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5. Kritik an der Herrschaft des Augustus

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Kritik an Augustus

Es waren allerdings keineswegs alle Zeitgenossen so angetan von der Herrschaft des Augustus. In Rom, wo die Mitglieder des Senats und die Teilnehmer an den Volksversammlungen noch vor kurzem eine wichtige politische Rolle gespielt hatten, sah man die Herrschaft des Augustus durchaus kritisch. Mehrfach war es unter Augustus zu Verschwörungen gekommen, weil man nicht hinnehmen wollte, völlig von der Macht und der Gnade eines Autokraten abhängig zu sein. Kein antiker Historiker hat das zwischen Zustimmung und Ablehnung schwankende Urteil der Römer über die Herrschaft des ersten Prinzeps besser eingefangen als Tacitus (55–120 n. Chr.). Zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr., als gerade die Gewaltherrschaft des Kaisers Domitian (81–96 n. Chr.) zu Ende gegangen und unter Nerva (96–98 n. Chr.) und Trajan (98–117 n. Chr.) wieder ein freieres literarisches Leben möglich geworden war, schilderte Tacitus in seinen „Annalen“ die Geschichte der julisch-claudischen Dynastie seit dem Jahr 14 n. Chr. Wie alle senatorischen Historiker der frühen Kaiserzeit glaubte auch Tacitus an das Ideal einer freien römischen Republik, obwohl ihm bewusst war, dass die römische Aristokratie am Ende der Republik nicht mehr über die notwendige innere Kraft verfügt hatte, um das Gemeinwesen in seinen herkömmlichen politischen Formen zu erhalten. So fällt das Urteil des Tacitus über Augustus zwiespältig aus: Indem der Prinzeps die Freiheit beseitigt hat, ist ein historisch notwendiger Schritt vollzogen worden. Doch so einfach und offen spricht Tacitus seine Meinung nicht aus. Vielmehr lässt er die Zeitgenossen des Augustus nach dessen Tod über seinen Aufstieg und über seine Herrschaft diskutieren und gestaltet auf diese Weise ein literarisches „Totengericht“. Die Volksmenge, so schreibt der römische Historiker, habe sich zwar nur mit Belanglosigkeiten beschäftigt und über alle möglichen Zufälle ereifert, wie zum Beispiel darüber, dass Augus tus an dem gleichen Tag gestorben war, an dem er auch die Regierung übernommen hatte (gemeint ist der Beginn seines ersten Konsulats am 19. August 43 v. Chr. und sein Tod am 19. August 14 n. Chr.) oder dass er in demselben Zimmer in der in Kampanien gelegenen Stadt Nola gestorben war wie sein Vater. Die einsichtigeren Römer dagegen hätten ernsthaft über die politische Bewertung der Herrschaft des Augustus diskutiert.

„Totengericht“ über Augustus

„Aber von den Einsichtigen wurden verschiedene Aspekte seines Lebens ent weder gerühmt oder getadelt. Die einen meinten, er sei durch seine Verehrung (pietas) für seinen Vater und durch die Notlage des Staates, in dem die Gesetze keine Gültigkeit mehr gehabt hätten, in den Bürgerkrieg getrieben worden, und ein solcher Krieg hätte weder auf löbliche Weise vorbereitet noch geführt werden können. Um sich an den Mördern seines Vaters rächen zu können, habe er vieles dem Antonius, vieles auch dem Lepidus zugestanden. Nachdem aber Lepidus stumpfsinnig und kraftlos geworden und Antonius durch seine Leidenschaften zugrunde gegangen sei, habe es für das zerrissene Vaterland kein anderes Heilmittel mehr gegeben, als dass es von einem Einzelnen regiert würde. Und doch sei der Staat nicht durch eine Königsherrschaft oder durch eine Diktatur, sondern als ‘Prinzipat’ neu geordnet worden. Die Grenzen des Reiches würden durch den Ozean und durch weit entfernte Flüsse gebildet, die Legionen, Provinzen und Flotten seien aufeinander abgestimmt, unter den römischen Bürgern hätten die Gesetze wieder Gültigkeit, die Bundesgenossen würden rücksichtsvoll behandelt, Rom selbst besitze prachtvolle Bauten, und nur weniges sei auf gewaltsame Weise geschehen, wodurch der Mehrheit der Menschen ein friedliches Leben gesichert worden sei.

Dagegen wurde von anderen eingewandt, die Verehrung für seinen Vater und der Zustand des Staates hätten nur als Vorwand gedient. Tatsächlich sei es aus Herrschsucht geschehen, dass er die Veteranen durch Spenden an sich gezogen, dass er als Jüngling und Privatmann ein Heer aufgestellt, die Legionen des Konsuls (Antonius) bestochen und den Anschein erweckt habe, im Einverständnis mit der Partei der Pompeianer zu stehen. […] Gegen den Willen des Senats habe er das Konsulat erpresst, und er habe das Heer, das er zum Kampf gegen Antonius erhalten habe, gegen den Staat geführt. Die (von den Triumvirn, also auch von Octavian angeordneten) Proskriptionen der Bürger und die Landverteilungen seien nicht einmal von denjenigen, die sie ausführten, gutgeheißen worden. Gewiss könne der Tod von Cassius und der beiden Brutus auf deren Feindschaft seinem Vater gegenüber zurückgeführt werden, obwohl es doch schicklich sei, persönlichen Hass den Interessen des Staates unterzuordnen. […] Später (nach dem Tod von Sextus Pompeius und Antonius) habe es ohne Zweifel Frieden gegeben, allerdings einen blutigen: Lollius und Varus seien vernichtend geschlagen worden, und in Rom seien (Aulus Terentius) Varro (Murena), (Marcus) Egnatius (Rufus) und Jullus (Antonius) hingerichtet worden“ (Tacitus, Annalen 1,9f.).

saeculum Augustum

Eine öffentliche Diskussion in der von Tacitus beschriebenen Weise hat es so sicher nicht gegeben. Doch die einzelnen Argumente, die er aufführt, mussten bei der Beurteilung des Augustus berücksichtigt werden, und es war nicht leicht, zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen. Denn Augustus hatte einerseits den Anspruch erhoben, die Republik wiederhergestellt zu haben, gleichzeitig jedoch ganz eindeutig etwas anderes getan, indem er sich selbst eine unangreifbare Führungsstellung verschaffte, die alle Erschütterungen unbeschadet überstehen sollte. Als im Jahr 14 n. Chr. im Senat darüber beraten wurde, wie man den Verstorbenen ehren könnte, machte einer der Senatoren den Vorschlag, „den ganzen Zeitabschnitt vom Tage der Geburt bis zum Tode des Augustus ‘Augusteisches Zeitalter’ – saeculum Augustum – zu nennen und unter dieser Bezeichnung in den Kalender einzutragen“ (Sueton, Augustus 100). Immerhin hatte die Alleinherrschaft des Augustus von 31 v. Chr., dem Jahr seines militärischen Erfolgs über Antonius, bis zum Jahr 14 n. Chr. gedauert, also über fünfundvierzig Jahre, und wollte man das Augusteische Zeitalter von der Geburt Octavians an rechnen, so umfasste es sogar mehr als ein Dreivierteljahrhundert. Der Vorschlag des Senators wurde jedoch nicht angenommen. Erschien er dann doch als zu unterwürfig? Oder widersprach er zu sehr der Politik, die Augustus seit dem Gewinn seiner Alleinherrschaft verfolgt und die darauf abgezielt hatte, den Senat in die Herrschaftsausübung einzubeziehen und auf diese Weise den inneren Frieden wiederherzustellen? Man kann die Ablehnung des Vorschlags, die Lebenszeit des Augustus als „Augusteisches Zeitalter“ zu verewigen, also auf unterschiedliche Weise interpretieren; sie könnte als Ausdruck einer Opposition gegen den übermächtigen Herrscher gedeutet, aber auch als eine nur scheinbare Opposition gewertet werden, die sich noch nach dem Tod des Augustus genau an seine Vorgaben hielt. Denn zu den politischen Spielregeln in der „wiederhergestellten Republik“ gehörte auch, dass der Senat, wenn es opportun erschien, seine Eigenständigkeit betonte, und der Nachfolger des Augustus, Tiberius, hat auf diese Rolle des Senats zunächst großen Wert gelegt. Schon hier, beim Übergang der Macht auf den zweiten Prinzeps, wurde das Problem sichtbar, wie denn mit den politischen Vorgaben des Augustus umgegangen werden sollte. Da es in der „wiederhergestellten Republik“ eigentlich keine dynastische Erbfolge geben konnte, überrascht es nicht, dass sich nach dem Tod des Augustus der Herrschaftsantritt des neuen Prinzeps recht kompliziert gestaltete. Aber für alle Nachfolger des Augustus während des 1. Jahrhunderts n. Chr. bestand darüber hinaus eine grundsätzliche Frage: Mussten sie die teils unterwürfige und teils illoyale Senatsaristokratie an ihrer Herrschaft beteiligen, um den republikanischen Anschein zu gewährleisten, oder konnte sie sich im Vertrauen auf ihre Macht als Autokraten gebärden und den Senat brüskieren, so oft sie nur wollten?

Spricht man dagegen heute von einem „Zeitalter des Augustus“, so ist dies ganz unabhängig von einer positiven oder negativen Wertung angesichts der grundlegenden Umwandlung gerechtfertigt, die Rom und das Römische Reich unter der Herrschaft des Augustus erfahren haben. Unter ihm verwandelte sich Rom in eine Monarchie, und dieser Vorgang hat nicht weniger als die Entstehung und Verbreitung des christlichen Glaubens während der ersten Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit die weitere Geschichte Europas geprägt. Bei einer Betrachtung der augusteischen Epoche mit ihren beeindruckenden Leistungen in Literatur, Kunst und Architektur darf allerdings nicht übersehen werden, dass ihr langwierige, das Römische Reich bis in seine Grundlagen erschütternde Machtkämpfe vorausgegangen sind. Die militärische Konfrontation zwischen Octavian und Antonius stellte nur den letzten Abschnitt einer langen und blutigen Bürgerkriegsphase dar. Die pax Augusta wurde auf Bergen von gefallenen Soldaten, auf den Leichnamen von Hunderten von verfolgten und abgeschlachteten Senatoren, auf gebrochenen politischen Versprechen und letztlich auf dem Scheitern einer republikanischen Verfassung errichtet.

Augustus

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