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1869, Prolog,

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Wien I, Innere Stadt, Alter Postplatz, (2005)

Der Alte Postplatz heißt so, wiewohl es in Wien keinen dazugehörigen neuen oder auch nur eigentlichen Postplatz gibt.

Er heißt so, weil sich im dort befindlichen ehemaligen Kloster der Augustiner-Chorfrauen St. Nicola, das unter Kaiser Joseph II aufgelöst worden war, eine gewisse Zeitlang die Wiener Hauptpost befunden hatte. Aus unerfindlichen Gründen hatte sich eben diese kurze und eher unbedeutende Periode im Namen des Platzes eingeprägt, der einer der ältesten der Stadt war und dessen jedes einzelne Gebäude darauf Grundmauern aus der Zeit der Babenberger aufwies.

Unter Heinrich Jasomirgott, dem ersten Herzog von Österreich aus der Familie der Babenberger, der schon als Markgraf die Residenz nach Wien verlegt hatte und seiner zweiten Gattin, der byzantinischen Kaisernichte Theodora Komnena, war das erste Kloster auf dem heutigen Platz entstanden, möglicherweise damals noch außerhalb der Mauern aus der Römerzeit gelegen. Jedenfalls spricht eine sehr frühe Urkunde, - bis heute in der Bibliothek von Klosterneuburg zu besichtigen -, von ursprünglich weitläufigen Gärten in der unmittelbaren Umgebung.

Die vielleicht seit den Tagen der Herzogin Theodora ohne Unterbrechung existente griechische Gemeinde in Wien behauptet gerne, - wenn auch unbewiesen- , an Stelle St. Nicolas habe sich im Ursprung ein byzantinisches, also griechisch-orthodoxes Kloster befunden, aber die Wiener Griechen behaupten auch, mit Theodora Komnena sei die erste Katze nach Wien gekommen, sowie so ureigene Bestandteile der Wiener Küche, wie der Striezel oder die Palatschinke.

Immerhin war die Klosterkirche dem Hl. Nikolaus geweiht, einem Heiligen kleinasiatischen Ursprungs und die eigentümliche Schreibweise „St. Nicola“ wies auf einen sehr alten Ursprung hin.

Die Platzmitte war leer, kein Brunnen, kein Denkmal, keine Grünfläche lenkte den Blick von den Fassaden der Bauwerke ab, deren verschiedene Eigentümer in stillschweigendem Einverständnis nur Sand-, Ocker-, Gelb- oder Weißtöne für die Außengestaltung verwendeten. Zur Zeit wurde er übrigens eben neu gepflastert, um dem Flickwerk der letzten Jahrhunderte endlich Herr zu werden.

Der Platz war auch nie sehr frequentiert, weder fand jemals ein Markt darauf statt, noch stand er mit den Hauptverkehrsstraßen in Verbindung. Alles in allem war es ein sehr stiller Ort, abgelegen, ein wenig verschlafen, wie die Piazza einer italienischen Kleinstadt während der Siesta. Im Norden endete die Falknergasse im Platz, südlich davon überquerte ihn die Herzoghofgasse und führte über den Platz zur Braunbastei und zur Franz-Josefs Kaserne, beides schmale, mittelalterliche Gassen, mit meist schmalen, mittelalterlichen Häusern, die spätere Generationen mit zeitgemäßeren Fassaden versehen hatten.

Jenes ehemalige Klostergebäude, mit seiner zurückhaltenden Renaissance-Fassade, nahm die gesamte Ostseite des fast quadratischen Platzes ein, reichte im Hintergrund des Platzes mit zwei Höfen zur Braunbastei und führte mit einem Torbogen sogar noch über die Herzoghofgasse hinweg zu den Bürgerhäusern an der Südseite, was dem ganzen Platz einen ausgesprochen intimen Charakter verlieh.

Jetzt, im Jahre 1869, nach wechselnder Verwendung, befand sich darin ein „Institut des Demoiselles“, eine Schule, in der „Töchter der höheren Stände“, wie es im hauseigenen Prospekt hieß, auf die Ehe und die Führung eines standesgemäßen Haushalts vorbereitet wurden, dabei aber auch ein Grundwissen jener Unterrichtsfächer vermittelt bekamen, wie sie die Söhne derselben höheren Stände ganz selbstverständlich im Gymnasium erhielten. Es war die modernste Mädchenschule Wiens, privat geführt und entsprechend exklusiv.

Im Erdgeschoss des Hauses logierten einige Geschäfte, für das Parterre einer Schule ein wenig unpassend. Zur Zeit waren es eine Buchhandlung, ein Goldschmied, eine Modistin und eine Drogerie. Das ganze Gebäude gehörte der Erzdiözese Wien, wie ja die meisten ehemaligen Wiener Klöster und dazugehörigen Grundstücke, alles an Gebäuden, Weingärten und Ackerflächen in den Vororten, nach deren Auflösung ganz allgemein an die Kirche gefallen waren.

Die Mietverträge der Geschäftslokale liefen jedoch aufgrund jahrhundertelang verbriefter und irgendwie nie veränderter Rechte über die Pfarre St. Nicola, daher ergab sich, dass der jeweilige Mieter des ganzen einstigen Klosterkomplexes keinen Einfluss auf die Vermietung jener vier Geschäftslokale zum Platz hin hatte.

Ein schmaler Trakt führte um die Ecke zur ehemaligen Klosterkirche und war als Pfarrhaus abgetrennt worden.

Die Kirche selbst, einer der schönsten Barockbauten Wiens, mit einer sehr gelungenen Trompe-l’œil Scheinkuppel, nahm die restliche Nordfront des Platzes ein und schloss den Platz ab, mit dem Beginn der Falknergasse, wo sich danach eben all jene mittelalterliche Häuser mit Renaissance- und Biedermeierfassaden aneinander reihten. Nach Auflösung des Klosters war St. Nicola nämlich eine etwas überdimensionierte Pfarrkirche geworden und bisher hatte noch jeder Pfarrer aufgrund der phänomenalen Akustik, der hohen Erhaltungskosten und der geringen Pfarreinnahmen dort zu Chören und Konzerten gebeten.

Die Wiener gingen gerne zu den Konzerten in St. Nicola, wo auch so mancher ausländischer Solist auftrat. Man war sich einig über die geniale Akustik ebenso, wie über die unglaubliche marmorne Kälte im Inneren der Kirche, die selbst im heißesten Sommer ungemütlich war, im Winter erst recht das Tragen von Pelzen und die Mitnahme von Plaids erforderte.

Aber das Wiener Kulturpublikum ist seit jeher hart im Nehmen und pilgert an die unmöglichsten Orte, wenn es etwas geboten bekommt.

An der Südseite des Platzes, an den Torbogen des Klosters anschließend, standen zwei eher schlichte Bürgerhäuser, deren Renaissancefassaden angesichts der Schmalheit der Bauten nicht über den mittelalterlichen Ursprung hinwegtäuschen konnten. Im Erdgeschoss des einen befand sich ein Fleischhauer, im anderen eine Bäckerei. Die sonstigen Wohnungen waren eng und dunkel, die Mieter eher bescheidener Herkunft.

Es waren Häuser, wie zu jener Zeit oft abgerissen wurden, um durch elegantere Neubauten mit großstädtischerem Flair ersetzt zu werden.

Gleich daneben fand man ein solches Beispiel. Bis in die Herzoghofgasse hinein reichend, die über den Platz hinweg führte, erhob sich die Baustelle für das neue Hotel „Zur Eisernen Krone“, das eines der besten Häuser in der Stadt werden sollte, wenn nicht das beste, wie diverse Annoncen kundtaten, welche jetzt schon die bekannte Table d’hôte ebenso anpriesen, etwas Neues namens„Business Lunch“ oder schlicht „Internationale Speisen a´la carte“. Weiters wurden Suiten mit eigenen Telephonanschlüssen angekündigt, ein hauseigenes Telegraphenamt, ein Ballsaal, sowie private Gesellschaftsräume.

Einen Gasthof „Zur Eisernen Krone“ hatte es bereits seit langer Zeit gegeben, nun hatten die neuen Besitzer, - im Ursprung gerüchteweise alteingesessene Weinhauer aus Grinzing -, das alte Haus und zwei Nachbarhäuser abgerissen, die Altmieter in ein neues Zinshaus in Ottakring abgesiedelt und damit begonnen, einen großartigen Hotelneubau hinzustellen, dessen neobarocke, etwas überladene Prachtfassade mit der vis-a-vis gelegenen Kirche zu konkurrieren gedachte, jedenfalls den veröffentlichten Plänen nach zu schließen, denn hinter dem Gerüst erkannte man noch nicht sehr viel.

Der Neubau war gegenüber der alten Baulinie jedenfalls ein wenig zurückgesetzt worden, so dass sich der Platz in die Herzoghofgasse erweitert hatte, wo erst nach dem Hotel die alten Häuser die Gasse wieder mittelalterlich verschmälerten.

Diese Erweiterung des Platzes und der Gasse brachte die bis dahin dort kaum beachtete Seitenfront vom Palais Arlington neuerdings besser zur Geltung, eines Barockbaus mit zurückhaltender Fassade, der die gesamte Westfront des Alten Postplatzes einnahm, mit einem kurzen Seitenflügel in die Falknergasse ragte und mit einem langen in die Herzoghofgasse.

Das Palais dominierte den ganzen Platz und sein unregelmäßiger Grundriss hatte sich daraus ergeben, dass jener Bau im Laufe der Zeit über einige mittelalterliche Häuser gewachsen war, die dem ursprünglich dort bestehenden Falknerhof oder Herzoghof benachbart gewesen waren. Die Zeitgenossen des Jahres 1869 vermochten sich kaum noch vorzustellen, dass jenes Jagdhaus der Babenberger Herzöge oder das erste Kloster St. Nicola sich zum Zeitpunkt seiner Erbauung vielleicht noch vor den Stadtmauern im freien Feld und selbst nach der ersten Stadterweiterung unter den Babenbergern immer noch eine Weile in recht unverbautem Gebiet befunden hatten.

Die Chronisten waren sich über die Jahrhunderte nicht und nicht einig geworden, den Platz nach St. Nicola zu benennen, oder eben Falknerplatz, oder Herzoghofplatz. Mit dem Einzug der Post ins ehemalige Kloster im Jahre 1783, war der Platz „Postplatz“ genannt worden, um früheren Verwirrungen Herr zu werden.

Mit der Übersiedlung der Post im Jahre 1851 in die frühere Bockgasse und nunmehrige Postgasse, - übrigens ebenfalls in ein ehemaliges Klostergebäude -, hatte der bisherige Postplatz seinen heutigen Namen „Alter Postplatz“ erhalten.

Es war also ein alter Platz mit einem reichlich neuen Namen. Die Erinnerung an die Falkner der Babenberger und deren ehemaliges Quartier, den Herzoghof, hielt sich immerhin noch in den beiden Nebengassen.

Das Anwesen des jetzigen Palais Arlington war als Stadthaus für Franz Stephan von Lothringen über dem alten Herzoghof damals neu adaptiert und prächtig ausgestaltet worden, der sich – am Hofe Maria Theresias ohne echte Aufgabe – immer wieder dorthin zurückgezogen hatte, um, - fernab vom Protokoll -, seinen wissenschaftlichen Leidenschaften zu frönen, dem Kartenspiel, welches seine Gattin gar nicht goutierte, sowie um seine Freunde aus Freimauerkreisen zu treffen und seine diversen Freundinnen.

Nach seinem Tod hatte die Witwe Maria Theresia das ihrerseits reichlich ungeliebte „Lothringerhaus“ einem ihrer Günstlinge zu einem äußerst wohlmeinenden Preis überlassen, dem Minister Arlington, den sie eben erst in den Grafenstand erhoben hatte. Die Arlingtons hatten England als treue Katholiken verlassen, so hieß es, ein Arlington hatte jedenfalls für die Habsburger im Dreißigjährigen Krieg gekämpft und war nach dem Tode Wallensteins mit den Gütern eines seiner Parteigänger, dem Schloss Jungwaldt der Barone de Brösau in Böhmen belohnt worden.

Anders als die Namen Gordon, Butler oder etwa Piccolomini, hatte der Name Arlington jedoch nicht mittels Schillers Wallenstein-Trilogie Einzug in die Literaturgeschichte gehalten.

Innerhalb der Wiener Gesellschaft war der Name Arlington jedoch ein fester Begriff geworden.

Das Palais am Alten Postplatz war der Familie schon immer groß gewesen, einen Teil hatte man bereits in früheren Tagen abgetrennt und der Familie Delanoix verkauft, aber in Wien war es darüber hinaus ohnehin Tradition, dass die Eigentümer und namensgebende Familien allgemein nur die Beletage bewohnten und den Rest ihrer Häuser vermieteten. Hier beschränkte man sich zusehends auf den Mitteltrakt.

Mit dem Balkon über dem Hauptportal, das von zwei Wandbrunnen flankiert wurde, den kolossalen Säulen, die von der Beletage über ein Mezzanin bis zum zweiten Stock reichten, worüber sich noch ein Halbgeschoss befand, wirkte es sehr elegant und beeindruckend, wiewohl es einige größere Häuser dieser Art in der Stadt gab.

Über allen drei Eingängen, am Platz und in den beiden Seitengassen, war das Wappen der Arlingtons angebracht worden, in Sandstein gehauen, jedoch im Gegensatz zur allgemein üblichen Wiener Tradition, bunt bemalt, ein silberner Greif auf blauem Grund, der eine goldene Harfe hielt.

Darunter befand sich der Wahlspruch, in griechischen Lettern, „’“, das heißt phonetisch übersetzt „namaste“ und bedeutet soviel, wie „Hier sind wir“.

Da die Arlingtons dem manischen Drang unterlagen, - wie sonst nur Neureiche -, allenthalben wo ihr Wappen anzubringen, klang es bei ihnen immer etwas besitzergreifend, eher wie „Das gehört uns“.

Vielleicht inspiriert durch den Hotelneubau, hatten sich die letzten zwei oder drei Jahre sowohl die Grafen Arlington, wie auch der amtierende Pfarrer und die Betreiber der Schule im ehemaligen Kloster dazu aufgerafft, wenigstens die Fassaden ihrer Anwesen aufzufrischen.

Man hatte in Wien mit der ersten Volkszählung zwar noch knapp die Millionengrenze verpasst, dennoch fühlte man ganz allgemein einen neuen Anfang.

Alles war so neu, alles glänzte.

Alter Postplatz

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