Читать книгу Die große Stille - Heinrich Lilienfein - Страница 5

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Ganz aufgeregt kam Käthe auf Marga zu. „Wer war denn das?” fragte sie neugierig und vorwurfsvoll zugleich, während sie dem Davonschreitenden erstaunt nachblickte.

„Doktor Perthes hat mich begrüßt,” erklärte Marga freimütig. Mit anschmiegender Zärtlichkeit, in der ihre innere Erregung nachklang, hängte sie sich an den Arm der Schwester. „Er war reizend. Ganz der alte.”

„Hat er dich so mir nichts, dir nichts einfach angesprochen?”

„Natürlich! Warum auch nicht?”

Sie gingen langsam die Allee hinunter.

„Aber das tut man doch nicht,” fuhr Käthe kopfschüttelnd fort. „Eine Dame — auf offener Straße —”

„Ich hätte es viel unnatürlicher gefunden, wenn er stocksteif vorbeigegangen wäre,” versicherte Marga überzeugt. Sie war beglückt von ihrem bescheidenen Erlebnis und wollte sich nicht auf solche gesellschaftliche Haarspaltereien einlassen, die ihr ein unverständlicher Greuel waren.

Käthe schwieg. Das war ein Zeichen, daß ihr gesittetes Gewissen Margas leichtere Auffassung nicht guthieß.

Als sie auf der Brücke anlangten, begann es leise zu dämmern. Die roten Wolken über dem Fluß verblaßten, und der Ostwind blies aus den Bergen nach der Ebene. Wenn sie nicht zu spät zum Abendbrot kommen wollten, mußten sie ihre Schritte beschleunigen.

Marga war es zufrieden und fröhlich ums Herz. Mit ihren leichten, glücklichen Schritten konnte Käthe fast nicht mitkommen. Sie fühlte sich unwillkürlich und unbewußt gereizt. Ob sie wollte oder nicht: sie mußte ein wenig Wasser in Margas fröhlichen Wein gießen. „Weißt du,” begann sie bedächtig, „Lizzie hat mir erzählt,” — Lizzie war die Freundin, bei der sie in der Uferstraße für eine Minute eingeschaut hatte, um Noten zurückzubringen — „daß dein Doktor Perthes Abend für Abend dort herumspaziert.”

„Es wird ihm dort gefallen. Er wird sich an den Sonnenuntergängen über dem Wasser freuen,” meinte Marga lebhaft.

„Er soll nicht bloß deshalb kommen, sondern —”

„Sondern?” fragte Marga harmlos neugierig.

„Er macht Hilde König den Hof,” entfuhr es Käthe. „Er soll sie öfters mal ans Haus begleitet haben. Das spricht nicht gerade für seinen Geschmack. Denn das unschuldige Kind läßt sich ja von jedem jüngsten Studenten die Cour schneiden.” Es war, ohne daß sie es wollte, ein Ton von selbstgerechter Schärfe in ihre Worte gekommen.

Marga verlangsamte ihre Schritte. Wenn Käthe sie in diesem Moment angesehen hätte, hätte sie bemerkt, daß ihre Wangen und ihre Lippen sich leise verfärbten. Der kleine, mehr weibliche als schwesterliche Pfeil traf mitten in Margas unschuldige Heiterkeit. Sie schüttelte betroffen den Kopf. Sie konnte das nicht glauben. Gerade dieses oberflächliche kleine Mädel, das alle Welt für sein weites Herz kannte, das sollte ...

„Das ist seine Sache,” sagte sie nach einer Weile ruhig und mit möglichster Gelassenheit. Sie hatte ihren Arm in dem der Schwester gelockert, als könnte das Pochen ihres Herzens Käthe verraten, daß ihr diese Nachricht wehe tat. Aber warum auch? Sie schämte sich schon der törichten Anwandlung und hakte wieder fester unter. Fast im Laufschritt ging es jetzt über den Bahndamm weg, die Straße am Wenzelsberg hinauf und dem väterlichen Hause zu.

Die große Stille

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