Читать книгу Der Picassomörder. Huntinger und das Geheimnis des Bösen - Heinz-Joachim Simon - Страница 8

2. In der Haut des Minotaurus.

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Er war mit sich zufrieden. Es war ganz leicht gewesen und vor allem besser als in den anderen Fällen. Die dumme Kuh hatte sich gewehrt. Das hatte den Spaß erhöht. Er stellte sich vor, was in ihr vorgegangen sein mochte. Er kicherte. Am Morgen hatten sie noch einmal miteinander geschlafen. Er hatte es ihr tüchtig besorgt. Sie war glücklich gewesen. Wie geil sie gequietscht hatte. Und später war sie nicht einmal überrascht gewesen, als er den Wunsch äußerte, ihn mit den Picassos einen Augenblick allein zu lassen. Er wolle einmal, ein einziges Mal in seinem Leben einen dieser wunderbaren Picassos in den Händen halten, hatte er ihr gesagt. Die Schickse hatte ihm geglaubt, die Wächter nach unten zum Frühstück geschickt und die Alarmanlage ausgeschaltet.

„Da hast du einen Saal von Picassos ganz für dich allein“, hatte sie gesagt, stolz darauf, ihm dies zu ermöglichen. Als er ihr dann die Waffe in den Bauch stieß, hatte sie kräftig gefurzt und ihn angesehen, wie sie ihn immer beim Orgasmus angesehen hatte, dann hatte sie geflüstert: „Warum? Warum nur? Ich tue doch, was du …“ Sie hatte noch die Kraft gehabt auf ihn einzuschlagen, und er hatte ihr das spitze Ding noch stärker in den Leib gedrückt. Dann war es vorbei gewesen. Und nun war das Bild in seinem Besitz, und er saß im Zug und wartete darauf, dass dieser endlich den Bahnhof verließ. Zufrieden klopfte er auf die Aktentasche neben sich.

Er, der sich zu Ehren des Meisters selbst Minotaurus nannte, lehnte sich glücklich zurück und schloss die Augen. Dies war nun schon das dritte Original, das er von Picasso hatte. Schade, dass er nicht genug Zeit gehabt hatte, um noch mehr Bilder mitzunehmen. Aber eines Tages würde er alle Bilder der Minotaurusserie besitzen. Eine Unmutsfalte erschien auf seiner Stirn. Er dachte an zu Hause und was ihn dort erwarten würde. Niemand von ihnen wusste, wer er wirklich war. Sie kannten ihn nicht.

Oh ja, sie würden ihn fürchten. Alle würden ihn fürchten. Die Museumsdirektoren, die Mäzene, die Professoren, die ganze Kunstbande. Versager waren sie alle. Durchschnitt. Und diese Kretins hatten ihn durch die Aufnahmeprüfung fallen lassen, hatten nicht erkannt, dass er, genauso wie der Meister, eine Welt erschaffen konnte. Zu ungelenk, ‚Architekturzeichnerei‘ hatten sie ihm bescheinigt. ‚Versuchen Sie es mit einem anderen Studium‘, hatten sie ihm empfohlen. Ihn, den Minotaurus, hatten sie abgewiesen. Er ballte unwillkürlich die Hände. Dann öffnete er die Augen und sah aus dem Fenster. Der Zug hatte die Stadt verlassen. Die Landschaft draußen flog vorbei. Wald. Immer nur Wald. Er hasste den Wald. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Sein Atem ging heftiger. Was hatte er alles ertragen müssen. Den Hohn des Vaters, die mitleidigen Blicke der ganzen Familie.

„Nicht einmal zur brotlosen Kunst taugst du! Nun kannst du dich aufs Geschäft konzentrieren“, hatte der Vater gefordert.

Doch am schlimmsten war der Alte gewesen, der Großvater. Verächtlich hatte er abgewunken und ‚Versager!‘ geraunzt.

Er versuchte an etwas anderes zu denken. An die Frauen, über die er sich gebeugt hatte, über die er hergefallen war wie der Minotaurus. Macht hatte er über sie gehabt. Sie hatten vor Lust geschrien. Ja, das war schon besser. Es tat gut daran zu denken. Er war der Minotaurus. Er klopfte zärtlich auf die Aktentasche. Das war der Beweis. Er bekam eine Erektion. Er hätte jetzt liebend gern gewichst. Aber im Abteil saßen noch drei andere Fahrgäste. Spießer! Ein ältliches Ehepaar und ein distinguiert aussehender, dunkel gekleideter Mann, der den Börsenteil der FAZ las. Offensichtlich ein Geschäftsmann.

Wenn die drei wüssten, mit wem sie reisten. Wenn die wüssten, was er am Morgen getan hatte, was er schon zweimal zuvor getan hatte … und niemand war auf ihn gekommen. Jetzt hatte er einen Steifen, und sie wussten es nicht. Würden es nie erfahren.

Er musste dreimal umsteigen, ehe er zu Hause war; eine Kleinstadt mit einem schönen, rot angestrichenen Rathaus im Renaissancestil. Man lebte vom Tourismus. Deutsche Kleinstadtidylle. Man grüßte sich achtungsvoll. Aber sie wussten nicht, wen sie grüßten. Wenn sie das wüssten, dachte er lustvoll.

Er betrat das rosafarbene Haus gegenüber dem Bräustüberl. Ging durch die große Wohnhalle in den Salon. Die Familie war beim Abendessen.

„Schön, dass du uns wieder mal die Ehre gibst“, sagte der Vater.

„Wie war die Ausstellung?“, fragte die Mutter.

„Ganz ausgezeichnet“, sagte er und setzte sich an den Tisch. „Die Ausstellung zeigt das ganze Spektrum der Kunst des Picasso.“

„Hast du wieder mit entarteter Kunst deine Zeit verplempert?“, grollte der Großvater und dann, zum Vater gewandt: „Er sollte zur Bundeswehr gehen. Ist zwar eine lahme Truppe und nicht zu vergleichen mit uns von der Waffen-SS, aber immerhin: Militär bleibt Militär. Vielleicht machen sie einen Mann aus ihm.“

Er musste an sich halten, um nicht herauszulachen. Er war mehr Mann als sie alle zusammen. Nun ja, einst war der Großvater ein deutscher Held gewesen. Aber nun war er alt und ein wenig senil. Wie seinen unendlichen Tiraden zu entnehmen war, hatte er unter SS-General Hermann Fegelein irgendwo im Osten Juden in die Pribjet-Sümpfe gejagt. Bis zum Schluss hatte Großväterchen gekämpft, selbst als die Generäle bereits kapituliert hatten. Der alte Geißbock konnte nicht wissen, dass er, der Minotaurus, vom gleichen Schlag war.

„Er hat mehr Dresche bekommen als ich, und es hat nichts genützt“, klagte der Vater. „Er verlässt sich darauf, dass er erbt.“

Er kannte dies zur Genüge. Manchmal hatte er den Eindruck, dass ihn der Vater hasste.

„So sind die Jungen. Verweichlicht, faul und ohne Courage. Früher haben wir in den Führerschulen aus Bengeln Männer gemacht!“, hetzte der Alte.

„Du hast ihn zu sehr verwöhnt“, brummte der Vater und sah zu seiner Frau hinüber, die zweite bereits, die sich immer noch so kleidete, als sei sie knapp über zwanzig. Mit ihrer schlanken Figur und dem langen blonden Haar konnte sie, von hinten gesehen, immer noch Männer auf dumme Gedanken bringen. In ihrem faltenlosen Gesicht spannte sich die Haut und gab ihr ein maskenhaftes Aussehen. Sie lächelte selten. Der Chirurg war gut und teuer gewesen, aber nicht so gut, die Zeit aufhalten zu können.

„Ach, Schatz, was du immer hast“, hauchte sie und verdrehte die Augen. „Kannst du den Jungen nicht in Ruhe lassen. Auf den Internaten ging es lange nicht so lax zu, wie du immer glaubst. Ich weiß dies schließlich ganz genau. Du hast den Jungen ja nie besucht.“

„Unfug!“, donnerte der Großvater und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Der Führer hat einmal gesagt, dass die Lehrer alle nichts taugen. Nur eine strenge Zucht, wie bei den Spartanern, bringt eine Jugend hervor, die für unser Volk Ehre einlegt. Strenge, Zucht, Disziplin, jawoll. Was man liebt, das züchtigt man. Es hat meinem Jungen nicht geschadet, dass ich ihm mit der neunschwänzigen Katze das Fell gegerbt habe.“

Der Vater nickte selbstgefällig und grinste: „Jawoll. Mit einer neunschwänzigen Peitsche hat er mich verdroschen. Ohne Zucht wächst kein gerader Halm. Und auf den Napolas, den Führerschulen, haben sich die Lehrer auch keinen Zwang angetan. Es wurde jeden Tag tüchtig geprügelt.“

„Ihr kennt nur ein Thema, Gewalt und Prügel, und nennt das Zucht und Ordnung“, wehrte er sich, der nun bereits drei Picassobilder in seinen Besitz gebracht hatte.

„Der Junge hat recht“, stellte sich die Stiefmutter auf seine Seite. „Können wir nicht einmal über etwas anderes reden?“

„Eure Brut ist verweichlicht“, keuchte der Großvater. „Verkorkst. Verdorben. Als Deutschland kapituliert hatte und der Führer nach heroischem Kampf auf den Stufen der Reichskanzlei gefallen war, habe ich noch mit meinen Kameraden am Gendarmenmarkt gekämpft. Wir waren Männer.“

„Jawohl, Herr Sturmbannführer“, sagte der Vater missmutig. „Wir wissen um deine Meriten im Kampf um Berlin.“

„Auf den Stufen der Reichskanzlei, das ist doch Blödsinn“, warf der ein, der sich als Minotaurus fühlte. „Wir wissen doch alle, dass er sich feige selbst umgebracht hat.“

Wenn ihr wüsstet, dachte er lustvoll.

„Siegerpropaganda!“, geiferte der Alte. „Lügen! Und so etwas wird in diesem Hause nachgeplappert.“

„Es wird Zeit, dass die Herumgammelei ein Ende hat“, schrie der Vater und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Lange sehe ich mir das nicht mehr an. Spätestens in vier Wochen will ich wissen, was du aus deinem Leben machen willst. Du wirst in der Firma mit einem Praktikum beginnen.“

„Ich werde mir erst einmal eine Auszeit nehmen“, trotzte er, den stolz erhobenen Kopf des Minotaurus’ vor Augen. Nur fort. Weg von hier, dachte er.

„Auszeit?“, krächzte der Großvater. „Was’n das?“

„Ich gehe nach Frankreich und verbessere mein Französisch. Wenigstens ein halbes Jahr.“

„Ja, verplempere deine Zeit. In deinem Alter war ich schon in Dachau und habe dort für Ordnung gesorgt. Dann hat mich Fegelein geholt. Das war ein Kerl. Schneidig. Die Frauen sind dem nur so hinterhergelaufen. Übrigens wurde er später sogar Hitlers Schwager.“

„Ich habe gelesen, dass Hitler ihn wegen Fahnenflucht erschießen ließ“, widersetzte er sich dem Großvater. „So doll kann es mit deinem Fegelein nicht gewesen sein.“

„Lügen!“, kreischte der Alte. Der Speichel lief ihm über das Kinn. „Alles Lügen! Bestimmt war es eine Intrige von dem hinterhältigen Bormann. Die Amis haben unsere Jugend verdorben. Das Volk bekam eine Gehirnwäsche und aus den Deutschen wurden Jammerlappen. Genusssüchtige Weicheier. Aus einem Soldatenvolk wurden Krämer. Überall sieht man heute Schieber, Türken, Neger und Itaker auf den Straßen. Und die Kinder drängeln sich in diesen amerikanischen McDonald’s-Läden und fressen schwammige Boulettenbrötchen.“

„… und trinken Coca Cola“, warf die Mutter mit unbewegtem Gesicht ein. Es blieb unklar, ob sie zustimmte oder dies ironisch meinte. Manchmal bekam sie kurze Anfälle von Widerspruchsgeist.

„Die Zeiten haben sich geändert“, versuchte der Vater den Alten zu beruhigen. „Auch wir machen Geschäfte mit den Amerikanern. Gute Geschäfte.“

„Es ist enervierend“, klagte die Mutter. „Großvater redet nur über die glorreichen Zeiten und du, mein Lieber, mäkelst dauernd an dem Jungen herum und hast nur deine Geschäfte im Sinn. Tag für Tag böse Worte. Ich kann den Jungen verstehen, dass er eine Auszeit haben will. Ich könnte auch eine Auszeit gebrauchen.“

„Kommt nicht infrage! Du bleibst hier. Auszeit? Wenn ich so etwas Schlappes schon höre. Niemand nimmt hier eine Auszeit.“

„Egal, was du denkst. Ich gehe nach Frankreich“, erwiderte er, der sich als Minotaurus fühlte, und sprang auf, warf die Serviette auf den Tisch und ging in sein Zimmer.

Dort öffnete er die Aktentasche, nahm die herrliche Zeichnung heraus, betrachtete sie lustvoll und heftete sie mit Stecknadeln an die Wand, an der zahlreiche Bilder aus der Minotaurusserie hingen. Von der wassergefleckten Tapete war kaum etwas zu sehen. Er hatte es durchgesetzt, dass in seinem Reich nicht neu tapeziert wurde. Alles sollte beim Alten bleiben. Deswegen hing auch noch das Modellflugzeug, der Doppeldecker des ‚Roten Barons‘, über seinem Schreibtisch. Das war ein Kerl, dachte er. Pour le Mérite-Träger. Bis auf drei Bilder waren alles nur Drucke. Im Hause erkannte niemand, dass hier auch Originale hingen, die Hunderttausende wert sein mochten. Vater hatte sein Reich seit Jahren nicht mehr betreten. Damals hatte er über das Plakat an der Tür gewettert, das er aus Spanien mitgebracht hatte und einen Stierkampf mit El Cordobes ankündigte. Nie hatte er ihm etwas recht machen können. Zufrieden sah er die Bilder an. Eines Tages würden alle Bilder Originale sein. Er ging zu dem schweren Schreibtisch, den ihm der Großvater vererbt hatte, und setzte sich, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah auf die beiden gekreuzten Stierkampfdegen und die rote Capa über seinem Bett. Auch darüber hatte der Vater damals geschimpft. „Tierquälerei“, hatte er geschrien. „Ein Deutscher liebt die Tiere.“

Er dachte an Frankreich. Es war ein spontaner Einfall gewesen, aber auch jetzt fand er ihn noch gut. Er würde dorthin gehen, wo der große Meister gelebt hatte. Wollte weg aus dem muffigen Kaff, aus der Enge, vor allem weg von Vaters Schikanen. Er war ein Künstler. Eines Tages würde er wieder malen. Dazu brauchte er kein Studium. Dem Vater würde gar nichts anderes übrig bleiben, als ihn zu unterstützen. Er würde eine kleine Gemäldegalerie in München aufmachen. Ja, das würde es sein. So eine, wie sie die Elisabeth hatte. Sie war die zweite gewesen, für die er zum Minotaurus geworden war. Von ihr hatte er die wunderbare Zeichnung, auf der der Minotaurus die Frau überwältigt. Vor dem Konzentrationslager hatte er Elisabeth umgebracht. Warum wollte sie sich auch unbedingt am frühen Morgen ein Konzentrationslager ansehen? Er hatte sie gegenüber dem Tor auf einem mit Buschwerk bewachsenen Hügel gefickt und ihr danach das spitze Ding in den Bauch gestoßen. Genauso wie der blöden Kuh in Berlin. Wie dumm doch die Weiber waren. Alle fielen auf ihn herein. Ja, das mit der Galerie war eine gute Idee. Geld genug hatte der Vater ja. Mehr Geld, als sie je würden ausgeben können. Sollte der Alte ruhig meckern.

Sein Blick fiel auf das Bild, auf dem der Minotaurus von einem blinden Mädchen geführt wurde. Ein billiger Druck. Plötzlich gefiel ihm die Zeichnung nicht mehr. Der Minotaurus sah so hilflos aus. Er sprang auf, nahm das Blatt ab, zerknüllte es und warf es in den Papierkorb. Niemals durfte ein Minotaurus Schwäche zeigen. Zufrieden betrachtete er einen anderen Druck: Der Minotaurus bei einem nackten Weib, so selbstsicher und kraftvoll. Er fühlte, dass ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Er musste an die frische Luft. Als er die Treppe hinuntergegangen war, traf er in der Halle auf den Vater.

„Was ist? Wo willst du jetzt noch hin? Es ist zehn Uhr.“

„Ich will noch frische Luft schnappen.“

„Kommt gar nicht infrage, dass du dich um diese Uhrzeit noch herumtreibst. Du bleibst hier! Bist gerade erst nach Hause gekommen und willst schon wieder losziehen? Wahrscheinlich wieder in die City-Bar.

„Ich bin volljährig und kann tun und lassen, was ich will“, sagte er, fühlte die Wut des Minotaurus’ in sich hochsteigen. Er wollte weitergehen, doch der Vater hielt ihn fest.

„Du bleibst hier. Bist du taub? Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, tust du, was ich sage.“

„Lass mich los, sonst …“

„Was sonst? Du gehorchst, du Nichtsnutz!“, schrie der Vater, und der Schlag ließ ihn taumeln.

„Hör auf! Ich warne dich.“

Der Vater packte ihn am Kragen und schlug auf ihn ein. Wieder und wieder.

„Du bleibst hier! Du gehorchst … mir!“, wiederholte er bei jedem neuen Schlag. Ein Boxhieb traf seine Nase, und der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen.

Er holte aus und traf den Vater am Kinn. Dieser ging zu Boden und rutschte über die Marmorfliesen. Fassungslos starrte er den Sohn an.

„Du hast die Hand gegen deinen Vater erhoben? Du hast den geschlagen, dem du das Leben verdankst?“, heulte er.

Der Großvater kam herbeigehumpelt, alarmiert durch den Lärm, und schwenkte seinen silberknaufigen Spazierstock.

„Den Vater geschlagen“, schrie der Großvater und fuchtelte mit dem Stock. „Sodom und Gomorrha. Das kommt dabei heraus, wenn die Kinder keine Zucht kennen, wenn sie nicht in Furcht vor dem Vater aufwachsen.“

Nun stürzte auch die Stiefmutter herbei. „Was ist geschehen?“

„Er hat mich geschlagen“, sagte der Vater und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Sohn.

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“, keifte die Frau. „Nun hör aber auf mit dem jüdischen Gejammer“, wies der Großvater sie zurecht. „Was der braucht, ist eine harte Hand.“

Der Großvater hob seinen Stock und schlug auf ihn ein. Es tat nicht so weh wie früher. Der Alte hatte keine Kraft mehr. Es schmerzte nur, dass er so behandelt wurde.

„Ihr werdet eines Tages noch vor mir zittern!“, brüllte er wütend, entriss dem Großvater den Stock und warf ihn in die Ecke. „Eines Tages werdet ihr … vor mir zittern!“, wiederholte er kalt und ging hinaus.

„Brauchst gar nicht mehr zurückkommen!“, schrie ihm der Vater hinterher.

Vor der Tür atmete er aus. Dann ging er zu den Garagen und stieg in seinen Porsche, den er als Belohnung für den Abiturabschluss bekommen hatte. Einen Porsche Boxster. Er hätte lieber einen 911er gehabt. Alter Geizhals, schimpfte er auf den Vater und startete den Motor. Als er vor der City-Bar hielt, blieb er einen Augenblick im Wagen sitzen. Was für eine Heimkehr. Aber diesmal hatte er sich nicht alles gefallen lassen. Das mit dem „Nicht wieder zurückkommen“ nahm er nicht ernst. Die Alten würden sich schon wieder beruhigen. Die Hand schmerzte ihn noch von dem Schlag gegen den Vater.

Er stieg aus und ging zur Tür, über der die schadhafte Leuchtreklame in gleichmäßigem Takt aus- und anging und den Namen verkündete. Rotes Licht empfing ihn. Ein Mädchen quälte sich nackt an einer Stange. Silvia, die Schnepfe. Er kannte alle Mädchen hier, hatte sie besprungen, wie er zu sich sagte. Die Bar war fast leer. Nur ein einziger Gast saß an der Theke und starrte in sein Whiskyglas. Elvira, die Bardame, strahlte ihn an.

„Wieder einmal im Lande? Bist weg gewesen?“

Er schwang sich auf den Hocker und bestellte einen Chivas. „Aber einen doppelten.“

„Haste Ärger gehabt?“

„Hör auf! Die Alten haben mal wieder verrückt gespielt.“

„Ich sage immer, man sollte die Alten ab einem gewissen Alter …“

„Hast ja recht.“

Nun erkannte er den anderen Gast. Sie waren in der gleichen Abiturklasse gewesen. Aber er suchte nicht dessen Gesellschaft. Die Familien mochten sich nicht. Schon seit Jahrzehnten stritten sich die Familien, wer in der Stadt das Sagen hatte. Der ehemalige Klassenkamerad sah hoch und nickte ihm zu. Auch er schien keine Lust zu haben, mit ihm zu sprechen. Er legte Geld auf den Tisch und ging grußlos hinaus.

„Eingebildeter Fatzke!“, knurrte er ihm hinterher.

„Aber er ist großzügig“, sagte Elvira, eine große Blondine mit schulterlangem Haar und einem fröhlichen Gesicht. Er kannte sie eigentlich nur guter Laune. Sie tanzte zwar nicht auf der Bühne, war aber kein Kind von Traurigkeit. Wenn man mit Geld nachhalf, machte sie alles mit. Er hatte schon einige Male mit ihr geschlafen, und er wusste, dass sie ihn mochte.

„Darf ich auch was trinken?“, fragte sie direkt. „Champagner?“, schob sie nach.

„Nimm dir gleich eine große Flasche, du gibst ja sonst keine Ruhe.“ „Ich muss schließlich Umsatz machen“, entschuldigte sie sich, griff zum Kühlschrank und holte die Flasche heraus, öffnete sie geschickt und wollte zwei Gläser vollgießen.

„Für mich nicht. Ich bleibe beim Whisky.“

„Ist auch nicht für dich. Ich dachte, dass wir Helga dazu bitten. Sie sitzt dort hinten so einsam. Heute ist aber auch nichts los.“

Er nickte und überlegte, warum er noch nie bei ihr den Minotaurus hatte spielen wollen. Es ging ihm, stellte er fest, vor allem um die Bilder. Er war kein gewöhnlicher Mörder. Elvira winkte dem anderen Mädchen zu. Lasziv die Hüften schwenkend, kam sie heran und setzte sich zu ihnen an die Bar.

„Schön, dich einmal wiederzusehen. Warst lange weg.“

Dabei war er erst vor einer Woche hier gewesen. Er hatte bereits mehrmals mit ihr geschlafen. Schlimm, wenn die Huren zu alten Bekannten wurden.

„War in Berlin“, antwortete er einsilbig.

„Warste auch im Borchardt, wo die ganzen Promis immer rumhängen?“

Sie war eine hübsche Brünette mit fleischigen Armen und einem tonnenschweren Schlafzimmerblick.

„War ich“, gestand er.

„Noch bevor du reinkamst, wusste ich, dass der Abend gerettet ist“, hauchte Helga und drückte sich an ihn.

„Kannste hellsehen?“

„Der Motor. Ich höre jeden Porsche heraus.“

„Ist nur ein Scheißboxster“, sagte er unzufrieden.

„Immerhin. Es ist ein Porsche.“

„Ein Sozialporsche. Mein alter Herr war der Meinung, dass es Gerede gibt, wenn er mir zum Abschluss einen richtigen Porsche schenkt. Von wegen Sozialneid und so.“

„Ich hätte auch gern einen Vater, der mir einen Boxster schenkt. Aber meiner lebt von Hartz IV, und das wenige, das er hat, versäuft er noch.“

Genussvoll tranken die Mädchen den Champagner.

„Ist ein Taittinger“, erläuterte Elvira. „Was ordentliches, und nicht die Himbeerbrause, die wir sonst den Kerlen andrehen. Was machen wir mit dem angebrochenen Abend? Ich könnte Marianne bitten, dass sie die Bar übernimmt, und wir könnten es uns im Separee gemütlich machen.“

Er war unschlüssig. Er wusste, was ihn bei Elvira erwartete. Sie merkte sein Zögern und gurrte weiter.

„Wir nehmen noch eine Flasche Champagner mit und für dich den Chivas, und ab geht die Post. Zu dritt können wir eine Menge Spaß haben.“

Ein Dreier? Das war etwas anderes. Daran hätte auch der Minotaurus seinen Spaß gehabt.

Er nickte. Daraufhin gingen sie durch einen dunklen Flur und dann eine Treppe hoch in das kleine Separee, das er nur zu gut kannte. Das Mobiliar bestand aus einem herzförmigen Bett, einem rot bezogenen Sessel und einem kleinen Tisch. Elvira stellte den Sektkübel ab, goss die Gläser wieder voll und reichte ihm das Glas Chivas.

„Auf einen netten Abend“, hauchte sie und griff hinter sich. Ihr Kleid fiel ab. Auch Helga entblätterte sich schnell und zog ihn auf das Bett. Er mochte ihre Fülligkeit. Sie nahm sein Glied in die Hand, er dachte an den Minotaurus, wie er sich über die Weiber stürzte, und bekam einen Steifen.

„Er steht dir prächtig“, sagte Elvira.

Die beiden Frauen hantierten nun voller Eifer an seinem Glied. Er rollte sich zu Elvira hinüber und drang in sie ein.

„Du bist stark wie ein Stier!“, hauchte sie.

Das gab den Ausschlag. Jawohl, er war der Minotaurus, der Stiermensch.

„Sei mein Stier!“, stöhnte Elvira und schrie geil.

Er dachte nicht darüber nach, ob dies vorgetäuscht war, sondern starrte zu Helga hinüber, die sich mit der Rechten selbst befriedigte und mit der anderen Hand in Elviras Hintern stocherte. Er sah nun rot gefärbte Täler und Berge vor sich. Blutiger Schnee. Jawohl, er war der Minotaurus, und sie hier waren seine Kühe. Seine Hand umklammerte Elviras Hals, bis diese anfing zu röcheln und zu schreien: „Was machst du? Lass mich los! So lass mich doch los!“

Er verkrallte sich in ihrem Hals, und sie strampelte mit den Beinen, sodass er aus ihr herausrutschte.

„Bist du verrückt geworden?“, schrie Elvira. Sie schlug auf ihn ein und traf seine empfindliche Nase. Er schlug zurück und Helga sprang ihn von hinten an, trommelte auf seinen Rücken.

„Mieses Schwein! Du mieses Schwein!“, kreischte sie.

Er riss beide zu Boden. Er war nicht verrückt. Er war der Stiermensch. Entschlossen wandte er sich Helga zu, zwang ihre Beine auseinander und drang in sie ein. Elvira trommelte nun auf seinen Rücken. Das ist eine Nacht, die dem Minotaurus gefallen hätte, dachte er und merkte nun, dass die Frau unter ihm feucht wurde. Scheint ihr zu gefallen, dachte er.

„Du Saumensch!“, kreischte Elvira.

Nein, er war kein Saumensch. Ein Tiermensch, das wohl, dachte er. Er war ihr Herr, und diese verdammten Nutten hatten zu parieren.

„Hör endlich auf! Du fickst sie ja noch zu Tode“, hörte er Elvira rufen. Die würde er sich auch gleich wieder vornehmen. Er zerrte an Helgas Brüsten, quetschte sie. Diese Üppigkeit, diese Fülle. Das war gut. Das würde er nun öfter machen. Schlagen, die Macht zeigen. Die beiden Weiber würden sich schon beruhigen, wenn er ihnen nachher einige Scheine zusteckte.

„Du bist ein Tier!“, hörte er Helga kreischen.

Ja. Das bin ich, dachte er. Ein Tiermensch. Vor mir werden sie noch alle zittern. Die Verwandlung hält an. Ich weiß jetzt, wer ich bin. Endlich. Und ich werde über sie kommen. Und man wird Angst vor mir haben.

Der Picassomörder. Huntinger und das Geheimnis des Bösen

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