Читать книгу New York bis September - Helge Brühl - Страница 6
3.Kapitel
ОглавлениеLaura Curren saß am Steuer ihres Wagens und verließ Manhattan gemächlich durch den Holland Tunnel. Ihr Tag war ganz schön anstrengend, voll Hektik, stressgeladen und brachte ihr zur Krönung noch zwei Überstunden ein. Der Verkehr war heute recht erträglich, was sie freute, denn sie fuhr ungern in New York mit dem Auto. Jetzt freute sie sich nur noch auf das Essen mit Susan, ihrer besten Freundin. In einem kleinen Restaurant in Newark hatten sie sich verabredet. Sie kannten sich jetzt schon fast sechs Jahre, schon allein deswegen, weil sie beide beim Börsenbroker „Smith & Wade“ arbeiteten. Weit oben, nahe den Wolken im 92. Stock des Nordturms im World Trade Center. Hier hatten sie sich kennengelernt und recht schnell angefreundet. Susan war fünfunddreißig, seit ein paar Jahren geschieden und lebte allein in Union, einer Kleinstadt in New Jersey. Es war eine Freundschaft aus Vertrauen, fast schon aus schwesterlicher Zuneigung. Zwischen ihnen gab es keine Heimlichkeiten, keine Intrigen, keine falsche Neugier und keine Rivalität, sondern einfach nur ehrliche Freundschaft. Ihre lustige und lebensfrohe Natur taten Laura immer gut. Beide brauchten, wenigstens einmal im Monat ihren Weiberabend, wo sie in Ruhe über Gott und die Welt plaudern und den aktuellen Büroklatsch, manchmal recht albern, bekichern konnten.
Laura betrat zwanzig Minuten später das Restaurant, erblickte Susan sofort, die schon einen Tisch ergattert hatte. Alle Plätze, selbst an der Bar, waren besetzt und dies schien für die Qualität der Küche zu sprechen. Vor ein paar Jahren war sie schon mal hier, doch alles schien sich verändert zu haben. Ein Grieche sollte das Restaurant jetzt wohl betreiben und sie hatte diesen Tipp von Diane, ihrer Friseurin bekommen, die schon eine Art Restaurantführer für Greater New York abgab, weil sie ständig von Verehrern eingeladen wurde. Ein hübsches Fräulein, laufend von männlichen Kunden umschwärmt, denen nicht nur ihre offensichtlichen weiblichen Reize gefielen, sondern auch ihre schnodderig freche Vulgarität.
Susan, strahlte ihr entgegen, stand auf und lief auf sie zu. Sie trug ein bis über die Knie reichendes, figurbetontes schwarzes Kleid mit halben Ärmeln, was gut zu ihren langen blonden Haaren passte.
>> Hi, Susan, ich freue mich, dich zu sehen. Gut siehst du aus. <<
>> Laura, schön dass du da bist. <<
Sie begrüßten sich mit Küssen auf beide Wangen und umarmten sich. Sofort nahmen sie die Speisekarten auf und vertieften sich in die angebotenen, kulinarischen Köstlichkeiten.
>> Ich hab einen Riesenhunger, << bemerkte Laura.
>> Mir geht es ebenso, << erwiderte Susan, >> und ich glaube, das Angebot der Karte könnte ich von oben runter verdrücken. <<
Der Kellner kam an ihren Tisch und nickte freundlich, um anzudeuten, dass er bereit war, ihre Bestellung anzunehmen. Sie entschieden sich beide für Hummer mit viel Salat und Baguette, dazu trockenen Zinfandel. Während der Arbeitszeit sahen sie sich kaum, selten mal auf einen Kaffee in der Pause.
>> Schätzchen, wie geht es dir und was gibt’s Neues? << fragte Susan liebevoll.
>> Eigentlich gibt es gar nichts Neues, oder…. na ja, ist nicht so wichtig. << Laura lächelte verlegen und sah dabei in Susans Gesicht mit den grünen Augen, dem gesunden Teint und den schmalen Lippen, die sich an den Mundwinkeln leicht nach oben zogen.
>> Ich seh dir doch an der Nasenspitze an, dass du was vor mir verbirgst. Hast du einen neuen Typen aufgerissen? Du bist doch nicht etwa frisch verliebt oder hast du eine Gehaltserhöhung bekommen? Komm, spuck es aus! Vor seiner besten Freundin hat man keine Geheimnisse. << Fordernd und lachend sah sie Laura an.
>> Nein, nichts von alledem, << antwortete Laura mit leichtem Augenzwinkern, >> obwohl eine Gehaltserhöhung mal angebracht wäre. <<
>> Mir machst du doch nichts vor, irgendetwas ist passiert mit dir, das sehe ich doch gleich an deinen Augen. Also, spann mich nicht so auf die Folter und erzähl es mir. << Susan schaute sie dabei noch tiefgreifender an als zuvor.
>> Susan es ist nichts. <<
>> Ich nerv dich weiter, sag es endlich. <<
>> Okay, du hast gewonnen, << entgegnete Laura etwas zögernd. >> Ich bin vor fast zwei Wochen durch Zufall einem Mann begegnet, der mir wahnsinnig gut gefallen hat. <<
>> Ist ja reizend. <<
>> Finde ich auch. <<
Sie hasste es, wie sie sich gerade fühlte, unsicher wie ein Teenager, der sich heimlich in den Basketballstar der High School verliebt hatte.
>> Ich hab es doch geahnt Laura. Seid ihr euch schon nähergekommen oder schlaft ihr etwa schon miteinander? Wie alt ist er? Wie sieht er aus? Nun fang endlich an zu erzählen, ich bin gespannt wie ein Bogen. <<
Susans Neugier hatte den Höhepunkt schon überschritten. Laura schaute verlegen auf die Tischdecke, begann zögerlich zu erzählen.
>> Ich kenn ihn nicht mal, unser Zusammentreffen war eigentlich mehr als kurios, begann katastrophal und war gelinde gesagt, doch nur flüchtig und banal. Viel zu kurz. Mit anderen Worten, eigentlich nicht lang genug um es unbedingt im Kopf zu behalten. Wiederum war es lang genug ihn nicht zu vergessen. Er sieht Klasse aus. <<
Sie erzählte ihr vom Zusammenstoß am Star-Buck`s, dem Kaffeefleck und dem Moment als sie sich tief in die Augen schauten. Kein Detail ließ sie aus.
>> Und da hat es Rums gemacht und jetzt tanzen die Endorphine Salsa mit dir. Stimmt`s? <<
>> Das ist noch milde ausgedrückt. Es war wie ein winziger elektrischer Schlag, der durch die Adern rauschte und jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll. Soll ich ihn anrufen? Was sagst du? Ich hab seine Karte. Trotzdem bin ich mir sehr unsicher. Er scheint Deutscher zu sein, der Akzent und sein Name sprechen dafür. Oh Susan, er hat solche schönen Augen, seine ganze Gestalt, sein Aussehen erinnert mich sehr an Nick Nolte, wie vor etwa zwanzig Jahren.<<
>> Hey, dann er ist er sehr groß, kräftig gebaut und auch noch blond? << fragte Susan. >> Mit wenigen Worten ausgedrückt, ein umwerfender Typ. << .
>> Genau so kannst du ihn dir vorstellen. Eindeutig ein Frauentyp, doch eigentlich sieht er noch viel besser aus. Er hat kräftige Wangenknochen, ansprechende Züge um den Mund, Augen so warm wie Samt und einen gebräunten Teint, der auf Gesundheit ohne Eitelkeit schließen lässt. Er muß so Mitte bis Ende dreißig sein. Aber er ist genau die Sorte Mann, die alle Frauen haben können, wenn sie nur mit dem Finger schnipsen und bestimmt ist so ein Mann fest liiert. Ich sollte einfach nicht mehr an ihn denken, verdammt. Das Beste ist, ich vergesse alles, bevor ich mich verrückt mache und werfe seine Karte einfach weg. << Laura wirkte äußerst wankelmütig und hatte Zweifel im Unterton.
>> Hey Schätzchen, du hast dieses gewisse Rot auf deinen Wangen, dich hat es einfach richtig erwischt. Jedenfalls wirst du seine Karte nicht wegwerfen. Was hast du zu verlieren Darling? Er hat dir zugesagt den Schaden zu ersetzen und das ist der Aufhänger für deinen Anruf. Damit hast du alles in der Hand und brauchst dich auf keinen Fall unter Wert verkaufen. Das ist doch optimal. Manchmal kann man alles gewinnen, wenn man nur ein wenig Mut investiert. Ruf ihn an und laß die Dinge auf dich zukommen. Und wenn er nur den Rechnungsbetrag der Reinigung auf dein Konto überweist, dann kannst du wenigstens sagen, okay, ich habe es halt probiert. Vielleicht wartet er ja sogar ganz aufgeregt auf deinen Anruf.<<
>> Meinst du? <<
>> So wie er dich angeschaut hat. Das Leben ist bunt, liebe Laura, keiner ist vor Überraschungen gefeit. Jeder Mensch hat doch mal das Recht irgendetwas Verrücktes zu tun, und jetzt bist du eben mal an der Reihe. Also ran an den Speck und weg mit den Zweifeln! <<
Susan lächelte und streichelte ihr kurz die Wange.
>> Normalerweise lasse ich mich nicht von Äußerlichkeiten beeindrucken, doch dieser Mann besitzt eine hypnotische Ausstrahlung. <<
>> Ist das so wichtig? fragte Susan. >> Das, was bei einem Menschen zählt, ist sein Inneres nicht sein Äußeres. Gelackte Affen gibt es wie Sand am Meer. <<
>> Klar doch. Aber dieser Mann hatte Ausstrahlung, ein besonderes Charisma. <<
>>Na ja, es kann aber auch sein, dass du dich täuschst. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gutaussehende Männer entweder recht dümmlich oder extrem langweilig sind. <<
>> Das Erstere trifft ja wohl auf einen Bankmanager sicher nicht zu, << war Lauras prompte Antwort.
Der Kellner unterbrach ihre Unterhaltung und servierte die Teller mit der Geschicklichkeit eines Butlers.
>> Na endlich, das Überleben ist gesichert, << triumphierte Susan
>> Meinst du wirklich das ich ihn anrufen soll? << fragte Laura ernst.
>> Aber sicher wirst du das tun, Schätzchen. Risiko ist immer dabei, aber wenn man nichts riskiert kommt man auch nicht vorwärts. Hast du den Mantel schon reinigen lassen? <<
>> Nein noch nicht, aber ich wird es morgen gleich tun, hatte einfach noch keine Zeit. <<
Susan erhob ihr Glas und sie stießen beide an.
>> Auf Nick Nolte. << Beide tauschten ein solidarisches Lächeln.
>> Nun laß uns aber erstmal ordentlich essen und dann quatschen wir weiter. Okay? Ich bin total ausgehungert. << Susan hatte schon eine Hummerschere in der Hand.
Am Nachbartisch saßen drei Herren um die fünfzig, in edlen Anzügen, und starrten ständig zu ihnen herüber. Laura versuchte jeglichen Blickkontakt zu vermeiden. Es machte ihr zwar nicht allzu viel aus, doch angenehm war es nicht. Vor langer Zeit schon hatte sie sich daran gewöhnt, angestarrt zu werden, manchmal bewundernd und auch begehrlich, manchmal, vorrangig von Frauen, auch neidvoll. Sie sah es locker und empfand es als eine Art Huldigung an das glückliche Zusammenspiel ihrer Erbanlagen.
Das Abendessen schmeckte so köstlich wie es duftete. Gedanklich ging sie das Gespräch noch einmal durch. Susan hatte sie zum Anrufen ermutigt, hatte ihr klargemacht, dass sie wirklich nichts zu verlieren hatte. Jeden Tag von Neuem hatte sie die Begegnung mit ihm, wie einen Film ablaufen lassen. Was war das nur für ein wunderbar sinnliches Gefühl, wenn sie an diesen Mann dachte. Laura hatte ihn nur einige Minuten gesehen, nicht viel mit ihm gesprochen. Dennoch schien er ihr alles zu symbolisieren, was sie in ihrem Leben vermisste. Sie empfand eine tiefe Sehnsucht, die sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Aber wenn sie ihn wirklich wiedertraf, würde sie wahrscheinlich feststellen, dass er schon lange der Ehemann einer schönen Frau, dazu noch Vater von reizenden Kindern war. Schnell verwarf sie den Gedanken, es passte nicht zu dem, was sie sich vorgenommen hatte, denn sein Blick hatte ihr soviel gesagt, die Berührung seiner Hände beim Abschied war zärtlich. Doch wiederum, so erschien es ihr, war er sich seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewusst, was andererseits auch nicht viel zu bedeuten hatte. Bestimmt hatte ihr Vorhaben wenig Aussicht auf Erfolg, doch vielleicht war ja doch alles ganz anders. Wegen dieser Widersprüche, war sie jetzt so durcheinander wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Sie wollte mit ihren Träumen nicht so hoch fliegen, aber sie konnte einfach nichts dagegen tun. Trotzdem schien es ihr unvorstellbar, dass ein kurzer Moment im Leben, solche Emotionen auslöste. So etwas gibt’s doch nur im Märchen, dachte sie, und aus dem Alter war sie doch schon lange raus.
Susan schien zu ahnen, was Laura gerade durch den Kopf ging.
>> Du denkst an ihn Laura, stimmt`s? <<
Sie errötete leicht und mit einer kleinen Verzögerung sagte sie, >> Ja, ich denke an ihn. <<
>> Liza, bringen sie mir doch bitte mal die Baupläne von der Shoppingmall in Clark, << rief Frank durchs Büro. >> Sie wissen schon, das Projekt, wo ich am Montag den Rohbau begutachtet habe. Die Kunden heißen Barker und Westwood. Aber bitte nur die Pläne und die Flächenangaben. Ach so, wenn es ihnen bitte nichts ausmacht, einen Kaffee könnt ich auch noch vertragen, <<
>> Ich schau gleich nach Mr. Bender, bin noch am Telefon, << kam postwendend die Antwort.
Frank überflog gerade den Posteingang in der Mappe, die Liza ihm vor einer Stunde auf den Schreibtisch gelegt hatte. Die Mappe wurde auch von Tag zu Tag dicker, so wie die Flut von Kreditanträgen, die er täglich zu prüfen hatte. Gott sei Dank war endlich Freitag. Die letzten Tage hatten ihn geschafft. Vor sieben kam er hier nie raus und langsam begriff er, dass dieser Job mehr verlangte, als er angenommen hatte. Leider hatte sich diese wunderschöne Frau vom Times Square nicht bei ihm gemeldet, was ihn etwas deprimierte, auch ein wenig enttäuschte. Was bin ich nur für ein Idiot, dachte er, daran zu glauben, dass diese Frau von ihm Notiz genommen haben konnte. So was Dummes aber auch, alles nur Phantastereien, die seinem Irrtum nur Tür und Tor öffneten. Inzwischen hatte er sich aber locker damit abgefunden, so meinte er jedenfalls. Aber die Wirklichkeit war viel komplizierter. In Wahrheit dachte er nicht im Traum daran, sich damit abzufinden. Ständig musste er sich ermahnen, wenn er an sie dachte, einen kühlen Kopf zu behalten.
Am Mittwoch hatte er Liza zum Essen eingeladen, nicht wegen ihrer weiblichen Reize, sondern als kleine Entschädigung für die vielen Überstunden. Ihre Attraktivität war unbestritten, auch wenn sie nicht unbedingt seinem Idealtyp entsprach. Wenn sie im Büro mit ihren hochhackigen Sandaletten an ihm vorbeistöckelte, konnte Frank ihr genau in den Ausschnitt sehen. Irgendwie hatte er das Gefühl, das sie seine Blicke bemerkte. Das war ihm unangenehm und er wusste manchmal beim besten Willen nicht, wie er reagieren sollte. Was ihm relativ selten passierte. Aber er spürte, wie sie in weiter ansah, und er versuchte ein gleichgültiges Gesicht zu machen. Sie lächelte charmant und das Spielen mit ihren Reizen schien zuzunehmen, so kam es ihm jedenfalls vor. Liza war geschieden, so erzählte sie ihm, und wohnte mit ihrem achtjährigen Sohn in Queens. Ihre Eltern wohnten zwei Häuserblocks weiter und kümmerten sich hauptsächlich um den Jungen. Der Vater des Kindes war nach Kanada verschwunden und zahlte natürlich keinen Unterhalt. Ihr schmales Gehalt reichte vorne und hinten nicht und ohne die Hilfe ihrer Eltern, würde sie ganz schön dumm aus der Wäsche gucken, wie sie ihm sagte. Es war angenehm mit ihr zu plaudern, was eine rechte Abwechslung für ihn bedeutete. Liza war dem Wein recht zugetan, doch weder ihrer Stimme, noch ihrer Haltung war etwas anzumerken. Sie bewegte sich mit ruhiger Anmut, als sie aufstand und mit ihm aus dem Restaurant hinausging. Seine alte Devise, Sex und Job strikt zu trennen, wollte er auch in New York nicht aufgeben. Außerdem waren ihm One-Night-Stands oder kleine Verhältnisse zuwider. Was hatte er in Frankfurt nicht schon alles erlebt, Liebesaffären, echte und angedichtete. In der Bank wurde geflirtet auf Teufel komm raus. Heimliche Treffs in kleinen Hotels, Quickies im Auto oder vorgeschobene Dienstreisen, um das Wochenende als sexuelles Highlight abzuhaken. Manche wurden selbst im Büro erwischt. Lehrmädels verliebten sich in ihre weitaus älteren Chefs, welche diese Chancen eiskalt nutzten. Die übliche Tuschelei, das Gerede und der Neid, drangen dann irgendwie aus der Bank hinaus und prompt gab es die größten Probleme. Eifersucht, Scheidungen und vor allem viele Peinlichkeiten. Versetzung als berufliche Konsequenz war noch das kleinere Übel. Trotzdem, die Vernunft war selten Gewinner und die Natur zog weiter ihre Kreise. Abwechslung, Abenteuer oder die Suche nach Bestätigung waren sicher die Ursachen, selten war Liebe im Spiel.
>> Mr. Bender, die Pläne und Flächenangaben bitte, den Kaffee bring ich ihnen gleich, << unterbrach Liza seine Gedanken und legte die gewünschten Akten auf seinen Schreibtisch.
Wie eine Gazelle schritt Liza Burke durch sein Büro. Ein süßliches Lippgloslächeln umgab sie. Allein ihr Hintern bewegte sich rhythmisch so aufreizend, dass man wenigstens ein Auge darauf werfen musste. Frank fragte sich oft, war das angeboren oder Resultat stundenlangen Trainings. Er schmunzelte in sich rein, verwarf seine lausbübischen Gedanken.
>> Danke Liza, seien sie doch bitte so nett und besorgen mir aus der Kreditabteilung die entsprechenden Verträge. Und bitte Liza, ich möchte jetzt auf gar keinen Fall gestört werden, << rief er ihr hinterher.
Er begutachtete die Pläne und die Flächen, sein Tischrechner tönte schon wie Lizas Tastatur, wenn sie die Schreiben abtippte.
Am Montag hatte er den Rohbau eines neuen Einkaufcenters in Clark, New Jersey, erstmalig gesehen. Bis dahin war alles reine Routine. Schon optisch war zu erkennen, dass die angegebenen Flächen im Eingabeplan erhebliche Abweichungen zum tatsächlichen Baukörper aufwiesen. Da begann für ihn das Muster langsam deutlicher zu werden. An der Sache schien richtig was faul zu sein, dessen war er sich ganz sicher. Hier ging es um sehr viel Geld, hin und wieder kam es vor, dass die Kreditnehmer absichtlich manipulierten um die Darlehenssummen zu erhöhen. Deutsche Banken hatten dies erst, im großen Stil, beim Fall Dr. Schneider hinter sich. Jener Dr. Schneider hatte in den neunziger Jahren die halbe deutsche Bankenwelt mit manipulierten Plänen und Mietverträgen geleimt. Akribisch rechnete er, verglich die Planung mit den Zeichnungen der Baugenehmigung. Hier stimmte etwas nicht und sein Bestreben lag eindeutig darin, dieses Bauvorhaben näher unter die Lupe zu nehmen. Er musste alles lesen, damit ihm nichts entging. Vertieft in die Akten bemerkte er zwei Stunden später, wie sich leise die Tür öffnete.
>> Mr. Bender, Telefon für sie, eine Mrs. Curren, << sagte Liza mit einem entschuldigenden Blick in sein Büro.
>> Ich hatte ihnen doch gesagt, das ich nicht gestört werden wollte. <<
>> Das weiß ich doch. Ich habe der Frau vorhin schon mal gesagt, dass sie in einer wichtigen Besprechung sind, und wollte mir auch ihre Nummer notieren, aber sie hat sie mir nicht gegeben. Sie hat schon zweimal zurückgerufen. Ich hab sie noch in der Leitung. <<
>> Wer sagten sie ist am Apparat? << fragte Frank etwas genervt.
>> Eine Mrs. Curren von der Firma Smith & Wade. <<
>> Kenn ich nicht, noch nie gehört. <<
>> Sie kennen Smith & Wade nicht? Ein Riesenladen, << sagte sie fast ehrfurchtsvoll, >> die sitzen im World Trade Center. <<
>> Na, dann stellen sie ausnahmsweise durch, << erwiderte Frank mit ernstem Blick.
Sie schloß die Tür und Frank schaute gespannt auf sein Telefon. Der Klingelton kam, Frank nahm erst nach dem zweiten Läuten ab.
>> Frank Bender am Apparat. Was kann ich für sie tun? <<
>> Eine Kleinigkeit nur Mr. Bender, nur eine winzige Kleinigkeit, << antwortete eine recht freundliche Stimme. >> Ich möchte ihre wertvolle Zeit auch gar nicht lange in Anspruch nehmen. Mein Name ist Laura Curren. Vielleicht können sie sich ja an mich erinnern? <<
>> Mit absoluter Sicherheit nicht, << antwortete er etwas verdutzt. >> Es tut mir leid Mrs. Curren, aber sie werden mir bestimmt gleich auf die Sprünge helfen. <<
>> Das kann ich aber gar nicht verstehen, Mr.Bender! << drang es leicht ironisch durch den Hörer.
>> Warum nicht? << Sein Ton klang brüsk, obwohl das gar nicht seine Absicht gewesen war.
>> Warum nicht? Sie sind mir ja ein richtiger Gentlemen. Da begießen sie eine nichtsahnende junge Frau am helllichten Tag mitten auf dem Broadway mit einem Becher Kaffee und können sich, wenn ich zitieren darf, mit absoluter Sicherheit nicht mehr an sie erinnern. Das zeugt aber nicht gerade von galanter Haltung. <<
Endlich rief sie an. Ihre Worte kamen lustig rüber und Frank konnte regelrecht spüren wie sie sich am anderen Ende der Leitung feierte. Wow, dachte er, das hatte gesessen.
>> Das glaub ich ja jetzt überhaupt nicht, << erwiderte er völlig überrascht. >> Wenn sie mich jetzt sehen könnten, würden sie mich sprachlos erleben. Perplex ist gar kein Ausdruck. Wie geht es ihnen? << fragte er, während er bemerkte, wie seine Knie vor Aufregung anfingen zu zittern.
Laura Curren lachte. >> Mir geht’s soweit recht gut, << sagte sie, >> nur es fehlen exakt vierunddreißig Dollar und neunundachtzig Cent in meiner Haushaltskasse und die möchte ich gern wiederhaben. Denn soviel kostet eine Mantelreinigung nach einem Kaffeeattentat in New York City. <<
Frank schmunzelte. >> Und ich habe es ihnen hoch und heilig versprochen, dass ich sie nicht im Regen stehen lasse, das dürfen sie bitte nicht vergessen zu erwähnen. Ein neuer Mantel wäre etwas kostspieliger für mich gewesen, und insgeheim bedanke ich mich bei der Reinigungsfirma. Ist denn wirklich alles zu ihrer Zufriedenheit, Mrs. Curren? <<
>> Sagen sie doch einfach Laura zu mir, okay. <<
Verlegen antwortete Frank: >> Wenn sie meinen. <<
>> Mein Mantel ist doch tatsächlich in neuem Glanz erstanden. Selbst die Winterspuren sind komplett verschwunden. <<
>> Da freu ich mich und im Übrigen, ich heiße Frank, << bemerkte er so, das ein Lächeln in seiner Stimme mitschwang.
>> Okay Frank. <<
>> Nun bleibt uns ja nur noch der Termin für die Geldübergabe, oder soll ich ihnen den Betrag auf ihr Konto überweisen? Obwohl ich mir eigentlich nichts Schöneres vorstellen könnte, als das wir uns mal unter anderen Umständen begegnen würden. <<
>> Wie meinen sie das? <<
>> So wie ich es gesagt habe. Wie wär es denn zum Beispiel, wenn wir beide uns mal zum Essen treffen würden oder auf ein Glas Wein? << fragte Frank, erleichtert über seinen Mut.
>> Eine Einladung für Kaffee und Kuchen lass ich nach unseren Erfahrungen mal lieber stecken. <<
>> Frank, << sagte sie, >> sie sind doch nicht auf etwas aus? <<
>> Er lachte. >> An was hätten sie denn gedacht? <<
>> Nicht schlecht, Frank. Sie kommen wohl immer gleich zur Sache? <<
>> Ich möchte ihnen sicher nicht zu nahe treten, aber ich will ganz offen zu ihnen sein. Mir wäre sehr daran gelegen, wenn ich sie wiedersehen könnte. Habe ich da eine Chance? <<
Er spürte, wie sie am anderen Ende der Leitung überlegte. >> Warum eigentlich nicht, << sagte sie nach einer kurzen Denkpause. >> Wann wäre es ihnen denn recht? <<
Da war sie, die Zusage auf die Frank gehofft hatte. Er hätte am liebsten einen lauten Jubelschrei durchs Büro hallen lassen, aber er atmete einfach nur ganz tief durch. Das Zittern in den Knien blieb.
>> Ich würde mich da ganz nach ihnen richten, Mrs. Curren…ääh sorry, Laura. Wie sieht’s denn mit heute Abend aus? << Er hoffte, dass er jetzt nicht zu schnell und ungestüm war. Übereifer war schon immer eine seiner Schwächen.
>> Heute leider nicht, meine Aerobicgruppe wartet. Aber morgen ist Samstag, da hätt ich schon Zeit. <<
>> Morgen ist noch besser. Wie wäre es mit „ The Manor“ in West Orange? Ich halte es für das beste Restaurant von New Jersey. <<
>> Gern. << sagte sie. <<
>> Wo darf ich sie abholen? Sieben Uhr wäre perfekt. <<
>> Um sieben? Das passt mir ausgezeichnet? Also gut, dann sehen wir uns morgen um sieben in „The Manor“. <<
>> Kennen sie das Restaurant? <<
>> Wer kennt es nicht? <<
>> Schade, ich dachte, ich könnte sie überraschen. Das war wohl dann nichts. <<
>> Das war nicht meine Absicht, << sagte sie lachend >> Aber wenn es sie beruhigt, eine bessere Wahl hätten sie gar nicht treffen können. Also dann bis morgen. <<
>> Bis morgen, << sagte er und beendete das Gespräch. Ein kurzer Blick zum Kalender zeigte den 30. März. 2001.
Frank legte den Hörer auf und ließ sich weit in seinen Bürosessel zurückfallen. Seine Mundwinkel verzogen sich zur Andeutung eines triumphierenden Lächelns. Er war nicht erregt, er war überwältigt. Er atmete ruhiger. Schwein muß man eben haben, dachte er. Wie oft hatte er in den letzten Tagen an sie denken müssen, ständig gehofft, dass das Telefon endlich klingelt und Sie sich meldet. Gegen jede Vernunft, gegen jede Relation war er vorige Woche zum World Trade Center gelaufen, hatte sich mittags auf eine Bank an der „Sphere“, der großen Bronzeskulptur am Plaza, gesetzt und innig gebetet, sie dort zu sehen. Selbst die Etagen der Zwillingstürme ging er einzeln durch, in vager Vermutung, dass Sie dort irgendwo sein könnte. Tausende Menschen strömten vorbei, alle Kulturen waren zu erkennen, die ganze Welt schien sich dort zu treffen, aber Sie war nirgends zu sehen. Leere bestimmte daraufhin seine Hoffnungen. Frank wusste um die Aussichtslosigkeit seiner Idee, konnte aber trotzdem nicht vom Zufallsgedanken Abstand nehmen. Ihm fiel auf, dass er sich völlig untypisch verhielt. Abends stand er vorm Spiegel und fragte sich, wie blöd er eigentlich ist. Doch ein besonderes Gefühl hatte Besitz von ihm genommen, bearbeitete seine Phantasie, regte seine tief verborgenen Sehnsüchte in nie gekannter Form an. Alles andere trat in den Hintergrund. Jetzt hatte sie angerufen. Sie hatten geredet und sie würden sich sogar morgen treffen. Manchmal war das Leben so einfach, so unkompliziert. Und schon wieder kam alles unerwartet, wieder war dieser Blitz aus heiterem Himmel in ihn eingeschlagen. Morgen Abend würde er sie sehen, würde ihr gegenübersitzen, würde mit ihr zusammen essen. Er konnte sie anschauen und würde sicher einiges über sie erfahren.
Frank fühlte sich unter totaler Anspannung. Diese verbalen Hoffnungen, das ungewisse Warten, hatten ein Ende. Sie heißt Laura, dachte er. Ein schöner Name, der gut zu ihr passt. Was kann nicht alles geschehen in einer Welt, von der es heißt, dass alles in ihr möglich ist? Morgen würde er sie treffen. Frank Bender schaute auf seine Armbanduhr. Wie lange war es noch bis morgen?
>> Mr.Bender, ich geh jetzt in die Kreditabteilung, << unterbrach Liza seine Gedanken.
>> Okay, lassen sie sich bitte alle Unterlagen zu dem Projekt geben. <<
>> War es etwas Wichtiges mit dem Anruf von „Smith & Wade“? << fragte sie noch beiläufig.
>> Ja, es war sogar sehr wichtig und ich habe lange darauf warten müssen. Danke, dass sie mich trotz meiner Anweisung gestört haben. <<
Sie zuckte mit den Schultern und brachte ziemlich borniert ein, >> Na, dann ist ja alles in Ordnung, << heraus. Dann verließ sie auf ihren hohen Absätzen wieder sein Büro.
Frank war klar, dass er ihre Neugier nicht befriedigt hatte. Er nahm das Telefon und wählte die Nummer von Horst. Einfach nur mit jemandem reden, das war es, was er jetzt unbedingt wollte. Horst war gleich am Apparat und Frank erzählte ihm sofort von Lauras Anruf, dem vereinbartem Treffen im Restaurant.
>> Horst, ich brauch heut einfach mal einen coolen Drink und einen Freund, der mir zuhört. Wie sieht`s aus bei dir? << fragte er etwas vorsichtig. >> Ich würde heut gern noch vorbeikommen, wenn es dir nichts ausmacht. <<
>> Kein Problem, alter Junge. Schwing dich in deinen Benz und komm wann immer du Lust hast. Wir haben heute Glück, Nancy muß zum Nachtdienst. Somit haben wir sturmfrei.
Ich habe frischen Orangensaft aus Florida, dazu eine große Flasche Absolut Wodka. Die wird doch für uns reichen, oder? <<
>> Davon gehe ich doch aus. Ich nehme an, dass ich so gegen sechs Uhr hier verschwinden kann. Noch kurz ins Hotel und dann komm ich. <<
>> Mach nicht so lange, ich hab jetzt schon Brand wie ein ausgedörrtes Kamel. Also bis bald.<<
Es gibt doch nichts Schöneres als gute Freunde, dachte Frank als er auflegte.
Seine Akten warteten wieder auf ihn und die Sache in Clark hatte seinen Jagdinstinkt aktiviert. Da werden wir den Jungs ganz kräftig auf die Füße treten, sprach er in den Raum. Zahlen lügen nicht, hatte sein alter Mathelehrer ihm auf den Weg gegeben, das wollte er jetzt beherzigen. Frank wollte das Projekt genauestens prüfen bevor er Wright informierte. Wieso war vor ihm noch keiner darauf gekommen? Dies entzog sich jedem gescheiten Erklärungsmuster. Doch um diesen Vorgang aufs Tapet zu bringen, musste er sich ein umfassenderes Bild machen. Vorerst ergab sich nur eine Ansammlung von Fragezeichen. Warum hatte sein Vorgänger, Mr.Wolter, nichts bemerkt und diese Akte nicht markiert? Wie viel wusste er überhaupt? Aber weshalb sollte er sein Wissen für sich behalten? Eigentlich hätte er alles wissen müssen, warum auch nicht? Und in gewisser Weise war das wohl auch so, fand er. Na ja, dachte er, es musste irgendwo eine logische Erklärung dafür geben. In der nächsten Woche wollte er gemeinsam mit einem Architekten noch mal nach Clark fahren. Frank beschloss, die Angelegenheit zunächst einmal für sich zu behalten.
>> Du liebe Güte. So aufgeregt wie heute hab ich dich ja schon lange nicht mehr gesehen. Diese Laura muß ja ein außergewöhnliches Frauenzimmer sein und dich völlig in ihren Bann gezogen haben. Na ja, es wird auch höchste Zeit, dass endlich mal was in deinem Leben passiert. << Staunend sah Horst ihn an, während er das Fleisch und die Folienkartoffeln auf den Grill legte. Seine grauen Haare schienen sich noch immer gegen den aufgezwungenen Seitenscheitel zu wehren, wirbelten quer durcheinander.
>> Du hast völlig recht, ich fühl mich wie ein Pennäler vor dem ersten Rendezvous. Und das ist keine schlechte Sache, verstehst du, für einen siebenunddreißigjährigen Mann, wenn in seinem Leben etwas auftaucht, was ihn wie einen jungen Bengel fühlen lässt. Aber mal ganz im Ernst, ich bin schon lange nicht mehr einer solch schönen Frau begegnet. Es klingt sicher albern, aber ich meine eigentlich noch nie. Sie hat es geschafft, allein durch ihr Auftreten, mich still und leise zu verzaubern. << Lächelnd schaute er Horst in die Augen und nahm einen kräftigen Schluck Wodka mit Orangensaft. Er kippte den Mix runter und ließ die Wärme durch seinen Körper fluten. Mit dicken karierten Fliesjacken saßen sie in der herabsinkenden Abendkühle an einem runden Tisch auf der Terrasse seines Hauses, in High Bridge, New Jersey. Nebenher ließ der Grill angenehme Gerüche entweichen und die Zeituhr bewegte sich langsam auf den Punkt, der den Klingelton auslöste und somit den Garpunkt des Fleisches anzeigte.
>> Und morgen trefft ihr euch in „The Manor“, meinem Lieblingsrestaurant. Das ist die beste Adresse und ich bin richtig froh, dass ich es dir vor ein paar Jahren gezeigt habe. Damals war Karen noch mit dabei. Schade, dass sie so früh gehen musste. Wir haben sie sehr geliebt. << Horst senkte seinen Blick, schloss kurz die Augen.
Immer wenn sie auf Karen zu sprechen kamen, zog Franks Herz sich schmerzlich zusammen und die Gedanken drehten sich im Kreise. Sofort kehrten die Bilder zurück, schreckliche, traurige Bilder, die sich mit schmerzlich schönen Erinnerungen vermischten.
>> Tja, wir haben sie alle geliebt, aber diesem verdammten Krebs war sie nicht gewachsen, << sagte er bedächtig. >> Sie wurde viel zu früh gezwungen diese Welt zu verlassen. Es war so schlimm als sie ging und ich weiß nicht, ob diese Lücke je zu schließen ist. Lange habe ich gebraucht ihren Tod zu verstehen. Du weißt selbst, was ich durchgemacht habe. Doch ich denke, dass die Zeit der Trauer vorbei ist, mein Kopf sich von vielen trüben Gedanken geleert hat, obwohl ich jeden Tag an sie denke. Manchmal ist es schwer zu begreifen, dass man selber noch lebt, <<
Die Zeituhr hatte sich gemeldet und jeder nahm sich sein Fleisch vom Grill. Frank sondierte die Steaksaucen, bis er sich für Tsaziki entschied. Der Duft machte einem den Mund wässrig.
>> Und nun möchtest du das Herz einer Amerikanerin erobern, du alter Schlingel? Stell dir das mal nicht so einfach vor. Die Weiber ticken hier noch etwas anders als in Deutschland, da musst du dich richtig ins Zeug legen. Da würde ich meine Chancen nicht zu hoch einschätzen. << Spitzbübisch schmunzelte er ihn an während er ihre Gläser halb mit Wodka, halb mit Orangensaft füllte. Die Eiswürfel warfen einen schillernden Glanz im Licht der Petroleumlampe, der Frank an geschliffenes Kristall erinnerte.
>> Das ist mir erstmal völlig egal. Ich möchte sie unbedingt kennenlernen, möchte mit ihr reden und sie einfach nur anschauen. Sie ist wunderschön. Ob was draus wird, das lässt sich doch beim besten Willen noch nicht sagen. Es ist schon komisch, mit einmal tritt so ein Engel in dein Leben und du weißt beim ersten Blick, das könnte Sie sein. Das ist doch genial oder?<<
Horst schaute ihn fragend an und irgendwo im Hintergrund hörte man den Laut einer Eule.
Er legte die Hand auf seinen Arm.>> Jetzt hör mir mal zu. Lass mal die Kirche im Dorf, << sagte er plötzlich. >> Spinn doch einfach mal den Faden weiter. Überleg doch mal, ihr kommt euch tatsächlich näher, verliebt euch grenzenlos und was kommt dann? Du bist noch bis Anfang September hier und dann geht’s wieder nach Hause. Wollt ihr euch dann zweimal im Jahr sehen und Urlaub zusammen machen? Wirst du nach Amerika auswandern oder kommt sie dann nach Deutschland? Warum willst du etwas beginnen, was du nicht zu Ende bringen kannst? Ich denke, das sind schon Argumente, die reiflich zu überlegen sind, bevor man sich in so ein Abenteuer reinstürzt. Das ist doch kein Charlie-Chaplin-Film, wo am Ende alle lachen. << Seine Meinung die Horst auf diese ruhige Art äußerte, klang erschreckend realistisch. Frank ließ seine letzten Worte sacken, als er gerade ein Stück von seinem Steak abschnitt. Es entging ihm auch nicht, dass der Wodka seine Blutzirkulation in Wallung brachte.
>> Ich sehe mich gar nicht in der Lage, langfristig Pläne zu machen, << antwortete er, >> es ist die nahe Zukunft, die mich beschäftigt. Du hast sicher recht mit deinen Bedenken, aber soweit möchte ich noch gar nicht gehen. Diese Frau hat Emotionen in mir geweckt, die ich für ausgestorben hielt. Das ist mit einem Elektroschock oder dem absoluten Urknall zu vergleichen und ich werde den Teufel tun, die Vernunft oder Gedanken an die Zukunft in dieses erste Rendezvous einfließen zu lassen. Das wäre doch viel zu früh. Vielleicht bin ich ja gar nicht ihr Typ. <<
Erwartungsvoll schaute er zu Horst, der sich seine Antwort zu überlegen schien.
>> Okay, ich bin ja auch schon etwas älter als du und meine Sturm und Drang Zeit liegt weit zurück. Ich könnte ja sogar dein Vater sein. So wie du gerade unterwegs bist, hat es wohl sehr wenig Sinn weise Ratschläge zu verteilen. Und wenn dich des Amors Pfeil nun mal erwischt hat, dann laß es verdammt noch mal auf dich zurollen und versuch das Beste draus zu machen. Ich wünsche dir auf jeden Fall Erfolg, aber fahr deine Euphorie etwas runter, mein lieber Freund. <<
>> Meine Euphorie? Wieso? Nein, warum - ich will es so. Ich fürchte, es ist mir klargeworden, dass ich mit Haut und Haaren gefangen bin. Und dieses Gefühl hatte ich seit Karen nicht mehr. <<
>> Bist du wirklich so aufgeregt? << fragte Horst mit gekrauster Stirn.
>< Um die Wahrheit zu sagen, << antwortete Frank, >> ich bin so aufgeregt, dass ich kaum still sitzen kann. << Dann griff er nach der Zigarettenschachtel und zündete sich eine an.
>> Du kannst tun und lassen was du willst. Was ich damit lediglich sagen wollte, sei morgen nicht so impulsiv oder unbesonnen und neige nicht dazu, voreilige Schlüsse zu ziehen, auch wenn du dich über beide Ohren verknallt hast. <<
Frank zog an seiner Zigarette und blies den Rauch wieder raus.
>> Mach dir keine Sorgen. Aus dem Alter bin ich raus. <<
Er lehnte sich entspannt zurück und schüttelte seinen Drink durch.
>> Was ist denn eigentlich mit dieser Anne, die sehnsüchtig zu Hause auf dich wartet? <<
Frank hätte klar sein müssen, dass diese Frage irgendwann kommen musste, doch jetzt fühlte es sich an, als drücke ihm jemand die Kehle zu. Offenbar auf der Suche nach den richtigen Worten ließ Frank ein paar Sekunden verstreichen.
>> Sie spürt, dass wir beide keine Zukunft haben, dass meine Empfindungen für sie nicht reichen. Anne ist einfach nett, hübsch noch dazu und jeder Mann würde mir einen Vogel zeigen, so eine Frau zu verschmähen. Aber ich liebe sie nicht. Und genau das ist das Schwierigste an dieser Beziehung. <<
>> Und, wie willst du das ändern? <<
Frank zuckte mit den Schultern. >> Glaub mir, es ist schwer für mich, von hier, die Sache anständig zu beenden. Ich komme mir feige und blöd vor, wenn ich ihr am Telefon ein Abschiedsständchen vorsinge. Das hat sie einfach nicht verdient. Es ist eine Scheißsituation für mich und erst recht für sie. Ich weiß auch nicht, wie ich es am Besten machen kann. <<.
Horst hatte genau seinen wunden Punkt erwischt. Wie gern hätte er die Sache, gerade heute, auf sich beruhen lassen.
>> Da steckst du ja richtig in der Scheiße und ich kann dir da auch nicht helfen. Mir tut die Kleine leid, aber Empfindungen sind entweder da oder nicht. Gefühle sind keine mathematischen Lehrsätze. Ehrlich, wenn du die Wahrheit wissen willst – ich glaube, du würdest sehr viel glücklicher sein, wenn du den ganzen Kram vergessen könntest. Kläre es fair und ordentlich. Liebe kann man nicht erzwingen, sie ist ein Gefühl das nicht lügt. Vielleicht schickst du Anne einen langen, ausführlichen Brief, keine E- Mail, SMS oder ähnlichen neumodischen Mist, so haben wir das früher gemacht. <<
Horst füllte wieder ihre Gläser und der Wodka schien stetig abzunehmen. Der Mond schien klar und die Sterne verteilten sich wie Leuchtpunkte am dunklen Abendhimmel.
>> Was ich noch sagen wollte, morgen ist Samstag und ich werd mal lieber einen Tisch für dich reservieren lassen, sonst hast du keine Chance deine holde Laura morgen zu verwöhnen. << Er nahm das Telefon und bestellte für morgen Sieben Uhr.
>> Oh, da dank ich dir aber,<< sagte Frank, >> daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Das wäre ja megapeinlich geworden, <<
Horst fasste mit einem kräftigen Griff auf seine Schulter und erwiderte: >> Ich pass schon auf dich auf mein Junge. Für einen guten Freund tu ich alles. <<
Frank wusste, dass er darauf nichts erwidern konnte. Er aß den letzten Bissen seines zweiten Steaks und goss sein Glas voll.
Frank hatte göttlich geschlafen, als er am nächsten Morgen erwachte. Normalerweise trank er nicht soviel, aber seine Nervosität um das heutige Treffen mit Laura musste als Entschuldigung herhalten. Jetzt bekam er Hunger, denn aus der Küche erhob sich ein Duft von gebratenem Bacon und frischem Rührei. Schnell sprang er unter die Dusche, das warme Wasser weckte wohltuend seine Lebensgeister.
Sie hatten gestern Abend noch lange geredet. Horst brachte seine väterliche Sorge zum Ausdruck, versuchte ihm seine Erfahrungen mit den Frauen zu verinnerlichen. Und genau an diesem Punkt dachten sie oft verschieden. Sie stritten manchmal um Kleinigkeiten, doch sein alter Dickkopf wollte sich immer durchsetzen. Er war schon ein feiner Kerl, seine einundsechzig Jahre sah man ihm nicht an.
Durch Karen hatten sie sich vor über zehn Jahren kennengelernt und waren sofort Freunde geworden. Horst war ein Jugendfreund seiner Schwiegermutter und hatte selbst zu Zeiten des eisernen Vorhangs den Kontakt nie abreißen lassen. Amerika hatte ihm alle Chancen gegeben und er hatte sie mit viel Fleiß genutzt. Seine Firma fertigte Prothesen, Stützen, Einlagen, alles Dinge für den orthopädischen Bedarf. Seine kleine Farm lag abgelegen in einer sehr schönen ruhigen Gegend, wo sich sicher noch kein Historiker hat blicken lassen. Das Landhaus war getränkt von alterstrüben Farben und hatte einen unwiderstehlichen Charme.
Durch ihn hatte er New York kennen und lieben gelernt. Mit Karen und Meg hatte er traumhafte Urlaube hier verlebt. Sie waren an den Niagara Falls, umfuhren den Eriesee oder vergnügten sich im Rummelplatzcharme von Atlantic City. Er dachte gern zurück und wusste, dass keiner ihm diese Zeit nehmen konnte.
Jetzt lebte und arbeitete er sogar in New York, und heute Abend würde er mit einer traumhaft schönen Amerikanerin zum Essen ausgehen. Das Leben ist schon irgendwie verrückt, dachte er, nein, das Leben ist einfach nur herrlich.
>> Hey du Langschläfer, das Frühstück ist fertig, << schallte es aus der Küche und Horst schien gut gelaunt zu sein. >> Mach, dass du in die Socken kommst, sonst ess ich alles allein auf, <<
>> Bin gleich da, << rief Frank zurück, >> und wag es dir ohne mich anzufangen. <<
Nachdem sie gefrühstückt hatten, machten sie sich an die Arbeit. Mit dem Holzfällerhemd und der alten Jeans von Horst, kam er sich vor wie ein richtiger Cowboy. Nur der Stetson fehlte. Es gab hier Pferde, ein paar Rinder, Ziegen und Schafe. Eine Schar von Hühnern scharrte ständig irgendwo rum. Das Vieh war zu füttern, auszumisten und kleinere Reparaturen waren auch angefallen. Frank war es recht, schneller konnte er sich die Zeit nicht vertreiben, denn er schaute seit dem Wachwerden ständig auf die Uhr. Heute Abend würde er Laura treffen. Dieser Gedanke schien irgendwie noch weit entfernt, unwirklich noch, so als ob eine Wurzel zögernd ihren jungen Spross ans Licht ließ. Aber die Freude auf diesen Abend machte ihn langsam sicherer. Dennoch war er auf eine sonderbare Weise erregt. Es ist schon komisch, dachte er. Du triffst völlig unerwartet eine wunderschöne Frau und etwas in dir macht Klick, so dass du plötzlich an den Rest deines Lebens denkst. Er lehnte sich an den Koppelzaun und schaute auf die Rinder, die ihren Kopf gesenkt hatten, um Gras zu fressen.