Читать книгу Das versteckte Gold - Ein Fall für Jaromir - Heinz Janisch - Страница 6
ОглавлениеErstes Kapitel
in dem Herr Jaromir ein Wettrennen macht, Lord Huber sich verliebt und eine rätselhafte Nachricht für Aufregung sorgt
„Achtung! Es geht los!“, rief Lord Huber und hob seinen Stock. Herr Jaromir bellte dreimal laut. Er war schon längst bereit.
Lord Huber senkte den Stock mit einer raschen Bewegung, gleichzeitig warf er einen kleinen, gelben Apfel in die steil abfallende Wiese.
Das Wettrennen konnte beginnen.
Der Apfel rollte durchs Gras und wurde immer schneller. Wie ein kleiner, gelber Ball sprang er über die Erdhügel und Gräser den Hang hinab.
Herr Jaromir sauste dem Apfel hinterher und versuchte ihn zu fangen, aber so schnell er auch lief, der Apfel war nicht zu fassen. Kaum war Jaromir dicht hinter ihm, hüpfte der kleine Apfel schon wieder in hohen Sprüngen davon.
Jaromir gab schließlich auf. Er blieb keuchend stehen und sah zu, wie der Apfel den Hang hinunterrollte und auf der Dorfstraße liegen blieb.
„Sie haben sich gut geschlagen, mein Freund“, sagte Lord Huber. „Immerhin war es heute schon ihr drittes Wettrennen.“
„Und immer habe ich verloren“, schnaufte Herr Jaromir. „3 : 0 für den Apfel. Ich muss eindeutig mehr trainieren!“
„Mich haben Sie beeindruckt“, sagte Lord Huber und spazierte langsam den Hang hinunter, um den Apfel zu holen. Sein Stock leistete ihm beim Gang über die steile Wiese gute Hilfe.
„Darf ich diesen besonderen Apfel jetzt essen, oder wollen Sie ihn noch einmal zum Wettkampf herausfordern?“, fragte er höflich, als er auf der Straße stand. Er bückte sich nach dem kleinen, gelben Apfel.
„Sie können ihn ruhig essen“, sagte Herr Jaromir und ließ sich ins Gras fallen. „Mein Training ist für heute zu Ende.“
Lord Huber hob den Apfel auf und biss herzhaft hinein.
„Ich muss mir morgen wohl einen neuen Gegner suchen“, sagte Herr Jaromir und ließ seinen Blick über die Wiese schweifen. Da und dort standen einzelne Apfelbäume, in der Nähe sah man Weinstöcke.
Vor drei Tagen waren sie auf Einladung eines Freundes von Lord Huber ins südliche Burgenland gekommen.
„Ich wohne in einer der schönsten Gegenden Österreichs“, hatte der Freund von Lord Huber am Telefon geschwärmt. „Hier gibt es Weinberge und alte Kellergassen, blühende Wiesen und freundliche Menschen – es wird euch hier gefallen.“
Nach vier aufregenden Fällen in einem Hotel am See („Die gestohlenen Juwelen“), in Wien („Der Meisterdieb im Museum“), in Venedig und Rom („Der verschwundene Engel“) und in Graz und in Caorle („Die Nacht der Diebe“) konnten die beiden erfolgreichen Detektive durchaus etwas Erholung brauchen. Lord Huber hatte sofort zugesagt.
„Zeit für einen Urlaub auf dem Land!“, hatte er erfreut gerufen, nachdem er mit seinem alten Bekannten, Franz Heindl, einem pensionierten Polizeiinspektor, telefoniert hatte.
„Wir hören uns gelegentlich“, hatte Lord Huber Herrn Jaromir nach dem Telefonat erklärt. „Wir haben vor vielen Jahren einmal einen Betrüger gefasst, der mit falschen Goldmünzen gehandelt hat. Damals war Franz Heindl noch Gruppeninspektor in Wien, jetzt ist er schon lange in Pension. Seine Frau und er haben sich ein Haus im Südburgenland gekauft. Sie leben seit einigen Jahren in einem kleinen Dorf nahe der ungarischen Grenze. Seine Frau stammt aus dem Burgenland.“
Lord Huber hatte sich um ein Mietauto gekümmert, und so waren sie – nach längerer Fahrt – im kleinen Ort Deutsch-Bieling im Südburgenland gelandet, einem Ort, von dem Herr Jaromir zuvor noch nie gehört hatte.
Franz Heindl hatte sie überschwänglich begrüßt und sie durch das schöne, alte Bauernhaus geführt, das er gemeinsam mit seiner Frau liebevoll renoviert hatte.
Aus dem alten Kuhstall war ein Wohnzimmer mit einem großen Glasfenster geworden, durch das man in einen wildverwachsenen Garten schauen konnte.
Ein kleines, gemauertes Nebengebäude war zu einem Gästehaus umgebaut worden, mit zwei schmalen Zimmern, einem Bad und einer Kochecke.
„Das Haus wurde 1927 erbaut“, erzählte Franz Heindl. „Wir haben versucht, möglichst viel vom alten Baustil zu erhalten.“
Auf einem Regal standen Fotografien von seiner Frau Juliane, die mit einer Gruppe von Freundinnen nach Israel gefahren war.
„Juliane lässt dich schön grüßen“, hatte Franz Heindl gleich beim Betreten des Hauses zu Lord Huber gesagt. „Sie wollte diese Reise schon lange machen.“
Lord Huber hatte freundlich genickt.
Beim dritten gemeinsamen Abendessen im umgebauten Stall fragte er plötzlich: „Wann werden denn Juliane und ihre Freundinnen ihre Reise beenden?“
„Sie machen eine Rundreise durchs Land und werden erst in zehn Tagen wieder zurück sein“, antwortete Franz Heindl.
„Bis dahin ist der Fall gelöst“, sagte Lord Huber ruhig.
Herr Jaromir zuckte zusammen. Welcher Fall? Hatte er sich verhört? Waren sie nicht gekommen, um Urlaub zu machen? Bisher hatte es sich ganz so angefühlt.
Sie waren stundenlang spazieren gegangen, sie hatten vor alten Weinkellern in den Weinbergen gesessen und hatten viel zu viel gegessen.
Er hatte sich die Zeit sogar mit Wettrennen gegen einen Apfel vertrieben – und plötzlich sollte es einen Fall geben?
Der pensionierte Polizist sah Lord Huber schmunzelnd an.
„Du hast mich also durchschaut“, sagte er. „Ich gönne euch diesen Urlaub von ganzem Herzen. Und ich freue mich sehr, euch zu sehen! Aber es stimmt schon – ich brauche eure Hilfe.“
„Ich dachte es mir“, sagte Lord Huber. „Du hast am Telefon besorgt geklungen. Aber ich wollte nichts überstürzen. Und ich muss sagen, ich habe nicht gewusst, wie schön es hier ist. Ich bin richtig verliebt in diese wunderbare Gegend! Ich fühle mich schon nach drei Tagen hier gut erholt.“
„Das freut mich“, sagte Franz Heindl. „So war es auch gedacht. Trotzdem würde ich euch gerne etwas zeigen.“
Er öffnete die Lade des alten Holztisches, an dem sie saßen, und holte eine Ansichtskarte heraus. Wortlos reichte er sie Lord Huber.
Der nahm sie vorsichtig in die Hand, betrachtete kurz das Bild auf der Vorderseite der Karte und zeigte sie dann Herrn Jaromir.
„Die Burg Güssing“, sagte Franz Heindl und deutete auf das Bild. „Eine alte Ritterburg.“
Lord Huber drehte die Karte um. Jemand hatte aus verschiedenen Zeitungen kleine und große Buchstaben ausgeschnitten und sie zu einzelnen Wörtern zusammengeklebt.
„Der Rote Ritter ist zurück. Halten Sie sich von der Burg fern!“, las Lord Huber laut vor.
Er schaute seinen Bekannten erstaunt an.
„Und das macht dir Angst? Es klingt eher wie ein Streich von jemandem, der zu viele Rittergeschichten gelesen hat.“
„Nun, vorige Woche hat jemand meine Tür mit roter Farbe beschmiert“, sagte Franz Heindl leise. „Da weiß jemand, wo ich wohne.“
„Ich habe mich schon über diese … künstlerische Gestaltung deiner Eingangstür gewundert“, sagte Lord Huber nachdenklich. „Ich habe dieses sonderbare Kunstwerk sogar fotografiert, mit der kleinen Kamera in meinem Stock, für alle Fälle. Diese Zeichnung soll wohl ein rotes Schwert darstellen. Weshalb bekommst du diese Warnung? Bist du heimlich als Ermittler tätig?“
Franz Heindl lächelte. „Du kennst mich doch. Wenn etwas Rätselhaftes passiert, dann will ich mehr wissen.“
„Ist denn etwas Rätselhaftes passiert?“, fragte Lord Huber und sah seinen Bekannten neugierig an. „Und vor allem – was hat das mit der Burg Güssing zu tun?“
„Aus dem Burg-Museum sind vor einigen Wochen mehrere Dinge verschwunden, darunter ein Ritterhelm, eine Lanze und ein Schild. Ein Freund, der im Museum arbeitet, hat mich um Hilfe gebeten. Die Geschichte ist ihm ein wenig unheimlich. Es wird nämlich erzählt, dass es in den Nächten manchmal spukt auf der Burg. Jugendliche wollen mehrmals einen Ritter gesehen haben, immer in der Nacht. Die Burg ist nachts gut beleuchtet, da kann man einiges erkennen. Der Ritter soll eine Lanze mit einer roten Fahne getragen haben. Und auf seinem Schild soll man ein rotes Schwert gesehen haben. Das Zeichen des Roten Ritters.“
„Und wer ist der Rote Ritter?“, mischte sich jetzt Jaromir ein, der aufmerksam zugehört hatte. „Hat es je einen Roten Ritter auf der Burg gegeben?“
„Oh ja“, sagte Franz Heindl. „Das hat es.“
Er machte eine längere Pause.
„Das Problem dabei ist nur – das ist siebenhundert Jahre her …“