Читать книгу "Vielleicht" ist nicht genug - Helene Hammerer - Страница 6

3.

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Der Sonntagmorgen hielt mit strahlendem Sonnenschein Einzug ins Tal und Imelda stand vor ihrem Kleiderschrank und wusste nicht, was sie anziehen sollte. Das dunkelgrüne Dirndl war ihr viel zu weit, ebenso der cremefarbene Hosenanzug, den sie als nächstes probierte. Das schwarze Kleid hatte einen zu gewagten Seitenschlitz und das dunkelrote war zu weit ausgeschnitten, jedenfalls für einen Kirchgang in Auenfeld. Schließlich entschied sie sich für einen lachsfarbenen Wickelrock und ein Twinset in einer etwas helleren Farbe. Ihr langes, kupferrotes Haar wand sie zu einem Knoten im Nacken. Mit Schminke ging sie sehr dezent um, nur ein wenig, um ihre Blässe zu verdecken. Die lange Perlenkette und die passenden Ohrstecker dazu vervollständigten ihre Garderobe, während sich Imelda selbstironisch eine Grimasse im Spiegel schnitt. In Salzburg hatte sie nicht so lange gebraucht, um sich für die Oper oder einen Ball zurechtzumachen. Sie schloss ihre Schmuckschatulle und legte sie in die oberste Schublade der alten Kommode. Dass sie den teuren Schmuck noch hatte, verdankte sie Frau Hofstätter. Zu Beginn ihrer Ehe hatte sie von Max zu jedem Anlass edlen Schmuck bekommen, den sie auch häufig trug. Als einmal im Nachbarhaus eingebrochen worden war, hatte ihr Frau Hofstätter angeboten, den Schmuck in ihrem Safe zu verwahren. Imelda hatte eingewilligt, mehr um die alte Dame zu beruhigen, als aus Furcht, bestohlen zu werden. Als Max dann gesucht wurde, war der Schmuck bei Frau Hofstätter geblieben, während alle annahmen, er habe ihn mitgenommen. In Salzburg hatte Imelda nicht mehr gewagt, ihn zu tragen und ihre Nachbarin hatte ihr die Schatulle erst am Vorabend ihrer Abreise in die Hand gedrückt. „Das haben wir gut hinbekommen. Betrachten Sie ihn als kleine Entschädigung, mein Kind“, hatte sie augenzwinkernd gemeint. Sie würde der guten Frau Hofstätter bald schreiben, nahm sich Imelda vor.

Als sie in ihre Schuhe schlüpfte, hörte sie schon die Kinder von unten rufen. Sie hatten das Säle abgeholt und warteten nun auf sie. Das anerkennende Lächeln ihrer Mutter sagte Imelda, dass ihre Kleidung passend war, und zu viert machten sie sich auf den Weg zur Kirche. Vor deren Haus trafen sie Onkel Kaspar und Frieda, die genau wie Balbina einen großen Strauß aus Gartenblumen in der Hand hielt, um ihn vor der Messe noch aufs Grab zu stellen. Kaspars Enkel, Jodok, der nur wenig älter als Wolfgang war, tat sich gleich mit diesem zusammen und die beiden Buben liefen voraus, während Sophia doch lieber an der Hand ihrer Mutter ging. Imelda spürte die neugierigen Blicke der anderen Kirchgänger, die höflich grüßten, hinter ihrem Rücken zum Teil aber alles andere als freundlich über sie sprachen, dessen war sie sich sicher. Sie war froh, den ersten Gang ins Dorf in Begleitung ihrer Familie zu tun. Als ihr Onkel Kaspar verschmitzt zuzwinkerte, wusste sie, dass er sich absichtlich mit ihr sehen ließ, um zu demonstrieren, dass sie zu seiner Familie gehörte, und unter seinem Schutz stand.

Nach dem Kirchgang wechselten alle die Sonntagskleider gegen etwas Bequemeres und Imelda ging mit Sophia zu ihrer Mutter, um ihr beim Kochen zu helfen. Wolfi und Jodok wollten die Drachenburg aus Lego wieder aufbauen, die für den Transport zerlegt worden war. Hier im Dorf konnten die Kinder allein zu Freunden gehen und mussten nicht hingebracht und abgeholt werden, wie in der Stadt.

Kurz vor zwölf traf Meinrad, der Älteste der drei Geschwister, mit seiner Frau Andrea und ihren drei Kindern ein. Herzlich umarmte Andrea die Schwägerin und hieß sie willkommen. Auch Imelda freute sich, sie zu sehen. Die lebenslustige Andrea war für sie wie eine ältere Schwester gewesen, war mit ihr einkaufen gegangen und hatte sich immer auf ihre Seite gestellt. Gemeinsam gingen sie zum Auto, um Andreas Jüngste, die drei Monate alte Tanja, zu holen, die friedlich schlief. Kurz darauf fuhr Gregor mit seiner Familie vor. Er war rothaarig, wie Imelda, und der Spaßvogel der Familie. Ständig hatte er irgendeinen Unsinn ausgeheckt und seine Schwester gehänselt. Auch heute fing er gleich wieder an: „Mensch, Melli, du Bohnenstange! Haben sie dir in Salzburg nichts zu essen gegeben? Du siehst ja aus wie der Suppenkasper am fünften Tag.“ „Du siehst auch nicht so aus, als ob du jeden Tag Gesottenes und Gebratenes bekommst“, gab Imelda zurück. Gregor lachte dröhnend und klopfte auf seinen nicht vorhandenen Bauch: „Als Familienvater muss man eben zuerst auf Frau und Kind schauen.“ „Willst du damit sagen, dass wir dir alles wegessen?“, bemerkte seine Frau Karin spitz. „Nein, nein“, meinte Imelda beschwichtigend, „er sucht nur eine Ausrede.“ Zum Glück rief Balbina in diesem Moment zum Essen und beendete die Debatte. Nach dem Essen spielten die Männer mit den größeren Buben Karten, das Säle und die kleineren Kinder „Mensch ärgere dich nicht“. Karin machte mit ihrem Jüngsten ein Mittagsschläfchen. Imelda und Andrea nützten die Zeit, um mit Tanja im Kinderwagen spazieren zu gehen und ungestört reden zu können. „Und, wie geht es dir wirklich?“, fing Andrea an, sobald sie außer Hörweite waren. „Es war schrecklich“, bekannte Imelda. Die Polizei, die Zeitungsreporter, der ganze Skandal. Außerdem war es schwer, den ganzen Luxus aufgeben zu müssen, an den wir alle gewohnt waren. Zum Glück hat der Exekutor den Kindern ihre Spielsachen gelassen und mir meine Nähmaschinen. Elsbeth und Frau Hofstätter, unsere Nachbarin, haben mir Gott sei Dank sehr geholfen. Sie haben mir auch gute Aufträge verschafft, so konnte ich Wolfi auf der Privatschule lassen und Sophia in ihrem guten Kindergarten.“ „Ja, das hat Balbina mir erzählt“, nickte Andrea. „Du hast das alles gut hinbekommen. Die beiden wirken völlig unverändert.“ Imelda seufzte: „Der Schein trügt. Wolfi hatte schwere Asthmaanfälle und Sophia hat in den letzten Monaten keine Nacht durchgeschlafen. Aber seit wir hier sind, haben wir uns alle ein wenig entspannt.“ Andrea lächelte. „Ja, hier ist alles beim Alten. Balbina und Onkel Kaspar haben sich nicht verändert und Gregor auch nicht.“ Die beiden schauten sich an und kicherten. „Ich weiß nicht, wie er es mit Karin aushält“, meinte Andrea. „Ach, Gregor hat ein dickes Fell, der merkt kleine Spitzen gar nicht.“ „Mhm, da hast du wahrscheinlich recht.“ Einträchtig gingen die beiden weiter und kamen gerade rechtzeitig zum Kaffee nach Hause. Als die anderen weg waren, half Imelda ihrer Mutter noch, das Geschirr zu spülen, während Sophia am Küchentisch zeichnete.



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