Читать книгу Inklusive Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf - Helga Fasching - Страница 7
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Wozu Inklusion im Übergang?
Worum es geht …
Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels in der Zweiten Moderne stellt das folgende Kapitel einführend die allgemeine Situation für Pflichtschulabsolvent*innen dar und nimmt dann Bezug darauf, wie sich gegenwärtige Strukturen auf die Übergänge marginalisierter Gruppen auswirken.
Übergänge im persönlichen Lebenslauf stellen Menschen vor vielfältige Herausforderungen. Sie sind gekennzeichnet durch Unübersichtlichkeit und zahlreiche Risiken, erfordern Neuorientierung und Planung. Im Hinblick auf den Übergang von der Schule in Ausbildung oder Beruf sind Jugendliche mit der bildungs- und berufsbiographisch bedeutsamen Frage konfrontiert, ob die schulische Laufbahn fortgesetzt oder in die duale Ausbildung und/oder Erwerbstätigkeit eingemündet werden soll. Viele sehen sich vor dem (Pflicht-)Schulabschluss zudem in einer ambivalenten Situation. Die Eröffnung von beruflichen Möglichkeiten und Chancen durch Globalisierungs- und Flexibilisierungsprozesse auf der einen Seite korrespondiert mit einer zunehmenden Unübersichtlichkeit über (Aus-) Bildungswege sowie berufliche Möglichkeiten andererseits:
»Der Wegfall sozial normierter, etablierter Ausbildungs- und Berufswege erzwingt verstärktes eigenverantwortliches Handeln. Auf der einen Seite bedeutet dies mehr Freiheit und damit auch mehr Chancen für die Gestaltung des eigenen Lebensweges. Auf der anderen Seite bedarf es auch Fähigkeiten, diese Freiheit zu nutzen. Sind diese nicht vorhanden, kann Entscheidungsfreiheit auch zu Überforderungen führen.« (Butz & Deeken, 2014, S. 101)
Die Jugendlichen sind dazu angehalten, ihre schulischen wie beruflichen Möglichkeiten auszuloten und sich schließlich für eine Alternative zu entscheiden, der entsprechend dann der weitere Ausbildungsweg ausgerichtet wird. Koch (2015, S. 4) hält fest, dass es gerade »[f]ür Jugendliche besonders schwerwiegend [ist], dass mit den jeweiligen Anschlüssen unterschiedliche Chancen der langfristigen Teilhabe an Erwerbstätigkeit verbunden sind«.
Zudem werden bisherige Denk- und Handlungsmuster insofern herausgefordert, als dass das berufliche Umfeld nicht mit der bekannten schulischen Lebensrealität konform geht: »Der Wechsel von der Schule in die Arbeitswelt erfordert, in einem neuen, erwerbs- und berufsbezogenen Kontext handlungsfähig zu werden« (Pool Maag, 2016, S. 601).
Allerdings gilt für junge Menschen gleichermaßen, neben einer Festlegung noch flexibel für berufliche Änderungen zu bleiben. Dabei sei vor allem wesentlich, bereits vor dem Berufseintritt »spezifische, potenziell nützliche und verwertbare ›Kompetenzen‹ oder ›skills‹ zu erwerben und dieserart das eigene Humankapital zu maximieren« (Fasching, 2019, S. 854). Das bedeutet nicht nur, dass die Schüler*innen zukünftige berufliche Anforderungen bereits antizipieren müssen, sondern dass auch der Schule und speziell den berufsbildenden und -vorbereitenden Fächern eine besondere Bedeutung zukommt.
Bildungs- und Berufsentscheidungen zeichnen sich demnach durch einen immer ungewisseren und vorläufigeren Charakter aus. Von einer einmaligen Berufsentscheidung für einen Lebensberuf (Famulla, 2001) kann keine Rede sein:
»Ökonomische Wandlungstendenzen wie Globalisierung, Flexibilisierung, Mobilität tangieren Ausbildungsfähigkeit von der gesellschaftlichen Makroebene aus. […] Dieser Wandel wird zukünftig die Berufsorientierung von Jugendlichen mitbestimmen und Lebenslanges Lernen zu einer Notwendigkeit für alle machen.« (Schlemmer, 2008, S. 15)
Durch ein immer weiter steigendes Bildungsabschlussniveau werden nicht nur immer höhere bzw. mehr Abschlüsse, sondern zudem auch bestimmte, zuvorderst intellektuell-kognitive Kernkompetenzen notwendig. Die vor allem durch Digitalisierung bedingte voranschreitende Wegrationalisierung (Haeberlin, 1998) des Niedriglohnsektors und Sonderarbeitsmarktes sowie die Akademisierung einer Reihe von Berufsgruppen lässt formale Schulabschlüsse und Bildungszertifikate immer bedeutsamer werden (Fasching, 2019, S. 854). Die durchschnittliche Höherqualifizierung geht allerdings damit einher, dass es sich für niedrigqualifizierte Jugendliche und Schüler*innen aus Mittel- bzw. Haupt- und Sonderschulen zunehmend schwieriger gestaltet, am allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen (Nentwig, 2018, S. 22). Als besonders herausfordernd stellt sich der Übergang für Jugendliche mit bestimmten Differenzmerkmalen dar. Sie sind besonders von (zunehmender) Benachteiligung, Ausgrenzung und Stigmatisierung betroffen und sehen sich mit hohen Zugangsbarrieren im Ausbildungs- und Berufssystem konfrontiert.
Besonders die Verschränkung mehrerer Differenzmerkmale erhöht und verschärft Exklusions- und Benachteiligungsrisiken im Übergang von der Schule in weitere Ausbildung und Beruf. Müller,Zöller, Diezinger und Schmid (2015, S. 64) verweisen darauf, dass »Zugangsprobleme zur beruflichen Bildung in der Regel lang anhaltende soziale Selektionswirkungen« haben.
Abb. 1.1: Differenzmerkmale, die zu Benachteiligung im Übergang von der Schule in die Ausbildung und den Beruf führen können (eigene Darstellung).
Junge Erwachsene mit Beeinträchtigung sind nach der Pflichtschulzeit besonders oft mit Hürden im Übergang konfrontiert:
»Während einerseits ihre Zugangschancen sinken, nehmen andererseits Diskreditierungs- und Stigmatisierungsprozesse zu, sodass die Verdrängung in die Arbeitslosigkeit und in weiterer Folge an den Rand der Gesellschaft nahezu unausweichlich wird« (Fasching, 2019, S. 854).
Dabei sind Menschen mit Behinderung vermehrt auf Maßnahmen der Sozialpolitik und der Bereitstellung von institutionellen Unterstützungsangeboten angewiesen (Fasching, 2014, S. 506). Auch Demmer (2017, S. 100) vermerkt,
»dass die Entscheidungsmöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen unter verschärften Exklusionstendenzen und Formen institutioneller Diskriminierung stattfinden und dass für die Bearbeitung der damit einhergehenden Risiken häufig nur begrenzte materielle, soziale und/oder kulturelle Ressourcen zur Verfügung stehen«.
Sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene verlassen Jugendliche mit intellektueller Beeinträchtigung am häufigsten frühzeitig die Schule (Fasching, 2014, S. 12). Nach dem Abschluss der Pflichtschule kommt es insbesondere bei Angehörigen dieser Gruppe vermehrt zu einem direkten Übergang in die Tagesstruktur oder Beschäftigungstherapie im dritten Arbeitsmarkt, dem sogenannten »erweiterten Arbeitsmarkt« (Fasching, 2016). Der Wechsel aus diesem in ein Beschäftigungsverhältnis auf dem ersten bzw. allgemeinen Arbeitsmarkt gelingt nur in seltenen Fällen (Spiess, 2004).
Wenngleich eine ganzheitliche, inklusive Berufsorientierung, -vorbereitung und -ausbildung und übergangsspezifische pädagogische Unterstützungsleistungen eine bedeutsame Stellung für alle Schüler*innen zur Bewältigung des Übergangs von der Schule in Ausbildung und Beruf einnehmen, so wenden sie sich doch vor allem an jene Schüler*innen, die von struktureller Benachteiligung betroffen sind und den Übergang als besonders prekär erleben (könnten). Es wird versucht, ihren Vorstellungen, Wünschen und Möglichkeiten entsprechend und mit ihnen gemeinsam den Übergang zu gestalten. Neben schulbezogenen Angeboten offerieren dabei auch außerschulische und berufsbegleitende Maßnahmen Unterstützung, um inklusive Übergänge in Ausbildung und Beruf bestmöglich anzubahnen und zu begleiten. Da in jeder Phase verschiedene Kompetenzen und Entscheidungen von den Jugendlichen abverlangt werden, sind pädagogische Angebote in unterschiedlichen Bereichen bzw. professionellen Handlungsfeldern (z. B. Assistenz) und an unterschiedlichen Zeitpunkten im Übergang (z. B. Coaching vor und während des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung sowie Arbeitsassistenz im Beruf) angesiedelt.
Ein Ziel inklusiver Übergänge ist demnach, dass »inklusive, sprich chancengerechte Bedingungen geschaffen werden, welche die Verschiedenheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen von vornherein berücksichtigen und Benachteiligungen und Ausgrenzungen aufgrund von Unterschiedlichkeit vermeiden« (Wansing, Westphal, Jochmaring & Schreiner, 2016, S. 71). In Bezug auf eine inklusive Übergangsgestaltung nach der Pflichtschule bedeutet dies Zugang zu weiterführender Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung in regulären Systemen. Es geht dabei nicht nur um eine theoretische Gewährung von Zugängen, sondern vielmehr darum, durch eine Unterstützung im Gewinnen von Handlungsfähigkeit nachhaltige Partizipation (am allgemeinen Arbeitsmarkt) zu ermöglichen. Alternative Beschäftigungsformen am zweiten oder dritten Arbeitsmarkt sollten erst zum Zug kommen, wenn alle Möglichkeiten der Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschöpft wurden (Fasching, 2014, S. 507). Pädagogisches Handeln ist angehalten, Benachteiligungsstrukturen im Übergang zu erkennen und Übergänge von der Schule in Ausbildung und Beruf partizipativ zu gestalten.
Die Verwobenheit von Übergängen und Pädagogik zeigt sich schließlich in zweifacher Weise: Zum einen werden durch Übergänge selbst Lern- und Bildungsprozesse auf Seiten des Individuums evoziert. Zum anderen kann das pädagogische Moment auch in der professionellen Bearbeitung von Übergängen gesehen werden, sei dies nun als Vorbereitung, Begleitung oder nachträgliche Korrektur.
Weiterführende Literatur und Links
Cameron, D.K. & Thygesen, R. (Eds.) (2015). Transitions in the field of special education. Theoretical perspectives and implications for practice. Münster, New York: Waxmann.
Fasching, H., Geppert, C. & Markarova, E. (Hrsg.) (2017). Inklusive Übergänge. (Inter)nationale Perspektiven auf Inklusion im Übergang von der Schule in weitere Bildung, Ausbildung oder Beschäftigung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Trainor, A. A. (2017). Transition by design: Improving equity and outcomes for adolescents with disabilities. New York: Teachers College Press.
Wehman, P. (2013). Life Beyond the Classroom. Transition strategies for young people with disabilities. Baltimore, London, Sydney: Paul H. Brookes.
Bidok – digitale Volltextbibliothek mit Texten und Materialien zum Thema Inklusion von Menschen mit Behinderungen und zum Übergang Schule – Beruf (Universität Innsbruck): http://bidok.uibk.ac.at/
AMS Österreich: http://iambweb.ams.or.at/ambweb/
Informationssystem des Bundesministeriums für Arbeit (Österreich): http://www.dnet.at/elis/
Information zu Sozialen Unternehmen: