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Kapitel 4

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»Zur Sache, bitte!«, eröffnete Hauptkommissarin Helene Krautkopf mit einem Schmunzeln im Gesicht die Beratung, an der ihr Assistent Jens Knospe sowie Kommissar Volker Strathmann teilnahmen. Jens, der seit zwei Wochen zum Team gehörte, wunderte sich nicht mehr über die Marotte seiner Chefin, jede Besprechung mit »Zur Sache, bitte!« zu beginnen. Das war das eindeutige Signal an alle, sie augenblicklich auf den aktuellsten Stand der Ermittlungen zu bringen. Dieses Mal hatte er das Vergnügen, das zu tun. Er war nervös, weil er am Vortag zum ersten Mal eine Untersuchung geleitet hatte. Umständlich überprüfte er nochmals die Notizen, um nichts zu vergessen. Daraufhin blickte die Hauptkommissarin ihn ungeduldig.

»Sie sind heute so unkonzentriert. Was ist los, junger Mann? Oder gibt es nichts zu berichten?«

»Doch, doch, einen Moment, ich komme gleich zur Sache.« Er lief rot an und schüttelte sich einmal kräftig.

»Es gibt einen Zeugen, der den Sturz sah. Den Aufprall der Mutter mit ihrem Kind beobachtete er aus etwa fünfzehn Meter Entfernung. Allerdings konnte er nicht sagen, wie es geschah. Der langgezogene Schrei eines Kindes aus einem der oberen Stockwerke hatte ihn auf dem Nachhauseweg aufgeschreckt. Als er nach oben blickte, fielen die beiden gerade über die Brüstung.

»Was genau hörte er?«, fiel ihm Helene ins Wort.

»Das Mädchen rief den Namen Friedi. Bei der Protokollaufnahme wurde Dirk Schnabel, so heißt der Zeuge, regelrecht hysterisch. Er hielt sich die Hände vor die Ohren und sagte erregt: >Ich kann´s nicht mehr hören, diesen fürchterlichen, schrillen Schrei! Friediiiiiiiii!<, schrie er. Daraufhin sackte er, schwer atmend, in sich zusammen. Es dauerte lange, sehr lange, bis sich der traumatisierte Mann beruhigt hatte.«

»Mmh, Friedi? ... Das ist doch das Kuscheltier des Mädchens, ein flauschiger Dackel!«, sprach Helene mit voller Überzeugung.

»Häh...«

Jens schaute sie entgeistert an und brauchte einen Moment, um zu antworten.

»Das stimmt! Es ist ein zotteliger Dackel, auf den Clara Schröder mit dem Kopf aufprallte. Aber ... woher wissen Sie das?«

Helene grinste und fragte:

»Gibt es bereits Ergebnisse von der kriminaltechnischen Untersuchung des Stofftieres?«

»Nein. Das Mädchen hat Friedi mit ins Krankenhaus genommen.«

»Mit ins Krankenhaus genommen? Es ist nicht untersucht worden? Das verstehe ich nicht!«, entgegnete Helene ärgerlich und steigerte die Lautstärke.

Ihr Assistent erschrak, weil er diesen rauen Ton von seiner Chefin noch nicht gehört hatte. Deshalb setzte er auch ziemlich verunsichert fort:

»Es ging nicht, weil das Kind unbedingt das Kuscheltier mit in die Klinik nehmen wollte. Es flehte entsetzlich und ich konnte es nicht übers Herz bringen, das zu verhindern, nachdem auch der Vater und der Arzt es wollten.«

»Ich fasse es nicht! Sie haben ein vielleicht wichtiges Beweisstück aus der Hand gegeben. Und das nur wegen einer Sentimentalität. Ich fasse es nicht!«

»Helene, komm runter von deinem hohen Ross! Ich war dabei und hatte das gleiche Empfinden wie Jens. Nach diesem Schock-Erlebnis konnten wir dem Kind den Wunsch nicht abschlagen. Das ging nicht, Helene! Und außerdem, alles deutete auf einen Unfall hin. Und das tut´s immer noch.«

»Okay, Okay. Passiert! Ich will kein Drama daraus machen. Fakt ist, dass ich nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort war!«

»Hier ist das Protokoll mit dem Augenzeugen!«

Jens reichte es ihr.

»Danke. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Aber ich gehe bei solchen Ereignissen automatisch von einem Gewaltverbrechen aus. Es hat ein Gschmäckle, sagt mir mein Riecher. Entschuldigt bitte meine überzogene Reaktion!«

»Kaffee?«, fragte der Kommissar und schaute beide an, die zustimmend nickten. Er ging ins Nebenzimmer und holte drei Tassen Kaffee.

»Warum kamst du gestern so spät zum Einsatz?«, fragte er die Kollegin, nach dem er ihr die Tasse gereicht hatte.

»Ich besuche ein Weinseminar der Volkshochschule. Gestern ging es um die Aromastoffe im Wein. Die Aufgabe war, sie zu riechen, zu schmecken und zu bestimmen.«

»Kannst du das? Riechst du, ob der Wein zum Beispiel nach Erdbeere, grünem Paprika oder Johannisbeere schmeckt?« Volker sah amüsiert auf seine Chefin und behauptete:

»Die blumigen Geschmacksbeschreibungen sind doch nichts anderes als Etikettenschwindel!«

»Das dachte ich früher auch. Heute bin ich anderer Meinung. Ich schaffe es inzwischen, einige Aromen im Wein zu riechen und zu schmecken. Dafür habe ich auch lange Zeit geübt!«

»Wie macht man das?«

»Durch intensives Riechen und Kauen der verschiedenen Obstsorten. Die unterschiedlichen Düfte und Geschmackserfahrungen müssen im Gehirn abgespeichert werden, damit sie später bei der Weinprobe präsent sind.«

»Ich stelle mir gerade vor, wie du dich am Obst- und Gemüsestand verhältst. Du nimmst einen Apfel, hältst ihn an die Nase, riechst intensiv daran, legst ihn wieder weg und holst Dir eine Orange, mit der du das Gleiche machst. Danach greifst du dir eine Erdbeere und so weiter und so fort. Ganz schön eklig, finde ich!«

»Du hast recht. Diese Praxis gefiel den Leuten und mir nicht. Deshalb entschloss ich mich, eine Obstkur einzulegen, um zu Hause unbeaufsichtigt zu üben. So, jetzt aber wieder zur Sache. Was gibt´s sonst noch?«

»Zur Sache habe ich etwas sehr Interessantes«, erklärte Volker.

»Jemand aus dem gegenüberliegenden Hochhaus behauptet, den Ehemann von Clara Kunkel vor dem Sturz auf dem Balkon gesehen zu haben. Den Sturz allerdings sah er nicht.«

»Mmh, das ist merkwürdig. Gestern Abend in der Klinik sprach ich mit Gert. Er sagte mir, um 18.30 Uhr aus dem Haus gegangen und erst kurze Zeit nach dem Unglück zurückgekommen zu sein. Den werde ich mir vorknöpfen!«

»Vorsicht, Helene!«, warnte Volker.

»Gert Kunkel wollte seine Frau und Tochter zu Tode stürzen? Im Moment sträubt sich alles in mir, so etwas anzunehmen.«

»Man hat schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen! Du kennst meinen Spruch in solchen Fällen. Natürlich verstehe ich dich, natürlich fällt es mir auch sehr schwer, solchen Vermutungen nachzugehen. Aber - wie oft mussten wir uns zunächst in die abwegigen Gehirnwindungen von Verbrechern versetzen, um Tätern auf die Spur zu kommen?«, entgegnete Helene.

»Doch ohne Motiv ist nichts los!«, warf Peter schulmäßig ein.

»Richtig! Deshalb beginnen wir behutsam mit Voruntersuchungen. Ihr beide hört euch in der Nachbarschaft um. Was weiß man über die Familie? Was für einen Ruf haben sie? Gibt es besondere Vorkommnisse? Was sagen die Leute über Linda? Befragt bitte den Nachbarn, der Gert Kunkel vor dem Sturz auf dem Balkon gesehen hat!«

»Und so weiter und so weiter ...«, unterbrach Volker sie ironisch. Helene lächelte ihn an.

»Ich weiß, Volker, mehr als einen Miniverdacht gibt es nicht. Aber es gibt ihn! Auf geht´s! Ich bin gespannt, was Kunkel mir erzählt!«

Mordsriecher Tatort Böblingen

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