Читать книгу "Vielleicht" ist nicht genug - Helene Hammerer - Страница 7

4.

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Am Montagmorgen stand Imelda um halb sechs Uhr auf und fing an, das Zimmer neben der Stube auszuräumen. Ursprünglich war dieses in den alten Bauernhäusern das „Gada“, das Schlafzimmer der Eltern, in dem wahrscheinlich oft die ganze Familie geschlafen hatte, da es vom Kachelofen in der Stube mitgeheizt wurde und somit auch im Winter warm war. Ihre Großmutter hatte dort geschlafen, als ihr das Treppensteigen immer schwerer gefallen. Jetzt wollte es Imelda als Schneiderwerkstatt nutzen. Onkel Kaspar machte ihr zwei lange Tische zum Zuschneiden und Nähen, während ihr Bruder Meinrad versprochen hatte, ihr zwei helle Lichtbänder zu organisieren. Als Elektriker musste er oft neue Lampen in Büros montieren und die alten wurden entsorgt. „Sie müssen nicht schön sein, nur hell“, hatte Imelda ihm eingeschärft. „O.k.“, hatte er gegrinst, „ich werde nach hellen, hässlichen Lampen Ausschau halten.“ Nach dem Tod des Vaters war das Geld in Imeldas Familie immer knapp gewesen und so hatten die Geschwister schon früh gelernt, zu improvisieren. Imelda, mit ihrem untrüglichen Gefühl für Formen und Farben, hatte sich der Mode und der Innendekoration zugewandt, ihre Brüder dem Handwerk. Noch als Lehrlinge hatten sie, unter Onkel Kaspars Aufsicht, zusammen mit ihren Cousins den ersten Stock in Balbinas Haus zu einer Ferienwohnung ausgebaut. Diese konnte sie anschließend vermieten, was dem Familienbudget sehr zugute kam. Sie würde das alte Haus auch auf diese Weise umgestalten, beschloss Imelda, sobald sie Zeit und ein bisschen übriges Geld hatte. Bis sieben Uhr arbeitete sie fleißig an ihrer Werkstatt. Dann weckte sie ihre Kinder, gab ihnen ihr Frühstück und machte sich mit Balbina und der kleinen Sophia auf zum Hotel Alpenrose, ihrem neuen Arbeitsplatz. Wolfgang lief zu Onkel Kaspar, denn dieser hatte versprochen, den Kindern eine Sandkiste zu bauen. Dabei wollten Wolfgang und Jodok natürlich helfen. Balbina und Sophia gingen zum Personaleingang, während Imelda das Foyer betrat, um nach Alexander Felder zu suchen. Die junge Frau an der Rezeption schickte sie Richtung Büro, wo Imelda an die Tür klopfte. Auf Alexanders „Herein“ betrat sie den gemütlichen Raum, eine Mischung aus Wohnzimmer und Büro. Ihr Chef stand auf und gab ihr lächelnd die Hand. „Tag, Imelda, schön, dass du wieder hier bist. Wie fühlst du dich als Heimkehrerin?“ „Es ist, als ob das Dorf geschrumpft wäre. Alles ist so klein und so nahe beisammen. Nur die Berge wirken eher noch höher.“ Alexander nickte und grinste. „Ja, mir ging es genauso, als ich aus Mailand zurückkam.“ Schlagartig wurde Imelda daran erinnert, warum sie als Teenager so für Alexander geschwärmt hatte. Er war wirklich ein schöner Mann und gab einem das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, sobald man mit ihm sprach. Imelda gratulierte ihm zu seiner bevorstehenden Heirat, worauf sein Lächeln noch strahlender wurde. „Danke Imelda. Felicia wollte gleich nach Schulschluss Carinas Mama werden und deshalb treffen wir uns heute um zehn Uhr auf dem Standesamt. Nur unsere Familien und wir beide. Leider kann Elsbeth nicht zweimal so weit fahren, aber die Zeremonie heute ist mehr eine Formsache.“ Imelda nickte und setzte sich auf den angebotenen Stuhl, damit sie alle Anstellungsformalitäten erledigen konnten. Als sie das Büro verließ, war Imelda sehr gespannt auf die „Superfrau“, die sich den begehrtesten Witwer im Umkreis geangelt hatte, und spürte einen Anflug von Abneigung gegen sie. Gleichzeitig schalt sie sich eine Närrin. In der Wäscherei räumte Balbina bereits eine der großen Waschmaschinen ein. Sophia saß vor einem Berg kleiner Handtücher und stapelte sie schön aufeinander. Imelda lächelte ihrer Tochter zu: „Gut machst du das, Mäuschen, genau das habe ich als kleines Mädchen auch gemacht.“ „Ich bin nicht klein“, wehrte sich Sophia, „ich bin die Gehilfin vom Säle.“ Um zehn Uhr machten sie eine kleine Pause und um halb eins gingen sie zum Mittagessen. Therese, die Seniorchefin, war für ihre soziale Einstellung im ganzen Dorf beliebt, und es war klar, dass auch Imeldas Kinder mit dem Personal essen durften, genauso wie vor vielen Jahren Balbinas Kinder.

Nach dem Essen gingen Imelda und Sophia nach Hause, wo Onkel Kaspar und die Buben eben die letzte Fuhre Sand abluden, den sie vom Bachbett geholt hatten. Die Kleine wollte sofort Sandkuchen backen. Nachdem sie noch keine Sandspielsachen hatten, suchte Imelda in der Küche zwei alte Löffel, einige Puddingförmchen und einen kleinen emaillierten Topf zusammen. Glücklich begab sich Sophia in den Sandkasten. Onkel Kaspar ging nach Hause, um ein Nickerchen zu machen und die Buben wollten ins Schwimmbad gehen. Imelda hatte zuerst gezögert, Wolfi allein ins Schwimmbad gehen zu lassen, aber Onkel Kaspar hatte ihr versichert, dass sie völlig unbesorgt sein konnte. Walter, der Gemeindearbeiter, war an schönen Tagen auch Bademeister und er duldete keinen Unfug. Der Bub sei im Auenfelder Freibad so sicher wie zu Hause im Wohnzimmer, schmunzelte er. Imelda cremte ihren Sohn sorgfältig ein, packte ihm eine Jause ein und gab ihm Geld für den Eintritt und ein Eis. Im Herbst musste sie kein Schulgeld mehr bezahlen, da konnte sie den Kindern kleine Freuden leicht ermöglichen. Nachdem Jodok schon wartete, verkniff sich Imelda die Ermahnungen, die ihr auf der Zunge lagen.

Wenig später traf Roswitha, eine Sängerin aus dem Kirchenchor ein, die für die bevorstehende Hochzeit neue Ärmel für ihre Tracht wollte. Sie brachte einen dunkelroten Brokatstoff und kleine, mit Stoff bezogene Knöpfe mit. Imelda bat die Frau in die Stube, um Maß zu nehmen und bot ihr dann eine Tasse Kaffee an. Sie wusste, dass Roswitha nicht nur der Näharbeiten wegen hier war. Alles, was sie sah und hörte, würde sie brühwarm weitererzählen.

Später ging Imelda mit Sophia in den Dorfladen, wo sie auch Eimer, Schaufeln und Sandförmchen erstanden. Auf der Bank eröffnete sie ein Konto und zahlte ihre restlichen Ersparnisse auf ein Sparbuch ein. Viel war es nicht mehr, aber mit ihrem Lohn und dem Geld der privaten Kunden, die bar bezahlten, würden sie schon zurechtkommen. Gegen Abend nahm Onkel Kaspar Maß für die Tische in Imeldas Werkstatt und versprach ihr einen alten Drehstuhl aus seinem Büro, bei dem nur der Polsterbezug ausgebleicht war. An dem überaus guten Zustand des ehrwürdigen Stücks wagte Imelda zwar zu zweifeln, aber einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul. Solange Imelda keine Möbel in der Werkstatt hatte, benutzte sie den großen Tisch in der Stube. Sie breitete ein sauberes Leintuch darüber. Dann nahm sie die alte Nähmaschine der Großmutter aus ihrem Koffer, putzte und ölte sie und fädelte Nähgarn ein. Auf einem Flicken probierte sie die Maschine aus und war mit dem Ergebnis zufrieden. Die Naht war erstaunlich schön und gleichmäßig. „Gut so, es kann losgehen!“, freute sich Imelda. Zum Glück hatte Balbina ihre alten Schnitte und ihre erste Overlock-Nähmaschine aufbewahrt, so konnte sie Roswithas Ärmel heute noch fertig nähen. Zwischendurch gab sie den Kindern ihr Abendessen und brachte sie zu Bett. Zurück in der Stube, nahm sie den Lampenschirm ab und schraubte eine stärkere Glühbirne in die Fassung, damit sie genügend Licht hatte. Kurz vor zehn Uhr nachts waren Roswithas Ärmel bereit zur Abgabe. Imelda trank noch eine Tasse Kräutertee, begab sich dann ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne ein. Sie hatte am Nachmittag auch das versprochene Schaumbad erstanden und räkelte sich wohlig im warmen, duftenden Wasser. Bevor sie zu Bett ging, schaute sie noch nach Wolfi. Er atmete leicht und regelmäßig. Gott sei Dank! Auch Sophia hatte in der vergangenen Nacht nur einmal kurz geweint und gleich weiter geschlafen, nachdem sie ein wenig Wasser getrunken hatte. Vielleicht hatte Andrea recht und ihr Leben verlief von nun an wieder in ganz ganz normalen Bahnen.

Am ihrem zweiten Arbeitstag lernte Imelda die neue Juniorchefin kennen und zu ihrer Überraschung mochte sie die junge Frau auf Anhieb. Kaum hatten sie mit ihrer Arbeit begonnen, hüpfte Carina, Alexanders Tochter, an der Hand einer zierlichen, dunkelhaarigen Frau ins Bügelzimmer. „Balbina“, rief sie aufgeregt, „das Fräulein ist jetzt meine Mama!“ Balbina lächelte den beiden zu. „Das freut mich aber, Carina. Jetzt ist dein Wunsch endlich in Erfüllung gegangen.“ Dann schüttelte sie der neuen Mama die Hand. „Herzlichen Glückwunsch, Felicia, und willkommen in der Alpenrose.“ „Danke Balbina“, strahlte Felicia, „ich hoffe, ihr helft mir alle, denn von der Gastronomie habe ich keine Ahnung.“ „Du wirst schon zurechtkommen“, versicherte Balbina und stellte der neuen Chefin Imelda vor. Die beiden tauschten die üblichen Höflichkeiten und Felicia beugte sich zu Sophia, die sich halb hinter ihrer Mutter versteckte. „Ich bin Felicia und wer bist du?“, fragte sie freundlich. „Sophia“, kam es zögerlich von der Kleinen. „Ah, bist du die Sophia, die in Salzburg gewohnt hat? Weißt du, Salzburg ist meine Lieblingsstadt.“ Zu Imeldas Überraschung fing ihre Tochter an von Salzburg zu erzählen, und unterhielt sich mit Felicia, als ob sie einander schon lange kannten. Carina schien jedoch nicht bereit zu sein, ihre neue Mama gleich mit Sophia zu teilen und zog an ihrer Hand. „Komm jetzt, Mama!“ „Carina, ich unterhalte mich gerade mit Sophia. Du wartest bitte, bis wir fertig sind“, sagte die junge Frau ruhig, aber sehr bestimmt. Und Carina wartete wirklich, bis sie sich von Sophia verabschiedet hatte. Mit einem Gruß verließen sie das Zimmer. Imelda war beeindruckt. Diese zarte, kleine Person konnte sich offenbar durchsetzen, ohne laut zu werden. Balbina strahlte vor Stolz: „Verstehst du jetzt, dass Alexander mit ihr großes Glück hat?“ Imelda nickte. „Ja, das glaube ich auch. Ich bin froh, dass sie Carinas neue Mama ist, und nicht ich.“ Damit war Imeldas Anflug von Eifersucht ein für alle Mal vorbei.

In den kommenden Wochen freundeten sich die beiden Mädchen schnell an. Sie spielten Puppen in Carinas Zimmer oder malten einträchtig im Bügelzimmer neben Balbina und Imelda. Auch Wolfgang mochte die impulsive Carina. „Weißt du, sie hat immer lustige Ideen“, gestand er seiner Mutter. Manchmal ging Carina auch mit den Buben ins Schwimmbad, dann genoss es Sophia, den Sandkasten für sich allein zu haben. Imelda nähte jede Minute, die sie erübrigen konnte, manchmal bis spät in die Nacht. Onkel Kaspar hatte Wort gehalten und ihr die Werkstatt eingerichtet. An einer Wand und unter den Fenstern verliefen zwei lange Tische zum Zuschneiden und Nähen. Auf der anderen Seite stand ein breites Regal mit Fächern für Stoffe und halbfertige Stücke und einer Kleiderstange, um fertige Kleidung an Bügeln aufzuhängen. In einer Ecke des Zimmers hatte Onkel Kaspar Vorhangschienen an die Decke geschraubt, so war eine kleine Umkleidekabine entstanden. Ein langes Stück Spiegelglas rahmte er mit Holzleisten ein und befestigte es an der Wand. Somit war Imeldas Werkstatt fürs Erste ausreichend ausgestattet.



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