Читать книгу New York bis September - Helge Brühl - Страница 5

2.Kapitel

Оглавление

Fasten seat belts, bitte anschnallen, las er am nächsten Tag, dem neunten Februar, auf der kleinen Anzeige über ihm. Er saß am Fenster der Economy Class einer Boeing 747. Sein Gepäck hatte zweifelsohne Übergewicht und die Nachlöse war ganz schön happig. Doch schließlich machte er keine Urlaubsreise, sondern richtete sich für sieben Monate auf die Weltmetropole New York ein. Sein Nachbar zur Linken, ein aufgeschwemmter, verlebt aussehender Mann, wischte sich den Schweiß von der Stirn und Frank hatte Mühe seine linke Hand auf der Armstütze zu platzieren. Seine Atmung hatte etwas kratziges, das in Frank den Wunsch erzeugte sich zu räuspern. Außerdem roch er wie ein Bauarbeiter, der es noch nicht unter die Dusche geschafft hatte. Ganz außen saß ein junger Managertyp mit Nickelbrille, der unverdrossen auf die Tastatur seines Laptops einhämmerte und den nichts zu stören schien.

Das kann ja was werden, dachte er. Es ärgerte ihn, aber sein Geist sagte, dass es ihm letzten Endes gleichgültig war. Seine Gedanken und Vorstellungen waren weit voraus und hatten mit diesem Flug nichts mehr zu tun. Die schwindelerregenden Wolkenkratzer in New York warteten auf der anderen Seite des Ozeans schon auf ihn. Jedenfalls redete er sich das ein. Die Maschine bewegte sich langsam auf die Startbahn zu. Frank lehnte sich zurück und spürte die Vibrationen, die gewaltige Kraft der Triebwerke. Als ob sie noch mal tief durchatmen müssten, um dann mit Volldampf in die Lüfte zu schießen. Als das Flugzeug abhob, war Frank plötzlich von ungeheurer Erregung erfüllt. Er flog in eine völlig unbekannte Zukunft, aber mit dem Gefühl auf dem richtigen Weg zu ein.

Er nahm sich die neueste „Financial Times“ und fing an zu lesen. Als er merkte, dass er nicht fähig war sich zu konzentrieren, faltete er die Seiten wieder zusammen. Ab und an sah er gedankenversunken auf die dicken Wolkenkissen, die am Fenster vorbeischwammen.

Anne hatte ihn Mittag auf den Flughafen gefahren und bis zum Check In begleitet. Sie war traurig, aber gefasst. Eine Weile hatte er sie angeschaut und überlegte, wie schon so oft, was er für diese Frau empfand. Er merkte, dass sie den Tränen nahe war, und berührte mitfühlend ihren Arm. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und getröstet, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Er begnügte sich damit, ihr schnell und diskret die Hand zu drücken. Ihre Stimme war ganz leise, als sie sagte:

>> Alles Gute Frank und bleib gesund. << Man hörte an ihrer Stimme, wie ihr zumute war.

>> Pass auf dich auf Kleines, und nimm es nicht so schwer! << sagte er ohne nachzudenken. Lächelnd berührte er noch einmal ihre Hand und murmelte: >> Bis später. <<

>> Richtig, << erwiderte sie, >> bis später. << Ihre Augen musterten sein Gesicht, scheinbar auf der Suche nach Verständnis. Plötzlich lachte sie kurz und unglücklich - eigentlich eher ein weiches tiefes Gurgeln als ein Lachen. Unerwartet erlosch dieses Lachen und ihr Gesicht durchlief eine seltsame Veränderung. Sie war plötzlich fort, entrückt, ihre Augen waren leer und der Blick, den sie ihm zuwarf, war ohne Empfindung. Mit quälender Deutlichkeit lief die letzte Szene zwischen ihm und Anne ab. Ihre letzte Antwort war ein unterdrücktes Schluchzen. Das Handy hatte geklingelt und dann war sie gegangen. Er schaute ihr nach, sie drehte sich nicht mehr um und verschwand um die nächste Ecke. Meg hatte sich schon am frühen Morgen, bevor sie zur Schule ging, von ihm verabschiedet. Sie blieb cool und machte den Abschied nicht schwerer als er war. Trotzdem, so dachte er in diesem Moment, war Abzureisen weit schwieriger, als er es angenommen hatte.

Frustriert blickte Frank gedanklich auf die letzten drei Jahre seines Lebens zurück und sah darin keinerlei Entwicklung, sondern einfach nur eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger enttäuschenden Geschehnissen. Es war eine Zeit gewesen, in der er einen seltsamen Frieden in sich verspürt hatte, wie ein Kranker, der sich langsam von einem langen Leiden erholt und weiß, dass man ihm keine große Anstrengung abverlangen kann. Es war schwer, den Gedanken auszuweichen, das all diese verschiedenen Arten, sein Leben zu betrachten, allem Anschein nach unsinnig waren, oder auch nicht. Er lehnte sich an die Scheibe, schloss die Augen und dämmerte in einen Halbschlaf hinüber.

Die Maschine flog ruhig und als er munter wurde, schaute er auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Horst suchte mit Sicherheit schon einen Parkplatz. Etwas später, als das Flugzeug zur Landung ansetzte, hatte er das Gesicht ans Fenster gepresst und gierig den Anblick der Skyline aufgesogen. Deutlich ragten die gewaltigen Türme des World Trade Centers hervor. Erst da wurde ihm klar, wie sehr er diese Stadt vermisst hatte. Wie sehnsüchtig hatte er sich gewünscht, endlich wieder hier zu sein.

Vor den US-Immigrationschaltern reihten sich die Menschen zu langen Schlangen. Nach zwanzig Minuten endete für Frank das Warten. Ein übergewichtiger, schwarzer Typ in Uniform, fixierte ihn unfreundlich, gar abweisend, so dass Frank den Eindruck hatte, Ähnlichkeit mit einem Fahndungsfoto zu besitzen. Dann fragte er mürrisch nach seinem Aufenthaltsgrund: >> Privat oder geschäftlich? <<

Das erste Mal beantwortete Frank die Frage mit einem klaren >> Geschäftlich. <<

Der dicke Schwarze mußterte ihn nochmals penetrant sorgfältig, schien jede Einzelheit in seinem Gesicht wahrzunehmen, als würde er mit seinen Augen jedes Fältchen, jeden Leberfleck direkt in die Verbrecherkartei des FBI scannen. Dann drückte er endlich seinen Stempel in den Reisepass. >> Welcome to America, << sagte er, und blickte lächelnd auf. Frank dankte und ging weiter. Er war in New York angekommen, aber die wirkliche Herausforderung stand ihm noch bevor.

Horst und Nancy warteten schon eine geraume Weile fröstelnd vor dem Flughafen.

>> Willkommen in Amerika, mein lieber Freund, << sagte Horst als er ihn mit strahlender Miene in die Arme nahm.

Nancy gab ihm einen Kuß auf die Wange. >> Schön dass du da bist, wir freuen uns sehr. Du warst so lange nicht da. << Frank nahm ihre Hand und drückte sie.

>> Lass dich anschauen. Mal sehen ob du dich verändert hast, << sagte Horst und Frank trat einen halben Schritt zurück, damit er ihn prüfend betrachten konnte.

>> Gefällt dir was du siehst? << fragte Frank lächelnd.

>> So einigermaßen, << antwortete Horst im Scherz.

Das Wetter war winterlich und bitterkalt. Ein eisiger Wind wehte vom Atlantik herüber. Sein langer, schwarzer Lodenmantel tat ihm gut. Er schlug den Kragen hoch und schlang seinen Schal fest um den Hals. Sein Gepäck, bestehend aus drei großen Hartschalenkoffern und einer Reisetasche, wurde in den Jeep gestapelt und schon ging es los zur kleinen Ranch von Horst und Nancy. Frank kannte beide schon über zehn Jahre und viele Stunden hatten sie schon gemeinsam verbracht. Es waren wunderbare Menschen, liebevoll und herzensgut. Auf der Interstate spürte er endlich wieder das Feeling, welches einen Teil von Amerika ausmachte. Breite Highways, die gewaltigen Trucks und immer mal ein alter Cadillac. Während der Fahrt tauschten sie ein paar Belanglosigkeiten aus, lachten viel und redeten hauptsächlich über alte Zeiten. Überall lag Schnee und wie Horst sagte, war der schon fast eine Woche alt, aber er sah noch makellos weiß aus. Fünfzig Meilen durch New Jersey und dann konnten sie zünftig ihr Wiedersehen feiern. Und wie er von Nancy erfuhr, hatten sie vor einer Woche ein Rind geschlachtet und dies ließ einmalige Steaks vom Grill erwarten. Dazu Folienkartoffel und die berühmte Sauercreme. Bei diesem Gedanken lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Im Radio spielte Country-Musik und der Wetterbericht sagte Schneeschauer für den Abend voraus. Die weiteren Meldungen waren eher belanglos, der Verkehrsbericht sehr umfangreich, vermeldete er doch für ihre Route weder Staus noch Hindernisse. Er hatte schon einen langen Tag hinter sich, doch vor ihm erstreckte sich endlos das Wochenende. Erst am Montag würde er dann den Ernst spüren, wenn er in Manhattan seinen Job antrat. Schon auf dem Weg nach New York hatten ihn Ängste beschlichen. Während der ganzen langen Flugreise hatte er sich gefragt, ob er es schaffen würde, diese Herausforderung zu bestehen, die er sich selbst aufgebürdet hatte. Ihm wurde wieder bewusst, dass für ihn selbst ein hoher Einsatz auf dem Spiel stand. Tausend Fragen schwirrten durch seinen Kopf, tausend Fragen die eine Antwort verlangten. Oft ist man im Leben gezwungen zu begreifen, dachte er, dass es keine leichten Antworten gibt. Auch wenn man das je geglaubt hätte.

Der Montag kam schneller als er dachte. Am Morgen machte sich der Wecker mit penetranten Intervalltönen bemerkbar. Frank hasste dieses Geräusch. Als ob jemand, mit aller Kraft, einen Presslufthammer gegen den Kopf drückte. Sein Schlaf war unruhig, das Bett einfach zu weich, das Kreuz tat weh und seine Wangen fühlten sich heiß an, als käme er gerade von einer Joggingtour. Etwas hatte er geträumt, aber er wusste nicht mehr genau was.

Hotel Wales, in der Madison Avenue, war jetzt sein zu Hause für die nächsten sieben Monate. Horst hatte ihn gestern Abend hergefahren und Frank war angetan von dem gediegenen Luxus, den das Hotel ausstrahlte. Überall Marmor, glänzender Chrom und edle Hölzer. Die breiten Teppichläufer waren so dick, das die Schuhe fast haften blieben. Sein Zimmer war komfortabel, das große Doppelbett gab ausreichend Platz. Vielleicht gewöhnte er sich noch an den Härtegrad der Matratze. Ein flauschiger, weißer Bademantel und die passenden molligen Slipper lagen im Bad für ihn bereit. Er duschte lange und dachte unentwegt an den heutigen Tag. Was würde ihn heute erwarten? Das Handtuch um die Hüfte gewickelt, suchte er mit filigraner Sorgfalt den passenden Anzug aus. Zum weißen Hemd, wählte er an diesem Morgen eine türkisfarbene Krawatte. Er konnte noch frühstücken, hatte aber keinen Appetit. Vielleicht noch eine Tasse Kaffee oder Tee? Nein, jetzt nicht mehr. Die Nerven spannten sich zu Drahtseilen. Aufregung, die den Körper durchzog und fest im Bann hielt, war schon ein merkwürdiges Gefühl. Künstler bezeichnen dies als Lampenfieber. Das konnte er jetzt nachvollziehen. Ein letzter Blick in den Spiegel sagte ihm, dass alles in bester Ordnung war. Er lächelte verlegen. Das Klingeln des Telefons schrillte plötzlich in Franks Ohr und verpasste ihm den erhofften Adrenalinstoß. Der Portier teilte ihm mit, dass das Taxi für ihn bereit stand. Noch mal tief durchatmen und los. Irgendwie war die Realität etwas unwirklich, das Gefühl im Magen war unangenehm.

Wenig später setzte ihn das Taxi an einem Hochhaus in Lower Manhattan ab.

Betont langsam, aber zielsicher mit geradlinigem Gang, begab er sich zum Fahrstuhl und ließ sich in die zwanzigste Etage fahren. Das Adrenalin in seinen Adern ließ sein Herz höher schlagen und sein Atem ging stoßweise. Hier hatte seine Bank eine beeindruckende Niederlassung, genau da, wo die Welt des Kapitals, dichtgedrängt, verteilt in Wolkenkratzern und Bürotürmen aus Stahl und Glas agierte, unweit der Wall Street und dem World Trade Center. Allein das Empfangsportal strahlte Macht und Einfluß aus. Mehrere junge Damen saßen dort und schienen sich weiß Gott nicht zu langweilen. Pausenlos läuteten die Telefone, surrten die Faxgeräte oder wurde Kurierpost in die Ablagen verteilt.

Frank ging zum Tresen und wurde von einer lächelnden, jungen Frau mit Latinacharme freundlich begrüßt. >> Guten Morgen. Mein Name ist Elena Cortez. Womit kann ich ihnen weiterhelfen, Sir? <<

Diese Begrüßung hätte die Werbung nicht schöner inszenieren können, dachte Frank. Ihr Lächeln mit den schlohweißen Zähnen erinnerte ihn an ein Werbeplakat von Colgate.

>> Guten Morgen, mein Name ist Frank Bender, ich bin bei Direktor Wright angemeldet. <<

Ein sanftes aber direktes Lächeln begleitete seinen Satz.

>> Oh, Mr. Bender, sie werden schon erwartet. Bitte haben sie doch einen Augenblick Geduld und nehmen noch kurz Platz. Darf ich ihnen einen Kaffee oder ein Wasser bringen? <<

Der Gedanke an amerikanischen Kaffee, diese abscheuliche Brühe, machte ihn überhaupt nicht glücklich, er entschied sich für Wasser. Er hatte gerade den ersten Schluck genommen als Elena Cortez ihn bat, sie zu begleiten.

Direktor Thomas D. Wright begrüßte ihn diskret, aber betont freundlich. Er musterte ihn ernsthaft bevor er Frank die Hand reichte. Seine Stimme offenbarte die Selbstsicherheit eines Mannes, der schon lange das Sagen hatte. Die dunklen Haare waren dick wie Draht, akkurat gescheitelt mit silbergrauen Schläfen. Eine breite Nase zierte sein Gesicht, seine Augen waren unangenehm. Wright war vielleicht Anfang fünfzig, machte einen trainierten Eindruck. Die Golfschläger in der hinteren Ecke des Büros ließen Frank gleich erahnen, womit er sich fit hielt. Ein edles Pfeffer-und Salz-Sakko betonte seine breiten Schultern. Die zugeknöpfte graue Weste spannte sich straff wie ein Korsett um seinen Oberkörper.

Elena Cortez brachte einen kleinen Imbiss, aus belegten Bagels, und stellte eine große verchrohmte Thermoskanne mit Kaffee auf den Tisch. Nun also doch Kaffee, dachte Frank.

>> Der Alltag in Manhattan lässt sich doch nur mit Kaffee ertragen, << sagte Wright. >> Jedenfalls geht es mir so. <<

>> Aber es steigert auch das Herzinfarktrisiko, dem wir in unserem Job ja alle ausgesetzt sind, << fügte Frank lachend hinzu.

>> Stimmt, << sagte er kurz. >> Wir wissen Gott sei Dank alle nicht, wann und wie, wir gehen müssen und das ist gut so. Wenn wir alle Weisheitslehren des Lebens beachten würden, kämen doch Freude und Genuss reichlich zu kurz. Ich denke, da werden sie mir zustimmen.<<

>> Da haben sie völlig recht Mr. Wright, << erwiderte Frank, der kein Talent für Smalltalk besaß.

Nach dem Anfangsgerede kam Wright gleich zu den dienstlichen Einzelheiten. Er redete schnell und völlig emotionslos, als ob er in sich eine Schallplatte abspielte. Sein Blick irrte dabei ziellos im Raum, ähnlich einem Showmaster, dem sein Publikum abhanden gekommen war. Die Contenance blieb davon zwar unberrührt, doch seine Augen verursachten einen leichten Anflug von Antiphatie

>> Sie haben ja bestimmt erfahren, dass unser Mr. Wolter an Krebs erkrankt ist. Traurig aber nicht zu ändern. <<

>> Schreckliche Sache, << pflichtete Frank ihm bei.

>> Ja, das ist es in der Tat. Sie werden ja nun die Stelle vorübergehend besetzen. Ich versteh zwar bis heute nicht, warum da ein Profi aus Deutschland kommen muß, aber der Vorstand in Frankfurt hat sich ganz sicher was dabei gedacht. Ihr Büro steht ihnen ab sofort zur Verfügung, ihr Team umfasst zwanzig Mitarbeiter, denen sie weisungsberechtigt sind. Die Akten liegen geordnet im Büro ihrer Sekretärin. Mr. Wolter war noch so freundlich, die besonders wichtigen Vorgänge für sie zu markieren. <<

Seine Augen ähnelten denen eines Stockfisches, dachte Frank, irgendetwas in seinem Blick war undurchsichtig. Vielleicht täuschte er sich auch.

>> Das ist sehr freundlich von ihnen, sicher werde ich anfangs eine Weile brauchen um mich einzuarbeiten. Deutsche Vorgänge sind mir ja vertraut, doch ich muß erst einmal sehen, wie ich mit den hiesigen zurechtkomme. <<

>> Es ist doch eigentlich überall gleich auf der Welt. Wichtig ist doch nur, dass man die Sprache beherrscht. Alles andere findet sich. << Wright lachte und reichte ihm die Hand.

>> Mein lieber Mr. Bender, ich wünsche ihnen eine gute Zeit in New York City. Sollten sie Probleme haben, dann steht ihnen meine Tür immer offen. Ach noch was - ihr Dienstwagen steht in der Tiefgarage und ich habe dafür gesorgt, dass sie ein deutsches Fabrikat erhalten. Es wird nachher jemand zu ihnen kommen, um sie zum Fahrzeug zu begleiten. Ich hoffe, sie kommen mit dem Verkehr hier klar, mich kotzt er an. <<

>> Ein wenig bin ich es gewohnt in Manhattan zu fahren, << sagte Frank, >> denn ich war schon öfter mal privat hier. <<

>> Na, da werden sie ja nicht allzu viel Probleme haben. Aber die Rushhour können sie nicht besiegen. Ich sag es ihnen. << Wright lachte etwas hämisch und machte eine emphatische Geste. Frank fiel auf, dass seine Finger gelb von Nikotin waren.

>> Bei der Arbeit die hier auf mich wartet, werde ich sicher nicht um diese Zeit im Auto sitzen, << entgegnete Frank lächelnd und nahm dann einen Schluck Kaffee. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er schon den zweiten Bagel angebissen hatte.

>> Das versteh ich voll und ganz Mr. Bender. Und vergessen sie nie, New York ist die härteste Stadt der Welt, ein Ort, wo man mit schnellen Schritten der Zeit davoneilt. <<

>> Ich werde es mir merken. <<

>> So, nun will ich sie nicht länger aufhalten und außerdem habe ich noch eine Menge zu erledigen. << Wright geleitete ihn zur Tür, zwinkerte ihm zu und klopfte auf seine Schulter. Er war ungefähr so groß wie Frank, aber etwas massiger.

Elena Cortez geleitete ihn weiter zu seinem neuen Büro. Seine neue Sekretärin schien schon auf ihn zu warten und kam ihm auf hohen Pumps überaus freundlich entgegen. Frank riss verblüfft die Augen auf. Alles, was er sah, war eine auffallend attraktive Frau in sehr selbstsicherer Haltung.

>> Mein Name ist Elizabeth Burke, sie können mich gern auch Liza nennen. Ich stehe ihnen jederzeit zur Verfügung, << sagte sie selbstbewusst lächelnd. Als sie sich vorbeugte, drang der Duft eines schweren Parfüms in seine Nase.

Frank gab ihr die Hand und stellte sich in aller Höflichkeit vor.

Sie war etwa Mitte dreißig, hatte lange brünette Haare. Das Gesicht war schmal und dezent geschminkt. Der Busen setzte sich straff und füllig von der schmalen Taille ab. Sie gehörte zu der Sorte Frauen, die man von unten herauf wahrnimmt, lange wohlgeformte Beine, betont schlank in schwarzen Strümpfen und einem halblangen schwarzen Rock, der sich an die Konturen ihrer Schenkel presste. Ihre außergewöhnlich schönen Beine konnte kein Mann übersehen. Man spürte sofort, dass sie das auch wusste.

Sie lächelte. >> Ich zeige ihnen erst einmal alles und erkläre ihnen, was man wo findet. Einverstanden? << Frank schaute in ihre dunklen Augen. Es waren warme, schöne Augen.

>> Okay. So machen wir`s. <<

>> Kommen sie bitte. << Sie ging vor und zeigte ihm sein neues Büro. Es war geräumig, die Technik war hyperfunktional und ultramodern. Die Möbel waren schlicht, hatten etwas Rustikales. Selbst ein Kühlschrank mit Minibar fehlte nicht, randvoll gefüllt mit Whiskey, Brandy und Champagner. Pflanzen fehlten, fiel ihm auf. Doch das würde er bald ändern.

>> Darf ich ihnen vielleicht einen Kaffee bringen? << Oh. Gott, nicht schon wieder, dachte er. Aber es ist der erste Kaffee von deiner neuen Sekretärin. Augen zu und durch.

>> Es ist nett von ihnen, dass sie mich das fragen. Da sag ich nicht nein. <<

>> Ist schon in Arbeit, Mr. Bender, << sagte sie mit einem frechen Zwinkern in den Augen.

Als sie sich abwandte, schaute er mit einem Seitenblick hinterher. Sie hatte einen bemerkenswerten Gang. Nicht viele Frauen bewegten sich so. Plötzlich drehte sie sich um.

>> Wenn sie mich brauchen, <<meinte sie, >> müssen sie nur auf die grüne Taste der Sprechanlage drücken. <<

>> Gut das ich das weiß, >> erwiderte er und sie zwinkerte ihm wieder zu.

Frank ließ sich in seinen Sessel sinken und schaltete den Rechner an. Liza Burke hatte ihm bereits die fertig gedruckten Visitenkarten auf den Tisch gelegt, die er rasch betrachtete. Dann drückte er die grüne Taste.

>> Mrs. Burke, ich möchte, dass sie für drei Uhr alle Mitarbeiter meines Teams zum Meeting in den großen Besprechungsraum einladen. Ich erwarte, dass alle anwesend sind! <<

Er sprach ruhig und gedämpft, in schnellem Englisch.

Ein klares >> Geht in Ordnung <<, kam ihrerseits zurück.

Na also, läuft doch, dachte er.

Frank stellte die Kaffeetasse hin und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Langsam legte sich seine Aufregung. Jetzt war er angekommen in der Stadt, die Frank Sinatra besungen hatte, in der Mark Twain und Edgar Allen Poe gelebt hatten, wo Thomas Edison der Welt das elektrische Licht schenkte und die Schauplatz so vieler Romane und Filme war.

Im Internet klickte er auf seine E-Mail Seite, um Meg und Anne ein paar Zeilen zu senden. Am Wochenende hatte er mit beiden telefoniert. Anne klang noch immer enttäuscht. Klar, unausgesprochene Worte lagen weiter in der Luft. Das nagende Schuldgefühl, das er die letzten Tage zu ignorieren versucht hatte, wuchs zu etwas Umfassenderem, das er aber nicht näher benennen konnte. So oder so, früher oder später musste er ihr es sagen. Je früher desto besser. Irgendwann hatte er mal gelesen, dass Männer ihre Gefühle abspalten und sie dem Verstand unterordnen. Bei ihm schien das leider nicht zuzutreffen. Frank hatte diese Herausforderung gewollt um neue Wege zu gehen, neue Ziele zu erreichen, deshalb war er hier. Und die Hauptsache war, dass er seiner schmerzenden Vergangenheit entfliehen wollte.

Langsam, zögerlich begann er die Ordner und Akten durchzuforsten, die aufgestapelt, um seinen Schreibtisch verteilt, lagen. Baufinanzierungen, hauptsächlich im Millionenbereich, Planungen, Baugenehmigungen, bestehende Mietverträge, sowie Kalkulationen waren sein Tagesgeschäft, welches er grundlegend zu prüfen oder zu genehmigen hatte. Ab morgen war sein Terminkalender bereits gefüllt mit ersten Kundengesprächen und Kreditverhandlungen. Das winterliche Wetter tröstete ihn, denn er hatte kein Faible, im Zug des Atlantikwindes, durch die Straßen Manhattans zu bummeln. Der Winter beherrschte New York erbarmungslos, eine neuerliche Kaltfront aus Kanada war vorgedrungen, verhieß Schnee mit klirrender Kälte, vielleicht sogar einen Blizzard.

Nach dem ersten Meeting, stellte er zu seiner Überraschung fest, dass die Atmosphäre in seiner Abteilung sehr angenehm war. Die Leute, die sich zur Besprechung versammelt hatten, waren wieder an ihre Arbeit zurückgekehrt, nachdem Frank sich einen ersten Eindruck verschafft hatte. Sie waren nett, recht locker und schienen ihn auf eine freundliche Art zu akzeptieren. Am späten Nachmittag holte ihn ein Mitarbeiter ab, um ihm seinen Dienstwagen zu übergeben. In der Tiefgarage des Büroturms stand ein schwarzer Mercedes, die Karosserie war hochglanzpoliert und der Stern blinkte ihm vertraut entgegen. Spontan fiel ihm ein alter Werbeslogan des Herstellers ein, “Willkommen zu Hause“. Frank lächelte.

Dieser erste Tag war anstrengend, erst recht ungewohnt. Viele neue Eindrücke, fremde Gesichter, die Umstellung auf die englische Sprache. Gegen sieben fuhr er völlig erschöpft ins Hotel, aß im Restaurant ein T- Bone Steak und war froh, als er endlich in seinem Zimmer war. Dann lag er noch eine Weile auf dem Bett und sah bei heruntergedrehtem Ton fern. Minuten später schlief er sofort ein.

Im Verlauf der ersten vier Wochen hatte sich Frank mehr oder minder in seinen neuen Lebenskreis eingelebt, besser gesagt, er hatte sich daran gewöhnt, hatte seinen Alltag gefunden. Selbst die Frau vom Kiosk an der Ecke, grüßte ihn schon, wenn er seine Zeitung bei ihr kaufte. Vor Sieben kam er nie aus dem Büro. Ein Turm aus Ordnern und Papier lag auf seinem Schreibtisch, der täglich, wie ihm schien, immer mehr Zeit in Anspruch nahm. Keine freie Minute! Von der Stadt hatte er noch nicht viel gesehen, er machte keinen Sport, hatte selten Lust auf einen Drink in irgendeiner Bar. Liza Burke hatte ihm zwar ein Fitnessstudio an den Chelsea Piers empfohlen, aber seine Motivation lag bei Null. Ein Tag verging wie der andere. Im übergeordneten Sinne war natürlich kein Tag wirklich wie der andere, aber es kam ihm so vor. In ruhigen Momenten erfasste ihn oft eine schleichende Melancholie. Durch die ständige Einsamkeit schleppte sich die Zeit fast endlos dahin und Frank spürte meistens in den späten Abendstunden, wenn er allein in seinem Hotelzimmer lag, dass die Depression sich wie eine düstere Wolke auf ihn senkte. Er sehnte sich nach Hause.

Abgesehen von zwei Wochenenden bei Horst und Nancy, blieb er für sich, saß viele Stunden in seinem Hotelzimmer am Schreibtisch, unternahm einsame Spaziergänge am Meer und um den Hafen herum und aß allein in verschiedenen Restaurants. Nach diesen vier Wochen hatte sich der Aktenberg erheblich gelichtet, ein erfreulicher Sachverhalt, den er explizit auf seinen Fleiß zurückführte. Endlich war er mit allen Vorgängen vertraut, stand mitten im Geschäft. Liza Burke war eine große Hilfe, litt ganz sicher unter den vielen Überstunden. Es schien, dass sie jeden Umstand tolerierte, kein Murren, keine Ausreden, eine perfekte Sekretärin, deren Hilfe in den ersten Wochen unersetzlich war. Aber nicht nur das. Sie machte ihm täglich, mit jedem Gang, mit jeder Geste klar, dass sie eine sehr attraktive Frau war. Ihre Mimik unterlag einem ständigen Wechselspiel zwischen bravem Schulmädchen und einem Model von Karl Lagerfeld. Ihre Lippen waren voll und breit, wobei der leuchtend rosa Lippenstift die üppigen Ausmaße noch unterstrich. Es war ein Mund, der jegliche männliche Phantasie ins Kreiseln brachte. Na ja, wenn er ehrlich war, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ihn schon irgendwie erregte. Er mochte Frauen, denn in seinen Augen waren sie die wunderbarste, genialste Idee der Schöpfung, die das Leben und die Liebe zur unvergesslichen Reise durch die Sinnlichkeit machten.

Durch die Fenster drangen die ersten warmen Sonnenstrahlen. Es zeichnete sich ab, dass der Winter verschwand und der Frühling mit dem ihm zustehenden Anspruch Einzug hielt. Es war der jahreszeitliche Moment, wo der Frühling noch ungeschützt, beinahe behutsam in verfrühter Form hervorschaut; unausgeprägt noch, unfertig, aber zu geladen mit treibender Kraft, um noch länger zu warten. Frank lehnte sich in seinem Sessel zurück und streckte seine Glieder. Vom vielen Sitzen war er ganz steif geworden. Sein Magen knurrte verdächtig, meldete verhalten Hunger an, und er hatte innerlich schon beschlossen, die Mittagspause in der Stadt zu verbringen.

>> Liza, ich geh was essen, << rief er ihr zu, >> und bin in zirka zwei Stunden zurück. <<

>> Bei dem Wetter kann ich das verstehen, << scherzte sie. >> Viel Spass und guten Appetit.<<. In ihrem kurzen Rock und den hohen Pumps gab sie ein reizvolles Bild ab. Er lachte ihr zu.

Frank zog sich seinen hellen Trenchcoat über und verließ gutgelaunt das Hochhaus. Das hatte seinen guten Grund, denn die Temperaturen waren milder, die Sonne setzte sich schon kraftvoll gegen die dunklen Wolken durch. Erste Boten des Frühlings von New York schwirrten durch die Luft an diesem vierzehnten März. Er winkte sich ein Taxi, wollte jetzt zum Time Square. Ein bisschen auf dem Broadway schlendern, hier und dort mal in die Auslagen der Schaufenster schauen, irgendwo eine Kleinigkeit essen, das war es, was er jetzt wollte.

>> Ist das ein Wetterchen, << sagte der Taxifahrer als Frank in den Yellowcab einstieg.

>> Oh ja, da kommt richtig Freude auf, << entgegnete Frank lächelnd, >> und lange mussten wir drauf warten. << Kurze Zeit später hielt der Wagen am Time Square. Frank stieg aus dem Taxi und drückte dem Fahrer Geld in die Hand. Ein Auto hupte, als er versuchte die Straße zu überqueren. Franks erste Blicke wandelten auf das Timesbuilding mit der großen „Coca-Cola Werbung“. Bunte Leuchtreklamen, Textbänder mit den aktuellen News, Fastfoodlokale, ein Hauch von Disney prägten das Bild. Tausende von Menschen drängten sich über den Platz, Fotoapperate klickten, Videokameras erfassten jedes Motiv und fingen es ein. Jugendliche standen dicht gedrängt, hielten selbstgemalte Plakate, deren Inhalt er nicht lesen konnte. Gebannt und kreischend schauten sie auf das MTV-Studio um einen Blick durch die Glasscheiben zu erhaschen. Irgendein Idol, vielleicht Superstars wie Puff Daddy, Britney Spears oder Madonna, waren sicher gerade dort zu Gast. Frank schaute vergnügt auf das bunte Treiben der Menschen. Und allen schienen die Sonnenstrahlen, die fühlbare Wärme des aufbrechenden Frühlings, Leben und Fröhlichkeit einzuhauchen. Nur ein leichter Wind vom Atlantik brachte noch etwas Kühle. Er schlug den Kragen hoch, vergrub seine Hände in den Manteltaschen. Gemütlich schlenderte er über den Broadway und fühlte sich einfach sauwohl.

Geradewegs steuerte er zielsicher auf einen Coffeeshop von Star-Bucks zu, den es in dieser Form wohl in ganz Amerika gab. So machten sie es hier alle, einen Becher Kaffee auf die Hand, oder einen Eiskaffee aus dem Kühlfach, dazu einen Donut oder einen Bagel mit Cream Cheese, schon ging es weiter. In New York herrschte Hektik. Man wurde mitgerissen von dieser Hektik und trieb hilflos im stürmischen Meer der eiligen Menschen. Der Pulsschlag dieser Stadt schlug höher als irgendwo anders auf der Welt. Bloß nicht umdrehen, bloß nicht zurück schauen. In New York ging es immer nach vorn und zwar im Laufschritt. Weiter, immer weiter, denn Zeit ist Geld. Aufregender konnte eine Stadt nicht sein. Er stellte sich ans Ende der kurzen Schlange, doch der aromatisch frische Duft von gemahlenem Kaffee verbannte seine Ruhelosigkeit.

In seiner Jackettasche bewegte sich plötzlich was, es kitzelte an seiner Brust. Ach ja, die Vibration seines Handys machte sich mit mechanischem Zucken bemerkbar.

Er drückte die Hörmuschel ans Ohr. Es war Meg.

>> Hi Dad, was treibst du so? << hörte er sie fragen. Es tat so gut, ihre vertraute, herzliche Stimme zu hören.

>> Meg, schön, dass du anrufst. Stell dir vor, ich bin am Time Square, will mir grad einen Kaffee holen. Und wie sieht’s bei dir aus? << fragte er. >> Wie läufts in der Schule? <<

>> Großartig. Oh Dad, du bist einfach nur zu beneiden. Am Times Square wär ich jetzt auch gern. Bei mir ist alles okay. Ja, und die Schule nervt wie immer, aber meine Noten sind soweit ganz ordentlich. Gestern habe ich sogar eine Zwei in Mathe bekommen, und das in der Klassenarbeit. <<

>> Schön zu hören << sagte er erfreut. >> Tüchtiges Mädchen! War Anne da? <<

>> Ja, gestern Abend. Sie hat uns Kartoffelpuffer gemacht. Ich hab sechs Stück gegessen. Einfach megalecker. <<

>> Das freut mich aber, dass es bei euch so gut läuft. Moment mal bitte mein Schatz, wart doch mal kurz …. << Er war jetzt an der Reihe, bestellte seinen Kaffee mit Milch und Zucker. Dann bezahlte er und klemmte sein Handy zwischen Ohr und Schulter.

In der linken Hand hielt er den Becher Kaffee, mit der rechten Hand verstaute er das Wechselgeld in der Hosentasche, und so verließ er den Coffeeshop.

Beim Heraustreten wollte er grad wieder nach seinem Handy greifen als irgendjemand auf ihn prallte und ihm das Gleichgewicht nahm. Er stolperte kurz benommen nach rechts, sein Handy befreite sich aus der Klemmstellung, fiel auf die Strasse und platzte auseinander. Gleichzeitig brachte sich der Kaffee mit äußerster Präzision in Bewegung und verließ den Becher in Richtung eines cremefarbenen Mantels. Frank hatte sich an der Hauswand gefangen und sah nun das Ausmaß seines Missgeschickes. Sein Blick richtete sich auf die Umrisse einer jungen Frau. Er registrierte nur, dass sie ihn fassungslos ansah. Schamröte zog in sein Gesicht, einen Moment lang herrschte peinliche Stille.

>> Oh, mein Gott was für eine Sauerei, mein schöner Mantel. << empörte sie sich völlig entsetzt. >> Das glaube ich ja nicht, das kann ich nicht glauben. Laufen sie immer wie ein Schlafwandler durch die Stadt? << fragte sie ihn vorwurfsvoll, wobei sich ihre Blicke kurz begegneten, doch sie schaute schnell wieder weg und strich sich die Haare hinters Ohr.

Ihr Mantel machte im Brustbereich den Eindruck, als ob er teilweise zum Färben war. Ein ausgedehnter, tiefbrauner Fleck hatte sich auf dem zarten Creme breitgemacht. Wie um alles in der Welt konnte ihm das passieren, fuhr es ihm durch den Kopf.

>> Sorry Lady, es tut mir so leid, << stammelte Frank, >> normalerweise bin ich nicht so ungelenk. Ich war einen Moment unaufmerksam, das habe ich wirklich nicht gewollt. << Es war einfach nur peinlich, er hasste solche Situationen. Er wäre am liebsten nicht nur im Erdboden versunken, sondern gleich auf der anderen Seite des Globus wieder herausgekommen.

>> Schauen sie sich an wie ich aussehe, grauenhaft, << setzte sie völlig stocksauer hinzu, den Blick auf den Fleck gerichtet. >> In zwanzig Minuten muß ich wieder im Büro sein. Was mach ich jetzt nur? <<

>> Selbstverständlich werde ich für den Schaden aufkommen und ihnen alles ersetzen, außerdem bin ich gut versichert. <<

Hoffentlich war sie nicht so eine verwöhnte New Yorker Ziege, die wegen jedem Scheiß sofort zum Anwalt rennt, dachte er sorgenvoll. Nebenher versuchte er sein Handy wieder zusammenzubauen. Völlig verlegen starrte er auf das leere Display. Schade, die Verbindung mit Meg konnte er vergessen.

>> Das glaub ich ihnen gern, aber dass nützt mir im Moment überhaupt nichts, << schimpfte sie, weiter ziemlich ungehalten. >> Auch mit Wasser kann ich bei diesem Stoff gar nichts machen. Dann versuchte sie mit einem Papiertaschentuch den Fleck aufzusaugen, sichtbar erfolglos.

>> Ich bitte sie aufrichtig um Entschuldigung, ich versuche alles wieder gut zu machen, << beschwor sie Frank, mit der Angst im Nacken, Ärger mit einem Anwalt zu bekommen.

In diesem Augenblick schaute sie plötzlich hoch und ihre Blicke trafen sich. Für einen Moment hatte er das Gefühl, das ringsherum alles um ihn stehenblieb, die Uhren versagten, der Straßenlärm, der Trubel einfach verstummten. Es war ein Atemzug von Ruhe, der ihm wie eine Ewigkeit vorkam. Frank durchfuhr ein heißer Strom von den Zehenspitzen bis zu den Haarwurzeln, verwoben mit einem Kribbeln, wie bei der Berührung von elektrischen Koppelzäunen an Viehweiden. Er war nicht in der Lage nur einen Laut von sich zu geben. Und auch sie bekam kein Wort heraus, so schien es ihm.

Sie war auffallend schön, ihre blauen Augen hatten einen zauberhaften Glanz. Das Gesicht umrahmt von kräftigen blonden Haaren hatte derartig markante, anmutige Züge, wie er sie wahrscheinlich noch nie gesehen hatte. Feine Linien formten die Nasenflügel sehr zart und ihr schmaler Mund bekam durch einen dezenten Lippenstift, einen harmonischen Akzent. Ihre Gestalt war schlank und sportlich, die schwarzen Pumps schienen um ihre zierlichen Füße gegossen zu sein. In diesem Moment schaute er sie an, als wäre sie der einzige Mensch auf der Welt. Nach einer Weile des Schweigens ergriff er vorsichtig, immer noch benommen, das Wort. >> Wie wollen wir beide denn nun verbleiben? Soll ich ihnen das Geld für die Reinigung vielleicht gleich geben? << Er griff schon nach seinem Portemonnaie.

Jetzt lächelte sie, so als ob ihr die Situation Freude bereitete, und ihre weißen Zähne strahlten.

>> Woher soll ich wissen was die Reinigung kostet, und ich weiß erst recht nicht, ob die Reinigung es überhaupt schafft, daraus noch mal ein sauberes Mäntelchen zu zaubern. << Ihre Stimme war melodisch, und die Vokale klangen weich und rund. Frank lächelte jetzt auch, ließ keinen Blick von dieser Frau. Irgendwie war ihm schwindlig, sicherlich hatte die Röte in seinem Gesicht zugenommen, irgendwas in seinem Körper kochte und er wusste nicht was es war. Trotzdem gab er sich die größte Mühe, nicht erkennen zu lassen, was sich gerade in ihm abspielte.

>> Lassen sie es gut sein. Das Maleur ist passiert und ich glaube schon, dass mich die Kosten für die Reinigung nicht ins Armenhaus bringen. Außerdem muß ich jetzt dringend ins Büro. << Sie schaute nervös auf ihre Uhr.

>> Kommt gar nicht in Frage, das kann ich nicht annehmen, das wäre ungehörig. Ich denke, dass ich ihnen meine Karte gebe und sie rufen mich einfach an, wenn der Schaden zu bemessen ist. Ist das okay für sie? << Er nahm eine Visitenkarte aus dem Sakko und reichte sie ihr.

>> Okay, ich denk schon, dass es so in Ordnung ist. Aber jetzt muß ich unbedingt los, << erklärte sie ungeduldig und ihre Hand winkte schon nach einem Taxi.

>> Tut mir wirklich leid, dass ich so ungeschickt…..<<

Sie warf ihm einen fast verführerischen Blick zu. >> Schon gut, << sagte sie, während sie immer noch den gestreckten Arm auf die Strasse hielt. >> Sie brauchen sich für nichts zu entschuldigen. <<

>> Heißt das, sie verzeihen mir? << fragte Frank.

>> Verzeihen werde ich ihnen das nie, << antwortete sie mit spöttischer Mimik. >> Aber wenn es sie tröstet, ich hab’s schon vergessen. <<

Ein gelber Wagen hielt an. Sie schaute ihn noch mal an, reichte ihm die Hand und sagte sacht ein kurzes, >> Bye<<. Frank spürte ihre zarten Finger, sein Herz schien einen Schlag auszusetzen. Er versuchte, seine Aufregung zu verbergen und erwiderte ebenso kurz angebunden wie sie, ein leises Bye.

Sie öffnete die Tür des Taxis und stieg ein. Er hörte nur noch wie sie zum Fahrer sagte:

>> World Trade Center <<.

Frank rief ihr noch hinterher, >> Wie heißen sie? <<

Er sah wie sich ihre Lippen hinter der Scheibe bewegten, doch der Wagen beschleunigte zu schnell, reihte sich nahtlos in den Verkehr ein. Frank schaute kurz hinterher und konnte nicht einmal mehr die Nummer des Taxis erkennen. Oh Mann. Für einen Augenblick war er benommen vor Fassungslosigkeit, zur Salzsäule erstarrt. Dann ging sein Blick zurück zum Times Square. Es schien, als ob die gleiche Menschenmenge, wie von magischer Anziehungskraft beherrscht, zusammen gedrängt auf irgendeinen neuen Showdown wartete. Er blieb lange noch wie angewurzelt an der Ecke stehen und blickte den vorbeifahrenden Autos nach. Unwillkürlich schnappte er nach Luft, denn eine Hitzewallung in seinem Körper hatte noch nicht nachgelassen. Ein Gefühl war urplötzlich in ihn eingedrungen, das er schon lange abgeschrieben hatte. So etwas hatte er seit ewigen Zeiten nicht mehr erlebt. Es war ein komisches Gefühl in der Magengegend, aber auch eine wunderbare Erregung wie auf einer Achterbahn. Und er hatte schon fast vergessen wie schön das war.

Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Diese Frage ließ ihn nicht mehr los. Aus heiterem Himmel war es da, dieses Gefühl, seltsam und wunderbar. Niemand konnte dieses Gefühl beschreiben, niemand konnte es erklären, es war einfach da und ging nicht mehr weg. Sollte das so sein? Zugegeben- was war denn schon passiert? Er hatte vor ein paar Minuten eine wunderschöne Frau getroffen, aber mehr doch nicht. Kannte er ihren Namen? Wusste er wer sie war, wo sie lebte. Nein, nichts wusste er von ihr. Frauen von dieser Klasse sind ganz sicher verheiratet, haben zwei Kinder und leben in der Regel im Speckgürtel von New York. So eine tolle Frau wurde sicherlich am laufenden Band von irgendwelchen Typen angequatscht, umgarnt, verehrt und hatte bestimmt die Nase voll davon. Aber andererseits konnte sie geschieden sein, hatte vielleicht bis jetzt nur an ihre Karriere gedacht oder war aus Gott weiß was für Gründen immer noch Single. Trotz seiner schrecklichen Neugier beschloss Frank, jeden Gedanken an sie gleich zu verwerfen. Eine kurze Episode an einem stinknormalen Tag, mehr nicht! Nichts, das viel zu bedeuten hätte. Sie würde mit Sicherheit nicht anrufen, er würde sie ganz bestimmt nicht wiedersehen. Frank staunte über sich selbst. Was war nur mit ihm los? War er es nicht gewesen, der sich vor nicht allzu langer Zeit vorgenommen hatte, Emotionen außen vor zu lassen, sich gefühlsmäßig auf gar keinen Fall zu verstricken? Nur kein Gefühl umsonst investieren, das war doch immer seine Devise, denn falsche Illusionen hinterließen doch immer nur hässliche Folgen. Wenn das bisher auch immer gelang, bei dieser Frau war es etwas anderes.

Jetzt hatte er weder was gegessen, seinen Kaffee hatte ihr Mantel aufgesaugt, er stand hier am Time Square und wusste nicht wie ihm geschah. Was jetzt? Ein kurzer Blick auf die Uhr. Gleich halb zwei. Frank wollte nichts essen, er wollte nichts trinken, jetzt wollte er nur noch ins Büro zurück und winkte nach einem Taxi. Er atmete tief ein und wieder aus und mahnte sich zur Ruhe. Vergeblich.

Egal was er auch tat, er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Seine Gedanken kreisten nur noch um diese Frau, denn sie hatte es geschafft, allein durch ihr Auftreten und ihr umwerfendes Aussehen die Welt stillstehen zu lassen. Das hatte er nie zuvor erlebt. Und nichts konnte verhindern, dass etwas mit ihm geschehen war, als sie ihn das erste Mal angelächelt hatte. Ruhig Blut sagte er sich, du hast doch so etwas wie Erfahrung und achtzehn bist du doch schon lange nicht mehr. Vielleicht ruft sie ja doch an. Vielleicht.

>> Mr. Bender ist alles in Ordnung mit ihnen? << fragte Liza Burke als er das Büro betrat. >>

Sie sehen etwas zerstreut aus. << Frank hob den Kopf, sah jetzt völlig gefasst aus, als hätte er die Zeit, während sie ihre Frage stellte, dazu genutzt, alle Emotionen, die ihn hätten verraten können, zu unterdrücken. >> Liza, machen sie sich bitte keine Sorgen, << antwortete er mit einem wider Willen abwehrenden Ton, >> es ist alles okay, <<

Er vermied den Blick zu ihr. Flüchtig bemerkte er nur, ihren zu dick aufgetragenen, türkisfarbenen Lidschatten. Er schloss die Tür hinter sich, warf sich in seinen Sessel, legte die Beine auf den Schreibtisch und meinte das Strömen des Blutes durch seine Venen zu spüren. Nichts war in Ordnung, diese Frau wollte nicht mehr aus seinem Kopf verschwinden. Ihr Anblick hatte ihn fast in einen betäubungsähnlichen Zustand versetzt. Frank hatte keine Lust mehr auf Akten, Verträge, überhaupt wollte er heute keine Bäume mehr ausreißen, er war jeglicher Konzentration beraubt. Er sollte sich den Rest des Tages frei nehmen, überlegte er, vielleicht spazieren gehen, irgendwo etwas essen oder nur etwas trinken, denn er brauchte Ruhe, um wieder einen freien Kopf zu bekommen. Er fasste diesen Entschluss, dann sagte er Liza Bescheid und verließ umgehend das Büro.

Er fuhr gleich ins Hotel und als er im Zimmer war, sprang er sofort unter die Dusche. Das Wasser ließ er erst heiß, dann kalt über seinen Körper laufen. Danach zog er sich den Bademantel über und ließ sich der Länge nach aufs Bett fallen. Er dachte, dass er Meg anrufen sollte. Aber zuerst musste er sich eine Weile ausruhen.

Liebe auf den ersten Blick? Gibt es das wirklich? Es schien so, denn irgendwie begleitete sie ihn wie ein heller Schatten. Ihr Gesicht lächelte ihn ständig an, der Klang ihrer Stimme blieb in seinen Ohren, denn ihre Stimme war ein Genuss. Ihr Mund sah aus, als wolle er immerfort geküsst werden. Frank ergab sich dem Taumel der sehnsuchtsvollen Vorstellung von der Frau seiner Träume, der den Sinn für Gut und Böse trübte und nur einen hellen Schein innerster Verzückung hinterließ. Ihr Büro befindet sich bestimmt in der Nähe des World Trade Centers, sagte er zu sich. Zumindest war das ihr Ziel mit dem Taxi. Idiotisch nur daran zu denken sie dort wiederzusehen. Im World Trade Center arbeiten fast fünfzigtausend Menschen, abgesehen von den anderen Bürotürmen des Finanzviertels. Auch wenn er den ganzen Tag auf der Plaza des World Trade Centers wartete, die Chance sie zu finden war schier aussichtslos. Genauso wahrscheinlich, als würde er nächste Woche mit Barbra Streisand auf der Bühne stehen. Sein einziger Strohhalm, seine einzige Hoffnung, war ihr Anruf. Sie hatte seine Nummer und nur sie hatte es der Hand, ob sie sich je wiedersehen würden. So unwahrscheinlich ihm das auch schien, dass sie es wirklich tun würde, unmöglich war es doch wiederum auch nicht, oder etwa nicht? Quatsch, sprach er zu sich selbst, das ist doch alles Einbildung, Firlefanz und reine Phantasie. Womöglich hatte er sie sogar in ein paar Tagen schon längst wieder vergessen. Konnte man sie vergessen, fragte er sich verträumt? Nur allein dieser Gedanke schauderte ihn.

Das Telefon klingelte alarmierend schrill, und er erwachte mit einem Schlag. Das Zimmer war dunkel. Er hatte keine Ahnung wie spät es war und wo er gerade lag. Erst ließ er es läuten, aber dann ging es ihm auf die Nerven. Er tastete nach dem Hörer, fühlte sich schwach und schob die Decke von sich, als er sich auf die Ellenbogen stützte. Er schaltete das Licht an, schirmte seine Augen gegen den plötzlichen, grellen Glanz ab.

>> Ja, Hallo, << meldete er sich noch ganz verschlafen. Es rauschte und knisterte in der Leitung, doch ihre Stimme klang klar und deutlich. Es war Anne.

>> Hab ich dich geweckt? <<

>> Ja, ich hab grad tief und fest geschlafen. <<

>> Ich hab mir Sorgen gemacht, << sagte sie etwas traurig, >> weil du dich so selten meldest.<<

>> Ach Anne, nimm es mir bitte nicht übel, aber ich war permanent beschäftigt. Ganz schon viel Stress, mehr als in Frankfurt. Und auch die Zeitverschiebung habe ich noch nicht ganz durchschaut. Wenn ich anrufen kann, dann schlaft ihr ja meistens schon. Sei mir also bitte nicht böse. << Er versuchte Unbekümmertheit zu heucheln, die sich selbst in seinen Ohren wie eine Mischung aus Ausrede und schlechtem Gewissen anhörte.

>> Frank, ich habe die letzten Wochen sehr oft und sehr viel über uns nachgedacht. Irgendwie werd ich das Gefühl nicht los, dass wir beide doch nur Zeit verschwenden. Du meldest dich selten, wir reden kaum noch. Du fragst mich nicht wie ich die Zeit verbringe und was mir fehlt. Die Hoffnung, dass alles besser wird, wenn du wieder zu Hause bist, berührt mich nur sehr vage. Liebst du mich eigentlich? << Frank sah ein, dass er antworten musste. Die Frage war sehr entschieden gestellt worden.

>> Willst du das wirklich wissen? <<

>> Würde ich sonst fragen. <<

>> Anne, die gegebenen Umstände sind nun mal so. Ich bin hier in New York und du bist in Frankfurt. Das soll nicht heißen, dass ich dich nicht verstehen kann. Aber du hast immer gewusst, dass ich nach Karens Tod sehr gelitten habe, dass viele Gefühle und Teile meiner Seele mit ihr gegangen sind. Du kannst mir glauben, das sitzt noch sehr tief. Ich brauche für alles, insbesondere für eine feste Beziehung, viel mehr Zeit als jeder andere Mann. <<

>> Du hast mir immer gesagt, du hättest die Vergangenheit hinter dich gebracht, << erinnerte sie ihn.

>> Tut mir leid. Ich habe gelogen. Versucht habe ich es immer, aber ich habe es bis heute nicht geschafft die Vergangenheit ruhen zu lassen. <<

>> Ach so ist das. <<

>> Du bist eine tolle Frau, << entgegnete er, >> und ich mag dich wirklich sehr, das weißt du doch.<<

>> Das hört sich nicht sehr überzeugend an. Du magst mich, aber du liebst mich nicht. Genau da liegt der feine Unterschied in der Bedeutung deiner Worte. Ich möchte nicht gemocht, sondern ich möchte geliebt werden. <<

>> Anne, ich denke, wir klären das nicht am Telefon, << sagte er und bemerkte, das er verlegen auswich. >> Es macht uns doch beide nur traurig.

>> Ich will dich nicht belasten Frank, aber ich brauche in einer Beziehung einfach Sicherheit. Ich möchte spüren, dass ich geliebt werde, dass mein Partner nicht ohne mich leben möchte. Nur ein Ziel, einen Sinn erkennen, mehr will ich nicht. Ich liebe dich und würde alles dafür geben. <<

>> Aber wir hatten abgemacht, nicht über Liebe zu sprechen und ich habe dir auch gesagt, dass ich nicht weiß, ob ich überhaupt noch lieben kann. Wir wollten abwarten, wie sich alles mit uns entwickelt. So war es doch, oder? <<

>> Das kann ich nicht. Nicht mehr. Ich kann nichts gegen meine Empfindungen tun. <<

>> Verstehe, du brauchst Geborgenheit, nicht nur eine lose Beziehung. Vielleicht bin ich in vielen Dingen noch nicht soweit, << sagte er. >> Tut mir leid, aber ich bin nun mal so. << .

Wahrheit und Unwahrheit bildeten in seinen Worten ein schwer zu trennendes Gemisch, was ihn im Verborgenen beschämte.

>> Frank, ich weiß nicht wann du soweit bist und wohin mich dieser Weg führt. Ich bin jetzt sechsunddreißig, und mir fehlt einfach das Gefühl, angekommen zu sein. Ich wollte dich immer verstehen, aber wenn all deine Maßstäbe bei Karen enden, dann bin ich hier gelinde gesagt, am falschen Platz. Eine Frau braucht einfach mehr als eine Nacht voll Zärtlichkeit, schöne Worte, oder gelegentliche Freizeitunternehmungen. Und glaub mir, jede Frau ist anders. <<

>> Mach doch die Dinge nicht komplizierter als sie sind. Ich denke, wir müssen beide Geduld haben, einfach abwarten bis ich wieder zu Hause bin. Manchmal ist eine solche Auszeit gar nicht so schlecht. <<

Frank versuchte ruhig zu bleiben und wusste doch, wie recht sie hatte. Seine Ausreden waren schlimmer als ein sorgfältig, zusammengetüfeltes Alibi.

>> Auszeit ist immer ein Tod auf Raten, << sagte sie und ihre Stimme war leise ruhig, völlig ausdruckslos. >> Ich glaub nicht, dass ich bereit bin noch solange zu warten. Tut mir leid Frank, es sind deine Gefühle, deine Vorstellungen, die uns beide innerlich trennen und nur du kannst die richtige Entscheidung treffen. Ich weiß was ich will, was ich mir wünsche und brauch darüber nicht nachdenken. Überleg doch mal genau, was du wirklich willst, wonach du eigentlich suchst! Das dürfte doch nicht zu viel verlangt sein. Dann kannst du mich wieder anrufen, aber mach mir dann bitte nichts vor. <<

Ohne recht zu wissen warum, seufzte er, als sie einfach aufgelegt hatte. Nachdenklich legte Frank den Hörer auf, weil er wusste, dass er nicht überzeugt geklungen hatte und dass ihr genau das aufgefallen war. Bei diesen Gedanken regte sich sein Schuldbewusstsein, und er war traurig, aber auch erleichtert, dass tausende Kilometer zwischen ihnen lagen. Anne tat ihm unendlich leid. Frank gab sich keinen Illusionen über seine eigenen Fehler hin. Einer davon war, dass er sich eine Fassade aufgebaut hatte, von der er hoffte, dass niemand sie durchdringen könnte. Er hatte nicht das Recht mit Annes Gefühlen zu spielen. Egal, was sie voneinander trennte – Anne verdiente zumindest Fairness und Ehrlichkeit. Was wollte er eigentlich wirklich? Wonach suchte er? Das hatte sie ihn doch gerade gefragt. Doch genau diese Fragen hatte ihm ein wunderbarer Augenblick des Tages bereits beantwortet. Spätestens heute hatte er erfahren und ganz tief gespürt, dass da noch mehr war. Es war wieder da, dieses prickelnde Gefühl der Aufregung, dieser pochende Herzschlag. Diese zufällige Begegnung am Broadway in Höhe des Time Square war so ein Moment, der im Körper einen eigenständigen Mechanismus auslöste. Man konnte einfach nichts dagegen tun, es war da, auch wenn es nur für einen Augenblick war. Eine ungeheure Anziehungskraft, ähnlich der eines starken Magnetfeldes, durchzog die Sinne auf eine beispiellose Art und Weise. Dieses Gefühl, beherrscht von Schnellzügen oder Düsenjets, die durch die Adern rauschten, wie bei einem Fieberschub. Gedanken so wie Feuer, die sonst in Sekunden verglühen. Das war es, was er suchte, wonach er sich sehnte. Hatte er sich heute verliebt? Vor seinem inneren Auge sah Frank, dass er genau das getan hatte. Nichts wollte er sich vormachen, nichts beschönigen oder glorifizieren, aber heute hatte ihn der Blitz getroffen, unerwartet und aus heiterem Himmel. Seltsam, er wusste gar nicht wer sie war, und trotzdem fing sie schon an ihm zu fehlen.

New York bis September

Подняться наверх