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Kapitel 6

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Helene las zum wiederholten Male am Computer die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung, die keinerlei Hinweise auf ein Gewaltverbrechen ergaben. Dennoch sträubte sich alles in ihr, von einem Unfall auszugehen. Selbstmord schied sie aus.

Sie stellte sich vor, wie oft Clara und Linda gemeinsam auf dem Balkon waren, wie oft die Mutter die Tochter hochgehoben hatte, damit sie besser sehen konnte. Nie war etwas passiert. Sollte die Mutter dieses eine Mal ausnahmsweise unvorsichtig gewesen sein? Sollte sich das Kind dieses eine Mal zu weit vorgebeugt haben? Sollte? Sollte? ... Nein!, antwortete sie sich trotzig. Sie erinnerte sich an einen Fall, bei dem sie und ihre Kollegen von einem tragischen Unfall ausgegangen waren. Die Polizeidirektorin hatte bereits das Ende der Untersuchungen angeordnet. Doch eigenmächtig ermittelten sie weiter. Und schon bald stellte sich heraus, dass es sich um einen heimtückischen Mord handelte.

Sie rollte ihren Stuhl zurück, schlug die Füße übereinander, sodass der kurze Rock ihre schönen, langen Beine freilegte. Das Gespräch mit Gert Kunkel ging ihr nicht aus dem Kopf. Was bedeuteten seine aggressiven Reaktionen? War er wegen der Sorge um seine Frau so dünnhäutig, oder hatte er etwas zu verbergen?

Die Polizistin schloss die Augen und dachte an Linda. Das Mädchen gefiel ihr. Ihre Spontanität und Direktheit beeindruckten sie. Es freute sie darum, dass sie von Anfang an einen guten Draht zu ihr hatte.

Helene lächelte zufrieden und bemerkte nicht, dass Volker und Jens ins Zimmer kamen. Die sagten zunächst gar nichts, sondern schauten angetan auf ihr freizügiges Outfit sowie ihr verträumtes Lächeln.

»Zur Sache, bitte!«

Volker weckte seine Chefin unsanft, um dann launisch fortzufahren:

«Denkst du an ein Schäferstündchen?«

»Schön wär´s«

Sie schmunzelte.

»Obwohl ... ich auch bei den Gedanken an Linda etwas ins Träumen gekommen bin.«

Sie blickte, ohne ihre Position zu verändern, auf die Kollegen, deren Augen immer noch auf ihre Beine fixiert waren.

»Aber mir gehen ganz andere Dinge durch den Kopf.«

Sie erhob sich und ging zum Besprechungstisch, an dem sie Platz nahmen.

»Was geht dir durch den Kopf?«, fragte Volker.

»Die Reaktionen von Gert Kunkel. Er war aggressiv und aufgebracht.«

»Das ist verständlich. Die Frau schwebt in Lebensgefahr«, sagte Volker.

»Willst du mir unsensibles Verhalten vorwerfen?«, entrüstete sich Helene und schaute ihn vorwurfsvoll an.

»Beileibe nicht, aber manchmal geht dir der Gaul durch!«

Jens Knospe hielt den Atem an und erschrak, denn die beiden blickten sich verbissen an. Doch schon nach wenigen Augenblicken hellten sich die Gesichtszüge wieder auf. Sie lächelten, als wäre nichts gesagt.

Die scheinen sich gut zu kennen, dachte Jens und fragte:

»Zur Sache?«

»Aber bitte! Ich höre!«, zwinkerte sie ihn an.

»Gert und Linda kennt man gut in der Nachbarschaft, weil beide häufig gemeinsam in der Grünanlage spielen. Clara ist fast unbekannt. Sie sieht man bestenfalls sonntags, sodass manche vermuten, er sei alleinerziehend und Clara seine Freundin.«

»Frauengeschichten?«, fragte Helene unvermittelt.

»Möglicherweise ... bis vor einer Woche kam tagsüber dieselbe Frau zu ihm.«

»Was wird vermutet? Freundin, Putzfrau, Kindermädchen?«

»Oder Sekretärin, wie wär´s mit einer Masseuse?«

Volker sah sie amüsiert an.

»Freundin vermutet ein Zeuge.«

»Was ist das denn für ein Zeuge!«, platzte es aus Helene heraus.

»Das ist ein seltsamer Vogel, für mich ein Spanner. Es ist der gleiche Typ, der Gert Kunkel kurz vor dem Sturz auf dem Balkon gesehen hat. Er wohnt ebenfalls im fünften Stock. Bevor wir ins Wohnzimmer kamen, konnte ich einen Blick in ein geöffnetes Zimmer werfen. Da standen Stative mit Riesenobjektiven. Ich spürte, dass es ihm peinlich war, denn er schloss sofort die Tür. Im Wohnzimmer zeigte er mir die Aussicht auf das gegenüberliegende Haus. Vor dem Fenster mache er regelmäßig Gymnastik, sodass er unwillkürlich zum Nachbarhaus hinüberschaue, erklärte er. >Sehen Sie<, sagte er und streckte den Zeigefinger auf Kunkels Wohnung, >es ist wie immer, die Vorhänge sind geöffnet!<

»Woher kennt er den Namen?«, fragte Volker.

Er habe ihn mehrmals draußen mit seiner aufgeweckten Tochter getroffen und so sei man zwangsläufig ins Gespräch gekommen, beantwortete er meine diesbezügliche Frage.«

»Wie heißt der Typ?«

»Klaus Bleyle, Bleyle mit ey!«

Helene hakte nach:

»Kennt Bleyle die besagte Frau mit Namen?«

»Nein!«

»Dann werde ich Kunkel morgen danach fragen, er kommt um 9 Uhr hierher. Übrigens Kollegen, Gert hat einen Zwillingsbruder. Ich konnte die beiden gestern nicht auseinanderhalten!«

»Ups, steht uns eine Verwechslungsgeschichte ins Haus?«, rutschte es Jens über die Lippen.

»Das ist bei Zwillingen nie auszuschließen", entgegnete Helene und fragte:

»Gibt es andere Beobachtungen?«

»Das Mädchen mit dem langen Zopf und mit ihrem Stofftier erweckt überall Aufmerksamkeit. Wo sie hinkommt, ist Leben. Sie ist extrem kontaktfreudig mit einem Hang zur Altklugheit, wie es ein Nachbar ausdrückte. Sie hat eine Marotte. Ihr Stofftier muss ständig eine Sonnenbrille auf der hellen, kuscheligen Hundeschnauze tragen.«

»Ja, Linda ist eine quirlige Person, die pralle Lebensfreude versprüht«, fügte Helene aus eigener Erfahrung hinzu.

»Allerdings wundere ich mich über die Kleine, sie steckt voller Gegensätze! Das eine Mal reagiert sie wie eine Erwachsene, wirkt nachdenklich, ernst, beobachtend, abwartend ... Im nächsten Augenblick brechen ihre kindliche Unbekümmertheit und Spielfreude durch. Sind das bloß traumatische Folgen des Unfalles? Oder erinnert sie sich an den Hergang des Sturzes und kommt damit nicht klar? Ich habe darüber mit unserer Psychologin gesprochen. Sie wird sich morgen um Linda kümmern, während wir mit Gert sprechen.«

»Was geschah vor dem Sturz?«, brachte es Jens auf den Punkt.

»Schade, dass wir Clara nicht fragen können!«

»Es riecht nach Mordversuch!«, sprach Helene leise vor sich hin.

»Es riecht nach einem Gewaltverbrechen!«, wiederholte sie und senkte ihre sonore Stimme. Gespannt schaute sie die Kollegen an.

»Ich rieche nichts«, antwortete Jens kopfschüttelnd.

»Ich auch nicht, aber sie hat in der Tat eine feine Nase, der nichts entgeht«, sagte Volker.

»Das ist Quatsch, in unserem Beruf geht es um Fakten! Wir sind nicht bei der Weinprobe!«, erwiderte Jens genervt.

»Korrekt! Aber manchmal braucht man, um zu Fakten zu kommen, erst den richtigen Riecher. Das ist wie beim Kochen!«

Helene unterbrach, nachdem sie den irritierten Blick ihres unerfahrenen Kollegen gesehen hatte.

»Jens, wir kochen gemeinsam. Dabei erkläre ich Ihnen, was ich meine.«

»Gerne. Da bin ich sehr gespannt!«

Mordsriecher Tatort Böblingen

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