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Kapitel 8

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Der Zug nahm Fahrt auf und rauschte, an endlosen Mietskasernen vorbei, aus Berlin heraus. Sebastian nahm seine Zeitung und faltete sie auseinander.

Aschinger merkte auf. »An Hitler führt wohl kein Weg mehr vorbei«, brummte er, als er die Schlagzeile sah.

»Mein Vater hält nicht viel von diesem Schreihals«, gab Sieglinde von Weinberg kund und schaute um sich, als habe sie ein allgemeingültiges Urteil abgegeben, das alle zu teilen hatten.

»Na ja, immerhin würde er uns die Kommunisten vom Hals schaffen«, erwiderte Fritz Aschinger nachdenklich, holte ein Zigarrenetui hervor und steckte sich eine Havanna an. »Aber er ist natürlich ein Prolet«, dozierte er weiter, dabei das Streichholz auswedelnd, »ein Mensch aus der Gosse.«

»Mein Vater sagt, dass er uns alle ins Unheil stürzen würde«, verstärkte die Baroness ihr Urteil.

»Ach, die Reichswehr wird uns wohl vor dem größten Unglück bewahren. Da mache ich mir keine Sorgen.«

»Mich widern die Kerle an. Alle um diesen Hitler sehen aus wie Gangster. Die gleichen brutalen Gesichter wie in einem amerikanischen Gangsterfilm. Wenn ich nur an diesen Röhm denke oder an den Giftzwerg Goebbels …« Sie schüttelte sich, was sie Sebastian nun fast sympathisch machte. »Es sind keine Herren, es ist ein Pack aus den Hinterhöfen«, sagte sie bestimmt.

»Ach Sieglindchen, natürlich sind sie etwas vulgär, in der Politik ist für Gentlemen nun mal kein Platz. Aber Hitler will den Versailler Vertrag aufkündigen, der uns Deutschen noch bis in die achtziger Jahre dieses Jahrhunderts Reparationen auferlegt, und er will die Arbeitslosigkeit beseitigen. Manches, was er vorhat, ist gar nicht so schlecht.«

»Dafür ist anderes sehr schlecht«, trotzte Sieglinde von Weinberg.

»Was ist mit uns Juden? Für ihn sind wir doch nur Bazillen.«

»Man darf das alles nicht so ernst nehmen, meine Liebe«, versuchte Aschinger sie zu beruhigen. »Wenn er erst einmal in der Verantwortung ist, wird sich das schnell geben. Die Anforderungen und die Würde des Amtes werden ihn recht bald zähmen. Das Gegeifer über die Juden ist doch nur Propaganda. Ich jedenfalls komme gut mit den Juden zurecht.« Er blinzelte ihr zu und lachte gönnerhaft.

Aber die Baroness war mit seinen Beschwichtigungen nicht zufrieden. Verärgert sah sie aus dem Fenster. Aschinger bemerkte nicht einmal, dass seine Flamme mit ihm unzufrieden war und sein gönnerhaftes Benehmen dazu beigetragen hatte. Um beide auf ein anderes Thema zu bringen, zog Sebastian die Entwürfe aus der Aktentasche, die ihm Harry Damrow überlassen hatte.

»Diese Vorschläge hat mir Harry gezeigt. Ich finde sie verdammt gut, geradezu phänomenal.«

Fritz Aschinger warf ihm einen verärgerten Blick zu, beugte sich vor und begutachtete die Entwürfe. »Ach das! Die hat er mir auch schon versucht anzudrehen. Ist doch lächerlich, das Ganze! Wo ist Otto? – Er isst bei Aschinger. Das ist doch Stammtischniveau! Er soll stattdessen lieber unser Essen ausloben, die günstigen Frühstückspreise sowie unser Geflügelangebot.«

»Das tun wir ja auch. Aber es geht doch darum, den Leuten einzuhämmern, dass alle Leute selbstverständlich bei Aschinger essen – egal, ob es nun ein Schornsteinfeger ist, ein Siemens-Arbeiter oder eine Angestellte bei Wertheim.«

»Ich mag das Zeug nicht!«, sagte er unwillig und schob die Entwürfe zurück.

»Sie werden morgen und die ganze Woche in allen Tageszeitungen erscheinen. Ich habe die Entwürfe freigegeben und Anzeigen bei allen Berliner Zeitungen für die nächsten Wochen gebucht«, antwortete Sebastian.

»Du hast was ?«, fragte Aschinger und nahm die Zigarre aus dem Mund.

»Ich bin doch, wie Sie sagen, für die Werbung zuständig«, erwiderte Sebastian mit bleichem Gesicht. Er wusste, dass nun ein Gewitter auf ihn zukam. Immerhin hatte er Anzeigenraum für Tausende von Reichsmark gebucht. Was, wenn ihn Aschinger nun feuerte? Aber die Idee war doch gut. Man muss für das eintreten, von dem man überzeugt war. »Ich glaube, die Anzeigen werden das Tagesgespräch von Berlin und unsere Frage Wo ist Otto? – Er isst bei Aschinger! wird zum geflügelten Wort werden.«

»Mach das sofort rückgängig! Verdammt noch mal, bei Dingen, die ich schon einmal abgelehnt habe, hättest du natürlich erst einmal bei mir rückfragen müssen! Na gut, sicher hat dir dieser Damrow nicht gesagt, dass ich es schon einmal abgelehnt habe. Wenn wir zurück sind, wird der Kerl gefeuert.«

Sebastian empfand dies wie einen Schlag. Er durfte Harry nicht im Stich lassen. Wenn Harry Damrow auch eher ein Arbeitskollege denn ein Freund war, so fühlte er sich ihm doch verbunden und bewunderte ihn für seinen Enthusiasmus und Einfallsreichtum. »Er hat mich durchaus gewarnt«, gestand Sebastian schluckend. »Er hat mich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie die Kampagne nicht wollten. Aber ich finde sie richtig, und Sie haben mir die Verantwortung für die Werbung übertragen. Harry geht davon aus, dass ich Sie doch noch überzeuge. Ihn trifft keine Schuld.«

»Was? Und du hast trotzdem …« Aschinger starrte ihn mit hochrotem Kopf wütend an. Vielleicht hätte er Sebastians Eigenmächtigkeit nicht so ernst genommen, aber im Beisein der Baroness empfand er es als einen Verstoß gegen seine Autorität.

»Sie haben doch immer Eigeninitiative verlangt«, wehrte sich Sebastian, obwohl er wusste, dass ihm dieses Argument nicht viel helfen würde.

»Zeigen Sie mal!«, sagte die Baroness und nahm Sebastian die Entwürfe aus der Hand.

Sebastian erklärte ihr unter Aschingers bösen Blicken, wie die Anzeigen aussehen würden.

Die Baroness lachte. »Also, Fritz, ich finde das hervorragend. Das ist doch etwas anderes, als dauernd den Billigheimer zu spielen. Es ist witzig, intelligent und einprägsam. Sei froh, dass Sebastian das erkannt hat! Es ist doch toll, dass du Mitarbeiter hast, die Eigeninitiative beweisen! Du solltest ihm dankbar sein.«

»Glaubst du wirklich?«, brummte Aschinger und nahm ihr die Entwürfe aus der Hand und starrte diese an, als würde er sie zum ersten Mal sehen. »Nun, vielleicht bin ich tatsächlich zu sehr von meinem Geschmack ausgegangen, und solch ein Zeug ist wirklich richtig für die Massen.«

»Ganz bestimmt! Du lebst schließlich nicht in der Welt der einfachen Leute.«

»Aber du!«, gab er feixend zurück.

»Nein, aber ich weiß, was meine Zofe liest. Es ist entweder furchtbar kitschig oder aber witzig.«

»Na gut, Johnny, starte das Ding durch! Wenn wir es in den Bierquellen am Umsatz merken, nehme ich alles zurück, und ihr bekommt eine Prämie. Aber zukünftig merk dir, wenn ich einmal etwas beschlossen habe und du solltest anderer Meinung sein, dann frag gefälligst erst! Dann sehen wir, ob mich deine Argumente überzeugen.«

Sebastian nickte eifrig. Der Sturm war noch einmal an ihm vorbeigegangen, aber es war diesmal knapp gewesen.

Sie gingen in den Speisewagen. Der Ober schien Aschinger erkannt zu haben und kümmerte sich trotz der verärgerten Blicke der anderen Gäste sofort mit vielen Bücklingen um ihn. Aschinger bestellte Gänsekeule mit Kartoffelpüree und Rotkraut sowie einen kräftigen Rotwein. Die Baroness entschied sich für Fisch in Weißweinsoße. Sebastian wählte eine Bockwurst mit Kartoffelsalat. Ihm war die Aufregung auf den Magen geschlagen.

»Guten Appetit, Herr Aschinger!«, sagte der Kellner laut.

Die übrigen Gäste im Speisewagen merkten auf und warfen ihnen daraufhin die ganze Zeit verstohlene Blicke zu.

»Es schmeckt scheußlich!«, sagte Aschinger nach mehreren Bissen und warf das Besteck verärgert auf den Tisch. »Johnny, notiere einmal, dass wir uns, wenn wir aus Paris zurück sind, mit dem Generaldirektor der Reichsbahn treffen und ihm ein Angebot unterbreiten, dass Aschinger zukünftig die Reichsbahn beliefert. So etwas kann man doch nicht den Leuten in der ersten Klasse vorsetzen!«

Sebastian hatte sich angewöhnt, ständig ein kleines Notizbuch bei sich zu haben, um die Anweisungen seines Chefs, die täglich auf ihn einprasselten, nicht zu vergessen.

»Rede auch mit Teichmann! Er soll ein Angebot ausarbeiten, wie wir der Reichsbahn exzellentes Essen zu einem günstigen Preis anbieten können.« Aschinger war nun sehr zufrieden mit sich, hatte er doch vor den Augen seiner Angebeteten bewiesen, dass er die Zügel in der Hand halte.

»Du denkst wohl nur an die Arbeit?«, hauchte Sieglinde von Weinberg.

Aschinger schnurrte wie ein satter Kater und sagte selbstgefällig: »Ja, man muss immer auf dem Quivive sein, wie die Juden sagen. Die Welt steckt voller Möglichkeiten. Und, Johnny, notiere doch, dass wir uns mal mit den Nazigrößen in Verbindung setzen. Die können doch ihre Veranstaltungen auch bei uns im Haus Rheingold abhalten. Bei deren Durst wird das unseren Bierumsatz ganz schön in die Höhe treiben. Teichmann kennt doch den Goebbels. Er soll sich mal mit dem Herrn Gauleiter von Berlin zusammensetzen.«

»Ist schon notiert, Herr Aschinger.«

»Sehr schön! Unsere Fahrt nach Paris hat sich vielleicht auch schon geschäftlich gelohnt.« Er rieb sich die Hände.

»Pfui, vorhin fandest du die Nazis noch vulgär!«, maulte die Weinberg.

»Man kann sich im Geschäftsleben eben nicht immer seine Partner aussuchen. Man muss jede Möglichkeit nutzen. Deswegen trete ich noch lange nicht in die Partei ein.«

»Denkst du nur ans Geld?«, fragte sie missmutig.

»Das fragt mich eine Bankierstochter?«

»Mein Vater ist auch ein Zahlenmensch, aber mit diesen Leuten würde er niemals Geschäfte machen. Niemals!«

Aschinger lief rot an und ergriff ihre Hand. »Na gut, wenn es dir so viel bedeutet, verzichte ich auf das Geschäft mit den Nazis. Johnny, streich die Idee! Sollen die Nazis doch woanders schlechtes Bier trinken! Zufrieden, Sieglindchen?«

»Du bist ein Schatz. Danke dir!«

»Na, siehst du! Alles wieder gut?«

»Natürlich, Fritzchen!«

Johnny verfolgte dies mit offenem Mund. Er hatte noch nie erlebt, dass Aschinger auf ein sicheres Geschäft verzichtete. Sebastian schloss daraus, dass es Aschinger mit dieser Frau ernst war, und er machte sich Sorgen um ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es mit dieser kapriziösen Frau und dem nüchternen Fritz Aschinger lange gutgehen würde.

Sie gingen in den Schlafwagen zurück, wo für jeden ein Abteil reserviert war.

»Geh schlafen, Johnny, wir sehen uns morgen früh. Du bist sicher müde.«

Aschinger schickte ihn mit einem freundlichen Klaps auf die Schulter in sein Abteil. Sebastian dachte über die vergangenen Stunden nach. Er mochte Fräulein Weinberg nicht. Sie war leichtsinnig und oberflächlich und glaubte, etwas Besonderes zu sein. Aber sowohl hinsichtlich der Nazis als auch der Werbekampagne hatte sie sich anständig verhalten. In Paris angekommen, würde er Harry Damrow anrufen und ihm mitteilen, dass Aschinger sein Einverständnis gegeben hatte. Der Zug jagte durch die Dunkelheit einem Ziel entgegen, das er nur aus Büchern kannte, ein Traumgebilde, das er so prächtig wähnte wie das alte Rom. Eingelullt von dem Schaukeln des Waggons schlief er ein und verschlief fast die Zeit. Er wusch sich nur kurz, rasierte sich, und als er an Aschingers Abteil klopfte, rief dieser: »Geh schon mal vor! Wir kommen in den Speisewagen nach.« Es scheint eine gute Nacht gewesen zu sein, nach seiner Stimme zu urteilen, dachte Sebastian belustigt. Er bestellte sich ein Omelett und eine große Tasse Kaffee und sah aus dem Fenster. Draußen flog eine flache Landschaft unter einem wolkenverhangenen Himmel vorbei. Sie waren bereits in Frankreich. Nicht viel anders als in Deutschland, dachte er enttäuscht. Er hatte Hügel erwartet mit prächtigen Schlössern darauf und vor ihnen grüne Wiesen, auf denen sich weiße Pferde tummelten. Fritz Aschinger und die Baroness kamen in den Speisewagen. Sieglinde von Weinberg nestelte an ihrem Haar und warf Sebastian einen herausfordernden Blick zu, als sie sich setzte. Er sah schnell zur Seite. Beide wirkten übernächtigt. »Könnte auch die Mark Brandenburg sein«, sagte Sebastian unzufrieden, nachdem er sie beide begrüßt hatte, und wies aus dem Fenster.

»Das ist die Champagne. Vor Paris, in der Île de France, wird die Landschaft lieblicher«, erklärte die Baroness.

»Wird hier der berühmte Champagner …«

»Sag mal, Johnny, hast du in der Schule ständig geschlafen?«, brummte Aschinger.

»Ja«, gab Sebastian zu, »ich war ein hoffnungsloser Fall. Bestimmt hatte ich gerade von d’Artagnan und Lady Winter geträumt.«

»Und so jemanden mache ich zum Sekretär!«, erwiderte Aschinger in gespielter Verzweiflung. Das Frühstück wurde gebracht, und Aschinger hatte daran einmal mehr etwas herumzumäkeln. Die Brötchen seien nicht frisch, die Wurst von zweifelhafter Qualität, und der Käse gehöre in den Abfall. »Es wird Zeit, dass wir den Laden übernehmen, Johnny!«

»Jetzt fangt nicht wieder an, von Geschäften zu reden! Es ist ja nicht zum Aushalten mit euch!«, schritt die Baroness ein.

Fritz Aschinger hob abwehrend die Arme. »Ist schon gut, Sieglindchen! Kein Wort mehr von der Arbeit, versprochen!«

Die Landschaft wurde hügeliger. Die Wolkendecke riss auf, und nun sah Sebastian zwar noch keine Schlösser, aber eine Landschaft, die den Zauber ausströmte, der mit seinen Tagträumen übereinstimmte. »Wunderschön!«, sagte er mit belegter Stimme. »Mir ist, als wäre ich schon hier gewesen, als wäre ich hier mit den Königen geritten oder hinter Napoleon mit der Grande Armée nach Preußen gezogen.«

»Hört euch das an!«, sagte Aschinger und blickte zur Decke. »Solch einen Spinner habe ich um mich!«

»Er ist ein romantischer Mensch«, verteidigte ihn die Baroness.

»Ihr ergänzt euch gut: Während du zu viel an Zahlen denkst, denkt er an Menuette, Degenkämpfe und die Prinzessin, die es auf einem weißen Pferd zu entführen gilt.«

Sebastian bekam einen roten Kopf. Hoffentlich trägt sie nicht noch dicker auf, sonst wird Aschinger noch eifersüchtig, dachte Sebastian.

Dann fuhren sie in Paris ein. Zuerst sah es nicht anders aus als in Berlin. Mietskasernen, baufällige Fabriken, schmutzige Hinterhöfe. Nur die Aufschriften an den Wänden – Dubonnet oder Châteauneuf du Pape – verrieten, dass man in Frankreich war. Am Bahnhof Gare de l’Est war Endstation. Auf dem Bahnsteig wurden sie bereits von dem Hotelpersonal erwartet, das das Gepäck übernahm. Der Geruch auf dem Bahnsteig war anders als in Berlin. Es roch nach verbranntem Gummi, nach Ruß, nach scharf geröstetem Kaffee, Knoblauch und schwarzen Zigaretten. Sie gingen, die Kofferträger als Vorhut, durch die drängenden Menschen hinaus auf den Vorplatz, wo auf der anderen Straßenseite die Bistros wie eine Perlenkette um den Bahnhof lagen. Die Sonne war herausgekommen und kündigte einen schönen Herbsttag an.

»Herrlich, wieder in Paris zu sein!«, rief die Baroness und wirkte nun nicht mehr müde und überanstrengt, sondern sah so frisch aus, wie es dem Morgen entsprach.

Sie stiegen in den riesigen Kraftwagen, den das Hotel geschickt hatte, und die Baroness sagte etwas auf Französisch zum Chauffeur. Dieser nickte eifrig.

»Ich habe ihm gesagt, dass er eine Runde um den Place de la Concorde machen und dann zurück am Palais Royal vorbei zur Opéra fahren soll«, erklärte sie. »Das ist zwar ein kleiner Umweg, aber jedes Mal, wenn ich in Paris bin, muss ich diese Runde drehen.«

Auf der Place de la Concorde sprangen die Fontänen. Die Champs Élysées mit dem fernen Arc de Triomphe sah aus wie eine Straße zum Himmel. Sie fuhren über die Rue de Rivoli am Hotel Regina mit der goldenen Jeanne d’Arc vorbei, ließen rechts das Palais Royal zurück, um dann auf die Oper zuzufahren, deren Engel glanzvoll von dem Zeitalter des letzten Kaisers kündete.

Sebastian starrte fasziniert auf die drängenden Menschenmassen auf den Bürgersteigen, auf die um sie herumwuselnden Automobile. Er war von Berlin, vom Potsdamer Platz mittlerweile Verkehr gewohnt, aber dort war bei allem Durcheinander doch eine gewisse Ordnung. Hier aber drängten sich die Wagen chaotisch durch die Straßen. Niemand hielt sich an die Verkehrsregeln, die durch die Hupen ersetzt wurden – und doch lief alles glimpflich ab. Er wusste nicht, wohin er zuerst sehen sollte. Paris schien hier in der Mitte der Stadt nur aus Palästen zu bestehen, die dem Aschinger-Palais nicht nachstanden.

Dann fuhren sie auf einen Platz, auf dem eine große Säule stand. Der Platz wurde von Häusern umsäumt, die allesamt wie die Wohnstatt von Königen aussahen.

»Der Place Vendôme«, sagte die Baroness seufzend. »Die Säule dort ist aus den erbeuteten Kanonen von Austerlitz gegossen worden. Der Cäsar dort oben soll Napoleon darstellen. Und das hier vor uns, Johnny, ist das berühmte Ritz, das beste Hotel der Welt!«

Aschinger brummte missvergnügt. Der Wagen hielt vor dem Hotel. Der Portier eilte herbei und riss die Wagentür auf.

»Willkommen im Ritz, Herr Aschinger!«, begrüßte er sie auf Deutsch. Es hatte sich bis nach Paris herumgesprochen, dass Aschinger der deutsche Ritz war. Sie brauchten nicht an die Rezeption zu gehen, der Geschäftsführer, der Aschinger gut kannte, empfing sie persönlich.

»Schön, Fritz, dich wieder einmal bei uns zu haben! Diesmal bist du früher dran als sonst.«

»Ja, diesmal wollen wir uns in Paris ein wenig amüsieren.«

»Großartig! Ob du ins Moulin Rouge oder in die Opéra willst, wir werden dafür sorgen, dass du die besten Plätze erhältst.«

»Darf ich dir meine Begleiterin, die Baroness von Weinberg, vorstellen?«, sagte Aschinger mit sichtlichem Stolz.

Der Geschäftsführer, ein schmaler, kleingewachsener Mann mit einem Menjoubärtchen, verbeugte sich zu einem Handkuss. »Madame, wir werden uns bemühen, Ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Die Freunde von Herrn Aschinger sind auch unsere Freunde. Sie werden sehen, dass wir es zu würdigen wissen, den König von Berlin und seine Begleitung bei uns zu haben«, sprudelte er, sichtbar angetan von der Baroness.

»Schon gut, mon ami «, sagte Aschinger und klopfte ihm auf den Rücken. »Heute Abend essen wir im Hotel. Für morgen Abend bestell bitte einen Tisch im Le grand Vefour. Dann sehen wir weiter.«

Sebastian wurde von Aschinger nicht vorgestellt. Er gehörte zu den Domestiken.

Sie wurden unter den Blicken des Concierge und der Angestellten hinter dem rotbraun blitzenden Tresen vom Geschäftsführer zum Fahrstuhl geführt. Die Gäste an der Rezeption sahen sich wegen des Auftriebs nach ihnen um.

Sie wurden zur Präsidentensuite geführt, die an der Fensterfront zum Place Vendôme lag. Wenn Sebastian durch Aschingers Haus und den Fürstenhof schon an einigen Luxus gewöhnt war, so wurde der von diesem hier im Ritz noch übertroffen. Die Räume sahen aus, als hätte man das Schloss Versailles hierher versetzt. Die Suite glitzerte golden und silbern, und ein Kristallkronleuchter von der Größe eines Wagenrades ließ, verstärkt durch die Spiegel, den Salon wie einen Diamanten aufleuchten. Überall standen mächtige Blumenbouquets in hüfthohen chinesischen Vasen. Auf den Tischen mit den goldverzierten Füßen lockten riesige Schalen mit Obst. Sie gingen auf teuren türkisfarbenen Teppichen aus Isfahan. In den Vitrinen stand kostbares Porzellan aus Limoges.

Aschinger nickte gleichmütig. »Schön, alles wie gehabt.«

»Wenn irgendetwas fehlt, sag es bitte!«

»Es ist alles in Ordnung, mon ami. Johnny, deine Suite ist nebenan. Wir treffen uns in einer halben Stunde unten am Empfang.«

Der Hoteldirektor führte Sebastian nach draußen an das Ende des Korridors und schloss eine kleine Suite auf. »Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen«, sagte er und wies mit einer Verbeugung auf das mit Stilmöbeln eingerichtete Zimmer.

Sebastian ging ans Fenster. Er sah auf einen kleinen Innenhof, in dem Kastanien standen. Seitlich hatte er einen Blick auf Napoleon, der – als Cäsar verkleidet – als Statue über dem Place Vendôme thronte.

»Ich hoffe, es entspricht Ihren Wünschen«, sagte der Geschäftsführer.

Sebastian nickte. »Es ist alles bestens.«

Der Geschäftsführer gab ihm den Schlüssel. »Ich zeige Ihnen noch die anderen Räume. Dort links ist das Schlafzimmer, und hier gegenüber ist das Bad.«

»Sehr schön«.

»Sie sind Herrn Aschingers Sekretär?«

»Ja, sein Privatsekretär«, wiederholte Sebastian automatisch, immer noch ganz gefangen von der Pracht. So wohnten Könige – und er, ein Bauernjunge aus dem Brandenburgischen, wurde gefragt, ob es seinen Wünschen entsprach! Er hätte sich vor kurzem nicht einmal im Traum vorstellen können, dass man solche Wünsche haben konnte. Er besichtigte das Schlafzimmer, dessen Bett so breit war, dass drei Personen darin schlafen konnten. Auf dem Tisch im Salon stand ein Kübel mit Champagner. Das Bad war ähnlich prächtig wie im Palais Aschinger. Mit einer Verbeugung verabschiedete sich der Geschäftsführer und wünschte ihm einen schönen Aufenthalt.

Sebastian nahm die Flasche aus dem silbernen Kübel, öffnete sie und goss sich einen Kelch ein. Im Spiegel prostete er sich zu. »Auf dein Wohl, Sebastian Lorenz, Bauernjunge, Notariatslehrling, Zapfhilfe in der Bierquelle und Sekretär des großen Aschinger! Weit hast du es gebracht!« Doch wenn er aufwachen würde und alles wäre vorbei? Würde er sich jemals wieder an die kleine Stube in Schönberg gewöhnen, an den verschmutzten Hof, an den Geruch von Pferdeäpfeln oder an die trockene Luft, wenn Korn gedroschen wurde und kleine Strohhalme durch die Luft flogen? Wer einmal von goldenen Tellern gegessen hat, gab sich nicht gern mit einem Blechnapf zufrieden. Ihm fiel ein, dass er Damrow anrufen wollte, und ging zum Telephon. Dem guten Harry fiel ein Stein vom Herzen, als Sebastian ihm sagte, dass Aschinger einverstanden sei. Ehe er sichs versah, war die halbe Stunde vorbei. Er stürzte aus seiner Suite und fuhr in die Empfangshalle hinunter. Aschinger und die Baroness warteten bereits auf ihn.

»Na, das dauert aber bei dir!«, sagte Aschinger vorwurfsvoll.

»Ich musste mich erst einmal an die schöne Umgebung gewöhnen. Es ist wundervoll hier!«

Sie traten auf den Platz. Aschinger stutzte. »Wartet hier!«, sagte er kurz und ging nebenan in ein Juweliergeschäft mit dem Namen Van Cleef & Arpels.

Sebastian hatte nun Zeit, die Harmonie des Platzes zu bewundern. Er hatte in Berlin den Gendarmenmarkt ins Herz geschlossen und einige Male, wenn es seine Zeit erlaubte, dort gegessen und auf der Terrasse des Restaurants zu den Löwen mit den Engeln hinübergesehen. Der Place Vendôme gehörte auch zu den Orten, die Verzauberung auslösten. Er atmete tief ein, schloss die Augen und sah nun Kutschen mit livrierten Dienern vorfahren und Perückenträger in reichen, goldbestickten Gewändern aussteigen. Er hörte das Klimpern eines Spinetts und wünschte sich, dass der Besuch in Paris nicht aufhören würde.

»Er kauft mir sicher noch ein paar Diamanten«, sagte die Baroness gleichmütig.

»Er ist sehr glücklich«, stimmte Sebastian zu.

»Sieht ganz so aus, nicht wahr?«, sagte die Baroness. »War er noch nie verliebt?«

»Ich glaube nicht«, erwiderte Sebastian, erstaunt über die Frage, die ihm ungehörig erschien. So sprach man nicht von dem Mann, mit dem man gerade die Nacht verbracht hatte. Und erst recht nicht zu einem Angestellten dieses Mannes, den man außerdem kaum kannte.

»Aber es wird doch sicher viel über ihn geklatscht. So ein Mann wie Fritz wird doch von allen Leuten beobachtet. Über mich wird ja auch viel geklatscht, viel zu viel!« Sie seufzte.

»Herr Aschinger lebt sehr zurückgezogen, soviel ich weiß.«

»Loyal in jeder Beziehung, nicht wahr, Johnny?«

»Ich verdanke Herrn Aschinger sehr viel. Er ist ein großartiger Mensch und Chef.«

Aschinger kam vergnügt lächelnd aus dem Juweliergeschäft Van Cleef & Arpels heraus. »Kommt, gehen wir zu deinem Café de la Paix!« Er hakte sich bei ihr ein und pfiff dabei Ach, du lieber Augustin.

Dann saßen sie im Café de la Paix mit Blick auf die Opéra, aßen Austern und tranken dazu Champagner. Sieglinde von Weinberg erzählte von den Ballett- und Opernaufführungen, die sie hier schon erlebt hatte. Während sie von Wagner, Mozart und Tschaikowsky erzählte und unentwegt von der Pracht des Konzertraumes schwärmte, beobachtete Sebastian die vorbeieilenden Menschen. Sie waren in der Regel besser gekleidet als in Berlin. Er sah Männer in dunklen Anzügen wie er, Mädchen in großer Garderobe, aber auch in billigen Fähnchen, die sie mit einer Anmut trugen, als wären sie aus den besten Modegeschäften in Paris. Doch dann entdeckte er ein abgehärmtes Gesicht, die Kleider vielfach geflickt, die Schuhe abgetreten und die Augen voller Angst. Auch hier in der wundersamen Stadt gab es Armut. Farbige Menschen aus den Kolonien kehrten die Straße und sahen mit stumpfen Augen zu ihnen im Café de la Paix hinüber. Ihre Chance, hier einmal zu frühstücken, war nicht sehr groß.

Danach schlenderten Aschinger, die Baroness und Sebastian durch die Rue Saint-Honoré. Vor einem Herrengeschäft blieb Sieglinde von Weinberg stehen und klatschte in die Hände.

»Was für schöne Krawatten! Kaufen wir doch für Johnny ein paar neue! Er blamiert sich ja im Ritz mit seiner grässlichen Krawatte.«

Sie gingen hinein, sie ließ sich eine Menge Krawatten zeigen und tippte auf eine blaugestreifte sowie zwei rot-blau gestreifte. »Die hier sind richtig, sie sehen sehr britisch aus. Findest du nicht auch, Fritz, dass Johnny ein britischer Typ ist?«

»Ein britischer Typ aus der Mark Brandenburg!«, spottete Aschinger. Aber er schien sich zu amüsieren. Ihm gefielen ihr Schwung, ihre Atemlosigkeit, ihr Enthusiasmus.

»Er braucht noch einen Sommermantel sowie einen für den kommenden Winter«, brummte er gutmütig.

»O ja, wir machen aus ihm einen richtigen Gentleman!« Sie klatschte in die Hände und rief dem Verkäufer etwas zu, worauf dieser Mäntel für alle Jahreszeiten herbeischleppte. Sie wählte für Sebastian einen dunklen Kaschmirmantel und einen leichten blauen Regenmantel.

Sebastian zog die Mäntel mit verlegenem Gesicht über und ließ sich von beiden begutachten.

»Ja, so gefällt mir Johnny!«, rief sie und klatschte wieder in die Hände.

»Wenn du so weitermachst, hat er bald mehr Mäntel als ich«, knurrte Aschinger. »Bringen Sie das Zeug ins Ritz!«, rief er dem Verkäufer zu.

»Aber die rot-blaue Krawatte muss er gleich umbinden. Weg mit dem scheußlichen Ding!«, antwortete sie streng, nestelte an Sebastians Kragen und zog ihm die alte Krawatte ab. Sie band ihm die neue um, knotete sorgfältig einen Windsorknoten und betrachtete ihr Werk mit geneigtem Kopf. »So, nun sieht er aus wie ein Gentleman. Den dunklen Übergangsmantel zieht er gleich an.«

»Mach so weiter, und im Ritz halten sie ihn für den Herzog von Windsor!«, setzte Aschinger ironisch hinzu.

Der Bückling des Verkäufers konnte nicht tiefer ausfallen. Sie gingen hinaus, kamen aber nicht weit. Vor dem Schaufenster mit den neuesten Kreationen von Coco Chanel blieb sie stehen und hielt Aschinger am Arm fest.

»Sieh dir das an, Fritz! Das kleine Schwarze und dann das blaue Abendkleid mit den schmalen Trägern, sind die nicht wundervoll?«

»Dann gehen wir doch hinein!«, sagte Aschinger gutmütig lächelnd. Sie wurden von einer eleganten Dame empfangen, die wohl gleich erkannte, dass hier ein gutes Geschäft zu machen war. Ein dicklicher Herr im mittleren Alter und eine wesentlich jüngere Begleitung ließen immer auf ein gutes Geschäft schließen. Sieglinde von Weinberg zwitscherte mit ihr, und die Madame, die sich als Direktrice vorstellte, hieß sie auf Englisch, Platz zu nehmen.

Während Aschinger in der Vogue blätterte, ging die Baroness von einer Modepuppe zur anderen. Ihnen wurde Champagner gereicht, und bald erschienen Mannequins und führten Abend- und Tageskleider vor. Sieglinde von Weinberg benahm sich wie im Rausch, schlug ein um das andere Mal die Hände zusammen und rief: »Oh, sieh nur, Fritz, was für ein Traum!«

»Du hast eine Menge schöner Träume«, sagte Aschinger nach einer Weile und blätterte lustlos in der Vogue. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, wobei dies von ihrer Seite weder böse gemeint war noch als Spiel. Es war ihr Leben. Lustvoll gab sie sich dem Kaufen hin und machte sich keine Sorgen über die Preise.

Nach zwei Stunden hatte sie sich für das kleine Schwarze, ein helles Kostüm, einen Hut, der in Ascot und nur dort nicht auffallen würde, und das blaue Abendkleid mit den schmalen Trägern entschieden. Sebastian war der Meinung, dass man zu dieser Entscheidung auch in wesentlich kürzerer Zeit hätte kommen können. Aschinger bekam eine Rechnung präsentiert, gegen die sich die Aufwendungen bei dem Herrenausstatter wie ein Trinkgeld ausnahmen. Aber Aschinger bezahlte mit erleichtertem Grinsen, wenn er auch den Kopf dabei schüttelte.

»Wer hätte gedacht, dass dieses bisschen Stoff so wertvoll sein kann! Wir beide sind in der falschen Branche, mein Lieber«, sagte er zu Sebastian.

Doch damit war die Ausplünderung der Läden auf der Rue Saint-Honoré noch nicht zu Ende. Denn jetzt mussten zu den neuerstandenen Kleidern natürlich auch noch passende Schuhe und Handtaschen gekauft werden. Gegen Mittag gingen sie erschöpft und doch zufrieden ins Fouquet auf den Champs Élysées und aßen eine Ente, die selbst Fritz Aschinger zufriedenstellte. Beschwingt durch einen guten Margaux Rothschild, führte Sieglinde von Weinberg sie danach über die Pont Alexandre mit den vergoldeten Engeln.

»Die Brücke trägt den Namen zu Ehren von Zar Alexander. Es ist die schönste Brücke in Paris.« Sie standen am Brückengeländer, und die Baroness deutete mit dem Finger auf den Schatten am Ende der Seine. »Dort hinten, unter den weißen Wolken liegt die Notre Dame, die gewaltigste Kirche Frankreichs.«

»Die Kirche des Glöckners von Notre Dame«, ergänzte Sebastian ehrfürchtig. »Dort sah er vom Turm herab auf Esmeralda und verliebte sich unsterblich. Können wir nicht dorthin gehen?«

»Bloß nicht, das ist doch viel zu weit!«, murrte Aschinger, der sich bereits die Stirn wischte. »Wir könnten uns ein Taxi nehmen.«

»Nein, Paris muss man zu Fuß erleben!«, rief die Baroness. »Lass uns wenigstens bis zum Pont Neuf gehen! Wer weiß, wie lange sich das schöne Wetter noch hält. Danach sollten wir durch den Jardin du Luxembourg spazieren.«

Sebastian erinnerte sich, dass sich dort d’Artagnan mit den drei Musketieren getroffen hatte.

»Wir müssen doch nicht an einem Tag ganz Paris abklappern!«, murrte Aschinger.

»Aber wenigstens zum Pont Neuf will ich, meine zweitliebste Brücke. Dort steht das Denkmal von Henry IV. Ein König, der die Frauen liebte.«

»Meines Wissens liebten alle französischen Könige die Frauen und konnten davon gar nicht genug haben«, brummte Aschinger.

Am Seineufer entlang wurde es noch einmal ein langer Marsch. Aschinger blieb oft schnaufend stehen und wischte sich die Stirn. »So viel bin ich mein Lebtag nicht gegangen!«, stöhnte er.

»Du musst Sport treiben, Fritz, oder wenigstens viel spazieren gehen, damit du deinen Schmerbauch loswirst«, spottete die Baroness erbarmungslos.

Sebastian kam es so vor, als wolle sie Aschinger damit zu verstehen geben, dass sie trotz der gemeinsam verbrachten Nächte nicht so einfach zu erobern sei und Aschinger, um den Altersunterschied überbrücken zu können, mehr bieten musste als ein paar Kleider der besten Couturiers Frankreichs.

»Ich könnte wetten, du warst schon zigmal in Paris und hast außer dem Ritz und dem Place Vendôme oder der Rue de Rivoli nichts von Paris gesehen«, fuhr sie unerbittlich fort.

»Das waren auch Geschäftsreisen«, verteidigte sich Aschinger.

»Na, dann wurde es höchste Zeit, dass du einmal ohne deine dummen Geschäfte hierherkommst!«, antwortete sie schnippisch und zwinkerte dabei Sebastian zu.

Vor den mit rötlichen Steinen durchzogenen weißen Häusern hob sich an dem Pont Neuf das Standbild von Henri IV. ab, und es sah aus, als wäre er gerade dabei, in die Stadt einzuziehen, die ihm so lange getrotzt hatte.

»Die Häuser stammen aus der Zeit Richelieus oder Mazarins oder wie diese Kardinäle damals hießen. Fritz, Paris ist wundervoll!«

»Unser Potsdamer Platz ist auch ganz schön«, wehrte Aschinger ab. »Aber es stimmt schon: Wenn man dort, wo die Häuser sind, ein Hotel hinbauen würde, hätte man eine romantische Umgebung.«

»Untersteh dich, Fritz!«, entrüstete sich die Baroness. »Du kriegst es noch fertig und reißt die schönen Häuser ab, um dort eines deiner dummen Hotels hinzubauen!«

»Man könnte ja die Fassaden stehen lassen und …«

»Hör auf, Fritz!«

»Mach dir keine Sorgen! Lieber stelle ich noch ein Hotel am Kurfürstendamm hin. Die Ecke, wo das Café Kempinski ist, wäre dazu ideal.«

Über den Pont Neuf ging es weiter auf das rechte Seineufer, und nun war es Aschinger zu viel. Er winkte ein vorbeifahrendes Taxi heran, und sie fuhren mit einer schmollenden Baroness zur Notre Dame. Dort stiegen sie neben dem Denkmal Karls des Großen aus und gingen in die Kathedrale, von der Sebastian ein wenig enttäuscht war. Gewiss, sie war riesig, und das Halbdunkel verbreitete eine feierliche Stimmung, aber das Gedränge der Touristen ließ doch keine rechte Andacht aufkommen. Da sich Aschinger weigerte, zum Dach hochzusteigen, nahmen sie erneut ein Taxi und fuhren über den Boulevard Saint-Michel an der Sorbonne vorbei zum Jardin du Luxembourg. Die Baroness musste ein paar Mal mit dem Fuß aufstampfen, ehe Aschinger ihr in den Park folgte. Sie gingen an den herrlich gefärbten Kastanien vorbei, die im goldenen Licht der Mittagssonne lagen. Vor dem großen Bassin setzten sie sich auf eine Bank und sahen den Kindern zu, die dort ihre kleinen Schiffe ins Wasser setzten. Aschinger kaufte eine Tüte Vogelfutter und beschäftigte sich mit den Tauben. Bald war ein ganzer Schwarm um ihre Bank versammelt. Die Baroness stand mit einem Seufzer auf und nahm Sebastian am Arm.

»Komm, Johnny, wir gehen einmal um das Bassin und sehen uns das Schloss an. Fritz, du kannst dich hier ausruhen«, kommandierte sie. Ehe Aschinger antworten konnte, zog sie Sebastian hoch und zum Bassin hin. »Ein goldener Herbsttag«, sagte sie andächtig, und ihr Blick streifte verträumt die Bäume. »Glaubst du, dass ich das Richtige tue?«, fragte sie unvermittelt.

»Was meinen Sie?«

»Er wird mir heute Abend einen Heiratsantrag machen. Deswegen war er bei Van Cleef & Arpels.«

»Hat er Ihnen das gesagt?«

»Nein, aber so etwas weiß eine Frau.«

Sebastian war über ihre Indiskretion erstaunt. Diese intimen Dinge gingen nicht einmal einen Privatsekretär etwas an. Wieso zog sie ihn da hinein? »Ich kann Ihnen dazu nichts sagen. Ich kenne Sie zu wenig. Fritz Aschinger mag Sie sehr, das ist jedenfalls gewiss. Und eigentlich sollten Sie mir in solchen Dingen keine Fragen stellen.«

»Ach, hör auf, Johnny, ich frage dich als Mensch. Wir sind doch im gleichen Alter! Fritz ist so seriös. Und dann der Altersunterschied! Gut, ich lasse mich von ihm verwöhnen – aber reicht das für eine Heirat? Ich habe viele andere Bewerber, doch hinsichtlich Reputation sind sie dem König von Berlin natürlich nicht gewachsen, verstehst du? Vater wäre natürlich froh und glücklich, denn eine Heirat mit dem großen Aschinger würde seine Geschäfte mit ihm absichern und wäre außerdem ein großer Prestigegewinn für die Bank. Er hat mich regelrecht bedrängt, mich mit ihm zu treffen. Und als ich ihm sagte, dass ich mit Fritz nach Paris fahre, war er schier aus dem Häuschen. Er, der sonst so auf Anstand und Sitte achtet! Das alles spielt plötzlich keine Rolle mehr. Ich komme mir vor wie ein Stück Vieh, das er an den besten Bieter verhökert, oder wie eine Geiß, die man als Köder auf die Weide stellt, damit sie den Löwen anlockt.«

»Dann verloben Sie sich doch nicht!«, rutschte es Sebastian heraus, obwohl er sich eigentlich nicht einmischen wollte und ihm dies auch wie ein Verrat an Aschinger vorkam. Hoffentlich erzählt sie ihm das nicht!, dachte er besorgt. Er würde Sebastian das nie verzeihen.

»Fritz ist gutherzig und auf eine seltsame Art naiv, fast lebensfremd. Er ist ein anständiger Mensch, erfolgreich und reich. Aber er ist manchmal auch ein bisschen langweilig, nicht wahr? Und wenn die Flitterwochen vorbei sind, wenn man sich an das Neue gewöhnt hat, dann ist es vielleicht nur noch langweilig. Dann wird mich seine Ernsthaftigkeit ersticken.«

»Fritz Aschinger ist nicht langweilig!«, versuchte Sebastian seinen Fauxpas ungeschehen zu machen. »Er ist Geschäftsmann und wird in der Firma von allen bewundert. Er ist gutmütig und spendabel. Unsere Frau Proske sagt immer, dass er eine Seele von Mensch ist.«

»Ich weiß, dass er ein guter Mensch ist, aber er hat keine Freude am Leben. Er liebt keinen Spaß und macht keine Verrücktheiten. Kannst du dir vorstellen, dass er mit mir den Kurfürstendamm heruntertanzt oder mit mir Karneval feiert?«

»Das sind doch Kindereien!«

»Ja, aber ich mag verrückte Dinge. Ich tanze gern, feiere gern, reise gern. Ich will leben.«

»Vielleicht können Sie ihn dazu bringen, das Leben ein bisschen zu genießen.«

»Himmel, ich weiß nicht, ob ich das schaffe! Ich habe Angst vor heute Abend. Er wird mir einen umwerfenden Verlobungsring überreichen. Wenn ich ablehne, schlage ich eine der besten Partien Deutschlands aus, und Vater wird verärgert sein. Sage ich zu, bin ich seine Gefangene. Dann ist in ein paar Monaten Hochzeit.« Sie sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Sebastian, was ist richtig?«

In ihren Augen sah er Angst. Auch die reichen Mädchen hatten also ihre Probleme, stellte er fest. Aber helfen konnte er ihr wirklich nicht. Sie musste selbst entscheiden, ob sie erwachsen werden wollte. Er ahnte, dass noch am Ende dieses wundervollen Herbsttages die Erwartungen Aschingers enttäuscht und der Traum, endlich die Frau seines Lebens gefunden zu haben, sich in Luft auflösen würde.

Der große Aschinger

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