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Intro. Woran man mit mir war

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Bei Martin Heidegger fand ich einmal den Satz: »Das Leben ist diesig, es nebelt sich immer wieder ein.« Wie sehr der Satz stimmt, habe ich bei der Arbeit an diesem Buch gemerkt. Jede Autobiographie ist ein Versuch, den Nebel, der sich über die Vergangenheit gelegt hat, zu durchdringen. Aber Erinnerung stellt sich nicht auf Knopfdruck ein. Sie ist launisch und entzieht sich der Kontrolle. Oft verweigert sie sich, wenn man sie braucht, und liefert nur ein paar nichtssagende Stichworte, aus denen alles Leben verschwunden ist. Dann wiederum überfällt sie einen regelrecht und bringt längst Vergangenes in einer solchen Klarheit und Fülle zurück, dass man glaubt, es noch einmal zu erleben. Das kann beglückend sein, manchmal aber auch sehr schmerzhaft, wenn Verdrängtes, Versäumtes, Misslungenes plötzlich wieder gegenwärtig wird.

Ich habe nie Tagebuch geschrieben oder auf sonst eine Art Buch über mein Leben geführt. Auch in meinen Texten und Liedern habe ich selten von mir gesprochen. Anstatt meine Gefühle auszustellen, bin ich lieber in fremde Rollen geschlüpft. Ich bin abgebogen in Ausgedachtes, in Geschichten, die mir dann immer sehr viel wahrer und paradoxerweise auch persönlicher erschienen sind als alles, was mir selbst passiert ist. Ich wollte mein Privates in etwas Größeres verwandeln, in dem sich auch andere Menschen wiederfinden können.

Deshalb konnte ich mich auch lange Zeit nicht mit dem Gedanken anfreunden, eine Autobiographie zu verfassen. »Am schönsten wär, wenn niemand weiß, / woran man mit mir war«, heißt es in einem meiner Songs, und das gilt noch immer. Darin liegt nicht unbedingt ein Widerspruch. Dass es diese Autobiographie nun doch gibt, verdankt sich vor allem einer ganz bestimmten Hoffnung: dass sie sich lesen lässt wie eine Sammlung von Geschichten, vielleicht sogar wie ein Entwicklungsroman.

Jedes Erzählen setzt Auswahl voraus. Mir ging es beim Schreiben nicht um Vollständigkeit. Nicht um das ermüdende Abhaken möglichst vieler Namen, Orte und Daten aus fünfundsechzig Lebens- und vierzig Bühnenjahren. Sondern um die möglichst intensive Vergegenwärtigung bestimmter Abschnitte. Ich glaube, es liegt in der Natur der Sache, dass sich viele Geschichten in diesem Buch auf das erste Jahrzehnt meiner Karriere beziehen. Es war eben die für meinen Werdegang prägende Zeit. Alles war neu, alles geschah zum ersten Mal. Ich unterschrieb einen Plattenvertrag, wurde nicht Lehrer oder Dozent an der Uni und fand eine Band. Ich spielte vor Publikum, traf Kollegen, und man hieß mich mal freundlich, mal misstrauisch willkommen. Eine Reise hatte begonnen, von der ich nicht wusste, wie lange sie dauern und was ich auf ihr erleben würde. Erst als sich nach und nach der Erfolg einstellte, gerade noch rechtzeitig sogar der große, glaubte ich langsam an die Möglichkeit, mein weiteres Leben der Musik widmen zu können. Mein Werdegang war damit sicher nicht abgeschlossen, doch ich hatte den Platz in der Welt gefunden, an den ich bis heute gehöre. Ich war angekommen.

Vieles in diesem Buch liegt noch gar nicht so lange zurück, wirkt aber doch schon wie aus einer fernen Zeit, nicht nur, was das Musikgeschäft betrifft. Anderes, das Wichtigste, ist jedoch immer gleich geblieben: die Freude am Schreiben, Veröffentlichen und Auftreten. »Her life was saved by rock ’n’ roll«, hat Lou Reed gesungen. Das gilt auch für mein Leben. Nicht zuletzt davon erzählt dieses Buch. Geschrieben wurde es mit einem großen Gefühl der Dankbarkeit. Der Dank gebührt all den Menschen, die mir in den letzten vierzig Jahren ihre Zeit und ihre Liebe geschenkt haben – auf der Bühne, hinter der Bühne und nicht zuletzt vor der Bühne.

Werdegang

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