Читать книгу Ein Kriegskind packt aus - Heinz Hofmann - Страница 7
Оглавление1.4 Im Heim für Schwererziehbare
Daher kamen wir nach Dresden – Omsewitz in ein Heim für Schwererziehbare. Jahrzehntelang dachte ich, dass nach dem Krieg kein anderes Heim für uns verfügbar war. Erst seit wenigen Jahren weiß ich, dass mein Bruder Ursache für diese Unterkunft war. Für mich war dieses Heim ein einziges Martyrium, da ich als kleiner, schwacher Bub ständig unter der Willkür und Bösartigkeit der größeren Jungen zu leiden hatte, und das wegen meines Bruders. Hier wurde ich nun erneut eingeschult. Alles ging fast militärisch zu. Immer unter Aufsicht und immer in der Gruppe. Sei es der Weg zur Schule unter Aufsicht oder zurück. Auch der tägliche Abendspaziergang der regelmäßig bei annehmbarem Wetter zu absolvieren war verlief immer in der Gruppe unter Aufsicht von mindestens ein bis zwei Erziehern. Einerseits waren ja die Erzieher gut für meine Sicherheit, andererseits unbeobachtet wurde ich ständig drangsaliert. Das ging so weit, dass ich eines Tages keine Schuhe mehr hatte und manchmal nicht zur Schule gehen konnte, weil man mir Kleidung gestohlen hatte. Eines Tages war sogar meine Hose weg und ich konnte ja schlecht in Unterhose zur Schule gehen – das waren Zustände!
Unvergesslich sind mir zwei Begebenheiten.
In regelmäßigen Abständen durften mehrere Kinder die großen Suppenkessel mit bloßen Fingern auslecken und das war ein festes Reglement nach dem sich jedes Kind sehnte, denn auch hier war Hunger ständiger Begleiter. Natürlich ging auch diese Prozedur nicht ohne Schubsen und Benachteiligen der Schwächeren vonstatten.
Ein anderes Mal waren wir beim Abendspaziergang und ich ging an der Hand einer Erzieherin der ich wohl leid getan habe, da sie sehr genau sah, dass ich kein schwer erziehbares Kind war. Und aus vollem Herzen sagte ich, dass ich mich freue wenn wir wieder zurückkommen, weil es ja dann Abendbrot gibt, meinte ich. „Aber Heinz“ sagt sie, „wir hatten doch gerade Abendbrot gegessen“. Da kullerten mir die Tränen über die Wangen und ich war sehr enttäuscht. Wie überrascht war ich, als wir wieder im grossen Schlafsaal waren und diese Erzieherin mit einer Scheibe Brot auf mich zukam. Sie gab mir diese Scheibe Brot mit einem Streicheln auf den Kopf und sagte ich solle diese Brotscheibe jetzt gleich verzehren. Plötzlich war ich von diesen Rowdys umringt, mein Bruder in vorderster Front und alle bettelten herzzerreißend: „Gib mir einen Uzer!“ (ein kleines Stückchen). Wäre die Erzieherin nicht stehen geblieben, ich hätte gar nichts bekommen, man hätte mir das Brotstück aus der Hand gerissen. So konnte ich ganz allein unter Aufsicht diese Brotscheibe essen und war dankbar für diese Güte. Mein ganzes Leben lang habe ich nicht vergessen, dass es neben viel Bosheit auch manchmal Güte unter Menschen gibt.
Abschließend ist zu vermelden, dass der Heimleiter sich in diesem Heim bereicherte und später aus seiner Position entfernt werden musste. Selbst den Ärmsten der Armen kann man immer noch etwas wegnehmen….
Im Sommer 1948 begannen die Schulferien und erstaunlicherweise waren nur 1-er und 2-er auf meinem Zeugnis. Ein älteres Ehepaar tauchte auf und führte ein freundliches Gespräch mit mir. Nach kurzer Zeit wurde mir klargemacht, dass sie mich mitnehmen möchten, da ihre beiden Söhne im Krieg gefallen waren. Auch Frau May, die uns im Industriegelände abgeholt hatte, war zugegen und ich hörte wie das Ehepaar sagte, dass sie nur mich haben möchten, da ich ihrem Sohn Hans ähnlich sehen würde und sie über meinen Bruder nichts Gutes berichtet bekommen hatten. Frau May hielt sich an die Vorgabe unseres Großvaters, indem sie darauf beharrte, dass die Geschwister nicht getrennt werden dürfen und wir nur als Doppelpack zu haben sind. Sie hatte keine Ahnung, dass mein Bruder bisher in meinem Leben keine positive Rolle spielte und das Bruderverhältnis keinesfalls innig war. Schweren Herzens sagte Familie Rieck zu und nahm beide Brüder.
„Ei Heinz, wo sind denn deine Schuhe“ sagte die Frau. „Ich habe keine“ war meine Antwort, also ging ich barfuß mit.
Ab jetzt begann für mich ein neuer, besserer Lebensabschnitt – was für ein Glück!