, bemerkte sie anerkennend.
„Tobi hatte einen Traum. Besser gesagt er hatte diese Art Traum schon dreimal. Erzähl ihnen, was du mir gezeigt hast.“ Jannik sah seinen Freund auffordernd an.
Tobias überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Gebt mir eure Hände. Dann zeige ich es euch. Du auch, Jan.“
Rowena runzelte die Stirn, aber Neugierde breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie stellte ihr Glas auf den Tisch und reichte Tobias ihre Hand. Tristan und Jannik taten es ihr nach. Sie bildeten einen Ring. Tobias Kerner schloss die Augen, holte tief Luft und ließ die Erinnerungen an den Träumen ihren Lauf.
Schmerz.
Demütigung.
Qual.
Folter.
Blut.
Wunden, die sich nicht schlossen.
Endgültiger Tod.
Mit einem würgenden Laut riss sich Tristan los, zog sich zitternd in seine Ecke des Sofas zurück. Seine Augen, sonst eher schmal, waren weit aufgerissen und leuchteten obsidianschwarz.
Jannik hatte die Bilder schon einmal gesehen, doch dieses Mal hatte Tobias auch die Empfindungen von zwei weiteren Vampiren hinzugefügt. Schwer atmend zog sich Jan ein wenig zurück.
Rowena behielt die Hand von Tobias einen Moment in ihrer. Sie sah in das hübsche Gesicht von Tobias, wartete darauf, dass er die Augen öffnete. Als er sie öffnete, sah sie eine ebenfalls obsidianschwarze Fläche, aber sie blickte auch kurz dahinter. Und holte erstaunt Luft.
Tobias sah sie flehend an. >Bitte nicht!<, sendete er ihr direkt.
Rowena nickte. >Später müssen wir reden, in Ordnung?<
>Ja.<
„Verdammt, welches Schwein tut so etwas?“, fragte Tristan. In seiner Stimme war ein tiefes Knurren, dass seiner Bassstimme noch etwas zusätzlich Bedrohliches gab. Erschüttert griff er nach seinem Weinglas und leerte es mit einem Schluck.
„Das sollten wir versuchen herauszufinden und dann denjenigen stoppen.“ Jan schlug sein Bein über das andere und legte seine Fingerspitzen dachförmig zusammen.
„Und wie?“, fragte Rowena.
„Der beste Anhaltspunkt, den wir haben, ist Leclerc. Er ist das letzte Opfer.“
Rowena schnalzte mit der Zunge. „Ich mochte ihn zwar nicht, aber einen solchen Tod hat er nicht verdient“, sagte sie leise.
„Ich glaube, niemand mochte ihn wirklich“, ergänzte Tristan. „Aber ich gebe dir Recht. Das war barbarisch.“
„Uns zu jagen und zu töten ist eine Sache.“ Jan blickte ins Leere, runzelte die Stirn. „Aber Folter?“
„Sag ich doch“, knurrte Tristan.
„Wir müssen versuchen herauszufinden, was Leclerc als letztes gemacht hat und wo. Vielleicht auch mit wem.“ Rowena versuchte die Angelegenheit so neutral als möglich anzugehen.
„Richtig. Vorgestern hätte er einen Termin mit mir in der Firma gehabt. Um zehn Uhr morgens. Um vierzehn Uhr kam Tobi in mein Büro und erzählte mir von seiner Vision. Ich meine, er zeigte sie mir.“
„Du hattest diese Vision in der Nacht zuvor?“, fragte Rowena.
„Ja“, antwortete Tobias. „Etwa gegen drei Uhr morgens. Ich nehme an, dass das der Todeszeitpunkt war und ich einfach nur ein geballte Ladung Schmerz empfing.“
„Wann hattest du das letzte Mal davor mit Leclerc gesprochen, Jan?“
Er überlegte kurz. „Am Vortag, also vor drei Tagen. Leclerc war schon in Berlin, einen Tag früher als verabredet. Er meinte, er wolle das Berliner Nachtleben genießen.“
„Persönlich oder telefonisch?“
Jannik musste insgeheim über den analytischen Verstand von Tristan lächeln, hütete sich aber, es offen zu tun. Der Krieger hatte viele Schlachten geschlagen, wortwörtlich. Und oft führten seine Taktik und seine Präzision zum Ziel.
„Telefonisch. So gegen 15 oder 15 Uhr 30. Er ist in einem Hotel in der Nähe des Potsdamer Platzes abgestiegen.“
„Warst du schon da und hast dich umgesehen?“
Jannik schüttelte den Kopf. „Alleingänge halte ich in der Situation für zu gefährlich.“
Tristan grinste schief. „Kluges Kerlchen.“
„Danke, alter Mann.“
Tristan Kadian wurde in Lothringen im Jahre 1162 geboren. Er war ein Kreuzritter gewesen und wurde von einem bösartigen Vampir gegen seinen Willen gewandelt, nachdem Tristan ihn in einer Schlacht bei Akkon im Jahre 1191 besiegt hatte.
„Hast du eine Ahnung, wo er sich ins Nachtleben stürzen wollte?“, fragte Tobias. Er hatte inzwischen sein Glas in die Hände genommen, ließ es vorsichtig zwischen seinen Handflächen hin und her gleiten. Dabei vermied er es, Rowena anzusehen.
„Er bevorzugte das ´Psycho` und das ´Everage`. Aber ich weiß nicht, ob die dieses Mal auf seinem Weg lagen.“ Jannik spürte, dass zwischen Rowena und Tobias etwas vorging, vermied es aber aus Respekt gegenüber seinen Freunden in ihre Gedanken einzutauchen. Wenn es wichtig war, würde er es schon erfahren.
„Ich denke, dass ist doch mal ein Anfang“, meinte Tristan. „Ich schlage vor, dass ihr beide die beiden Clubs besucht und Rowena und ich das Zimmer von Leclerc durchsuchen. Was haltet ihr davon?“
Schmunzelnd blickte Tobias in Tristans Augen. „Zimmerdurchsuchung. Schon klar!“
Tristan sah Tobias an, als ob er ihn gleich ohrfeigen würde. Rowena hingegen konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
>Du hattest Recht, Jan<, sandte sie ihrem Freund zu. >Tobias ist wirklich nett und ich mag ihn!<
>Nimmersatt!<, dachte Jan und schickte diesen Gedanken zärtlich an die schöne Frau.
„Am besten machen wir uns sofort auf den Weg, ehe die Spur noch kälter wird. Drei Tage ist eine lange Zeit. Zeit genug um den Verbrechern die Möglichkeit zu geben, ihre Spuren zu verwischen.“
Jannik schlug sich die flache Hand gegen die Stirn. „Verdammt. Ich hätte Ben rufen können! Er ist doch ein Profi.“
„Benjamin van Güldensteen?“, fragte Rowena neugierig.
Tristan zog indigniert eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.
„Ja. Er ist im Ruhrgebiet Polizist und hat reichlich Erfahrung im Lesen und Sichern von Spuren.“
Tobias lachte leise. „Jan, nichts für ungut. Aber können Methoden der Polizei der Sterblichen uns weiterhelfen?“
„Ben ist schon seit zweihundert Jahren Polizist, Tobi.“ Jannik trank den letzten Schluck Blut, stellte sein Glas ab. „Er hat beim Yard gearbeitet, beim FBI, beim BKA und in Paris und Moskau. Er hat einen guten kriminalistischen Spürsinn, den wir hier gebrauchen können. Ich rufe ihn an und frage ihn, ob er ein paar Tage Zeit hat und nach Berlin kommen kann.“
„Fein, dann werden wir ja eine richtig tolle Truppe!“ Begeistert klatschte Rowena in die Hände. Tristan knurrte wieder.
Jannik stand auf und ging zu dem Sideboard an der grob verputzten Wand des Lofts. Er öffnete eine Schublade und holte einen Fotoapparat heraus. Es war eine Digitalkamera, die er jetzt Tristan zuwarf, nachdem er überprüft hatte, ob der Akku auch noch voll war und genug Speicherplatz auf dem Chip vorhanden war.
„Macht ein paar Fotos. Von dem Hotel, von dem Zimmer, von einigen Leuten, die sich vielleicht ein wenig auffällig benehmen.“ Jan ging zum Tresen der Küche und öffnete eine dünne Mappe, die darauf lag. Er holte zwei Fotos heraus, gab Rowena eins davon.
„Wenn ihr im Hotel seid, braucht ihr das vielleicht, damit ihr von den Angestellten etwas in Erfahrung bringen könnt.“ Das Foto zeigte Bertrand Leclerc. Ein weltmännischer, blasierter Geschäftsmann.
„Na dann mal los, Ro.“
„Nach dir, mein Lieber“, schnurrte Rowena und ließ sich von Tristan hochziehen, nachdem sie ihren letzten Schluck AB Negativ getrunken hatte.
„Passt auf euch auf“, sagte Jannik und umarmte Rowena kurz. „Wenn ihr irgendein komisches Gefühl habt oder etwas unklar ist, haut ab. Dann finden wir einen anderen Weg, an Informationen heranzukommen.“
„Versprochen. Ich passe schon auf den Großen hier auf.“ Tristan rollte mit den Augen, lächelte aber etwas.
Tobias blickte der Vampirfrau kurz in die Augen. >Seid bitte vorsichtig!<, dachte er.
>Natürlich, Tobi. Wir sprechen uns dann später.<
„Ach, ehe ich es vergesse.“ Jannik holte die beiden noch einmal mit seinen Worten zurück. „Reine Neugierde, aber was läuft da zwischen euch?“
Rowena biss sich auf die Lippen um nicht laut aufzulachen. Tristan zog kurz seine Augenbraue hoch, dann schmunzelte er.
>Sag´ du es ihm bitte!<, forderte Tristan Rowena auf.
„Jan, ich habe dir doch mal erzählt, dass ich zweimal verheiratet war. Nun, Tris war mein zweiter Ehemann.“
Jannik schluckte als er daran dachte, dass er mit der Frau vor ihm seit etwa 250 Jahren immer mal wieder geschlafen hatte und seit knapp 200 Jahren mit Tristan befreundet war.
„Seit wann seid ihr geschieden?“, fragte er und räusperte sich kurz, weil ein dicker Kloß in seinem Hals steckte.
„Seit 1901. Offiziell zumindest. Warum?“ Ein Knurren war in Tristans Stimme zu hören. Ein Knurren, das Revieransprüche meldete.
„Ähm …. Können wir das später klären?“ Jannik fühlte sich reichlich unwohl in seiner Haut. Ihm war schlecht, weil er mit der Ehefrau eines seiner besten Freunde geschlafen hatte.
Tristan genoss es regelrecht, dass Jannik käseweiß wurde und nervös herumzappelte. Er machte Jannik keinen Vorwurf, denn er und Rowena hatten sich vor gut dreihundert Jahren getrennt. Aber das wollte Tristan seinem Freund jetzt noch nicht sagen. Er genoss die Situation wirklich sehr.
„Wehe du rennst weg!“, sagte Tristan und ließ kurz seine Fänge aufblitzen. Dann nahm er Rowena bei der Hand und sie gingen.
Tobias trat neben seinem Freund und klopfte ihm auf die Schulter. „Großer, du steckst in Schwierigkeiten!“