Читать книгу Der Tote im Kanzleramt - Heinz-Joachim Simon - Страница 4
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Der Mörder einsam auf seinem Zimmer
Er wartete auf die Nachricht, wen er töten sollte. Er brauchte nicht nur den Namen, sondern auch den Ort, wo es passieren sollte, denn ihm war schon klar, dass es um eine wichtige Persönlichkeit ging. Niemand zahlt zwanzigtausend Euro Vorschuss, wenn es darum geht, einem bösartigen Nachbarn die Magnum an die Stirn zu drücken. Schon seit Tagen saß er in diesem Hotel in Kreuzberg und wartete auf den Anruf. Es machte ihm nichts aus, zu warten. Geduldig wie ein Judoka, der um sein Können weiß und die Geduld mitbringt, den entscheidenden Augenblick abzuwarten, konzentrierte er sich auf sich selbst.
Kirilow stand in seinem Pass, aber es war nicht sein richtiger Name und nicht einmal der erste falsche und ihm so gleichgültig wie alle vorangegangen Namen, den richtigen eingeschlossen. Man brauchte ihn hier, so wie man ihn bereits in Moskau, in Rom oder Paris gebraucht hatte, und das, was er dort an Arbeit abgeliefert hatte, galt in seinen Kreisen als professionell. Seine Person wurde mit der Russe umschrieben, Diktatoren nannten ihn so, Wirtschaftsbosse und korrupte Politiker. In Kreisen der Macht galt er als Meister des Todes. Es gab Regeln dabei. Seine eigenen.
Und jetzt war er hier, in einem Deutschland, in dem alles drunter und drüber ging, weil die Politiker es hoffnungslos vermasselt hatten, weil man seit Jahren nur noch Staatsschauspielerei betrieb und bella figura in den Primetalkshows ausreichten, um von den Medien gefeiert zu werden. Oh ja, das Wohlfühlvolk hatte die Politiker bekommen, die es wollte, und nun spitzte sich die Lage zu, die vertanen Jahre des Herumschusterns drohten nun das Land ins Chaos zu stürzen. Schlechte Zeiten waren gute Zeiten für ihn.
Seit drei Tagen wartete er nun in diesem elenden Zimmer mit den feuchten Wänden, auf denen sich die Tapeten bereits lösten. Und der Ausblick auf den tristen Hinterhof machte es auch nicht besser.
Von der Dusche her hörte er die Wassertropfen auf den Boden knallen, so gleichmäßig wie das Ticken einer Uhr. Er lag auf einem Bett, dessen Laken verdächtig genug aussahen und starrte an die Decke mit den braunen Wasserflecken und rauchte und wartete. Nicht nur sein Zimmer sah heruntergekommen aus, der Flur draußen und der Empfang unten ließen auch keine hoffnungsvollen Gedanken aufkommen.
Der dicke schmierige Kerl mit einer Fresse, die jedem gleich signalisierte, ihm ja keine Arbeit zu machen, hatte Kirilow den Empfangszettel zugeschoben und mit einem zufriedenen Grunzen die Vorauszahlung eingestrichen. Hier hatte niemand Kredit.
Der Dicke wusste, dass Kirilow nicht ganz koscher war, genauso wie man ihn auch nicht gerade als mustergültigen Bürger bezeichnen würde, aber andere Gäste wurden hier auch nicht erwartet. Man verstand sich in der Gleichgültigkeit untereinander, der einzigen Solidarität, die Outlaws untereinander pflegten.
Das Hotel lag in einer Gasse in Kreuzberg, in die man sich bereits am späten Nachmittag nur noch zu zweit und nachts nicht einmal mit Polizeibegleitung hineintraute. Eine Gegend, wo überwiegend Türkisch gesprochen wurde und sich halbwüchsige Knaben herumtrieben, die weder richtig Türkisch noch Deutsch konnten und das Wort Integration als etwas verstanden, was ihnen Milch und Honig versprach, weil die Bäuche ihrer Frauen eines Tages dafür sorgen würden, dass sie die Mehrheit im Land hatten.
Er hätte ohne Weiteres im Adlon oder Regent absteigen können, schließlich hatte man ihm genug Vorschuss gezahlt. Er würde noch einmal den gleichen Betrag bekommen, wenn man ihm das Opfer genannt und Hunderttausend auf die Kralle, wenn er die Sache hinter sich gebracht hatte. Das war sein Tarif. Aber er fühlte sich hier sicherer. Nicht, dass er Angst gehabt hätte, im Adlon zu logieren, denn Furcht war ihm fremd, aber er wusste, dass er dort auffallen würde, egal, wie dunkel sein Anzug war und wie intensiv sein Rasierwasser roch. Mit seiner Größe, seinem Gesicht hatte er überall eine Präsenz, die die Blicke auf sich zog. Zum anderen erinnerte ihn die Umgebung in Kreuzberg an Moskau, bevor Gorbatschow das Weltreich herschenkte für nichts als die Erkenntnis und Hoffnung, dass es so nicht weiter ging und ein anderer Weg zum Paradies führen musste.
Damals war er Hauptmann beim KGB gewesen. Später hatte man ihn sogar zum Oberst gemacht. Aber gelebt hatte er nicht viel besser als ein Muschik. Also hatte er umgesattelt. Bereut hatte er es nie. Zwölf Menschen hatte er bereits getötet. Der erste Auftrag war noch mit einem großen Erstaunen darüber verbunden gewesen, dass es so leicht war und er nichts dabei fühlte. Eine saubere, professionell durchgeführte Operation. Er hatte kein Mitleid gespürt, keine Gewissensbisse, weder bei diesem Geschäft noch bei den folgenden.
Kirilow erhob sich und ging ans Fenster, zog die schmutzige Gardine zur Seite und sah durch die mit toten Fliegen beschmutzte Scheibe hinunter auf den Hof. Ein paar Jungen spielten Fußball und träumten wohl davon, eines Tages bei Bayern München oder Hertha Karriere zu machen. Arme Idioten, dachte er und reckte sich und ging zu dem Koffer, der auf dem wackligen Schrank stand und hob ihn herunter und öffnete ihn. Das Klicken der Schlösser liebte er, genauso wie er das Klicken der Pistole liebte, wenn er sie durchlud. Kirilow liebte Präzision, und er liebte diesen teuren Koffer, den angenehmen Ledergeruch. Fast zärtlich strich er über die Außenwand, über die Messingschließen und öffnete ihn, schob die Hemden beiseite und nahm die Tokarev heraus. Er mochte es, wie sie in der Hand lag. Blauschwarzer Stahl, eine der zuverlässigsten Handfeuerwaffen, die er kannte, die ihre Bewährung in dem großen vaterländischen Krieg mehr als bestanden und damals die Hüfte jedes Offiziers geschmückt hatte. Er nahm sie jeden Tag auseinander und reinigte sie und setzte sie wieder zusammen. Es war wie ein Ritual, die golden glänzenden Patronen herauszunehmen und wieder in das Magazin zu drücken.
Er würde wie immer zwei Schüsse abfeuern. Darunter tat er es nicht. Sein erster Schuss galt dem Kopf, der zweite dem Herz. Kirilow hasste Pfusch und ging stets auf Nummer sicher, was seinen Ruf begründet hatte. Er machte keine Fehler. Fast andächtig legte er die Waffe in den Koffer zurück und ließ die Schlösser zuschnappen und schob den Koffer zurück auf den Schrank.
Er sah auf seine Breitling. Es war nach zwanzig Uhr. Heute würde er keinen Anruf mehr bekommen. Sie hatten verabredet, dass er jeden Tag von achtzehn bis zwanzig Uhr in diesem Hotel erreichbar war. Kirilow überlegte, ob er wie jeden Abend hinuntergehen und nebenan in der Kebab–Bude etwas essen sollte. Er mochte nicht den Geruch und die Typen, die dort herumhingen, die aber bei seinem Eintreten jedes Mal verstummten und ihn wie Hyänen belauerten.
Nein, er hatte keine Lust, jetzt runterzugehen und legte sich wieder aufs Bett. Er war es gewohnt, dem Hungergefühl nicht nachzugeben. Oft genug hatte es ihn in seiner Jugend in diesem elenden Nest bei Smolensk gequält. Als er noch nicht Offizier war, war der Hunger auch in der Armee sein täglicher Begleiter und verschwand erst, als er als Jahrgangsbester die Offiziersschule absolviert hatte. Anschließend hatte man ihn nach Dresden geschickt, wo er einen stillen, höflichen und unscheinbaren schmalen Kerl kennenlernte, der nun Russland regierte und sich dabei wie der Zar vorkam.
Er überlegte, ob er ins Kino gehen sollte. Er sah sich gern Hollywoodfilme mit Silvester Stallone, Charles Bronson oder Clint Eastwood an, obwohl er die Drehbuchschreiber alle für durchgeknallte Spinner hielt. Danach konnte er sich irgendein Flittchen greifen, aber er verwarf dies sofort. Wenn er einen Auftrag hatte, waren Frauen für ihn tabu, da er wusste, dass die Mädchen ihn niemals vergaßen. Nicht wegen seiner Liebenswürdigkeit oder Großzügigkeit oder weil er gar zu brutal zu ihnen gewesen war, sondern wegen seines Gesichts und seiner Körpergröße. Er wusste, dass dies sein Handicap war, vorzüglich geeignet für das Erstellen eines Phantombilds. Nein, er sprach nicht mit Huren, wenn er auf Jagd war. Auch sonst war er eher wortkarg, obwohl er sehr gut Deutsch als auch Englisch und Französisch sprechen konnte. Deswegen hatten sie ihn auch seinerzeit nach Deutschland geschickt. Er war schon damals vielseitig verwendbar. Doch nun arbeitete er auf eigene Rechnung. Es kam halt mehr dabei raus, wenn man in die eigene Kasse zahlte. Eines Tages, wenn er genug Geld zusammen hatte, wollte er ein Haus in der Nähe von Cannes oder Nizza kaufen, keine große Sache, aber mit freiem Blick auf einen weißen Strand, wo ein braun lackiertes Boot, eine Riva liegen würde. Noch ein paar Jahre, dann hatte er es geschafft. Wenn ihn nur nicht Amateure reinrissen. Ob in Deutschland oder Frankreich oder Italien, überall traf er auf Amateure. Seit das Reich des Bösen zusammengebrochen war, gab es im Westen einfach keine Profis mehr.
Amateure! Er dachte an das Treffen im Descartes, einer Cocktailbar am Gendarmenmarkt, in der sich dunkel gekleidete, gegelte Jünglinge trafen und das Geld ausgaben, das sie sich mit Devisengeschäften und Werbesprüchen ergaunert hatten. Allesamt eine Bande hedonistischer Bengel, aus denen in anderen Zeiten vielleicht etwas hätte werden können, die aber, gepampert aufgewachsen, keine Chance gehabt hatten und kein anderes Ziel kannten, als noch mehr Geld in die Hände zu bekommen, um teure Anzüge von Brioni oder Kiton spazieren zu führen, sich die Nase zuzukoksen und betrunken wilde Reden zu führen, um dann im Porsche reifenquietschend durch Berlin von Disco zu Disco zu jagen, wo immer die gleichen betrunkenen oder angekoksten Leute auf sie warteten. Alles lief auf Spaß hinaus. Das war in Moskau nicht anders als in Berlin.
Er war nicht zufällig ins Descartes gegangen. In Moskau hatte ihn jemand angerufen, den er aus der Zeit in Dresden kannte und der auch ein Oberst, aber von der anderen, gleichwohl befreundeten Fakultät gewesen war. Zuckermann war sein Verbindungsoffizier zur Staatssicherheit gewesen. Nun war er allerdings im Waffengeschäft tätig, wozu jedoch noch andere Geschäfte gehörten und nicht nur die Beschaffung von AK 47 für die Mörderbanden im Sudan oder Kongo.
Zuckermann hatte ihm dieses Geschäft mit der lachenden Aufforderung vermittelt, ihn nicht zu blamieren und sich zu revanchieren, wenn er eines Tages mit einer Bitte auf ihn zukäme. Wie sagten die Deutschen doch immer? Eine Hand wäscht die andere. Man würde ihn im Descartes ansprechen, wenn er an dem oder dem Tag dort sein würde. Er solle ein rotes Einstecktuch in der Brusttasche und die Uhr am rechten statt linken Handgelenk tragen. Was für Einfälle! Albern, schlimmer noch: amateurhaft! Aber wer die Kapelle bezahlte, bestimmte die Musik. Er wusste, dass er in diesem Schuppen auffiel. Er passte nicht zu den schmalhüftigen Jünglingen mit den Brillanten im Ohr und zu ihrem exaltierten Gehabe und ihrer scheinbaren Coolness. Er war einfach zu groß, um hier nicht aufzufallen, zu breitschultrig, und sein Gesicht war zu hart, zu bedrohlich. Selbst wenn er lachte, ähnelte er ein wenig den großen Boxchampions aus Russland, mit denen ein paar Runden mitzuhalten er sich durchaus zutraute. Doch Schlägereien waren nicht sein Ding. Er hatte sich immer aus Prügeleien rausgehalten, seit er einmal in seiner Jugend einen Kommilitonen halb totgeschlagen hatte und deswegen beinahe von der Akademie geflogen wäre. Nicht, dass er mit ihm Mitleid gehabt hatte – ihm würde auch jeder andere nicht leidtun, der es mit ihm aufnehmen wollte –, aber Prügeleien hatten nichts Endgültiges. Es war dann nie vorbei, selbst wenn der andere am Boden lag, außerdem hatte so etwas auch meist Publikum, und der Unterlegene konnte sich immer noch rächen und einen mit Gesetzen in Schwulitäten bringen.
Er hatte bisher nicht zugelassen, dass jemand über ihn reden konnte, und dies galt auch für die Zukunft. Er hielt sich für den Besten, und er wusste nur von einem Serben und einem Australier, die genau so gut wie er sein sollten. Man würde ja sehen, wer am längsten auf der Wildbahn blieb. Er hatte jedenfalls vor, seinen Job so lange zu machen, bis er sich das Haus an der Côte d’Azur leisten konnte. Er würde jedenfalls keine Spuren und keine Zeugen zurücklassen. Es gab von ihm keine Akte in Deutschland oder Frankreich oder gar Russland, wenn man einmal von der Akte absah, in der dokumentiert war, dass er als Oberst den KGB in Ehren verlassen hatte.
Er hatte das Descartes nur widerwillig akzeptiert, doch das Honorar war in Ordnung, und er wusste schließlich, was er zu tun hatte, wenn sich der Auftraggeber nicht als hasenrein erweisen sollte.
Kirilow starrte an die Decke, langte zum Nachttisch und steckte sich eine neue Marlboro Menthol an. Die Lampe an der Decke hatte nicht einmal einen Schirm. Die nackte Birne verbreitete ein hartes Licht.
Er ging noch einmal das Gespräch mit seinem Auftraggeber durch:
„Scheußliches Wetter“, hatte Winkelmann gesagt und sich neben ihn an die Bartheke gedrängt.
Ehe er weitersprechen konnte, hatte Kirilow die Hand gehoben und zu der Sitzgruppe in der Ecke der Bar gedeutet.
„Setzen wir uns dorthin!“
„Ja. Natürlich. Verstehe“, hatte Winkelmann gesagt, ein schmalbrüstiger Mann mit Nickelbrille, strengem Scheitel und dunklem Anzug; das eifrige, faltenlose Gesicht eines ältlichen Pennälers.
Sie setzten sich.
Winkelmann bestellte einen Martini Cocktail.
Kirilow entschied sich für einen Scotch.
„Zuckermann hat Sie informiert?“
Kirilow nickte grantig.
„Zur Sache!“
„Es geht um ein hohes Tier.“
„Versteht sich!“
„Ja. Ein wichtiger Mann, der sich zu wichtig nimmt, der das ganze System und unsere Demokratie in Gefahr bringt. Ein Catalina, ein gewissenloser Intrigant.“
„Wie weit oben?“, fragte Kirilow trocken, dem Catalina nichts sagte.
„Ziemlich weit oben.“
„Ein Militär?“
„Nein. Ein bekannter Politiker.“
„Ein Minister?“
„Nein. Aber wichtiger als ein Minister.“
„Schön. Wie heißt er? Wie kommt man an ihn heran?“
„Wir werden Sie beizeiten informieren. Hier ist die erste Anzahlung.“
Er schob einen Umschlag über den Tisch. Kirilow behielt die Umgebung im Blick, als er ihn einsteckte.
„Wollen Sie nicht nachzählen?“
„Warum? Sie wissen, dass man mich nicht bescheißen kann!“
Winkelmann wurde bleich und rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her.
„Man sagte mir, dass Sie absolut zuverlässig sind.“
„Wer sagte Ihnen das?“ fragte Kirilow scharf und war jetzt so wachsam, als hätte neben ihm eine Alarmglocke geläutet.
„Das tut nichts zur Sache!“, sagte Winkelmann schnell, den Kirilow insgeheim bereits Winkelmännchen getauft hatte.
„Tut es aber. Ich muss wissen, wer alles Bescheid weiß.“
„Einer vom Begleitschutz, der früher für einen Herrn Zuckermann gearbeitet hat, den ich allerdings nicht kenne.“
So also ist das Geschäft zustande gekommen. Winkelmännchen hatte den Kerl vom Begleitschutz gefragt und der hatte sich an Zuckermann gewandt. So war er ins Spiel gekommen. Es hatte ihm zwar einen saftigen Auftrag eingebracht, aber es gab bereits zu viele Leute, die davon wussten. Nicht, dass er Zuckermann für nicht vertrauenswürdig hielt, aber er kannte diesen Kerl vom Begleitschutz nicht.
„Wie heißt der Mann? Wo wohnt er?“, fragte er barsch.
„Keine Sorge. Er ist mit mir verwandt. Ein Cousin. Absolut vertrauenswürdig“, erwiderte Winkelmann schnell.
„Wie heißt er?“, wiederholte Kirilow hartnäckig.
„Werner Fleming. Wohnt in Steglitz draußen“, stotterte Winkelmann. „Wie gesagt, ein … ein absolut zuverlässiger Mann.“
„Na schön. Lassen wir das. Und was macht Ihnen Sorgen? Warum rücken Sie nicht gleich mit dem Namen raus, der ausgeschaltet werden soll?“
„Weil noch nicht feststeht, wie weit er gehen wird. Vielleicht ist es gar nicht notwendig, dass Sie ihn … Deswegen müssen wir noch warten.“
Kirilow schüttelte den Kopf. Es lief nicht gut. Bisher hatte er immer gleich gewusst, um wen es ging.
„Ich bin nicht extra aus Moskau gekommen, um dann … wieder abgeschaltet zu werden.“
„Keine Sorge! Sie bekommen auch dann Ihr Geld“, sagte Winkelmann schnell.
„Warten verteuert das Ganze. Es erhöht mein Risiko. Ich muss einen Zuschlag von fünfundzwanzig Prozent verlangen, wenn ich noch länger als zwei Tage warten muss.“
„Sie bekommen doch Geld genug.“
„Nicht, wenn sich das Risiko erhöht.“
„Gut. Ich gebe das weiter.“
Ich habe es gewusst, Winkelmännchen ist nicht der Drahtzieher, sondern nur der Mittelsmann. Die Hose war für seinen Arsch zu groß.
Er zündete sich eine weitere Marlboro Menthol an und behielt das Lokal im Auge. Doch niemand beobachtete sie.
„Das nächste Mal treffen wir uns woanders.“
„Warum? Was ist am Descartes auszusetzen? Hier im Halbdunkel fallen wir doch nicht auf. Oder ist Ihnen ein russisches Lokal lieber?“
„Nein. Wie wäre es mit dem Einstein auf den Linden?“, entgegnete Kirilow.
Er hatte nicht vor, sich dort mit Winkelmann zu treffen. Es war ein Versuchsballon. Er wollte wissen, wie wichtig sich Winkelmännchen nahm. Er hatte gelesen, dass sich im Einstein die Führer der Parteien, Minister und manchmal sogar der Kanzler mit seiner Entourage aufhielten. Sollte Winkelmann etwas mit der Regierung zu tun haben, wäre er schön blöd, sich dort mit ihm zu treffen. Seine Vermutung wurde auch gleich bestätigt.
„Nein, das geht nicht. Dort könnte man mich erkennen. Wie wäre es mit dem Bistro in der Mercedesniederlassung auf dem Kurfürstendamm?“
Kirilow nickte. Er würde dieses Bistro schon finden. Er hatte also recht gehabt. Winkelmännchen gehörte, wenn auch im zweiten Glied, zur Regierungsmannschaft. In diesen Höhen zu arbeiten war immer gefährlich. Eine Businessgeschichte, das Ausschalten eines Rivalen wäre ihm lieber gewesen. Also musste er sehr vorsichtig sein. Es würde von ihm verlangen, dass er Kollateralschäden einplante und möglichst alle Mitwisser ausschaltete. Politische Geschichten ganz oben brachten stets eine Menge Aufregung, und irgendein findiger Journalist würde versuchen, ihn aufzuspüren. Er durfte keine Zeugen zulassen.
„Wer steckt nun wirklich dahinter?“
„Was meinen Sie?“
„Wer ist der Auftraggeber?“
„Ich. Von mir bekommen Sie den Auftrag und das Geld.“
„Reden Sie keinen Stuss! Ich will wissen, für wen ich die Drecksarbeit mache.“
„Sie müssen sich schon mit mir begnügen“, sagte Winkelmann steif.
„Kennt Ihr Chef meinen Namen? Was weiß er von mir und von Zuckermann?“
„Er weiß nichts davon!“, verriet sich Winkelmann und biss sich auf die Lippen.
Nicht einmal das kann er für sich behalten, sagte sich Kirilow. Wenn wir ihn beim KGB in die Mangel genommen hätten, wäre er nach wenigen Minuten zum Singvogel geworden.
„Er will nichts mit dem Operativen zu tun haben“, rückte Winkelmann nun, da er schon einmal angefangen hatte zu reden, mit weiteren Informationen heraus.
Er leerte hastig sein Glas. Anschließend verabredeten sie, dass er jeden Tag zwischen achtzehn und zwanzig Uhr erreichbar sein würde. Winkelmann verabschiedete sich sichtlich erleichtert.
Anschließend war er zur U–Bahnstation Friedrichstraße gegangen und hatte von einer Telefonzelle Zuckermann angerufen.
„Es wird zu viel gequatscht!“, herrschte er den Oberst a.D. der Staatssicherheit an.
„Was ist los, Towarischtsch?“
„Noch nichts. Wer ist dieser verdammte Fleming, dem du meinen Namen gegeben hast?“
„Ein guter Junge. War bei mir einmal im Begleitschutz. Hast du ein Problem mit ihm?“
„Könnte sein. Die Sache ist politisch.“
„Dachte ich mir. Fleming ist beim Kanzlerbegleitschutz gelandet. Wie gesagt, er ist in Ordnung. Kein Quatschkopf. Du kannst ganz beruhigt sein.“
„Ist sonst irgendwo mein Name gefallen?“
„Ich bin doch kein Amateur. Natürlich nicht. Fleming wusste deinen Namen aus der Zeit, als du für mich die Sache mit dem Libanesen gedeichselt hast. Er fragte mich, ob ich dich bei einer wichtigen Sache für den richtigen Mann halte und ob ich dich informieren könne. So lief die Sache. Also mehr als deinen jetzigen Namen und dass du der absolute Profi bist, weiß er nicht.“
„Ich befürchte, dass dieses Geschäft mächtig viel Staub aufwirbeln wird. Die Journaille wird heiß laufen. Und dieser Winkelmann, der das Ganze abwickelt, ist ein Greenhorn.“
„Verstehe. Nein, der Fleming wird nicht quatschen, selbst wenn man ihn in die Mangel nimmt.“
„Kommt darauf an, wer ihn unter Druck setzt. Würde es dich stören, wenn er …?“
„Nein. Würde es nicht. Schalt ihn aus, wenn du es für richtig hältst. Ich bin weder verwandt noch verschwägert mit ihm.“
„Roger. Mach’s gut!“
Das war gestern gewesen, und nun wartete er auf das nächste Treffen, doch vorher wollte er sich den Fleming genauer ansehen und das tun, was notwendig war. Zum Teufel damit, dass dieser nicht quatschen würde. Wenn der Mann, auf den es Winkelmännchen abgesehen hatte, ganz weit oben stand, würde eine Bande der schärfsten Bullen hinter ihm her sein, und sie würden bald auf Fleming stoßen. Er war nicht gewillt, sich auf dessen Widerstandskraft zu verlassen. Es gab Methoden, die jeden zum Reden brachten.
Unzufrieden drückte er die Zigarette aus und verließ das Zimmer. Die Tokarev ließ er im Koffer. Er benutzte sie nur bei den wirklich wichtigen Sachen. Doch er war nicht waffenlos. Am Fußgelenk trug er in einem kleinen Holster eine Smith & Wesson, einen kurzläufigen, giftig aussehenden Revolver, der auf kurze Entfernungen gleichwohl seinen Zweck erfüllte.
Er ging zur nächsten S–Bahnstation. Wie er es gelernt hatte, sah er niemanden direkt an. Als wäre er ein Traumwandler, ging er in die Unterführung und fuhr bis Bahnhof Zoo, stieg dort um und landete kurze Zeit später in Steglitz. Er ging zu der Straße - die genaue Adresse hatte er von der Auskunft erfahren – und fand bald an einem langen Häuserblock an der Klingel Flemings Namen. Er wohnte im zweiten Stock. Aber es brannte kein Licht. Kirilow ging auf die andere Straßenseite zu einer typischen Berliner Eckkneipe und setzte sich an einen blank gescheuerten Tisch am Fenster, von dem er einen guten Blick auf die andere Straßenseite hatte. Der Wirt, ein schnauzbärtiger Glatzkopf, stellte seine Bestellung, ein frisch gezapftes Bier, mit scheuem Blick vor ihn auf den Tisch. Kirilow wusste, dass seine Gestalt, sein massiger Körper und sein Gesicht als bedrohlich empfunden wurden und hatte sich daran gewöhnen müssen, dass etwas von ihm ausging, das die anderen einschüchterte, ohne auch freilich nur zu vermuten, wer er wirklich war. Doch wenn ihm mal jemand krumm kam, reichte es meist, dass er aufstand und den anderen musterte und ihn mit seinen kalten grauen Augen fixierte, die, wie ihm einmal seine Frau gesagt hatte, an einen Wolf erinnerten. Er war einmal verheiratet gewesen, aber sie hatte es nicht lange mit ihm ausgehalten und ihn verlassen. Seitdem begnügte er sich damit, Huren ins Bett zu holen. Sie machten keine Probleme. Huren stellten keine Fragen.
Die restlichen Gäste in der Kneipe hatten kurz aufgesehen und ihn verwundert gemustert, aber dann weiter über Hertha gefachsimpelt, ob die nun wieder aufsteigen und Bayern München oder Schalke den deutschen Meister stellen würden. Er lauschte dem trunkenen Streit über Fußball, der bald vom Schimpfen auf die Regierung abgelöst wurde. Man war sehr unzufrieden mit dem Kanzler.
„Alles sitzt er aus, wa? Mann, kriecht ne Masse Jeld und quatscht dauernd von der ruhigen Hand und dass man nich auf Panik machen soll, wa, weil sonst allet den Bach runtergeht. Jetzt ham wa schon über fünf Millionen Arbeitslose, und et werden imma mehr, fast stündlich kannsse sagen. Und nu quatschen se ooch noch davon, dass se, um den ganzen Schisselameng an Schulden loszuwerden, die Penunzen entwerten müssen, wa? Und Kanzler „Wie hätten Sie es gern“ quatscht dauernd von verantwortungsvollem Handeln und moderiert, wie man so sagt, und für uns kommt nüscht dabei raus. Man kann ja sajen, wat man will – mit dem Schröder wär det allet nich passiert, der hätte das janze Gequatsche mit eenem eenzigen Basta beendet und sein Ding durchgezogen. Der hat wenigstens noch jeführt, wa? Abba wat tut dieser feine Spross einer Reederdynastie? Er quasselt wat von der deutschen Hausfrau und hält den Geldbeutel uff für die, die die janze Scheiße anjerührt ham. Und seinen Kumpels von den Banken, wa, hat er Milliarden in den Hintern jeblasen. Ja, und die großen Unternehmen? Wat meenste? Mensch, denen pudert der noch die Eier, weeste! Mensch hör doch uff, die sind doch alle mit dem Klammerbeutel gepudert! Diesen Scheißwohlfühlkanzler mit seinem lauwarmen Jequatsche, den könnense von mir aus in der Natronlauge ertränken, weesse!“
Die mit hochrotem Kopf herausgebellte Volksrede hielt ein schmächtiger kleiner Mann mit faltenreichem Gesicht, der seine Worte mit Faustschlägen auf die Theke begleitete, empathisch unterstützt von seinen Kumpels.
„Jawoll, gib’s ihm!“
Ja, auch die tüchtigen Deutschen hatten nun ihre Sorgen, dachte Kirilow. Die erneute Banken– und Weltwirtschaftskrise hatte sie voll erwischt. Der Export war wieder rückläufig, und ein Ende der Krise, vielfach prophezeit, stellte sich nicht ein. Die Deutschen, die ohnehin zu Wehleidigkeit, Selbstmitleid und Schwermut neigten, waren Krisen nicht gewohnt. Da sind wir Russen schon anders. Wir kennen nichts anderes als Krisen. Wenn es uns endlich einmal über lange Zeit gut ginge, würden wir es wahrscheinlich nicht aushalten.
Gegenüber, in Flemings Wohnung, ging das Licht an. Er war also heimgekommen.
Kirilow legte das Geld für sein Bier auf den Tisch und ging, ohne jemanden anzusehen, hinaus und über die Straße. Es störte ihn nicht, dass es anfing zu regnen. Schlechtes Wetter war gut für sein Geschäft.