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Das Café Hurra
Оглавление„Herr....?“ fragte Köpf zögernd.
„Andreas Zumsee.“
Köpf stellte der Tafelrunde im Café Hurra den neuen Kollegen vor. Dieser ward mit Wärme aufgenommen. Der angesehenste der Herren ließ ihn an seiner Seite sitzen und zog ihn in die Unterhaltung. Als er den jungen Mann nach Studien und Absichten befragt hatte, sagte Doktor Libbenow mit einem vielleicht bescheidenen, vielleicht auch stolzen Seufzer:
„Ach ja, ich habe eigentlich seit zehn Jahren kein Buch gelesen.“
Man schien dies als eine beachtenswerte Leistung anzusehen, und auch Andreas empfand, er wusste nicht warum, Bewunderung für Doktor Libbenow.
Es war die Rede von den misslichen finanziellen Verhältnissen des Schauspielerpaares Beckenberger. Der Mann war in der Gunst des Publikums rapide gesunken, von seinem Direktor bekam er nur noch ein Taschengeld, und er verschwendete dasjenige, was sich die Frau in arbeitsamen Nächten, gleichfalls ohne Zutun des Bühnenleiters, verdiente. Vor fechs Jahren hatten sie jeder zehntausend Mark gehabt.
„I wo,“ sagte Doktor Pohlatz.
„Sie glauben das doch nicht?“ fragte er Andreas.
Dieser lächelte verbindlich.
Pohlatz erläuterte:
„Die Weiber bekommen nämlich überhaupt nie was, darauf gebe ich Ihnen mein kleines Ehrenwort.“
„Warum denn nicht?“ riefen die anderen.
„Lizzi Laffé hat noch heute ihre zehntausend, und sie geht auf fünfzig.“
„Reden Sie doch keine Makulatur!“ versetzte Pohlatz schroff. „Was Lizzi hat, hat sie von Türkheimer.“
Die Namen, die Andreas hörte, prägten sich ihm ein, alles, was gesprochen wurde, schien ihm bedeutend, am bedeutendsten aber Doktor Pohlatz. Er wusste alles, er widersprach allen, er kannte die Einnahmen jedes Schauspielers besser als dieser selbst. Aber als er endlich fortging, ward es noch gemütlicher. Andreas erlaubte sich die Frage:
„Welcher Zeitung gehört Herr Doktor Pohlatz an?“
„Doktor?“ sagte jemand, „der Kerl ist ja zum Sterben zu dämlich.“
„Einen Cognac und das Adressbuch! rief Doktor Libbenow.
„Das ist untrüglich,“ sagte er, indem er den Finger auf Pohlatz’ Namen legte. „Hier sind dem Doktor seine Grenzen gesetzt.“
„Wer ist denn überhaupt noch Doktor?“ bemerkte ein dicker, schäbig aussehender Herr mit wolligem schwarzen Vollbart.
„Wenn man nur sonst gesund ist,“ fügte er hinzu.
„Doktor Buhl? Doktor Rebbiner?“
Ein Doktor nach dem anderen ward im Kalender aufgeschlagen und keiner vertrug die Stichprobe. Nur Doktor Libbenow verschonte man aus Höflichkeit.
Dass auch Doktor Wacheles vom „Kabel“ und der große Abell ihren Titel nur der Gefälligkeit der Kollegen verdankten, machte auf Andreas immerhin Eindruck, aber gewissermaßen brachte der Umstand sie ihm menschlich näher, indem er ihn mit ihrer Größe aussöhnte.
Köpf war bereits verschwunden, als die anderen aufbrachen. Doktor Libbenow sagte zu Andreas, der sich von ihm verabschiedete:
„Nehmen Sie sich vor Golem in Acht. Er will Sie anpumpen.“
Andreas bemerkte, wie der dicke Schäbige mit dem wolligen, schwarzen Vollbart sich eilig nach der anderen Seite entfernte.
Zwei Tage später erschien der junge Mann wieder im Café Hurra, und von da an kam er regelmäßig. Es schmeichelte ihm, seine Abende in der Gesellschaft von Mitarbeitern angesehener Zeitungen zu verbringen, und das Urteil seiner neuen Freunde über ihn lautete günstig. Wie er einmal unbemerkt in die Tür trat, hörte er Doktor Libbenow sagen:
„Der junge Zumsee? Das ist so’n Bengel, der Talent zum Glückmachen hat.“
Er zeigte gerade genug Naivität, um der Eitelkeit der anderen zu schmeicheln, und gerade genug Scharlatanismus um nicht durch Einfalt zu beleidigen. Er sagte „Och han ich’n Freud gehabt“, wenn er froh war, nannte „Knatsch geck“ jedermann, der ihm missfiel und nahm es nicht übel, wenn man seinen Dialekt belächelte. Zum Lohn dafür durfte er Meinungen, die er nicht einmal hatte, sogar dem strengen Doktor Pohlatz gegenüber vertreten. Einmal ließ er es sich einfallen, den Sozialismus, der ihm durchaus gleichgültig war, nur darum herauszustreichen, weil er dies für etwas Besonderes hielt. Er irrte sich, aber Pohlatz, der jeden andere unsanft zurechtgewiesen hätte, begnügte sich damit ihm zu erwidern:
„Das verstehen Sie nicht, junger Mann, das verstehe ich ja kaum, und ich habe studiert.“
Bei dieser Gelegenheit erfuhr Andreas den Grund, weshalb das Café Hurra diesen Namen führte. Die Herren von der Tafelrunde hatten früher staatsumwälzenden Grundsätzen gehuldigt, bis im März 1890 sich die Sozialdemokratie als nicht mehr zeitgemäß herausstellte. Damals hatten Alle einem Bedürfnis der Epoche nachgegeben, sie waren ihren freisinnigen Prinzipalen ein Stückchen Weges nach rechts gefolgt und bekannten sich seither zum Regierungsliberalismus und Hurrapatriotismus. Der Name des Lokals bewahrte die Erinnerung an diese Evolution.
Andreas bewegte sich den ganzen Sommer in diesem Kreise, voll des heiteren Bewusstseins, nunmehr der Berliner Literaturwelt anzugehören. Seitdem er sein Studium aufgegeben hatte, wartete er die Ereignisse ab, um eine neue Arbeit zu beginnen. Bei seinen jetzigen Verbindungen konnte es ihm auf die Dauer gar nicht fehlen. In Vertretung des dicken Golem, der unmäßig faul war, hatte er bereits mehrmals im Gerichtssaal als Berichterstatter fungiert. Wenn er spät abends nach dem Genuss von zwei Tassen schwarzen Kaffee und zwei Cognacs heimging, blickte er in eine glänzende Zukunft gerade hinein. Früher hatte er „geochst“, ohne an etwas zu denken, jetzt tat er nichts und war dabei von hohem Ehrgeiz beseelt.
Wohl blieben auch trübere, weniger zuversichtliche Stunden nicht aus. Andreas konnte manchmal ein Gefühl der Leere nicht verleugnen, wenn er den Tisch verließ, an dem von zehn bis zwölf Schauspielergehältern und schlecht zahlenden Verlegern gesprochen worden war. Golem verschwand einmal auf acht Tage, und bei seiner Rückkehr erzählte er den erstaunten Kollegen, dass er sein erstes Feuilleton geschrieben habe. Seit zehn Jahren machte er nur Gerichtsberichte, jetzt aber hatte ihn seine Zeitung nach Bayreuth geschickt. Dies hatte nichts auffälliges an sich, über Wagner schrieb nachgerade jeder. Aber Andreas meinte, im „Gumplacher Anzeiger“ zuweilen weniger schlechte Artikel gelesen zu haben.
Dieser Golem erfüllte ihn überhaupt mit Besorgnis. Doktor Libbenows Voraussicht, dass der Dicke ihn anpumpen werde, war nicht unerfüllt geblieben, und Andreas wagte bisher keine abschlägige Antwort zu geben. Er fürchtete noch zu sehr, das Wohlwollen der Kollegen zu verscherzen. Vielleicht war er nicht kräftig genug der öffentlichen Meinung entgegen getreten, die ihn für einen begüterten Dilettanten zu halten schien. Vorläufig erhielt nun Golem bald fünf und bald zehn Mark. Und in letzter Zeit ging der Unglückliche, den der Gerichtsvollzieher überallhin verfolgte, mit dem Plane um, ein Zimmer zu beziehen, das in Andreas’ Wohnung freistand.
Auch in anderer Beziehung stellte sich das neue Leben als kostspieliger heraus, als Andreas vorausgesehen hatte. Die Gesellschaft aus dem Café Hurra speiste häufig zusammen zu Abend, hier und da ließ sich jemand, der seine Börse vergessen hatte, von dem jungen Freunde bewirten. Im Theater wäre Andreas jetzt um keinen Preis mehr auf die Galerie gegangen. Aber alle diese Verpflichtungen, die ihm seine gesellschaftliche Stellung auferlegte, überstiegen die Kräfte eines armen Studentenwechsels. So kam es, dass Andreas sich um die Mitte des Monats gewöhnlich in ein vegetarisches Restaurant schlich. Einige Tage später bildete dann der schwarze Kaffee sein hauptsächliches Ernährungsmittel. Das Mittagsessen musste nur zu häufig, wie Pohlatz sich ausdrückte, durch stramme Haltung ersetzt werden.
Andreas schuldete seit geraumer Zeit die Zimmermiete, und es war ein Glück für ihn, dass es auch mit der Entlohnung der Wäscherin nicht eilte. Er hatte Kredit erlangt dadurch, dass das junge Mädchen, das ihm seine frischen Hemden brachte, sich durch seine Liebe bestechen ließ. Sie bat nur um Freibillets für das Theater, die ein Schriftsteller wie Andreas ihr doch wohl verschaffen könne. Andreas erklärte, dass nichts leichter sei, aber Libbenow sowohl wie Golem, der ihm doch vielfach verpflichtet war, vertrösteten ihn. Als nach vierzehn Tagen noch keine Freikarte zur Stelle war, verließ ihn die junge Wäscherin mit dem Ausdruck ihrer Geringschätzung und nicht ohne die Rechnung auf seinen Tisch zu legen.
Im Oktober machte Andreas, entgegen seiner Gewohnheit, einsame Spaziergänge im Tiergarten, wo die Blätter fielen. Das Café Hurra vernachlässigte er. Mochten sie doch merken, dass er sie verachtete! Denn nachgerade fühlte er sich hierzu versucht. Waren sie denn eigentlich ein würdiger Verkehr für ihn, diese Leute, die meistens nicht einmal richtig deutsch schrieben — soweit sie überhaupt etwas schrieben. Es ward ihm immer klarer: ihre Blasiertheit, die ihm anfangs als Überlegenheit gegolten hatte, war im Grunde nur der Ausdruck von Unwissenheit und Impotenz. Aber der ganze Berliner Ton kam schließlich bloß von Mangel an Tiefe. Sie ulkten, weil sie zu faul waren, auf die Dinge einzugehen. Er hatte genug davon. Das Café Hurra war für ihn eine Sackgasse, die niemals zu irgendeinem Ziele führen konnte. Keiner der dort kennen gelernten Herren schien genug Einfluss zu besitzen, um ihn journalistisch zu fördern. Am Ende fehlte auch der gute Wille. Außer Golem, dessen schlechter Ruf seine Empfehlungen gefährlich machte, ließ keiner einen Neuling an seine Zeitung herankommen. In sechs Monaten hatte Andreas genau vierzehn Mark und fünfundsechzig Pfennige verdient, was ihm nicht hinreichend zur Begründung einer Zukunft deuchte. Das erste Studienjahr war darüber hingegangen, sein Wechsel lief jetzt noch zwei Jahre. Innerhalb des gegebenen Zeitraumes musste er es zu etwas bringen. Von dieser Notwendigkeit herausgestört, tauchte das Gespenst des Gumplacher Schulmeisters noch einmal vor ihm auf. Er wehrte es entrüstet ab. Aber was dann? Andreas vermochte auf diese Frage nur mit einem Seufzer zu antworten, und er hätte sich zweifellos seiner leichtsinnigen Untätigkeit aufs neue überlassen, wenn nicht eine kränkende Erfahrung ihn vollends aufgerüttelt hätte.
Er betrat am selben Abend das Café Hurra früher als die anderen und das Haupt umso höher erhoben, je tiefer ihm der Mut stand. Er machte die Runde um das fast leere Lokal und begrüßte das Fräulein am Büffet. Es war eine fade Blondine, Andreas hatte noch nie das Bedürfnis gefühlt, einen Angriff auf sie auszuüben. Heute aber glaubte er dies seiner Würde schuldig zu sein. Kurz entschlossen legte ihr den Arm um die Hüften. Das Mädchen, das sich hierdurch nicht angesprochen fühlen mochte, verzog die die Mundwinkel in böse scharfe Falten, sie versetzte dem jungen Mann einen heftigen Stoß gegen die Schulter und sagte mit Nachdruck:
„Jüngling, wie kommen Sie mir vor?“
Andreas sah sie eine Sekunde lang an, er war außerordentlich blass geworden. Darauf pfiff er durch die Zähne, drehte sich auf den Absätzen um und verließ gemessenen Schrittes den Raum.
Gleich den folgenden Morgen ging er zu Köpf, um sich mit ihm über seine nächsten Schritte zu beraten. Das Café Hurra war ebenso abgetan wie der Gumplacher Schulmeister. Wenn selbst jenes Mädchen, das ein halbes Jahr lang Zeuge seines vertrauten Umganges mit den Mitarbeitern der angesehensten Zeitungen gewesen war, ihm mit solcher empörenden Nichtachtung begegnen konnte, dann mutzte seine gesellschaftliche Stellung weniger glänzend sein, als er gewähnt hatte. Dies aber war dasjenige Bewusstsein, das er am wenigsten zu ertragen vermochte.
Er musste in Köpfs Zimmer, in der unteren Dorotheenstraße, einige Zeit warten und bemerkte darin eine gewisse Wohlhabenheit. Der breite Schreibtisch von Mahagoni und der bequeme, mit roten Maroquin überzogene Lehnsessel wäre in keinem möblierten Zimmer anzutreffen gewesen. Die Wände wurden von hohen Büchergestellen verdeckt, angefüllt mit einem unglaublichen Plunder, vor dem Andreas staunend stand. Zerfetzte Pappbände und angefressene Lederrücken verbreiteten den Duft aller möglichen Trödlerbutiken. Eine alte Geschichte Ludwigs XIII. von Le Vassor füllte mit den Denkwürdigkeiten von Saint-Simon ein ganzes Fach. Weiterhin standen sogar die Kirchenväter. Andreas begriff nicht, welchen Zweck diese Dinge für jemand haben konnten, der Romane schrieb. Köpf beschäftigte sich, wie Libbenow wissen wollte, mit der Anfertigung von Romanen, die jedoch kein Mensch zu sehen bekam. Weiter wusste man von ihm schlechterdings nichts. Er erschien wöchentlich kaum einmal im Café Hurra, und dieser Umstand flößte Andreas in seiner jetzigen Lage Vertrauen ein, obwohl er es in letzter Zeit Köpf stark verdachte, dass er ihn überhaupt in jenen Kreis eingeführt habe.
Es fragte sich jetzt nur, was er eigentlich von Köpf wollte. Andreas, den das Warten nervös machte, baute im Voraus einige schöne Sätze.
„Sie haben an der Entwicklung eines Ihnen völlig Unbekannten gleich anfangs so freundlichen Anteil genommen, dass ich, von neuen Zweifeln bedrängt, es nochmals wage, Sie um Ihren Rat und Ihre Hilfe zu bitten.“
Als die Periode fertig war, fand er sie albern. So sprach man nicht, besonders nicht in Berlin. Außerdem klang es falsch; er wollte Köpf doch nicht anpumpen.
Dieser erschien plötzlich in der Tür und begrüßte den Gast sehr erfreut.
„Ah, lieber Kollege!“
Andreas hatte einen Einfall:
„Wissen Sie, von dem ,Kollegen‘ hab’ ich schon bald genug,“ sagte er und drehte sich halb um.
Köpf lächelte.
„Sie haben im Café Hurra wohl ein Haar gefunden?“
„Mehrere.“
„Ich hätte Ihnen das voraussagen können. Aber es freut mich, dass Sie selbst dahinter gekommen sind.“
Köpf blinzelte unschuldig. Andreas fand trotzdem, dass es eine Dreistigkeit sei, ihn in dieser Weise auf die Probe gestellt zu haben, und es ihm jetzt ganz offen zu sagen. Der andere suchte seinen Unmut sofort zu beschwichtigen.
„Sie brauchen es nicht zu bereuen, diese scherzhafte Seite des Lebens unter Kollegen kennen gelernt zu haben. Man muss dies tun, bevor man zu ernsteren Dingen übergeht. Nun wollen Sie aber Ernst machen?“
„Aber wie?“ fragte Andreas ohne große Zuversicht.
„O, da gibt es verschiedene Wege, nämlich die Presse, das Theater und die Gesellschaft.“
„Sie vergessen die Literatur.“
„Durchaus nicht. Ich habe gesagt: das Theater, und eine andere Literatur gibt es bei uns nicht.“
Andreas nahm eine überlegene Miene an, denn er ertappte Köpf auf dem Ärger eines, der keinen Erfolg hat.
„Sie selbst schreiben doch wohl Romane?“
„O!“ machte der andere mit gespitzten Lippen. „Reden wir lieber nicht davon. Ich schreibe für meinen Privatbedarf, es fällt mir nicht ein, das Unglück eines armen Verlegers herbeiführen zu wollen, der mir nie etwas zuleide getan hat und der etwa auf meine Werke hineinfiele.“
„Atem holen!“ dachte Andreas, dem es Spaß machte, Köpfs Schwache zu beobachten.
„Inmitten eines Volkes,“ fuhr dieser fort, „das durch alle Prügel der Welt nicht dazu bewogen werden könnte, ein Buch in die Hand zu nehmen, werden Sie also am besten tun, sich an das Theater zu halten.“
„Aber ich habe noch kein einziges Stück geschrieben!“
„Ist auch gar nicht nötig,“ versicherte Köpf leichthin.
„Das Theater hat zweifellos auch eine literarische Seite, aber die gesellige ist wichtiger. Beim Theater hat man es stets mit Menschen zu tun, in der eigentlichen Literatur doch schließlich nur mit Büchern. In der eigentlichen Literatur braucht man eine Menge Ernst, Abgeschlossenheit und Rücksichtslosigkeit; alles Eigenschaften, die beim Theater nur schaden können. Hier kommt es vor allem auf die gesellschaftlichen Verbindungen an. Sie aber, mein Lieber, sind ein Gesellschaftsmensch. — Soll ich Ihnen sagen, welches sichere Zeichen ich hierfür habe?“
„Bitte?“
„Man hat Sie im Café Hurra nicht ernst genommen.“
Köpf sah mit seinem harmlosen Lächeln zu, wie Andreas zusammenzuckte.
„Seien Sie nicht böse!“ bat er darauf. „Ich werde Ihnen dafür noch manches Schmeichelhafte zu sagen haben. Was Ihre Freunde im Café Hurra betrifft: hat Pohlatz Ihnen jemals Grobheiten gesagt?“
„Nein, warum denn?“
„Nun, sehen Sie wohl. Wenn er Sie ernst genommen hätte, würden Sie alle Tage etwas an den Kopf bekommen haben. Sie glauben nicht, wie fein die Witterung dieser Leute ist, sobald sich ein Konkurrent blicken lässt. Sie, mein Lieber, sind keiner. Man hat gleich erkannt, dass Sie eine viel zu heitere, offene Natur sind, um sich mit Ingrimm und Püffen durch Literatur und Presse hindurchzuschlagen.“
„Ich glaube beinahe selbst,“ bemerkte Andreas, der sich bemühte blasiert auszusehen.
„Sie haben so etwas Glückliches an sich, das Sie beim Theater, das heißt in der Gesellschaft, ungemein rasch fördern wird. Man braucht dort nämlich nur glücklich zu erscheinen, um es sehr bald wirklich zu werden. Auch Ihre Harmlosigkeit, oder sagen wir, wenn Sie es lieber hören, Ihre scheinbare Harmlosigkeit wird Ihnen dort gut zu statten kommen. Man wird Sie in den reichen Salons ebenso wenig ernst nehmen wie im Café Hurra, und es ist für Ihren Erfolg besonders wichtig, dass die Frauen Sie nicht ernst nehmen! Diese werden alles Mögliche, was sie andern nicht bewilligen würden, bei Ihnen für harmlos und ungefährlich halten. Sie sind dafür geschaffen, viel Glück bei den Frauen zu haben, mein Lieber!“
Diesmal blickte Andreas den Andern mit offenem Argwohn an. Aber aus Köpfs freundlichem Gesicht, das allerdings eine verdächtig spitze Nase zierte, war niemals klug zu werden. Für alle Fälle zeigte Andreas sich übellaunig, um nur nicht zuzugeben, dass er sich geschmeichelt fühle. Sein Glück bei Frauen, das er sich übrigens zutraute, schien ihm doch noch bewiesen werden zu müssen. Er gedachte der herben Enttäuschungen, die er dem Waschmädchen und dem Büffetfräulein verdankte.
„Sie sagen mir eine Menge angenehme Dinge,“ bemerkte er ziemlich trocken, „aber ich weiß noch immer nicht, wie Sie sich meine Karriere nun eigentlich denken Was habe ich zu tun, wohin soll ich mich wenden?“
„Nehmen wir hinzu,“ fuhr Köpf ohne zu antworten fort, „dass Sie als Rheinländer eine mehr heitere und ungezwungene Geselligkeit gewohnt sind. Inmitten der Furcht sich lächerlich zu machen, die in Berlin Ursache aller Dummheit und Langeweile ist, werden Sie zunächst wohlwollend belächelt werden. Die Hauptsache ist, dass Sie auffallen.“
„Was habe ich zu tun, wohin soll ich mich wenden?“ wiederholte Andreas ungeduldig.
„Wie? Das habe ich Ihnen noch nicht gesagt? Nun, ganz einfach: Sie gehen zum ,Nachtkurier‘, verlangen den Chefredakteur Doktor Bediener zu sprechen, und lässt er Sie vor, so gehen Sie nicht früher wieder weg, als bis er Ihnen unaufgefordert eine Empfehlung an Türkheimers gegeben hat.“
„Ah, Türkheimer! Das ist doch der mit Lizzi Laffé.“
„Sie kennen bereits die Verhältnisse?“
„Natürlich,“ sagte Andreas stolz.
„Also Sie wissen Bescheid?“ fragte Köpf, indem er dem jungen Manne zum Abschied die Hand schüttelte.
„Unterrichten Sie mich doch vom Erfolge!“
Andreas versprach dies, fragte sich aber im geheimen, warum er alle die zweifelhaften Komplimente eigentlich angehört habe. Es konnte wohl sein, dass Köpf sich seit dem Augenblick, wo er ihn kennen gelernt hatte, fortwährend über ihn lustig machte. Es war Andreas unmöglich dies zu erfahren. Übrigens war es ja gleichgültig, sobald nur auch sonst niemand davon wusste. In seiner Lage, bei seinen mannigfachen inneren Zweifeln und der geringen Aussicht, es auf eine andere Weise zu etwas zu bringen, war es nun wohl das Beste, Köpfs Rat blindlings zu befolgen. Er ging schon am nächsten Morgen, mit einem kalten Gefühl im Unterleibe, doch hoch erhobenen Hauptes, zum Doktor Bediener.