Читать книгу Partyinsel Ibiza - Helen Donlon - Страница 9

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„Sieh dir doch diesen Bes an … diese unanständige, ägyptische, an Pan erinnernde Figur mit ihrem Riesenschwanz. Er ist schon was Besonderes, denn er war sogar auf den römischen Münzen der Insel abgebildet. Mehr kann Ibiza nicht verlangen.“

Lenny Ibizarre

Die Nachtfähre aus Barcelona läuft bei Sonnenaufgang in den Hafen von Ibiza ein, so wie schon seit Jahrzehnten, und die ­Silhouette der Insel kündet in nebelverhangenen Wellen von den Abenteuern vieler Jahrhunderte. Schon am Hafen selbst gibt es genug Bars und Cafés, die selbstbewusst internationales Flair atmen, und ein paar Schritte weiter, auf der anderen Seite des Obelisken, der die Schiffe mit dem Spruch Ibiza a sus corsarios („Ibiza an seine Piraten“) begrüßt, wartet die ganze Fülle der Insel auf den Neuankömmling: uralte Grabstätten, eine befestigte Siedlung, riesige, kopflose, römische Statuen, eine lebendige, moderne Stadt und die verräterischen Zeichen legendärer Partys, vergangener wie noch bevorstehender.

Zwar lassen sich die Wurzeln der örtlichen Hippie-Szene bis zu den ersten Reisenden zurückverfolgen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eintrafen, aber es dauerte bis in die späten 1950er-Jahre, als die ersten Beatniks Ibiza erreichten, bis die internationale Bohème richtig Fuß fasste. Die Insel wurde zum Paradies für Lotusesser und zog mit seinen niedrigen Lebenshaltungskosten und den freundlichen, entgegenkommenden Einheimischen eine große Künstlergemeinde an, die sich teils aus der spanischen Gegenkultur speiste, aber vor allem Freigeister aus ganz Europa anzog. Am Hafen entstanden zahlreiche Bars, in Figueretes wuchs eine kleine holländische Enklave heran, und die Beatniks bekamen schließlich Gesellschaft von Hippies, Ausreißern, Eskapisten und Wehrdienstflüchtlingen, die nicht nach Vietnam gehen wollten.

Bob Dylan entdeckte Formentera für sich, und Joni Mitchell schrieb auf Ibiza einen Song für ihr Album Blue. Mit dem Jazz und dann mit den Beatles waren neue Musik und auch neue Drogen auf die Insel gekommen, und mit ihnen brach eine neue Ära des Hedonismus an, als sich erst die Freaks und dann die Hippies als die neue Avantgarde etablierten. Dank der peluts fand Ibiza einen Platz auf der internationalen Freak-Landkarte, und plötzlich kannte man die kleine Insel auch Tausende von Kilometern von ihrer Küste entfernt. Die nächtelangen Partys am Strand oder in den Fincas auf dem Lande wurden so beliebt, dass sich daraus schließlich die ersten Nachtclubs entwickelten. Die Anfänge von Pacha, Ku (dem späteren Privilege) und Amnesia waren stark geprägt vom Geist der Hippie-Szene – es waren Outdoor-Partys, die den späteren Charakter dieser Clubs formten.

Ibiza wurde zu einer wichtigen Station auf dem Hippie-Trail, der von Westeuropa über Istanbul, Teheran und Kabul bis nach Katmandu, Goa und Bangkok führte. Die Hippies reisten durch die Welt, entweder mit Bussen, mit dem Zug oder per Anhalter, und nahmen wenn nötig auch einmal eine Fähre; zwischendurch blieben sie immer wieder an Orten, in denen freakfreundliche Cafékulturen und entsprechende Gemeinschaften Möglichkeiten zum Unterschlupf boten. Den Trail gab es bis 1979, als die Revolution im Iran und der sowjetische Einmarsch in Afghanistan die Reisen in diese Gebiete unmöglich machten. Auf dem Weg von oder nach Osten machten viele „Trailers“ auf Ibiza Station und brachten alle möglichen Arten neuer Musik, Instrumente und Tanzrituale mit. Und große Mengen illegaler Drogen. Nach nur wenigen Jahren hatte es sich herumgesprochen, welch ein freies und von gesellschaftlichen Vorurteilen und Zwängen unbelastetes Leben man auf Ibiza führen konnte, und alle möglichen Außenseiter und Individualisten fanden sich auf der Insel ein, die auch für jene attraktiv wurde, die nicht ins Blitzlicht der Boulevardpresse geraten wollten.

Die Strandpartys wurden dank der Mitbringsel der durchreisenden Hippies nach und nach um immer neue Elemente ergänzt. Sitars und afrikanische Trommeln erfreuten sich großer Beliebtheit, aber auch westeuropäische Musikanlagen, die damals allerdings noch relativ primitiv ausfielen. Der Sonnenuntergang galt stets als wichtiger Augenblick, wenn die sanften Wellen des gezeitenfreien Mittelmeers unter den pastellfarbenen Wolkenstreifen am dämmrigen Himmel ihre Farbe veränderten und maßgeblich die Atmosphäre dieser Partys bestimmten. Die starke Wirkung dieses Naturschauspiels wurde zur Inspiration für die Chillout-Sessions.

Es fanden allerdings nicht alle Partys unter freiem Himmel statt. Oft traf man sich in einer Finca auf dem Land – etwas, das sich über die Jahrzehnte nicht geändert hat, auch heute noch finden die besten After-Partys abseits der Stadt an entlegenen Orten statt. Dabei kamen die unwahrscheinlichsten und faszinierendsten Menschen zusammen, denen lediglich gemeinsam war, dass sie ein Leben jenseits des durchgeplanten, spießigen, westlich geprägten Alltags führen wollten. Sie wussten, dass sie endlich einen Ort gefunden hatten, der nicht nur genau das ermöglichte, sondern der auch Gleichgesinnte magisch anzuziehen schien, die alle danach strebten, sich frei auszudrücken und hemmungslos zu feiern. In der inzwischen stark geschrumpften Hippie-Gemeinde Ibizas gibt es noch immer den Spruch: „Es ist egal, woher du kommst, es zählt nur, wie du drauf bist.“ Das traf auf die Partygänger damals mit Sicherheit zu.

Als die Hippies auf Ibiza eintrafen, fanden sie bereits eine lebendige, wenn auch kleine internationale Kolonie interessanter Künstler vor. Der Architekt Erwin Broner, der 1934 vor den Nazis nach Ibiza geflohen war, hatte dort die Avantgarde-Gruppe Ibiza ’59 gegründet, die bis 1964 bestand und zu der auch die deutschen Künstler Hans Laabs, Egon Neubauer und Erwin Bechtold zählten. Bechtolds markante Häuser verbanden den Stil der traditionellen ibizenkischen Fincas mit der Moderne. Sein Haus in Sa Penya, einem kopfsteingepflasterten Viertel, steht noch immer. Die Gruppe traf sich im El Corsario oder in der neu eröffneten Galerie von Ivan Spence im Dalt Vila.

Der exzentrische britische Autor und Fälscher William Donaldson alias Henry Root ließ sich auf der Insel nieder und gab sein ganzes Erbe für ein Glasbodenboot aus, dessen Zulassung allerdings schon abgelaufen war. Der frühere GI „Bad Hand“ Jack, der später wegen Mordes verhaftet wurde, begründete eine Jazz-Gemeinde auf Ibiza, indem er nicht nur seine Freunde auf die Insel lockte, sondern auch Musiker, die bereits in seinem Club in Barcelona aufgetreten waren. 1956 kam die Neuseeländerin Janet Frame nach Europa, als sie ein Stipendium gewonnen hatte. Auf Ibiza entdeckte sie für sich den Sex und verlor ihre Jungfräulichkeit mit 32 Jahren an einen amerikanischen Bohemien. Hedonistische Ideen, Musik und der Austausch mit Gleichgesinnten lockten immer mehr Menschen an, die nach Meditationsmöglichkeiten suchten, ihre sexuellen Neigungen offener ausleben wollten oder daran interessiert waren, mit einer aufstrebenden, jungen, europäischen Künstlerszene in Kontakt zu kommen. Als das Hafenviertel 1973 vor der Ankunft des spanischen Prinzen Juan Carlos von allen unliebsamen Elementen gesäubert wurde, stellte der spätere König dem Bürgermeister von Ibiza-Stadt die berühmte Frage: „Was haben Sie mit meinen Hippies gemacht?“ Aristoteles Onassis, Fürst Rainier und Fürstin Gracia Patrizia segelten nach Ibiza, weil die Hippie-Gemeinde dort Trends schuf, die sich über den ganzen Mittelmeerraum verbreiteten. Später bauten sich Niki Lauda, Ursula Andress und Roman Polanski auf der Insel Häuser und ließen sich von der jungen Szene inspirieren.

Allerdings war Ibiza auch zu einem Drehkreuz für den Drogenschmuggel geworden, und in der Szene tummelten sich Dealer und Diebe, Zuhälter und heruntergekommene Prostituierte – die Schattenseite der Beatnik-Welt. Mit den Augen des Pauschaltouristen betrachtet, wirkte Ibiza in den 1960ern und 1970ern recht abgewirtschaftet, trotz der charmanten Hippie-Note, und galt gewissermaßen als isla non grata, während die Nachbarinsel Mallorca gerade für den Tourismus aufpoliert wurde. Ibizas Tageszeitung Diario de Ibiza sprach im September 1963 von „diesen verkommenen und unmoralischen Leuten“, vom „Abschaum der Gesellschaft“, von Gammlern und Außenseitern und „dreckigen, unehrlichen, verachtenswerten Subjekten“.

Zu den Kennern der Insel und der Hippie-Szene zählt Monica Gerlach, eine gebürtige Holländerin, die schon lange auf Ibiza zu Hause ist. Sie wuchs in Angola auf, „in der Wildnis, völlig ungezähmt, wo ich halbnackt herumlaufen konnte“, und heiratete später den Briten Richard Brooke-Edwards, einen illegitimen Adelsspross und Schriftsteller, der jedoch wie viele Auswanderer auf Ibiza nicht zurechtkam. „Er konnte sich nicht einleben. Sie saßen alle in den Bars und tranken den ganzen Tag, erzählten Geschichten, spielten Backgammon und Schach. Er wurde Alkoholiker und starb recht jung.“ Aber trotz der ersten Drogenexperimente, die allmählich Einzug auf den Partys hielten, beschreibt Monica die Sechziger und Siebziger als eine recht unschuldige Zeit. „Es war alles sehr natürlich. Die Leute tanzten und tranken ein bisschen was, rauchten vielleicht auch mal Pot, aber harte Drogen gab es nicht … noch nicht.“

In Sa Penya eröffnete die Bar Anfora – heute ein weltberühmter Schwulenclub, damals eine der ersten Bars mit Live-Musik. „Wir gingen entweder dorthin oder ins Lola’s, das heute auch ein Schwulenclub geworden ist“, berichtet Gerlach weiter. „Dort trafen wir uns nach dem Abendessen, nahmen ein paar Drinks, rauchten, verliebten uns. Wir waren alle zwischen zwanzig und dreißig und kamen aus allen Ländern der Erde. Damals war Ibiza ein bisschen wie die Szene in Hemingways Paris – ein Fest fürs Leben. Die Stadt war voller ausländischer Künstler, allesamt völlig mittellos.“

1958 nahm der Flughafen Es Codolar auf Ibiza seinen Betrieb auf, wobei zunächst nur Maschinen vom Festland dort landeten. Inzwischen war die Insel zum Anziehungspunkt für Musiker avanciert, die aus ganz Europa anreisten, um dort zu komponieren, inspiriert von der schönen Landschaft, den freigeistigen Menschen und dem hedonistischen Lebensstil. Während die Bäuerinnen noch ihre traditionellen Trachten trugen und sich streng verhüllten, spielten die Hippiemusiker am Strand von Figueretes Gitarre und badeten nackt, sobald sie das Gefühl hatten, dass die Polizisten gerade nicht hinschauten. Die zwei so unterschiedlichen Gruppen, die Einheimischen und die Zugereisten, beobachteten einander und begannen ganz allmählich, einander zu akzeptieren. Es entstand eine friedliche Koexistenz, die bis heute Bestand hat.

Beim Platja d’en Bossa, dem langen, goldenen Strand an der Ostküste ganz in der Nähe von Figueretes, hatte sich eine kleine holländische Enklave angesiedelt. Der Beatpoet Simon Vinkenoog war der Zeremonienmeister eines experimentellen Happenings, das „The Big Kick“ genannt wurde und bei dem Stechapfelblätter konsumiert wurden, deren psychedelische Wirkung Delirien auslöste. Der Autor Cees Nooteboom und die Schauspielerin Ingrid Valerius lebten in den Fünfzigern ebenfalls dort, und auch der Gegenkultur-Schriftsteller Jan Cremer, der in der heißen Sonne mit Lederjacke und Biker-Stiefeln von einer Bar zur anderen zog, war Teil dieser kleinen Gemeinde. Er lebte von 1961 bis 1963 auf Ibiza und schloss sich der Gruppe ’59 an, bevor er seinen halbfiktionalen Bestseller Ich, Jan Cremer auf der Insel verfasste.

Weitere illustre Mitglieder der holländischen Enklave waren Bart und Barbara Huges. Anfang der Sechziger hatte Bart auf Ibiza eine bahnbrechende Entdeckung gemacht: Mit einem Mann namens Titi hatte er so lange Kopfstand geübt, bis er herausfand, dass es einen Zusammenhang zwischen der Blutmenge im Gehirn und dem Beibehalten eines Rauschzustands gab. Das brachte ihn dazu, sein „drittes Auge“ permanent zu öffnen, indem er sich ein Loch in den Kopf bohrte. Auf diese Weise, erklärte er, konnte er für den Rest des Lebens einen ähnlich freien Blutfluss im Gehirn erreichen, wie man ihn zurzeit der Kindheit hat, und damit das persönliche Bewusstsein erhöhen. John Lennon überlegte, sich dieser so genannten Trepanation ebenfalls zu unterziehen, machte aber einen Rückzieher.

Die britische Adlige Amanda Feilding, die heute die Beckley Foundation leitet, eine Organisation, die sich der kritischen Untersuchung internationaler Drogenpolitik verschrieben hat, führte die Trepanation bei sich selbst durch: Die positiven Auswirkungen dieser Praxis, die sie bei Bart Huges wie auch bei ihrem damaligen Lebenspartner Joe Mellen hatte beobachten können, hatten sie überzeugt. Mellen hatte sich ebenfalls auf Huges’ Anregung hin trepaniert, und seine späteren Memoiren Bore Hole nahmen in ihrem Titel Bezug auf diese Operation. Bei der Weltkonferenz zum Rauschmittel Ayahuasca, die 2014 auf Ibiza stattfand, war Feilding, die sich stark für die Reform der Drogenpolitik weltweit engagiert, als Gastrednerin eingeladen. Ihr zufolge hatte sich auch Shiva, der hinduistische Gott der Bewusstseinsveränderung, einer Trepanation unterzogen. Dabei handelt es sich um eine medizinische Praxis, die seit Urzeiten ausgeführt wird – so wiesen beispielsweise auf einem Gräberfeld in Frankreich, das auf die Zeit von 6500 v. Chr. datiert wird, drei von 120 der gefundenen Schädel Trepanationslöcher auf.

Schon bald wurde Ibiza zum inoffiziellen Zentrum für Drogenexperimente im Mittelmeerraum. Huges verbarg sein frisch gebohrtes „drittes Auge“ unter seinem Haar. Er war auch einer der ersten, der mit der Information an die Öffentlichkeit ging, dass die amerikanische CIA zur kontrollierten Gehirnwäsche Experimente mit LSD durchführte. Er kaufte sein Acid in Amsterdam und riet jenen, die es nehmen wollten, vorher Zuckerwürfel in Zitronen zu tunken und sie vor dem Trip zu essen, weil sich schlechte Trips dadurch verhindern ließen, dass man regelmäßig Zucker zu sich nahm. Joe Mellen in Bore Hole: „Jeder, der Bart kennenlernte, merkte sofort, dass er wusste, wovon er sprach. Er stammte aus einer Arztfamilie und verfügte über solides medizinisches Wissen. Er gab niemals an oder versuchte die Leute mit medizinischem Fachjargon zu blenden. Wenn man ihn etwas fragte, gab er eine möglichst einfache Antwort. Was könnte man sich von einem Lehrer Besseres wünschen? Es ist eine Tatsache, dass ein Mensch mit niedrigem Blutzuckerspiegel leichter beeinflussbar ist, und daher haben die Worte eines Gurus in einer solchen Situation größeres Gewicht. Anschließend beten ihn seine Schäfchen an. Wenn man Zucker nimmt, ist das alles nicht nötig.“

Über die damalige Szene berichtet Monica Gerlach: „Damals eröffneten das Domino und das Clive’s, und es gab drei Restaurants am Hafen, in die wir regelmäßig gingen. Eine der Bars gehörte einem Ibicenco, der mit einer großen amerikanischen Limousine herumfuhr, die ziemlich großes Aufsehen erregte. Wir alle hingen am wunderschönen Strand Platja d’en Bossa ab, und in der Nähe gab es eine holländische Künstlerkolonie; die Schriftsteller kamen aus aller Herren Länder. Damals waren wir höchstens hundert Ausländer auf der Insel, von daher war, wenn es eine Party gab, jeder eingeladen.“ 1963 reiste die amerikanische Schriftstellerin Irma Kurtz für eine Woche auf die Insel und blieb ein Jahr, so fasziniert war sie von dem, was sie dort vorfand. Sie hatte sich schon eine Stunde nach ihrer Ankunft in die Insel verliebt.

Die Domino-Bar, die dem Deutschen Dieter Loerzer, dem Frankokanadier Alfons Bleau und dem Iren Clive Crocker gehörte, war das Zentrum der Jazz-Szene auf Ibiza: Der Laden verfügte über eine unvorstellbare Sammlung von Jazz-Platten, und die hier verkehrenden Ausländer wussten die breite Auswahl sehr zu schätzen, wenn sie dort bis spät in die Nacht an den Tischen saßen und sich mit ihren romantischen Verirrungen, finanziellen Manövern und existentiellen Verantwortungslosigkeiten herumschlugen. In seiner Autobiografie Dope In The Age Of Innocence berichtet der irische Schriftsteller Damien Enright davon, wie „in einer typischen tiefen Winternacht die Inselitis ausbricht. Eine Art von Unruhe, wie sie auch Gefängnisinsassen gelegentlich überkommt. In der Bar herrscht ein reges Kommen und Gehen, und nur wenige Gäste sind nüchtern. Manche sind zusätzlich noch aufgeputscht durch Benzedrin. Einige der Anwesenden sind seit Jahren nicht mehr von der Insel runtergekommen. Sie alle haben unbezahlte Rechnungen und können sich kein Fährticket leisten. Seit dem Sommer haben sich nur wenige Neuzugänge dazugesellt. Die meisten Paare, die hier aufgekreuzt sind, haben sich inzwischen getrennt.“ Diese Beschreibung trifft auch heute noch auf das Dasein der Ausländer im Winter zu und hätte gut aus dem Jahr 2014 stammen können, mal davon abgesehen, dass die musikalische Untermalung nicht aus den neusten Deep-House-Tracks oder Disco-Songs alter Schule bestand, wie Enright schrieb: „Jemand hat Mingus aufgelegt. A-ha.“

Zurzeit des Hippie-Trails entwickelte sich auch der auf Ibiza kreierte „Hippie Chic“ in der Mode. Mitte der Siebziger entstand die Boutique Azibi in Cala d’Hort, an dem herrlichen Strand, von dem aus man nach Es Vedrà hinüberblickt; zwei junge Amerikanerinnen schneiderten Kleider aus alten Seiden-Saris. Dann stießen Freunde dazu, die im Laden ihren selbstgefertigten Silberschmuck oder Bikinis verkauften, und dekoriert wurde das Geschäft mit afghanischen Teppichen. Die Boutique Azibi ist heute noch während der Sommermonate geöffnet. Am Strand von Atlantis ganz in der Nähe hatte sich ebenfalls eine Hippie-Kommune niedergelassen.

In Calle de la Virgen eröffneten Paula und Mopitz eine Trend-Boutique und verkauften dort Aufsehen erregende Kleider, die heute noch hohe Preise bei eBay erzielen. Die serbische „Prinzessin“ Smilja Constantinovic, angeblich die Geliebte des jugoslawischen Königs Peter II., folgte mit der Modeboutique Ad Lib, über deren erfrischend neue und schöne Kleidung aus meist schlicht weißen Stoffen und Spitze sogar die britische Vogue berichtete. Das Label setzt heute noch Zeichen in der Mode auf Ibiza.

Der britische Geiger Malcolm Tillis war der erste, der einen Laden in Ibiza-Stadt eröffnete, aber er musste die Insel verlassen, nachdem er einen aufrührerischen Zeitungsartikel geschrieben hatte, in dem er das Franco-Regime kritisierte. Er floh mit seiner Frau auf der Suche nach Bewusstseinserweiterung und Persönlichkeitsentwicklung nach Indien und veröffentlichte später ein Buch mit Interviews westlicher Sinnsucher, die ihre Erfüllung in den spirituellen fernöstlichen Praktiken gefunden hatten. „Er machte Schmetterlingskleider mit Batikmustern“, erinnert sich Monica Gerlach, „die wir alle trugen. Er war ein richtiger Typ.“

1970 öffnete das Double Duck seine Türen, ein vegetarisches Restaurant, geleitet von Nancy Mehagian, einer Amerikanerin armenischer Abstammung. Gerlach zufolge war sie „ein echter Hippie, und sie fuhr zusammen mit ihrem Partner mit dem Bus durch die Türkei, die Kurdengebiete, den Irak und den Iran bis nach Indien“. Auf dieser Reise wurde sie bei einer Drogenrazzia festgenommen. Keine untypische Geschichte. Damien Enright konnte sich in Barcelona seiner Verhaftung entziehen und tauchte anschließend auf Ibiza unter. Sein Aufenthalt entwickelte sich zum Albtraum, als sich alle von ihm abwandten und ihm das Gefühl vermittelten, allmählich verrückt zu werden. Ein einziger wahrer Freund, ein Künstler, Architekt und Flötist, blieb an seiner Seite und half ihm, wieder von der Insel zu verschwinden, nachdem Enright überzeugt war, dass sie sich ganz und gar gegen ihn verschworen hatte.

Im Norden der Insel, in Sant Carles, hatte der Landwirt Joan Mari bereits 1954 eine Bar eröffnet, aus der sich später das weltberühmte Las Dalias entwickeln sollte, ein Restaurant mit Hippie-Markt, der am Valentinstag 1985 von Joans Sohn Juanito ins Leben gerufen wurde. Den ersten Hippie-Markt der Insel gab es allerdings schon seit den Siebzigern; er lag in Punta Arabí an der Ostküste.

„Meine Mutter und ich verkauften in Punta Arabí Sachen, die wir in Afrika gesammelt hatten“, erzählt Gerlach. „Nach und nach wanderten wir alle nach Las Dalias ab, weil die Leute dort auch etwas essen und trinken konnten, und anschließend gingen wir in die Bar Anita’s im Dorf Sant Carles, das voller Hippies war. Sie machen dort noch immer diesen großartigen hierbas aus Anis und sieben Inselkräutern. Die Kräuter werden wirklich vor Ort gesammelt und mit Alkohol versetzt, dann in Flaschen gefüllt und gekühlt, und nach einigen Monaten sorgen die Kräuter für die gelbe Farbe.“ Hierbas ist noch immer der beliebteste Kräuterlikör der Insel, der neben Absinth und dem mit Thymian hergestellten Frigola in den meisten Bars erhältlich ist.

1960 traf Clive Crocker, der ein Jahr zuvor auf die Insel gekommen war, am Platja d’en Bossa die Tochter einer Nachbarin. Die junge Deutsche war Model und Schauspielerin, hatte gerade eine Rolle in Fellinis bahnbrechendem Film La Dolce Vita ergattert, gehörte später zum Kreis um Andy Warhol, der aus Christa Päffgen Nico machte, die legendenumwobene Sängerin von Velvet Underground, bevor sie eine vielbeachtete Solokünstlerin wurde. Sie beeindruckte ihn sofort: Der junge Crocker stand in Flammen. Nico betrat seine Bar in einem Sommer, der von Jazz-Nächten, Schach, ausländischen Künstlern und Intellektuellen beherrscht wurde, und für die beiden begann eine amouröse Freundschaft, die jahrelang Bestand haben sollte.

Nico war fasziniert von einigen Jazz-Musikern, die im Hafenviertel lebten, und sie fügte sich sofort in die Szene im Domino ein. Die Blues-Legende Victor Bronx ermutigte sie zu singen, und der Fotograf Herbert Tobias gab ihr den Namen Nico (nach seiner großen Liebe, dem Regisseur Nico Papatakis), als er sie während eines Urlaubs auf Ibiza kennenlernte. Nicos lebenslange Liebesaffäre mit der Insel hatte begonnen. Die Beziehung zu Clive Crocker war intensiv; sie biss ihn einmal so heftig, dass er davon eine Narbe zurückbehielt, und am nächsten Tag schickte sie Rosen ins Domino, um sich bei ihm zu entschuldigen. Sie bekam einen Sohn mit dem französischen Schauspieler Alain Delon, Ari, der allerdings meist bei Delons Mutter in Frankreich lebte, manchmal auch bei Nicos Mutter in ihrem Haus in Figueretes.

In den langen Jahren, in denen Nico durch die Welt zog und später versuchte, ihre Abhängigkeit von Marihuana und Heroin zu überwinden, suchte sie immer wieder Zuflucht auf Ibiza, wo sie einfach nur sie selbst sein konnte. Zwischen den Aufnahmen und Tourneen mit The Velvet Underground oder auch solo, mit Liebhabern wie dem französischen Regisseur Philippe Garrel oder mit Ari jagte sie in ihren spanischen Lederstiefeln und dem wallenden dunklen Cape auf dem Land und am Hafen dem Licht nach.

Das Domino ging binnen weniger Jahre pleite – die vielen unbezahlten Rechnungen der ausländischen Stammgäste ließen es schlicht nicht zu, die Bar wirtschaftlich zu betreiben. Clive Crocker eröffnete daraufhin ein paar Häuser weiter das El Pórtico, das heutige La Pirata. Und wieder türmten sich hohe Schulden auf, weil die mittellose Klientel nicht zahlte. Crockers nächste Bar hieß schlicht Clive’s. In den Neunzigern wurde daraus das bekannte The Rock, eine der besten Adressen zum Aufwärmen vor der eigentlichen Clubnacht, obwohl aus Respekt auch immer noch der Name Clive’s an der Tür zu lesen ist.

Anfang der Sechziger war Crocker in eine der mittelalterlichen Gassen von Dalt Vila gezogen, und in seiner Nachbarschaft wohnte ein seltsamer Herr aus Ungarn, der Elmyr de Hory hieß. De Hory war 1961 auf die Insel gekommen und hatte zunächst in La Falaise in einem der Häuser gelebt, die der Architekt Erwin Broner entworfen hatte. Der berüchtigte Kunstfälscher De Hory erreichte dunkle Berühmtheit, als Orson Welles mit F wie Fälschung seine Lebensgeschichte verfilmte. Zwar hatte es de Hory auf Ibiza nicht immer einfach, vor allem aufgrund der Machenschaften seines früheren Freundes und Spießgesellen Fernand Legros, der in seiner Abwesenheit in Horys Haus einbrach und sich dort gemütlich einrichtete; später kam man überein, dass beide ein Recht hatten, dort zu leben. Aber größtenteils genoss de Hory das Inselleben in vollen Zügen und stand lange im Mittelpunkt des Bohème-Zirkels von Ibiza-Stadt.

Er hielt mit seinem ungarischen Akzent, das Monokel ins Auge geklemmt und Cinzano schlürfend, in Bars wie dem La Tierra und Alhambra Hof. Jahrelang kam er mit seinen Kunstfälschungen durch. Erwin Broner war beispielsweise der Meinung, de Hory sei gar nicht talentiert genug, um die Kopien selbst angefertigt zu haben, und so schenkte man seinen Unschuldsbehauptungen lange Zeit Glauben. De Hory beging später auf Ibiza Selbstmord, nachdem er in Haft gekommen war und ihm die Ausweisung drohte, aber während seiner Zeit auf der Insel war er als legendärer Gastgeber bekannt, der viele Gesellschaftslöwen und –löwinnen in seinem Haus bewirtete, das malerisch auf einer Klippe gelegen war.

Zu diesen Gästen zählte auch Clifford Irving, der Autor von Der Fälscher, der in Orson Welles’ Film F wie Fälschung in einem Interview selbst auftritt. Die Beschreibung, die er in dem 1960 erschienenen Fake über Ibiza verfasste, beschreibt das Gesellschaftsleben auf der Insel: „Es gab Beatniks, Kiffer, Künstler, Autoren, pausierende Schauspieler, Werbestrategen, die aus New York abgehauen waren, ein paar kanadische Ex-Betrüger, die Anteile an einer Asbestfabrik verkauft hatten, die es gar nicht gab, und die in Montreal den Mounties nur um Haaresbreite entkommen waren, langhaarige Ehefrauen mit väterlosen Kindern, deutsche Grundstücksspekulanten, ein paar reiche Leute und wesentlich mehr arme und sogar einen mutmaßlichen Nazi-Kriegsverbrecher, der mit seinem Stiernacken, den Knopfaugen und seiner freundlichen Art gegenüber Kindern tatsächlich jedem Klischee entsprach. Man sprach sich generell nur mit Vornamen an. Falls die mehrfach vorkamen, wurden Spitznamen vergeben wie Gesuchter John und Neger-John, Hübscher Pat und Haariger Pat, Dicker George und Dänen-George, Eduardos Karen und Carls Karen. Elmyr war natürlich einzigartig – Mann, was für’n Typ!“

Wenige Jahre später initiierte Clifford Irving einen der größten Schwindel der Literaturgeschichte. Mittels einer Reihe gefälschter Briefe behauptete er, der geheimnisumwitterte Filmmagnat und Unternehmer Howard Hughes hätte ihm aufgetragen, seine Memoiren zu schreiben, und obwohl es sich lediglich um ein sorgfältig konstruiertes Lügengebäude handelte, gelang es ihm, das große amerikanische Verlagshaus McGraw Hill davon zu überzeugen und einen enorm großen Vorschuss einzustecken. Lasse Hallström verfilmte diese Betrugsgeschichte 2006 unter dem Titel Der große Bluff mit Richard Gere in der Rolle des Clifford Irving. In seiner Autobiografie The Hoax schrieb Irving: „Ibiza war mein Zuhause. Zum ersten Mal war ich 1953 dorthin gereist, um einen Sommer lang dort zu arbeiten, weil das Leben dort billig war und die Insel eine altehrwürdige Exotik und große Schönheit besaß.“

Orson Welles faszinierten vor allem die schlagzeilenträchtigen Aspekte rund um die Betrüger de Hory und Irving. Für F wie Fälschung, das die Geschichte des Kunstfälschers, seines Biografen und dessen späteren Howard-Hughes-Bluff erzählte, verwendete er Material, das sein Kameramann Francois Reichenbach auf Ibiza gedreht hatte. Es war der letzte Film, den Welles vor seinem Tod fertig stellte. Als de Hory später Selbstmord beging, deutete Clifford Irving sogar an, dass möglicherweise selbst diese Tat nur vorgeschoben gewesen sei.

In Welles’ Film war auch Nina van Pallandt zu sehen, die weibliche Hälfte des Gesangsduos Nina & Frederik. Obwohl sie mit ihrem Partner, dem Baron Frederik van Pallandt, verheiratet war und mit ihm auf Ibiza lebte, unterhielt Nina über lange Jahre eine Liebesbeziehung mit Clifford Irving, dessen Ehefrau, die Malerin Edith Sommers, ebenfalls auf der Insel ansässig war, was die Sache zusätzlich komplizierte. Nina und Frederik veranstalteten rauschende Partys und luden ganz Ibiza dazu ein. Sie gründeten zudem eine Wohltätigkeitsstiftung und sponserten die holländischen Designer The Fool alias Marijke Koger & Simon Posthuma, die mit diesem Geld nach London reisten und dort Kleidung für die Beatles und deren Apple-Boutique entwarfen. Auf Ibiza hatten Koger und Posthuma zuvor den britischen Fotografen Karl Ferris kennengelernt, der unter anderem das amerikanische Albumcover für Jimi Hendrix’ Are You Experienced? entwarf und dazu Hendrix und seine Band ganz psychedelisch mit Fischaugenobjektiv ablichtete.

„Nina und Frederik hatten ein herrliches Haus, wo sich alle zum Feiern trafen“, berichtet Monica Gerlach, die oft bei diesen Partys zugegen war. „Wir kifften alle, und immer waren ein paar Leute mit Gitarren da. Echte Hippies waren das eigentlich nicht, zumindest nicht am Anfang, wir waren eher Lebenskünstler. An den Stränden wurden damals jede Menge Partys gefeiert, die über Tage gingen, aber den Ibicencos war das seltsamerweise ziemlich egal, weil wir ja Ausländer waren. Aber man sagte uns jungen Frauen, dass wir nicht oben ohne herumlaufen sollten. Es war die große Zeit der Bikinis! Die Deutschen fingen später mit dem Oben-ohne an. Diese Partys waren so unglaublich. Sie fanden entweder in Salines oder in Platja d’en Bossa statt. Im Grunde waren es eher Happenings, die sich wie von selbst ergaben. Man blieb, solange man wollte, oder man ging nachhause und kam später noch einmal wieder. Es ging einfach tagelang.“

Eines Tages unternahm Clifford Irving mit Nina van Pallandt, die er kurz zuvor getroffen hatte, einen Ausflug zur berühmten Cova d’es Culleram, dem Schrein der Göttin Tanit, und an diesem Ort wurde ihm bewusst, dass er und die glamouröse Sängerin sich ineinander verliebt hatten. „Falls die Göttin jene mit einem Fluch belegte, die ihre Ruhe störten, dann waren wir ihre Opfer“, schrieb er später.

„Tanit ist ein bisschen schwierig“, meint Gerlach dazu. „Von daher liegt wohl eine Art Fluch auf Ibiza. Es heißt, wenn man als Paar auf die Insel kommt und es einem gelingt, zusammenzubleiben und man glücklich und verliebt ist – dann kommt es von Herzen und es ist wahre Liebe. Aber wenn es nur oberflächlich ist, dann wird es nicht lange dauern, bis man sich trennt. Mir ist das zwei Mal passiert.“

Irvings Scharade mit den New Yorker Verlegern lief währenddessen weiter. Der Fälscher baute darauf, dass der seit Jahren extrem zurückgezogen lebende Hughes sich auch jetzt nicht in der Öffentlichkeit zeigen würde, um den Betrug auffliegen zu lassen, und er ließ seine Frau Edith mit Perücke und falschem Pass in die Schweiz fliegen, um dort für die Überweisung des enorm hohen Vorschusses ein Konto einzurichten. Dennoch bestand ständig das Risiko, dass der Schwindel aufflog.

Szene aus Clifford Irvings The Hoax: „Der Warteraum am Flughafen von Ibiza. Dick [Susskind, Irvings Partner bei der ganzen Aktion] betrachtet den abgewetzten Aktenkoffer, den er sich zwischen die Füße geklemmt hat. Er enthält unseren kostbarsten Besitz: ein tausend Seiten starkes Manuskript, das mindestens eine halbe Million Dollar wert ist. Er späht unter den Tisch und fragt: ‚Wo ist unser Korb?’ Verblüfft sehe ich mich um – wahrscheinlich habe ich ihn am Zeitungsstand stehen lassen. Mit einem Schreckensschrei springt Dick auf. Er rennt zur Tür hinaus und kehrt kurz darauf mit dem geflochtenen Einkaufskorb zurück, ganz leichenblass. Seine braunen Augen sprühen Funken. ‚Du bist ja wohl komplett verrückt! Du hast da drin mindestens Zehntausend in bar, und noch dazu das Scheckbuch von H.R. Hughes für ein Konto bei der Credit Suisse in Zürich!’ Tatsächlich trage ich alles bei mir, was uns verraten könnte. Schließlich könnte ja jemand ins Studio einbrechen, während wir unterwegs sind.“

Aber irgendwann ließ Hughes die ganze Sache dann doch auffliegen, und Clifford, Edith und Dick kamen ins Gefängnis. Edith arbeitete anschließend weiterhin als Malerin auf Ibiza. Frederik van Pallandt ließ sich mit einem größeren Drogensyndikat ein und wurde unter mysteriösen Umständen auf den Philippinen erschossen. Elmyr de Hory wurde von der britischen Punk-Band The Stranglers in ihrem Song „No More Heroes“ verewigt. Der auf Ibiza lebende Historiker Martin Davies traf Clifford Irving einige Male: „Er war in seinen besten Zeiten ein ziemlich gut aussehender Mann, wenn auch aalglatt, und sehr groß! Sein Buch Fake gehört zu den besten, die je über die Insel geschrieben wurden. Nina van Pallandt bin ich auch ein paar Mal begegnet. Sie wirkte sehr distinguiert, ebenso wie Clifford, und man sah sofort, wieso sie sich verstanden. Sie war offenkundig sehr klug und intelligent.“

Der Regisseur Barbet Schroeder, dessen Mutter an der Westküste in Punta Galera lebt, zeigte 1969 in seinem bahnbrechenden Kultfilm More eine Seite der Insel, die allmählich immer stärker in den Vordergrund trat: zunehmende Drogenabhängigkeit und eine alles andere als glamouröse Szene, in der sich viele unangenehme Charaktere tummelten. „Ich erinnere mich vor allem daran“, berichtet Mimsy Farmer, die in More mitwirkte, „dass Ibiza ein Zufluchtsort für Alt-Nazis war. Franco war noch an der Regierung.“ Pink Floyd, die den Soundtrack zum Film schufen, kannten die Insel bereits. Syd Barrett war 1967 in Begleitung von Rick Wright zur Erholung nach Formentera geschickt worden, und während er dort Sitar spielen lernte und den Text zu „Wined And Dined“ schrieb, reiste Roger Waters nach Ibiza. Aubrey Powell, der viele Cover für Pink Floyd entwarf, besuchte Formentera ein Jahr später mit David Gilmour und kehrte dann ein weiteres Mal mit Barrett zurück. Dabei landeten sie jedes Mal auf Ibiza und reisten dann mit der Fähre weiter auf die kleine Nachbarinsel, wo sich inzwischen eine ähnliche Gemeinschaft aus Künstlern, Autoren und kosmischen Astronauten niedergelassen hatte wie auf Ibiza selbst.

„Es ist schon seltsam“, sagt der Musikproduzent Youth, der 2014 unter anderem an der Produktion des Pink-Floyd-Albums The Endless River beteiligt war, „Pink Floyd sind trotz ihrer psychedelischen Musik eigentlich keine psychedelischen Leute, aber die Band ist wirklich stark mit Ibiza und Formentera verbunden. Die Alben aus den späten Sechzigern, Ummagumma und More, fingen die Atmosphäre, die damals auf den beiden Inseln herrschte, wirklich gut ein, und Pink Floyd waren sozusagen die Hausband dieser Ästhetik. Ich denke, sie machen noch immer die phantastischste psychedelische Musik, die je geschaffen wurde, mehr noch als Grateful Dead oder andere Bands aus den USA, die Pink Floyd immer vorwerfen, sie wären so kalt. Meiner Meinung nach ist ihre Musik einfach nur großartig, und sie scheinen instinktiv genau die entscheidenden Punkte zu erfassen. Sie müssen sich nicht selbst diesem Lifestyle verschrieben haben, um die Elemente aufzuspüren, für die ihn alle lieben.“

Ibiza-Referenzen gab es auch im Werk der deutschen Avantgarde-Band Can. Ihr Schlagzeuger Jaki Liebezeit war auf die Insel gekommen, nachdem er mit Chet Baker in Barcelona Jazz gespielt hatte, und er machte auf Ibiza eine schwere Krise durch. Schließlich versuchte er sogar, sich das Leben zu nehmen, in dem er sich von einer hohen Klippe der kleinen, vor der Ostküste gelegenen Insel Tagomago stürzte. Später veröffentlichten Can ein Album, das den Namen Tago Mago erhielt.

Wie sich der Alltag in den Hippie-Kommunen von Ibiza darstellte, beschreibt die britische Autorin Jenny Fabian, die dort zeitweise lebte, in ihrem Buch A Chemical Romance. Es war der Nachfolger ihres erfolgreichen Erstlings Groupie, das 1970 in Deutschland und den USA zum Bestseller geworden war. „Ich war auf der Suche nach einem neuen Umfeld, weil es mich ziemlich unter Druck setzte, dass ich überall nur als Autorin des Skandalbuchs Groupie betrachtet wurde“, berichtet sie. „Ruhm und Reichtum sind nicht unbedingt eine Garantie für Gesundheit und Glück. Das stets wiederkehrende, erschöpfende Muster, jeden Tag aufs Neue mit einem Drogenkater oder irgendeinem Rockmusiker aufzuwachen, manchmal auch mit beidem, verlor allmählich seinen Reiz. Mal ein Ausflug zum Friseur, irgendwelche banalen Interviews, lustlose Nachmittage, an denen man sich auf irgendwelchen Kissen herumfläzte und sich die neusten, formlosen Riffs irgendwelcher zugeknallter Musiker anhörte, abends dann vielleicht die Überlegung, zur Aufmunterung ein bisschen Acid einzuwerfen, und meistens endete man dann doch wieder im Speakeasy … das war immer dasselbe. Durch die verschnörkelten Winkel meines Hirns streifte schließlich der Gedanke, dass es doch mehr im Leben geben musste.“

Fabian merkte, dass viele ihrer Bekannten sich allmählich aus London verabschiedeten und der großen Stadt den Rücken kehrten. „Wenn Rockmusiker zu Geld kamen und Stars wurden, kauften sie sich Häuser auf dem Land. Als ich von einer ziemlich surrealen Buchpräsentation in Deutschland zurückkam, ganz erschöpft von Bratwurst und Krautsalat, hatten sich meine Mitbewohner nach Ibiza verkrümelt und testeten die Szene dort aus, genossen Sonne, Meer und das einfache Leben. Das Läuten von Ziegenglöckchen am Berg, ehemalige Schäferhütten bei Kerzenschein, eine Art paradiesische Existenz mit ähnlich tickenden Leuten und jede Menge Dope natürlich, um die Phantasie anzukurbeln. Hier konnte ich dem Stress durch Agenten und Verleger entgehen, und auch der Paranoia, die ich empfand, wenn ich auf eine Art gekleidet durch die Londoner Straßen gelaufen war, die in Großbuchstaben ‚VERHAFTET MICH‘ schrie.“

Fabian widmete A Chemical Romance ihrer Insel-Affäre Neal Phillips, „dem berühmten Reisenden, Drogenkopf und Schreiber, der in Bombay auf der Straße an einer Überdosis starb“. Phillips hatte für das Untergrundmagazin Oz einen Artikel verfasst, der die Überschrift „Sexdroge frei verkäuflich auf Hippie-Ferieninsel“ trug. Während seines Aufenthalts auf Formentera hatte er die geheimnisumwitterten Eigenschaften von Yohimbin erforscht, einem Elixier aus der Rinde des Yohimbe-Baums, die in der afrikanischen Heilkunde schon lange zu medizinischen Zwecken eingesetzt wurde. Damals war Yohimbin in den Apotheken ohne weiteres erhältlich, und man ging davon aus, dass ein paar Tropfen täglich die Libido steigerten. „Ich habe wohl noch nie ein so starkes Gefühl von einer Frau vermittelt bekommen, und das, was da zwischen uns ist, besteht aus reiner Elektrizität, die alle Sicherungen unserer Systeme auf die Probe stellen wird. Yohimbin, dein Name lautet Ekstase. Lass es geschehen.“

Bemerkenswert, dass Phillips die Droge hier „Ekstase“ nennt, beziehungsweise, im Originaltext, „ecstasy“. Und noch ein kleines Detail am Rande: Schon 1903 waren in spanischen Zeitungen Anzeigen erschienen, die für Yohimbin warben.

Fabian reiste also ebenfalls nach Ibiza. „Nachdem meine Freunde Dr. Sam Hutt (der Musiker Hank Wangford) und Sarah Lee-Barber bereits vorgefahren waren, um eine passend abgelegene Einsiedelei ausfindig zu machen, packte ich Sonnenbrille, Bikini und Jesuslatschen ein und machte mich auf den Weg. Ich kam mit einem Nachtflug an, und Sam wartete auf dem winzigen Flughafen auf mich. Meine Erinnerung an die Fahrt zum Haus ist ziemlich vage. Weil es dunkel war, hätten wir überall unterwegs sein können. Die Schäferhütte auf dem Berg war von außen betrachtet ein dunkler Schatten und der Lehmboden im Inneren, die geweißten Lehmwände und die niedrigen Durchgänge ohne Türen, die in verschiedene Ecken führten, waren recht primitiv. Am nächsten Morgen blieb es in der Hütte zwar dämmrig, aber draußen brannte die Sonne auf eine Berglandschaft, die offensichtlich völlig unberührt und verlassen war, und man hörte die Glöckchen der Ziegen in der Ferne bimmeln. Ganz anders als das grüne, schöne Land, das ich zurückgelassen hatte, viel weniger üppig, sondern vielmehr trocken, wobei es allerdings mit einer kargen Art von Gras und viel niedrigem Buschwerk bewachsen war. Und so hell. Es war, als träte man in eine biblische Szenerie, es fehlten nur die Typen in den altertümlichen Gewändern; jetzt waren wir die Hauptfiguren der Geschichte. Eine neue, reinere Art der Zivilisation, mit einfacheren Werten, dachte ich damals. Leute, die von dem Raffen-und-schaffen-Karussell herunter gestiegen waren und gemeinsam das Ziel verfolgten, ein weniger korruptes Leben zu führen. Und die Einheimischen erschienen immer so freundlich, sie hießen uns in den Bars willkommen, lächelten wohlwollend und freuten sich über den Umsatz.

Sam und Sarah stellten mich einfach nur als ihre Freundin Jenny vor. Und wenn später doch herauskam, dass ich Groupie geschrieben hatte, dann hatte das hier schlicht nicht dieselbe Wucht, als wenn jemand davon erzählte, dass er gerade ein paar Monate in Nepal bei Nomaden gelebt hatte. Die Stars in dieser Szene waren Mädchen, die mit Kondomen voller weißem Pulver in ihren privatesten Körperöffnungen durch den Zoll gekommen waren, oder Jungs, die wegen Drogengeschichten im Knast gesessen hatten. Drogen waren für unsere Gruppe das absolut Wichtigste. Die Gefahr, die damit verbunden war, gab der Idylle den richtigen Kick. Neal mochte auf den ersten Blick wie ein Prophet aussehen, der gerade vom Berg gestiegen war, und so etwas Ähnliches war er ja gewissermaßen auch, aber er hatte auch schon im Ausland im Gefängnis gesessen, und zwar in Ländern, in denen so etwas Narben an Leib und Seele hinterlässt, die nie wieder verblassen. An einem solchen Ort sollte man natürlich nicht mal daran denken, einen Trip zu schmeißen, aber natürlich haben sie das trotzdem getan. In dieser Freak-Kommune zählte nur, was man nahm und wie man damit umging, und wenn man nur dauernd den Kopf schüttelte, weil der sich sowieso schon drehte, wenn die Tüten endlos im Kreis gereicht wurden, zählte man damit zu den weniger ernstzunehmenden Kiffern. Red Bart war einer von Neals Lieblingen, er flog gelegentlich in seinem Learjet ein, und er ging nie in die Luft ohne etwas Acid im Blut und ein paar Linien Koks aus seinem kleinen chinesischen Kästchen. Rockstars, die sich vom Burnout erholen wollten, so wie Syd Barrett, der dafür nach Ibiza gepilgert war, fand man zwar ganz nett, brachte ihnen aber keine besondere Hochachtung entgegen.“

Tatsächlich hatten sich Ende der Siebzigerjahre viele dunkle Elemente in die Hippie-Gemeinschaft eingeschlichen. Die Zahl der Drogentoten war dramatisch angestiegen, und die Kommunen zerfielen. „Es gab immer jemanden, der für alles bezahlen musste“, meint Monica Gerlach. „Das Saubermachen blieb immer an einer Frau hängen. Flower Power ist ja sehr schön, aber letztlich geht es dabei darum, nichts zu tun.“ Erstmals wurde jetzt auch der Polizei bewusst, wie viel harte Drogen gehandelt wurden. Es kam immer häufiger zu Festnahmen.

Die erste, die wegen Opiatbesitzes in Spanien verhaftet wurde, war die französische Schauspielerin Michèle Breton. Sie hatte 1970 neben Mick Jagger und Anita Pallenberg in Performance mitgespielt, einem Film von Donald Cammell, der die Londoner Unterwelt der späten Sechziger porträtierte, und 1967 eine kleine Rolle in Godards Weekend gehabt. Ein Jahr nach dem Erscheinen von Performance lebte Breton auf Formentera, in einem Haus, „in dem völlige Unordnung herrschte“, wie die spanische Zeitung ABC berichtete, in der es weiter hieß: „Sie selbst befand sich in einem bedenklichen körperlichen und geistigen Zustand.“ Bei ihr wurde eine große Menge Heroin gefunden.

Nachdem die vielen Partys zunächst gar nicht oder ganz privat organisiert worden waren, kamen Ende der Sechziger die ersten Promoter auf die Insel; zudem wuchsen jene, die sich zuvor in diesem Bereich engagiert hatten, immer mehr in diesen Beruf hinein. Sie stellten zunehmend besondere, einmalige Veranstaltungen auf die Beine oder entwickelten Partys, die einmal in der Woche stattfanden und ein bestimmtes Motto hatten. Auf dem Hippie-Markt von Las Dalias, den es heute noch in fast unveränderter Form gibt, wurden Platten und Cassetten getauscht und viele Partys gefeiert. Die Namaste-Party, deren Name auf ein hinduistisches Grußwort zurückgeht, gibt es in Las Dalias heute noch; ins Leben gerufen wurde sie von den weit gereisten Anwohnern Merel, Alok und Jean-Michel. Sie hat unter den Hippie-Partys mit fernöstlichem Einschlag die längste Tradition. Auch kleine Nightclubs entwickelten sich. Das Toro Mar in Salines war ein illegaler Bau, in dem später auch die After-Partys des deutschen Techno-Fests Cocoon und der Ibiza Underground Resistance stattfanden; inzwischen wurde das Gebäude vom Pacha gekauft. Der Festival Club von Sant Josep begann als Stierkampf-Arena, in dem auch Flamenco-Shows stattfanden. Später diente er als Kulisse für einen deutschen Pornofilm, der den Titel Gefangene Frauen trug. Hier wurden auch illegale Raves veranstaltet, aber heute ist das Gebäude mit Graffiti beschmiert und wird als inoffizielle Müllkippe genutzt.

Eine der ersten Discotheken, die in den Siebzigern auf Ibiza öffnete, war das Glory’s im Hippodrom von Can Bufi an der Straße nach Sant Antoni. Ein weiterer kleiner Club, das Heaven (später in Angel’s, Penelope und kürzlich in Booom umbenannt), öffnete auf der anderen Seite des Hafens seine Türen, an der Marina Botafoch. „Der Typ, dem der Club gehörte, als er noch Angel hieß, ging wegen irgendwelcher unsauberen Geschäfte in den Knast“, erinnert sich Monica Gerlach. Schon seit 1963 gab es den Playboy Club in Sant Antoni, den Pepe Roselló führte, der beliebte Gründer des Superclubs Space. Der Playboy Club wurde später zum Idea, hielt sich dann aber nicht mehr lange.

„In den Clubs tauchte immer wieder ein Typ auf, der Ziggy hieß“, berichtet Tina Cutler, die Tochter des extravaganten britischen Politikers Sir Horace Cutler, die mit ihren Eltern als Kind viele Sommer auf Ibiza verbrachte. „Er war Tänzer im Pacha, und dann gab es auch noch Manel, der heute den Sunset Ashram betreibt, und an den erinnerte man sich schon allein wegen seiner schönen, blauen Augen. Dann waren da noch Teresa und ihr Mann, die den Graffiti-Laden hatten, beide sehr bekannte Party-Hippies, und meine Freundin Victoria, die heute noch den Elefante-Laden führt. Ihr Mann ist ein weltweit anerkannter Experte für Tetanus-Impfungen. Jede Menge bekannter Typen sind noch immer hier, aber viele sind inzwischen auch schon tot. Es kümmerte sich niemand darum, wie die Leute mit Nachnamen hießen, deswegen erinnere ich mich auch überhaupt nicht daran. Das hat keinen interessiert.“

Cutler lebt inzwischen dauerhaft auf Ibiza und hat mehrere erfolgreiche Unternehmen gegründet. Heute arbeitet sie als Vibrationsheilerin, nachdem sie eine langjährige Ausbildung abgeschlossen hat. Mit all dem Wissen und der Erfahrung der zurückliegenden Jahre, in denen sie tief in die Partyszene Ibizas eintauchte, ist Cutler heute noch fasziniert von der Insel, aber in ihre Begeisterung mischt sich oft auch leichte Bitterkeit – etwas, das bei vielen, die länger hier leben, zu beobachten ist, und was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Ich frage Cutler nach den schönen Hippiezeiten und danach, wie es war, als Kind zwischen all diesen Inseloriginalen zu leben. War es wirklich eine unschuldige Zeit, voller Flower Power und Sonnenschein? Wer waren die Hippies wirklich?

„Reichensöhnchen und -töchterchen“, erklärt sie. „Sie hingen in Ibiza ab, und sie arbeiteten nie und waren Hippies, weil sie sich das leisten konnten! Auf irgendeine Weise kamen sie immer an Geld, und irgendwie fügte sich immer wieder alles. Ibiza selbst ist das schwarze Schaf der Gesellschaft. Es ermutigt Menschen, die nirgendwo anders hinpassen. Aber die meisten Hippies stammten tatsächlich aus sehr wohlhabenden Familien.“

Partyinsel Ibiza

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