Читать книгу MPU Protokolle - Helge Hanerth - Страница 4
Ich brauche TÜV
ОглавлениеIm Urteil steht es ganz eindeutig. Die Fahrerlaubnis bleibt auch nach Verbüßung des Fahrverbots eingezogen. Ob ich jemals eine neue Fahrerlaubnis bekomme, darüber entscheidet nicht ein Gericht. Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis sind die Straßenverkehrsämter zuständig. Grundsätzlich hat jeder Erwachsene das Recht eine Fahrerlaubnis zu erwerben. Dieses Recht kann verweigert werden, wenn es von Seiten der Behörde Bedenken gegen die Erteilung gibt. In solchen Fällen muss der Betroffene nachweisen, dass es keinen Anlass, oder keinen Anlass mehr gibt für Bedenken. Geprüft wird das von Gutachtern im Rahmen der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU). Sie ergänzt offiziell das Strafrecht. Somit sind Umfang und Inhalt amtlich geregelt. Als Gutachter fungieren hierbei Ärzte und Psychologen mit qualifizierender Zusatzausbildung.
Ursprünglich wurde die MPU geschaffen, um Behinderten die Gelegenheit zu geben, zu beweisen, das sie durchaus, gegebenfalls mit Hilfsmitteln, befähigt sind selbstständig ein Kraftfahrzeug zu führen. Heute umfasst die MPU weitere Gebiete. Dazu gehören u.a. Verhaltensdefizite (z.B. Fahrerflucht und Suchtkrankheiten). Da mein Blutalkohol den Wert von 1,6 Promille überstieg, geht der Gesetzgeber pauschal von dauerhaftem Konsum in großen Mengen aus. Somit läge chronischer Alkoholmissbrauch vor. Die Gefahr von so einem Missbrauch liegt darin, dass das Trinkverhalten sich gewandelt hat vom Spaßtrinken über das Gewohnheitstrinken zum Zwangstrinken. Die Übergänge sind fließend und werden vom Betroffenen unter Umständen gar nicht wahrgenommen. Einhergehend mit dem exzessiven Trinkverhalten sind neben den körperlichen Schäden Persönlichkeitsveränderungen, die zu Verhaltensänderungen führen können. Wer die eigene Gefährdung durch Alkohol nicht sieht, neigt dazu auch andere Gefährdungen nicht zu sehen. Risiken werden dann falsch beurteilt. Das führt im Straßenverkehr neben Wahrnehmungsstörungen und verzögerten Reaktionen, zu bedenklichen Verhaltensweisen. Bei starken Alkoholikern besteht Nüchternheit nur selten. Das Fahren eines Autos mit Restalkohol im Blut wird dann schnell zur Gewohnheit. Personen, die gewohnheitsmäßig trinken, entwickeln in der Regel einen routinierten Umgang mit Situationen in denen sie geistig oder körperlich leistungsfähig sein müssen. Das gibt ihnen das Gefühl, auch unter Alkoholeinfluss alles unter Kontrolle zu haben. Untersuchungen von Verkehrssimulationen mit alkoholisierten Testpersonen und die Unfallstatistiken zeigen klar, dass das nicht stimmt. Selbst bei eindeutigen, eigenen Verkehrsverstößen werden oftmals die anderen verantwortlich gemacht. Die Wahrnehmungsstörung der Realität ist ein großes Hindernis, um verantwortlich und vorrausschauend am Straßenverkehr teilzunehmen. Solche Bedenken müssen unbedingt ausgeräumt werden, bevor erwogen werden kann, ob eine Fahrerlaubnis erteilt werden kann. Die Bedingungen sind streng. Kein Gutachter übernimmt gerne die Verantwortung für einen potenziellen Mörder am Steuer.
In der MPU muss der jetzt hoffentlich trockene Alkoholiker glaubhaft nachweisen, dass er nur noch kontrolliert trinken will und dass er das auch wirklich kann. Wurden Blutwerte mit mehr als 1,6 Promille festgestellt, traut man dem Klienten auch therapiert keinen kontrollierten Umgang zu. In diesem Fall muss überzeugend dargestellt werden, dass man nie wieder einen Tropfen Alkohol trinken wird. Der Klient muss nachweisen, dass er seine Abstinenz im Griff hat.
MPU`s werden von privaten Unternehmen, oft sind es Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), durchgeführt. Das bekannteste Unternehmen ist der Technische Überwachungsverein (TÜV). Allein bei mir vor Ort existieren sieben solcher Einrichtungen. Die Adressen erhält man beim Straßenverkehrsamt.
Die akkreditierten Begutachtungsstellen müssen umfangreiche, gesetzliche und fachliche Auflagen garantieren. Hierzu gehören vor allem der Datenschutz sowie Objektivität und Neutralität der Untersuchung. Der Aufbau des Gutachtens und die angeführten Kriterien sind standardisiert. Das Gespräch muss dokumentiert werden. Das geschieht meist am Computer. Auch alle anderen z.B. medizinischen Befundungen müssen aufgezeichnet werden. Am Ende des psychologischen Gesprächs erfolgt eine Sachstandsmitteilung. Die muss noch nicht vollständig sein, wenn noch Befunderhebungen ausstehen. Darüber hinaus sollte dem Klienten Gelegenheit zum Gegenlesen der Aufzeichnungen gegeben werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Die MPU dauert etwa drei bis vier Stunden. In dieser Zeit sind drei Untersuchungen durchzuführen: Leistungsdiagnostik, Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie.
Ich entschied mich für den TÜV. Den Technischen Überwachungsverein Deutschlands (TÜV) gibt es bundesweit. Neben seinen allgemein bekannten Abteilungen für technische Prüfungen von Fahrzeugen auf Verkehrstauglichkeit, unterhält der Verein auch Abteilungen für medizinisch-psychologische Prüfungen von Personen auf Verkehrstauglichkeit.
Zu erst wendete ich mich mit meinem Urteil und einem Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis an mein zuständiges Straßenverkehrsamt im Landkreis. Wie erwartet stellten sie die Möglichkeit der Erteilung in Aussicht. Für die Erteilung bestünden aber noch Bedenken, die sich aus dem Urteil ergaben. Diese müsste ich zu erst ausräumen. Als einzige Möglichkeit war hierfür eine erfolgreiche MPU gefordert. Ich musste ihnen meine Wahl nennen, in meinem Fall war das der TÜV in meiner Kreisstadt. Meine Akte wurde dann an die Gutachterstelle gesandt. Die wiederrum schrieb mich nach etwa zwei Wochen an. Nach Überweisung der Gutachtengebühren in Höhe von etwa 400€ konnte ich bei ihnen einen Termin für die MPU vereinbaren.
Die MPU sah ich als logisch, notwendigen Schritt vor der Neuerteilung eines Führerscheins. Ihr Sinn ist unzweifelhaft. Ich denke, nur die MPU kann vor Wiederholungstätern schützen. Strafen schrecken nicht sehr ab. Ist eine Strafe erst mal bezahlt oder abgesessen, wird sie, auch wenn sie hart war, bald vergessen oder verdrängt.
Wieso sollte sich ein Alkoholiker auch anders verhalten? Das widerspräche doch dem Suchtprinzip. Nur die MPU kann beurteilen, ob eine Sucht besteht oder nicht mehr besteht. Erst mit der Unbedenklichkeitserklärung durch die MPU kann verantwortlich daran gedacht werden einen Führerschein auszustellen. Diesem sehr vernünftigen Prinzip kann man nur zustimmen.
Für mich stellte ich mir das Verfahren einfach vor. Ich hatte mit Beginn meiner Pubertät fast dreißig Jahre lang nahezu alkoholfrei gelebt. Mein chronischer Konsum war zeitlich begrenzt. Langjährige Erfahrungen mit Alkoholmiss- brauch hatte ich nicht. Nach meiner Trunkenheitsphase hatte es mich nicht gedrängt exzessiv weiterzutrinken. Mein Konsum hatte sich schnell wieder normalisiert. Ich trank wenig bis gar keinen Alkohol, weil ich es gar nicht anders wollte. Geschmacklich war mir Alkohol auch nie ein Reiz gewesen. In meinem aktuellen Leben hätte ich mehr Alkohol sogar als störend empfunden. Das Leben konnte alkoholfrei so schön sein. Das war mir keine neue Erfahrung. Alle meine Aktivitäten füllten mich aus. Ihr Erleben mit Alkohol würde eine Qualitätseinbuße bedeuten. Mit Alkohol fehlten meiner Wahrnehmung Nachhaltigkeit und Tiefe. Erlebnisse werden mit Alkohol unscharf, weil ich mit zunehmendem Pegel Details nicht mehr wahrnehmen kann. Vor allem aber erreicht ein Alkoholrausch nie die Qualität, die ich z.B. bei einem Fallschirmsprung erlebe.
Auch mit dem <Fließen>, also dem inneren Aufgehen, das einen manchmal Raum und Zeit vergessen lässt, kann Alkohol nicht mithalten. Das erlebe ich schon beim einfachen Joggen. Aus dieser alten Erkenntnis heraus hatte ich doch über Jahrzehnte Alkohol nur in sehr geringen Mengen konsumiert.
Selbst meine Arbeit mit ihren Herausforderungen und internationalen Projekten war mir Kick genug, um selbst die Erfolge im Beruf nicht mit Sekt zu begießen. Alkohol hatte ich doch nur akzeptieren können, weil ich vorübergehend Einschränkungen in meiner Lebensweise tolerieren musste. Alkohol ersetzte doch nur, was ich später mit Nachdruck zurückforderte. Mir verlangte weiterhin nach einem Leben mit nachhaltigen Herausforderungen, ein Leben, das mich weiterhin antrieb und auf Ziele steuerte. Lethargie und Zufriedenheit im Suff passten da nur solange rein, wie es keine Alternative gab.
Daneben war mir bei Alkohol das Zeitfenster immer ein Problem. Man konnte nicht mal eben zwischendurch was trinken und später zur Tagesordnung zurückkehren. Wenn man trank, dann musste man den ganzen Film mitmachen, inklusive Kater. Letzteres nahm ich nur in Kauf, wenn ich den Kater verschlafen konnte. Das passte wiederum gut zum Trinken nach Feierabend und zu einem moralischen Prinzip, das Trinken zur Belohnung nach getaner Arbeit erhob.
Nur wenn dieser Rahmen funktionierte, war trinken überhaupt möglich gewesen. Das ist in meinem aktuellen Tagesablauf praktisch nicht mehr umsetzbar. Trinken in Anwesenheit meiner Frau oder gar wenn sie frühzeitig zu Bett gehen würde, würde sie nie wieder tolerieren. Darauf, so wird meine Frau nicht müde zu versichern, kann ich Gift nehmen. Somit fehlten neben den psychologischen Motiven auch die technisch, praktischen Voraussetzungen fürs Trinken. Nach meinem Ermessen lagen folglich keine Bedenken gegen die Neuerteilung der Fahrerlaubnis vor.
Bis zum Begutachtungstermin sammelte ich weiterhin bei meinem Arzt Laborwerte, die den Zustand meiner Leber dokumentierten. Damit hatte ich einen Monat nach dem Zwischenfall begonnen. Ohne den medizinischen Nachweis der Abstinenz, war eine erfolgreiche MPU auch bei vorbildlicher Führung unmöglich.
Zwei Monate nach der Urteilsverkündung war es so weit. Ich trat mit viel zu wenigen Informationen aus Büchern und dem Internet zur MPU an. Ich dachte, es braucht nur gesunden Menschenverstand um zu bestehen. Im Verfahren sollte es doch um nichts anderes als nur um die reine Wahrheit gehen, die wissenschaftlich korrekt aus der Tiefe meiner Seele analytisch messbar durch Experten an die Oberflache zu bringen war. Sind größere Vorbereitungen da nicht manipulativ?
Schon an dieser Stelle möchte ich feststellen, dass das eine falsche Entscheidung war. Auch Gutachter entscheiden nur über das, was sie sehen oder was man ihnen sichtbar macht. Ich warne davor zu glauben, dass die Wahrheit in all ihren Facetten immer auch als solche erkannt wird. Es soll schließlich eine Persönlichkeit durchleuchtet werden, die in ihrer Individualität sehr speziell sein kann. Was für Sie normal ist, kann ihren Gutachter durchaus erschrecken. Selbst wenn Sie recht haben sollten, muss der Gutachter erst mal seinen Blickwinkel entsprechend ausrichten wollen, um das auch wohlwollend sehen zu können. Sie müssen da schon ihren Gutachter gezielt motivieren, möglicherweise von einer anderen Gewohnheit zu lassen. Nur so hat die Wahrheit eine Chance den Ausgang des Gutachtens zu beeinflussen. Der wird sonst meist vom gewohnt, gefühlten Glauben bestimmt. Nur wo es gelingt der Erfahrung des Gutachters einen neuen Aspekt hinzu zufügen entsteht für Sie Hoffnung.
An diesem MPU-Tag ging es mir nicht gut. Mir tat mein Versagen weh. Die Wunde war noch lange nicht verheilt. Da drüber wieder sprechen zu müssen schmerzte. Therapeutisch war von der Begutachtung nichts zu erwarten, und so empfand ich den Termin als ein weiteres Ereignis, dass die Pflaster auf meinen langsam heilenden Wunden der Schuld mit Gewalt abriss, um darunter zu schürfen. Es machte einfach ein mieses Gefühl, vor ein Tribunal zu treten, um trotz erkannter Schuld Erwartungen an das Gericht zu richten. Ja, wie ein Gericht empfand ich die Herren und Frauen Gutachter, die mich erwarteten. Eigentlich waren sie sogar ein Triumvirat. Für mich waren sie Ankläger und Richter in einer Person und vielleicht steckte ein bisschen auch Anwalt in ihnen. Ich fürchtete ihre herablassenden Blicke, die immer Recht haben mussten. Natürlich würden sie als Experten alles besser wissen. Diese Erniedrigung war aber hinzunehmen. Eine Alternative zu diesem Teil des Strafrechts gab es nicht.
Das Gebäude des TÜV war ein schmuckloser Betonbau, wahrscheinlich aus den siebziger Jahren. Es war ein typischer Funktionsbau, der schon von weitem Büroatmosphäre verhieß. Autos und LKW, die auf die bekannten Fahrzeugprüfungen des TÜV hinwiesen, sah ich nicht. Offensichtlich waren die unterschiedlichen Abteilungen an diesem Standort räumlich getrennt. Beim Betreten des Gebäudes wechselte die Büroatmosphäre in eine klassische Amtsstimmung. Das Mobiliar war schon älter, der Anstrich der Wände wohl auch. Alles wirkte ein bisschen düster und kälter durch die Neonbeleuchtung. An einer Toilettentür war eine Benutzerordnung angebracht. Ein Pappschild an einer Flurtür mit einem Pfeil und der Aufschrift <zur MPU> führte mich durch eine Flurtür zu einer offenen Tür, hinter der sich ein kleines Büro mit aromatischem Kaffeegeruch befand. Das Fenster schmückte Vorhänge in mattem Lila und zwei Alpenveilchen, die ebenfalls im gleichen Farbton blühten. Neben dem Computer stand ein großer, leerer Kaffeebecher.
Mit einem „Guten Morgen“ trat ich ein. Hinter dem Computer lugte ein schwarzhaariger Kopf hervor und fragte: „Sie kommen zur MPU? Wie ist ihr Name?“
Nach meiner Antwort stand der Kopf auf, der einer zierlichen Frau gehörte. „Guten Morgen Herr Hanerth“, lächelte sie mich musternd an, und suchte dann aus einem vorsortierten Stapel nach meiner Akte. Sie erklärte mir, dass ich drei Stationen zu bewältigen hätte: eine ärztliche Untersuchung, einen Seh- und Reaktionstest sowie die psychologische Exploration. Alles zusammen würde grob drei Stunden dauern. Die Reihenfolge der Stationen könne sich ändern. Letzte Station sei aber auf jeden Fall der Psychologe. Zum Schluss fragte sie noch nach zusätzlichen Unterlagen, die ich vielleicht mitgebracht hatte für die Untersuchung.
Dann durfte ich im Wartezimmer direkt nebenan Platz nehmen. Hier warteten bereits ein Mann in Bundeswehruniform, ein älteres niederländisches Ehepaar und zwei junge Männer, bei deren Anblick ich spontan dachte: ‚Lange haben die ihren <Lappen> aber nicht gehabt‘. Nach etwa einer halben Stunde wurde ich aufgerufen zum Reaktionstest.
Die Leistungsdiagnostik ist ein Reaktionstest am Computer. Es ist ein automatisierter, audiovisueller Test. Der Test wurde von einem Assistenten gestartet, der dann wieder fortging. Während des Tests blieb ich somit allein. In dem Verfahren wurden körperliche Leistungsmerkmale wie Reaktionsfähigkeit, Konzentration und Aufmerksamkeit geprüft. Dazu waren in mehreren Blöcken mit unterschiedlichen Aufgabentypen in rascher Folge mehrere unterschiedliche Testaufgaben per Mausklick zu lösen.
In einem Test wurden beispielsweise für einige Sekunden Bilder von Verkehrssituationen gezeigt. Ich kann mich z.B. an eine Straße mit Verkehrsampeln erinnern. Nach wenigen Augenblicken verschwand das Bild. Dann musste ich im Multiple-Choice Verfahren die Anzahl der beobachteten Verkehrsschilder anklicken. In anderen Beispielen wurde nach der Anzahl von Autos, Personen oder roten Ampeln gefragt. Der Test war sehr einfach. Oft hatte ich die Gegenstände in den Bildern durchgezählt, bevor das Bild verschwand. Herausfordernder war es mit einem Blick die Gegenstände intuitiv zu erfassen, wie ich das gerne bei Suchrätseln und einfachen Sudokos machte. Ich ahnte aber, dass jemand, der über Jahre sein Hirn weggesoffen hatte, bei den Aufgaben Schwierigkeiten haben würde. Die Aufgaben ließen wenig Zeit zum Überlegen. Der Ablauf war monoton. Ich musste mich immer wieder neu konzentrieren. Nach etwa zwanzig gefühlten Minuten war das Programm beendet. Eine Minute später kam der Assistent mit einer Stoppuhr rein und bat mich wieder im Wartezimmer Platz zunehmen. Dort wartete ich auf die nächste Station. Das Wartezimmer war mittlerweile mit zehn Personen gefüllt. Die niederländische Dame wurde von ihrem Mann begleitet. Man hatte sich also für diesen Vormittag zur Prüfung zehn Kandidaten vorgenommen. Die meisten Personen tranken Kaffee, von dem es reichlich aus einem Automaten auf dem Flur gab.
Meine nächste Station musste der Arzt sein. Im verkehrsmedizinischen Part sollte die verkehrsrechtlich, relevante Krankheitsgeschichte abgefragt werden. Weiterhin stand eine körperliche Untersuchung an. Dazu gehörten unter anderem eine Blutdruckmessung und das Ablaufen einer geraden Linie. Unbedingt musste der Alkoholiker hier die lückenlose Labordiagnostik vom Hausarzt präsentieren, zum Nachweis der Abstinenzzeit. Genaueres zu diesem Teil beschreibe ich, nachdem ich mit dem Gesamtüberblick fertig bin im nächsten Kapitel.
Im wichtigsten Teil, dem verkehrspsychologischen Gespräch, muss der Kandidat zeigen, dass er sein Fehlverhalten erkannt hat. Die Ursachen dafür muss er aufzählen und begründen können. Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen und praktisch umgesetzt. Wie lange sind diesbezügliche neue Verhaltensmuster eingeübt. Sind sie so stabil, dass sie neue Verkehrsauffälligkeiten verhindern können? Sechs Monate gelten als Minimum um Verhaltensänderungen zu festigen.
Die psychologische Untersuchung ist streng verhaltenstherapeutisch ausgerichtet. Wiederkehrende Verhaltensmuster schleifen sich ein und sind prägend. Sie führen dazu, dass wir uns in unserem Verhalten nicht vom Verstand leiten lassen. Gerade Alkohol hat durch sein <Craving> (das ist das biochemische Einbrennen von Suchtdruck in das Gehirn) eine starke Wirkung. Der Druck zu trinken nimmt mit der Dauer des Alkoholmissbrauchs zu. Wie geht der trockene Alkoholiker in Zukunft mit diesem Druck um? Die Psychologen sehen das als eine lebenslange Herausforderung. Welche sinnvollen Methoden werden vom Kandidaten erfolgreich praktiziert?
Das Urteilsvermögen und die Willensfähigkeit werden ebenso durch den Missbrauch zunehmend eingeschränkt. Der beste Beweis ist die häufige Unfähigkeit, wenn Alkoholiker nicht erkennen können, dass sie von der Krankheit betroffen sind. Die Vehemenz, mit der die Einsicht verweigert wird, ist bei erdrückenden Beweisen ein Indiz für einen manifesten Alkoholismus.
Leider gibt es hierfür unzählige Beispiele. Mir lag ein Fall vor, wo ein beamteter Hauptschullehrer mangels Einsicht es geschafft hatte, dass ihm als nahezu unkündbarem Beamten gekündigt wurde. Nun lebt er bis zum Erreichen des Rentenalters von Sozialhilfe. Es wäre so einfach gewesen für seinen Dienstherrn, die bereitstehenden Optionen für eine anerkannte Krankheit anzuwenden. Schlimmstenfalls wäre das auf eine Frühverrentung nach 32 Dienstjahren hinausgelaufen. Nur - ohne das uneingeschränkte Ja zum Problem ging nichts. Die Einsicht muss glaubwürdig und nachvollziehbar sein.
Im Internet finde ich noch den Hinweis, dass Gutachter oft um widerspruchsfreie Ausführungen bitten. Solche Bitten sind diskrete Hinweise darauf, dass die Gutachter dem Klienten nicht glauben mögen. Deutlicher ausgedrückt heißt das: Der Gutachter glaubt, Sie lügen ihn an. In diesem Zusammenhang las ich weiter Im Internet, dass wer glaubt Kritik üben zu müssen, sich das gründlich überlegen sollte. Nur glaubhafte Kritik macht es möglich, dass Kritik vielleicht nicht als ein Symptom der Krankheit bewertet wird von Ursachen abzulenken. So muss man sorgfältig darauf achten, dass keine Missverständnisse entstehen zwischen ernstem Widerspruch und dem Leugnen eines Defizits. Alleingänge sind dabei zu vermeiden, denn das Urteilsvermögen von Alkoholikern ist bedingt durch die Krankheit eingeschränkt. Besprechen sie sich mit einer Person deren Urteilsvermögen unzweifelhaft ist. Idealerweise ist das Ihr Therapeut, nicht aber nur die Mitglieder ihrer Selbsthilfegruppe.