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Kapitel 9

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Sie saßen im Restaurant des Ritz. Es war von Anfang an eine gespannte Atmosphäre. Sebastian wusste, wenn sich die Zweifel der Baroness nicht in Luft aufgelöst hatten, warteten auf Fritz Aschinger bittere Stunden. Ihr Gesicht hatte nichts verraten, als sie im Jardin du Luxembourg nach der Besichtigung des Schlosses zu seiner Bank zurückkamen. Als wären keine Worte des Zweifels gefallen und sie ganz von dem Herbsttag verzaubert, ließ sie es zu, dass Aschinger ihre Hand ergriff und mit ihr durch die Kastanienallee zum Ausgang des Parks ging. Sebastian war ihnen in einigem Abstand gefolgt. Dass seine Angebetete auf der Fahrt ins Hotel sehr still war, hatte Aschinger nicht einmal bemerkt. Er war nur froh, dass die Lauferei ein Ende hatte, und war schon wieder ganz in seinen Geschäften versponnen.

»Die Blumen machen den Unterschied aus. Auch wir sollten bei uns in den Hotels mehr Blumen in die Eingangshalle stellen und auch damit die Zimmer dekorieren. Wir müssen uns dazu eine passende Gärtnerei anschaffen. Schreib es auf, dass wir uns in Berlin darum kümmern!«

Dann war er mit der Baroness in seiner riesigen Suite verschwunden. Sebastian hatte sich auf seinem Zimmer in seine Bücher vertiefen können.

Nun saßen sie schweigend im Restaurant des Ritz, und das vorher so lebenslustige Mädchen schien jeden Schwung verloren zu haben. Das Restaurant mit der azurblauen Decke und den Stuckornamenten erinnerte Sebastian an eine riesige, im Meer schwimmende Muschel. Wie verzaubert sah Sebastian auf die Kristalllüster, die funkelnden Gläser und das silberne Besteck auf den Tischen, zwischen denen sich gemessen die Kellner bewegten.

Aschinger ließ es sich nicht nehmen, das Menü zusammenzustellen: Foie gras, Steinbutt – Turbot braisé au beurre blanc –, gefüllte Taube mit feiner Gemüseauswahl, dazu gab es ein Glas Sauternes zur Vorspeise, einen Pouilly fumé und einen Margaux Rothschild vom besten Jahrgang, doch vorher wurde alles mit dem Aperitif, einem Champagner von Taittinger, eingeleitet. »Dann wollen wir mal sehen, ob die Küche des Ritz ihrem Ruf entspricht!« Aschinger rieb sich die Hände und sah herausfordernd in die Runde. Doch seine hektische Röte, die Flecke auf den Wangenknochen verrieten, dass ihn auch noch ganz anderes beschäftigte.

Das Restaurant war gut besucht. Es gab nur noch einen freien Platz zu ihrer Rechten. Das Gespräch zog sich schleppend hin. Sebastian versuchte, es dadurch in Gang zu halten, dass er den Tag Revue passieren ließ.

»Am besten gefallen hat mir der Blick von der Place Concorde hoch auf die Champs Élysées zum Etoile hin. Es war, als würde man in den Himmel sehen und mit dem Arc de Triomphe das Tor zum Paradies erblicken.«

»Das kommt daher, dass die Champs ziemlich steil ansteigen. Man merkt dies erst so richtig, wenn man zu Fuß Richtung Arc de Triomphe geht«, stimmte die Baroness zu.

»Bloß nicht!«, wehrte Fritz Aschinger ab.

»Jedenfalls weißt du jetzt, wie Paris aussieht.«

Dann verfielen sie wieder in Schweigen. Als die Baroness zwischen den Gängen sich die Nase pudern ging, beugte sich Aschinger zu Sebastian. »Was meinst du, Johnny, soll ich ihr nach den Gängen den Verlobungsring geben oder erst später, wenn wir an der Bar sind?«

»Haben Sie denn schon um ihre Hand angehalten?«

Aschinger stutzte. »Du meinst, ob ich sie gefragt habe? Nein, dazu ist es auf dem Zimmer nicht gekommen. Ich wollte es, aber sie hat mich immer wieder abgelenkt.«

»Ich würde abwarten. Wenn wir alle ein wenig getrunken haben, wird es Ihnen leichter fallen.«

»Sie wird doch annehmen, nicht wahr?«, flüsterte Aschinger, und seine Augen bettelten um Bestätigung.

»Sie wissen doch, dass ich für Frauen kein Experte bin. Schon gar nicht habe ich Erfahrung mit so reichen, vornehmen Frauen. Sie sind anders als die Frauen, die ich so kenne.«

»Wie anders?«

»Für sie ist alles wie ein Tanz, als wäre ständig Musik um sie herum und das Leben ein ununterbrochenes Fest.«

»Hm, sie ist noch jung«, brummte Aschinger stirnrunzelnd.

»Ja, das auch.«

»Du bist sehr offen. Immerhin sprichst du von meiner zukünftigen Frau«, sagte er unzufrieden. Was Sebastian gesagt hatte, war ihm offenbar zu respektlos. Als habe der bloßgelegt, was er auch schon gedacht hatte, sich aber nicht einzugestehen wagte.

»Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt. Aber wie gesagt, geben Sie nicht allzu viel darauf, ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus.«

»So sind sie doch alle – nur nicht so schön.«

»Ja, sie ist in der Tat sehr schön.«

»Gib es zu, Johnny, du bist auch ein wenig in sie verliebt! Jeder muss sich in sie verlieben.«

»Ja, das könnte das Problem sein.«

»Wie meinst du das?«

»Sie ist schön und nicht dumm, und ihre Erfahrung ist, dass sie alles bekommt, was sie will, was einschließt …«

»… dass sie jeden bekommt, den sie will!«, sagte Aschinger dumpf. Sebastian schwieg.

»So meinst du das doch?«

»Ich meine, dass es für schöne reiche Mädchen schwierig sein muss zu erkennen, welcher der Richtige für sie ist. Sie braucht ja nur ein wenig ihre Augen rollen zu lassen, und schon umringt sie eine Horde heiratswilliger Kandidaten mit nichts anderem im Sinn, als das wundervolle Wesen ihr Eigentum nennen zu können.«

»Du machst mir nicht gerade Mut.«

»Ich rede Unsinn, ich sollte mich mit dem Trinken zurückhalten.«

»Sie liebt mich. Wäre sie sonst mit mir nach Paris gekommen?«

Die Baroness erschien und setzte sich. Der erste Gang wurde serviert. »Warum macht ihr beide so ein ernstes Gesicht?«, fragte die Weinberg.

»Wir hatten ein philosophisches Gespräch«, erwiderte Aschinger.

»Aber doch nicht heute Abend!«, protestierte die Baroness. »Wenn ich mir den Himmel vorstelle, dann ist er wie das Ritz, und hier grübelt man nicht nach über das Warum, sondern genießt das Jetzt!« Plötzlich flog ein Leuchten über ihr Gesicht, aber es galt nicht ihrem Gegenüber, sondern einem jungen Mann, der mit seiner Begleitung wartend am Eingang stand. »Mein Gott, das ist doch Dieter von Staufenfels!«

Das junge Paar wurde nun von dem Kellner zu dem Tisch nebenan geführt. Die Baroness sprang auf, der neue Gast mit dem schmalen, gutaussehenden Gesicht stutzte und lächelte dann fröhlich.

»Das ist doch Sieglinde! Was machst du hier in Paris?« Er stürmte auf sie zu und umarmte sie. Es dauerte eine Weile, ehe sie voneinander abließen. Erst dann stellte er seine Begleiterin vor, eine Gräfin von Battenberg, eine melancholisch aussehende schwarzhaarige Frau mit einem stolzen Profil, die die Szene mit süßsaurem Gesicht verfolgt hatte. In ihrer Begrüßung zeigte sie die Herablassung, die ein altes Adelsgeschlecht dem Geldadel entgegenbrachte.

Sieglinde von Weinberg ließ sich dadurch keinesfalls einschüchtern und stellte Fritz Aschinger als einen guten Bekannten vor, Sebastian als einen vielversprechenden jungen Mann, und diesem war das die Bestätigung, wie der Abend enden würde. Keinesfalls würde er das Ergebnis bringen, das sich Aschinger erhoffte, sonst hätte sie bei der Vorstellung Aschingers andere Worte gewählt.

»Setzt euch doch zu uns!«, sagte die Baroness und sah dabei Aschinger an, damit dieser die Einladung wiederholte, und so blieb diesem, nach einem verstohlenen ratlosen Blick zu Sebastian hinüber, nichts anderes übrig, als ihrer Aufforderung Folge zu leisten.

»Selbstverständlich, lassen wir doch die Tische zusammenrücken!«

Auf einen Wink Aschingers kam der Ober diesem Wunsch nach.

»Dieter und ich kennen uns von den Reitturnieren. Er ist ein phantastischer Parcoursreiter. Aber eigentlich kennen wir uns schon seit Kindertagen. Wir und die Staufenfels’ haben uns jahrelang auf Sylt getroffen, wo unsere Familien nebeneinander ein Sommerhaus haben.«

Sofort tauchten die beiden, kaum hatten sie sich gesetzt, in die Kindheitserinnerungen ein, und die Baroness war wieder ganz das selbstverliebte, übermütige Mädchen wie am ersten Abend in Berlin. Aschinger und Sebastian waren für die beiden so interessant wie das Blumenbouquet auf dem Tisch. Selbst die Gräfin, die es sicher durch Herkunft und Erscheinung gewohnt war, im Mittelpunkt zu stehen, war abgemeldet, was diese mit blitzenden Augen beobachtete. Fritz Aschingers Miene versteinerte immer mehr. Der Verlobungsring musste ihm wie ein Stück glühender Kohle in der Tasche liegen. Schließlich wandte sich der elegante junge Mann mit jenem nachsichtigen Lächeln, das uralter Adel den gewöhnlichen Sterblichen entgegenbringt, wenn er zeigen will, dass man auch nichts Besseres sei, Aschinger zu.

»Und was machen Sie in Paris? Wollen Sie noch ein Hotel kaufen?«

»Nein, diesmal ist es rein privat.«

»So?«, sagte dieser stirnrunzelnd und warf Sieglinde von Weinberg einen irritierten Blick zu.

»Ich zeige Herrn Aschinger, wie schön Paris ist. Mein Vater hat mich darum gebeten. Sie sind gute Geschäftspartner«, erklärte sie schnell.

Sie hatte einen roten Kopf bekommen, und Fritz Aschinger lief ebenfalls rot an, um dann kreidebleich zu werden. Sie war also seine Touristenführerin.

»Wollen wir nachher nicht an die Bar gehen?«, schlug die Baroness hastig vor, um auf ein anderes Thema überzuleiten.

»Gute Idee!«, stimmte ihr Staufenfels zu.

»Geht nachher ruhig schon mal vor! Wir kommen nach. Dieter und ich haben noch was zu besprechen«, sagte die Gräfin kalt.

Dann sprach man ganz allgemein über die Sehenswürdigkeiten von Paris, wie oft man im Jahr im Ritz wohnte und dass der Bubikopf nicht mehr en vogue war und sich wieder eine fraulichere Note in der Mode abzeichnete. Nach dem Dessert, der Spezialität des Hauses, von dem Aschinger kaum etwas zu sich genommen hatte, unterschrieb er die Rechnung und erhob sich.

»Wir sehen uns nachher an der Bar«, zwitscherte die Baroness und winkte mit den Fingern.

In der Bar drängte sich am Freitagabend tout Paris , aber die Kellner waren wohl informiert, wer Aschinger war, und sie bekamen einen Tisch gleich neben dem Klavierspieler. Die Männer waren meist älter und die Frauen sehr jung. Aber es gab auch ältere Frauen mit zu jungen Begleitern, und ihr Schmuck zeugte davon, dass sie sich die jungen Männer leisten konnten. Aschinger bestellte eine Flasche Whisky und musterte seine Umgebung mit unzufriedenem Gesicht.

»Es ist heiß und stickig hier«, brummte er.

»Ach, sei doch nicht so bärbeißig!«, schalt ihn Sieglinde.

»Dieser junge Mann scheint dir ja mächtig zu gefallen«, grollte Aschinger.

»Wir sind gute Freunde«, sagte sie leichthin und sah dabei interessiert den Tanzpaaren zu.

»Wohl sehr gute Freunde …«

»Hör auf, Fritz!«, fauchte sie. »Ich habe vor dem großen Aschinger auch schon ein paar gute Freunde gehabt.«

»Ist ja gut«, knickte Aschinger sofort ein.

»In dieser Bar sollen Ernest Hemingway und Scott Fitzgerald so manche Flasche Whisky getrunken haben«, warf Sebastian ein, um die beiden abzulenken.

Sie gingen nicht darauf ein. Aschinger schenkte sich immer wieder Whisky nach, und Sieglinde von Weinberg kommentierte die Toiletten der anwesenden Damen. Schließlich zog sie Sebastian auf die Tanzfläche.

»Kommen Sie, Johnny! Fritz ist heute unleidlich. Ich will mir nicht den Abend verderben lassen. Paris ist keine Stadt für Trübsinn und Zankerei.«

Sebastian sah ratlos Aschinger an. Dieser wedelte wegwerfend mit der Hand, und Sebastian nahm dies als Einverständnis. »Was soll das heute Abend werden?«, fragte er auf der Tanzfläche.

»Was meinst du?«

»Sie wissen genau, was ich meine.«

»Hör auf, Johnny, ich weiß es doch auch nicht.«

»Er ist jedenfalls auf hundertfünfzig.«

»Dafür gibt es keinen Grund.«

»Wirklich nicht?« Sie schwieg.

Nun erschien Dieter von Staufenfels mit seiner Begleitung. Die Baroness winkte ihm zu und wies auf den Tisch.

»Ach, gehen wir zurück zum Tisch, Johnny!«, sagte sie. »Wer weiß, was Fritz sonst noch anstellt.«

Der Kellner brachte zwei Stühle, und so konnten Staufenfels und die Battenberg neben ihnen Platz nehmen.

»Es sieht doch immer wieder lächerlich aus, wenn die Alten ihre Jugend zurückholen wollen, indem sie sich die Jungen kaufen«, sagte Staufenfels mit zynischem Lächeln, nachdem er das Publikum taxiert hatte.

Aschinger zuckte zusammen, tat aber so, als studiere er die Karte, und bestellte nach einem fragenden Blick zur Baroness noch eine Flasche Champagner. Als der Klavierspieler einen Charleston spielte, zog Sieglinde von Weinberg den jungen Grafen auf die Tanzfläche, und sie legten einen wilden Tanz hin, worauf alle auf der Tanzfläche zu tanzen aufhörten, einen Kreis um sie bildeten und im Takt klatschten. Ihre Fröhlichkeit, ihre Ausgelassenheit und ihre Jugend nahmen alle gefangen und machte das Paar zum Mittelpunkt der Bar. Selbst die Kellner hörten einen Moment zu servieren auf und sahen den beiden zu. Als der Klavierspieler zu einem Paso doble überleitete, mimte Sieglinde von Weinberg eine Flamencotänzerin. Staufenfels umkreiste sie wie ein Torero den Stier, und die Baroness rief »Olé!« und schwenkte das Abendkleid, das Aschinger ihr am Nachmittag gekauft hatte, dabei sah sie noch schöner aus als die Pola Negri. Aschinger verfolgte das Bild mit brennenden Augen.

Außer Atem kamen sie an den Tisch zurück. Nach einer eleganten Verbeugung zu seiner Partnerin sagte von Staufenfels: »Lasst uns ins Fuego gehen! Die haben eine phantastische Zigeunerkapelle und richtige Flamencotänzerinnen, die von einer Grazie sind, wie man es sonst nur in Sevilla sieht.«

»Himmlisch!«, stimmte Sieglinde von Weinberg sofort zu und klatschte in die Hände.

»Ich bin müde«, wehrte Aschinger ab. »Hier im Ritz gefällt es mir am besten. Die Getränke sind wenigstens anständig.«

»Sei kein Frosch, Fritz, tu mir den Gefallen!«, drängte die Baroness und zog Aschinger hoch.

Die Gräfin Battenberg schien auch nicht viel Lust zu haben, dem Vorschlag ihres Begleiters zu folgen. Erst auf einen energischen Blick Staufenfels’ hin willigte sie schließlich seufzend ein. Sie mussten zwei Taxis nehmen. Sieglinde von Weinberg schlug mit bewusst arglosem Lächeln vor, dass sie und Staufenfels im ersten, die Gräfin mit Aschinger im zweiten Taxi fahren sollten, denn sie und Dieter hätten sich so viel zu erzählen.

»Wir nehmen Johnny als Anstandswauwau mit«, sagte sie lachend. Sebastian fühlte sich während der Fahrt nach Montparnasse ungemütlich, aber die beiden beachteten ihn überhaupt nicht und erzählten sich Begegnungen und Ereignisse aus ihrer Jugendzeit und konnten sich vor Lachen kaum halten, während sie über Bekannte und Freunde herzogen. Sie kannten eine Menge wichtiger Leute mit großen Namen. Sie fuhren am Louvre vorbei, durch die Rue de Rivoli über den Place de la Concorde, wo die Fontänen wie silberne Säulen in der Nacht standen, und über die Brücke auf das linke Seineufer. Schon bald waren sie in Montparnasse, wo das Fuego dem Café Rotonde und dem Coupole gegenüberlag. Es war eine Kellerbar. Durch einen dunklen Schlauch ging es in einen Raum, dessen Wände mit spanischen Fahnen und roten Tüchern dekoriert war. Die Sitzgelegenheiten bestanden aus mit Stierhäuten überzogenen Bierfässern. Auf der Bühne neben der Bar zeigte eine Gruppe von Mädchen in prächtigen roten, grünen und blauen Kleidern, wie man in Andalusien Flamenco tanzt. Der Sänger stieß Schreie wie ein Muezzin aus.

Als die Tanzfläche für die Gäste freigegeben wurde, nahm Dieter von Staufenfels die Baroness wie selbstverständlich an der Hand, und beide stampften im Rhythmus des Flamenco auf den Boden. Man sah, dass sie sich prächtig amüsierten. Aschinger hatte für die Damen Champagner und für sich, den Grafen und Sebastian Whisky bestellt.

Wenn er so weitertrinkt, ist er bald hinüber, dachte Sebastian besorgt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es zur Katastrophe kommen würde. Da Fritz Aschinger keine Anstalten machte, die Gräfin von Battenberg auf die Tanzfläche zu führen, und selbstquälerisch die beiden jungen Leute verfolgte, forderte er die Gräfin von Battenberg auf, als ein langsames Stück gespielt wurde. Er sah nun, dass Sieglinde von Weinberg ihren Kopf auf die Schulter des jungen Grafen gelegt hatte. Wie musste dies Aschinger kränken, der sich mit ihr an diesem Abend hatte verloben wollen! Die Gräfin von Battenberg verfolgte das Pärchen mit ähnlichen Blicken wie Aschinger.

»Es ist ungehörig, wie die sich an Dieters Hals schmeißt!«, zischte sie böse.

»Sie kennen sich eben seit Kindertagen«, versuchte Sebastian sie zu beschwichtigen.

»Sie benimmt sich wie ein Flittchen. Nun ja, was kann man schon von einer Jüdin erwarten … Der Adelstitel ist nur gekauft. Es war ein Fehler von unserem Kaiser, so viele Parvenus, nur weil sie Geld hatten, in den Adelsstand zu erheben. Das Blut lässt sich nicht verleugnen.«

»Sie sind doch nur junge Leute, die fröhlich sind.«

»Sie hat es auf Dieter abgesehen.«

Da nun ein weiterer Flamenco folgte und Sebastian sich nicht blamieren wollte, führte er nach einer Entschuldigung die Gräfin an den Tisch zurück. Besorgt sah er, dass Aschinger sich mittlerweile die halbe Flasche Whisky einverleibt hatte. Sein Blick war unstet, und er drehte das Glas so krampfhaft mit den Händen, als könne er sich nur mühsam dazu zwingen, sich nicht auf Staufenfels zu stürzen.

Als dieser und die Baroness endlich außer Atem und lachend zurückkamen, sagte Fritz Aschinger: »Sagen Sie mal, Herr von Staufenfels, was für einen Skandal wollen Sie eigentlich anzetteln?« Seine Augen waren blutunterlaufen, und die Zigarre hatte Flecke auf seinem Smokinghemd hinterlassen. Er nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas und starrte den Graf herausfordernd an.

»Wie soll ich das verstehen? Was für einen Skandal?«

»Sie poussieren mit meiner zukünftigen Frau!«

»Was soll der Unfug, Fritz? Wir sind weder verlobt noch einander versprochen. Du bist betrunken!«, fuhr Sieglinde von Weinberg dazwischen.

»Also, mein Lieber, ich finde auch, dass du Herrn Aschingers Begleiterin etwas mehr respektieren solltest!«, stand die Gräfin von Battenberg Aschinger bei.

»Was haben wir denn getan? Wir haben doch nur getanzt!«, wehrte sich der Graf. »Schließlich sind wir hierhergekommen, um uns zu amüsieren.«

»Dieter und ich sind gute Freunde. Und du hast keinen Anspruch auf mich, und schon gar nicht lasse ich mir von dir vorschreiben, mit wem ich tanze!«, rief die Baroness erregt Aschinger zu.

»Sie haben mir den ganzen Abend verdorben«, grollte Aschinger.

»Ein kleines Gräflein mit einer Raubritterburg, der noch die Eierschalen hinter den Ohren hat.«

»Raubritterburg!«, entfuhr es dem Grafen, und er sprang auf, bereit, die Ehre der Ahnen und den Stolz des deutschen Adels zu verteidigen. »Wir sind Reichsritter seit dem fünfzehnten Jahrhundert – und wer sind Sie? Ein Besitzer von Gaststätten, den Raubtiermethoden zum ersten Kneipier Berlins gemacht haben. Ich kann auch austeilen!«

»Nun hört auf!«, schrie die Baroness und hielt sich die Ohren zu.

»Ich kann das nicht mehr hören!«

»Kneipier? Sie wissen nicht, mit wem Sie reden! Jedes meiner Hotels ist mehr wert als Ihr Steinhaufen am Rhein. Ich brauche keine Ahnenreihe, um zu wissen, dass ich mich nicht zwischen zwei Menschen drängen darf, die vorhaben, sich zu verloben. Jawohl, Sieglinde und ich lieben uns!«

»Das tun wir nicht! Hör auf!«, kreischte die Baroness.

Das war für Aschinger, für seinen benebelten Kopf und seine Wut zu viel, zu sehr brannte der Verlobungsring in seiner Jackentasche.

»Du degenerierter Abkömmling eines Raubritters!«, brüllte er und stand auf, holte aus und schlug nach dem Grafen.

Wenn er getroffen hätte, wäre der Kampf anders ausgegangen. Aber er bewegte nur die verräucherte Luft. Der Graf schlug seinerseits zurück und traf Fritz Aschinger am Kinn, worauf dieser vom Bierfass fiel und über den Boden rutschte. Mühsam rappelte er sich auf und stürzte sich auf den Grafen. Dieser gab ihm einen Schlag gegen die Schläfe, und Aschinger fiel wie ein Sack zusammen, knallte auf den Tisch, rollte gegen die Wand und blieb liegen.

»Wie peinlich!«, zischte die Gräfin von Battenberg. »Das kommt davon, wenn man sich mit solch einem Volk einlässt!«

Sebastian kümmerte sich um Aschinger und tätschelte seine Wange. »Herr Aschinger, so wachen Sie doch auf! Wie geht es Ihnen?«

»Ich gehe auf der Stelle. Kommst du mit?«, kreischte die Baroness. Staufenfels sah einen Augenblick unsicher zur Battenberg hinüber, und deren Augen wurden immer größer. »Nimm ein Taxi!«, sagte der Graf zu ihr und warf Geld auf den Tisch, nahm die Hand der Baroness und lief mit ihr hinaus.

»Du kannst mich doch hier nicht … Das ist doch unmöglich!«, rief ihm die Battenberg hinterher. »Was für eine Schande, incroyable

Sebastian half Aschinger, der endlich wieder die Augen offen hatte, hoch. Mit müden Bewegungen klopfte er sich den Smoking ab.

»Schon gut, Johnny, es ist alles in Ordnung«, murmelte er und schien wieder nüchtern geworden zu sein. Er winkte den Kellner heran und gab ihm mehr Geld, als die Zeche betrug, und entschuldigte sich für den Wirbel, den er verursacht hatte. Der zigeunerhafte Kellner sagte, dass doch nichts passiert sei, und machte eine tiefe Verbeugung. Für ein solch üppiges Trinkgeld, mochte er denken, konnte sich Aschinger hier jeden Abend verprügeln lassen.

»Wir fahren Sie nach Hause«, sagte Aschinger zur Gräfin.

Von seiner Trunkenheit war nichts mehr zu spüren. Seine Augen waren zwar noch blutunterlaufen, blickten aber klar, und seine Bewegungen waren nicht mehr unsicher. Die Gräfin nickte kurz, und sie gingen hinaus. Von Sieglinde von Weinberg und dem Grafen war nichts mehr zu sehen. Sie nahmen eines der Taxis vor dem Coupole und brachten die Gräfin ins Grand Hotel an der Opéra.

Als die Battenberg ausstieg, sagte Aschinger: »Es tut mir leid, dass der Abend so einen Ausgang genommen hat.«

»Vielleicht war er für uns beide eine heilsame Erfahrung«, erwiderte sie.

Als sie schließlich vor dem Ritz anlangten, bezahlte Aschinger das Taxi. Sie stiegen aus und atmeten die kühle Luft ein.

»Wir hätten das Ritz nie verlassen sollen. Hier hätte ich ein Heimspiel gehabt, dann wäre alles anders gekommen.«

Sebastian korrigierte ihn nicht. Er wusste nur zu gut, dass der Baroness der Zwischenfall gelegen gekommen war, um dem drohenden Antrag zu entgehen.

»Gehen wir hinein und trinken noch einen Absacker an der Bar!« Sie gingen den langen Flur mit den Vitrinen entlang, in denen Schmuck, Uhren und Nippes angeboten wurden. Sebastian staunte, wie nüchtern Aschinger jetzt wirkte, als hätte er nicht viele Gläser Champagner, Wein und Whisky getrunken. Die Bar war zu dieser Stunde fast leer. Sie setzten sich an den Tresen, und Aschinger bestellte zweimal Tomatensaft mit Gin.

»Sie wird wiederkommen und sich entschuldigen«, sagte er nach einer Weile. »Du glaubst doch auch, dass sie wiederkommen wird? Sie hat nur zu viel getrunken. Vielleicht hat sie Angst vor der Verlobung bekommen? Ja, das wird es gewesen sein. Für so ein junges Mädchen ist das natürlich ein Wendepunkt im Leben, und da ist sie in Panik geraten und hat Unsinn gesagt. Das glaubst du doch auch, Johnny?«

Er glaubte es nicht. Er war sich sogar sicher, dass es vorbei war. Aber er nickte. Fritz Aschinger tat ihm leid, denn der hatte nicht begriffen, dass er sich an ein Mädchen hängen wollte, deren Leben aus einer Perlenkette von Leichtsinn, Übermut und Lebenslust bestand, und die sich ihm hingab, ohne darin eine Verpflichtung zu sehen.

»Sie wird wiederkommen«, wiederholte Aschinger. »Sie hat ja noch ihre Kleider in meiner Suite. Ganz bestimmt.«

»Ganz bestimmt«, murmelte Sebastian.

»Morgen wird alles wieder in Ordnung kommen«, brummte Aschinger, trank das Glas leer und bestellte zwei Whisky.

»Wir sollten jetzt nach oben gehen. Es war ein anstrengender Tag für uns«, mahnte Sebastian vorsichtig.

Aschingers Augen wurden wieder verschwommen und seine Bewegungen fahriger. »Du musst das verstehen, Johnny. Ich habe mir bisher wenig aus Frauen gemacht. O ja, ganz Berlin will mir seine Töchter andrehen! Die meisten waren dumme Gänse, die nur auf mein Geld aus waren. Aber die Sieglinde, die ist frisch wie eine Morgenbrise, sie ist so lebendig. Sie lässt mich ein ganz anderer Mensch sein. Was würde Teichmann lachen, wenn er von dem heutigen Abend erfährt! Du darfst ihm nichts davon sagen, Johnny, hörst du? Kein Wort zu Teichmann!«

»Selbstverständlich, Herr Aschinger, von mir erfährt er kein Wort.«

»Teichmann hat kein Blut in den Adern. Und wenn, dann ist es das kalte Blut eines Fisches. Aber er ist ein brauchbarer Mann. Ohne ihn wäre ich aufgeschmissen. Wir beide, Johnny, sind keine kalten Fische, wir sind Träumer. Wir beide lieben Balzac und Zola und die ganzen ollen Franzosen, nicht wahr?« Er legte Sebastian den Arm um die Schulter und stammelte weiter: »Ich werde die Sieglinde bekommen. Trotz allem. Und du, mein lieber Johnny, wirst unser Trauzeuge sein, und wir werden eine Hochzeitsfeier haben, von der ganz Berlin sprechen wird. Ich sollte abnehmen, hat Sieglindchen gesagt. Das werde ich tun, und ich werde so schlank werden wie dieser Staufenfels. Es kommen harte Zeiten auf meinen Magen zu.«

Das trunkene Gerede ging noch lange weiter. Schließlich waren sie die Einzigen in der Bar. Endlich hatte Sebastian Aschinger überzeugt, dass es Zeit war, zu Bett zu gehen. Er musste ihn stützen, damit sie die Bar verlassen konnten. Im Fahrstuhl fiel Aschinger immer mehr zusammen, und letztendlich musste ihn Sebastian zu der großen Suite schleifen, ihn aufs Bett legen und ausziehen.

»Sie wird zurückkommen!«, murmelte Aschinger noch, bevor er zu schnarchen anfing.

Sebastian nickte seufzend, fuhr dann mit dem Fahrstuhl hinunter und ging aus der Halle auf den Place Vendôme. Er war zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Die Laternen brannten noch rund um den Platz, aber die Statue des Napoleon war nur noch ein Schatten. Jetzt im Halbdunkel war der Platz noch schöner, weil keine Automobile mehr vorbeikamen und er leer und geheimnisvoll vor ihm lag.

»Eine schöne Nacht, nicht wahr?«, sagte jemand hinter ihm mit englischem Akzent.

Er drehte sich überrascht um. Er erinnerte sich, der Mann hatte, bevor sie ins Fuego gingen, in der Ritzbar neben ihnen gesessen. Er war in seinem Alter, trug einen gepflegten Schnurrbart und hatte ein breites Gesicht mit roten Haaren. »Ja, in der Tat, für eine Herbstnacht ist es erstaunlich mild. Sie sind Engländer?«

»Ja, ich komme aus Kent. Ich bin Viscount Burnberry, meine Freunde nennen mich Jack.« Er reichte Sebastian die Hand.

Dieser stellte sich ebenfalls vor und fügte hinzu, dass er der Sekretär des Fritz Aschinger sei.

»Der Aschinger aus Berlin?«

»Ja, genau der. Sie haben von ihm gehört?«

»Aber ja! Wer kennt nicht den Namen? Ist es der kleine, dicke Kerl mit diesem viel zu jungen schönen Mädchen?«

»Ja. Leider ist sie nicht nur schön, sondern auch sehr kapriziös.«

»Ja, das sind schöne Frauen meistens. Sie scheinen sehr tüchtig zu sein, wenn Sie in Ihrem Alter bereits Sekretär eines so berühmten Mannes sind.«

»Vor kurzem war ich noch ein Bauernjunge, der nicht wusste, was er mit seinem Leben anfangen sollte.«

»Erstaunlich! Das spricht für Sie. Schade, dass ich den Aschinger nicht persönlich kennengelernt habe. Wie soll man auch darauf kommen, dass der kleine, dicke Deutsche neben einem in der Ritzbar der große Aschinger ist! Wir haben auch ein Hotel in London. Es ist zwar nicht das Ritz, aber es hat eine gute Lage, gegenüber dem St. James’s Park. Es war früher einmal das Stadthaus der Burnberrys, in den guten alten Zeiten. Mein Vater, der Earl, muss ganz schön knapsen, damit wir heute über die Runden kommen.«

»Aber das Ritz in Paris können Sie sich noch leisten!«, erwiderte Sebastian lachend.

»Ja, dafür reicht es noch«, stimmte der Viscount lachend zu. »Aber über kurz oder lang werde ich reich heiraten müssen – oder meine Pferde gewinnen in Newmarket oder Ascot.«

»Sie züchten Pferde?«

»Was soll ein Gentleman sonst tun? Wir leben nicht mehr in den Zeiten der guten Queen Victoria. Selbst eine Karriere in der Army ist heute kaum noch erstrebenswert, dafür gibt es zu wenig Kriege.«

»Gott sei Dank! Nach dem Weltkrieg sollte man sich Krieg in Europa nicht mehr wünschen.«

»Euer Hitler scheint da wohl anderer Meinung zu sein. Eine Zigarette?« Er hielt Sebastian ein silbernes Zigarettenetui hin.

Sebastian schüttelte den Kopf. »Das Laster habe ich mir noch nicht angewöhnt.«

»Sehr löblich! Ich komme ohne die Glimmstängel nicht mehr aus.« Er zündete sich die Zigarette an und stieß den Rauch aus.

»Wieso können Sie so gut Deutsch?«

»Meine Mutter ist Deutsche, eine von Schulenfeld. Wir haben einige Güter in Mecklenburg, und ich bin wenigstens einmal im Jahr in Deutschland. Wir können uns ruhig duzen. Ich heiße Jack.«

Burnberry reichte ihm die Hand. Sebastian schüttelte sie erfreut, stellte sich vor und sagte: »Melde dich, wenn du mal in Berlin bist! Ich zeige dir das schöne Spree-Athen.«

»Mach ich, Sebastian! Und du meldest dich, solltest du mal in England sein.«

Als sie sich trennten, hatte er das Gefühl, einen Freund gewonnen zu haben. So geht es also auch, dachte Sebastian. Jack war der Sohn eines Earls und hatte keine Bedenken, mit ihm Freundschaft zu schließen. Er sah noch einmal zu dem Kaiser hoch, der seine Marschälle auch nicht nach der Ahnenreihe, sondern nach Verdienst gewählt hatte. Wenn Aschinger aufwachte, würde er sich der Tatsache stellen müssen, dass er sein Waterloo hinter sich hatte.

Der große Aschinger

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