Читать книгу König Ludwig II. hatte einen Vogel ... - Heinz Gebhardt - Страница 8
ОглавлениеDie schreckliche Kindheit Ludwigs II.
Prügel, Hunger und Liebesentzug
Die Kindheit und Jugend König Ludwigs II. war mit einem Wort: schrecklich! Doch wäre Ludwig II. wie ein »normales Kind« liebevoll, mit viel Zuneigung der Eltern, mit einer seinen Bedürfnissen und Veranlagungen entsprechenden Erziehung zusammen mit stinknormalen Buben und Mädeln aufgewachsen, hätte er Lehrer gehabt, die ihm das Leben gezeigt hätten wie es wirklich ist, hätte er in seinem Elternhaus erfahren, was menschliche Nähe und Liebe bedeuten, dann, ja dann hätte es den »Märchenkönig« wohl nie gegeben.
Nicht von der Mutter gestillt – Amme stirbt nach 8 Monaten
Wie bei jedem anderen »Normalsterblichen« liegt der Schlüssel zur Persönlichkeit Ludwigs II. in seiner Kindheit und Jugend. Schon im Alter von 8 Monaten erlebte er die erste Katastrophe: Wie in Herrscherhäusern damals üblich, wurde das Baby nämlich nicht von seiner Mutter gestillt, sondern von einer Amme. Sie war eine urwüchsige Bauersfrau aus Miesbach, bei der Ludwig in Schloss Nymphenburg bis zum achten Monat völlig gesund heranwuchs. Doch schon bald erkrankte sie an einem »heftigen Fieber mit Gehirnerscheinungen«, vermvutlich einer Menningitis, an der sie auch starb. Der Säugling Ludwig musste sofort abgestillt werden, seine Bezugsperson war von einem Tag auf den anderen verschwunden und dieser Schock war auch nicht zu übersehen: Er verfiel von Woche zu Woche, bekam heftiges Fieber und der Leibarzt Franz von Gietl befürchtete das Schlimmste. Nur langsam kam Ludwig wieder zu Kräften.
Hungernder Ludwig von Zimmermagd Liesl heimlich gefüttert
Doch kaum konnte er auf seinen Kindesbeinen stehen, musste er sich einem anderen Erziehungwahnsinn seines Vaters Max unterziehen: Ein Kind sollte sich nie nie satt essen! Alle Zeitgenossen Ludwigs erzählen von dem unvernünftigen Zwang zur Mäßigkeit, zur Kargheit der Essensrationen, denen Ludwig ausgesetzt war. Der Kronprinz scheint zeitweise geradezu gehungert zu haben. Es gibt rührende Episoden von der alten Liesl, einer Zimmermagd in der Residenz, die Ludwig heimlich Reste ihrer eigenen Mahlzeit zusteckte und mit ihrem geringen Gehalt in der Stadt Essbares für den jungen Ludwig einkaufte,
das er meist nachts heimlich verspeiste.
Der 2-Jährige Ludwig in einem Aquarell von Ernst Rietschel, 1847.
Ludwig II. im Alter von 3 Jahren, ebenfalls von Ernst Rietschel gemalt.
Mit 5 Jahren baute Ludwig II. die ersten Schlösser, nachdem ihm Großvater Ludwig I. einen Holzbaukasten geschenkt hatte.
Sprechverbot mit Bürgerlichen
Wer sich über Ludwigs späteres merkwürdiges Verhalten Dienern gegenüber wundert, sollte sich die Erziehungsmethoden seines ersten männlichen Erziehers Generalmajor Theodor Basselet de la Rosée (1801–1864) ansehen. Wenn in Neuschwanstein Lakaien nur in tiefgebückter Haltung dem König gegenübertreten durften und Ludwig Befehle nicht aussprach sondern auf Zetteln übergab, so machte er nichts anderes als das, was ihm dieser Graf eingebläut hatte: Adelige dürfen nur mit Adeligen sprechen und schon gar nicht mit Dienstpersonal! Auch »bestärkte der Graf über Gebühr in dem jungen Gemüth die ohnehin vorhandenen Keime zum Hochmut«, wie Ludwigs Zeitgenosse Gottfried von Böhm bemerkte. Was dazu führte, dass er seinen jüngeren Bruder Otto wie einen Leibeigenen behandelte: Als in Berchtesgaden der »Vasall Otto wieder den Gehorsam versagte, band Ludwig ihn mit Händen und Füßen, steckte ihm einen Knebel in den Mund und wollte ihn ›hinrichten‹«. Vater Max verprügelte Ludwig daraufhin derart, dass er in seinem Leben nie wieder nach Berchtesgaden reiste.
Skizzenblatt des 16-Jährigen Ludwigs: Neben Phantasiefiguren übte er seine Signatur, die schon seine typisch schwunghafte Betonung des letzten Buchstabens zeigt.
Bereits in seinen Kinderzeichnungen taucht der Schwan als eine Symbolfigur auf, die Ludwig II. ein Leben lang faszinierte.
»Liebe« war aus dem Wortschatz gestrichen
Vater Max prügelte und Mutter Marie mied ihren Sohn: Sie besuchte ihn zwar in seinem Zimmer, »wusste aber nicht sich mit ihm abzugeben, wie Kinder es eben verlangen«, schrieb eine Freundin der Königin. Das Wort »Liebe« scheint aus dem Wortschatz der Eltern Ludwigs II. vollkommen gestrichen worden zu sein: Der Schriftsteller Paul Heyse durfte in der königlichen Familie nur Texte vorlesen in denen »Liebe« durch das Wort »Freundschaft« ersetzt worden war. Als der Dichter Hermann Lingg einmal zum Vorlesen eingeladen war, versicherte sich vorher Vater Max »ob auch Liebesgedichte dabei seien«, die natürlich sofort gestrichen worden wären. So kann sich jeder ausmalen, wie einsam und verlassen Ludwig seine Pubertät erlebt haben muss.
Schriftsteller Paul Heyse (1830–1914) durfte das Wort »Liebe« nicht erwähnen.
Königin Marie zeigte wenig Zuneigung zu ihren Kindern Otto und Ludwig.
Als 18-Jähriger erstmals Geld in Händen
Vor einem Rätsel stehen auch viele angesichts der Unbekümmertheit, mit der Ludwig für seine Schlösser Millionenbeträge einforderte und ausgab, als ob er für Geldsummen überhaupt keine Vorstellung hätte. Aber auch hier macht ein Blick in seine Kindheit vieles verständlich: Bis zu seinem 18. Lebensjahr wusste Ludwig überhaupt nicht was »Geld« ist: Bei seiner Volljährigkeitserklärung mit 18 Jahren schenkte ihm der Vater die erste Geldbörse. Und damit sein Sohn wusste, wie Geld aussieht, war darin von jeder im Königreich Bayern im Umlauf befindlichen Münze ein Exemplar. Damit ging der Kronprinz zum Hofjuwelier und wollte den halben Laden für seine Mutter leerkaufen! Wenige Wochen später war sein Vater gestorben und Ludwig mit 18 Jahren König von Bayern, ausgestattet mit Vollmachten über Millionenbeträge und er hatte nicht die leiseste Ahnung vom Wert dieser Summen.
Schloss Berchtesgaden 1855, von Ludwig II. lebenslang gemieden.
Bestrafungen bis zum letzten Tag
Ludwigs Vater König Max lag schon auf dem Sterbebett, da erfuhr Ludwig einen Tag vor dessen Tod noch einmal die volle Härte seiner Erziehung: »Am Morgen des Neunten musste der junge Prinz zur Strafe für ein nachlässig gearbeitetes Pensum den Kaffee ohne Zucker trinken, am andern Tag ging er weinend vom Totenbett des Vaters, und die Regierung und Großwürdenträger nannten ihn zum ersten Mal »Majestät«, wie Karl von Heigel über seinen Wandel vom Kronprinzen zum König von Bayern schrieb.
Ludwig II. mit 17 Jahren in der Uniform des bayerischen Infanterie-Leibregiments.