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3 Das Assessment in der Geriatrie 3.1 Allgemeines zum geriatrischen Assessment
ОглавлениеDas Assessment ist ein längerer diagnostischer Prozess, der eine umfassendere Abbildung der Probleme und Ressourcen eines alten Menschen ermöglicht. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil Symptome und gesundheitliche Probleme im höheren Lebensalter oft atypisch präsentiert oder bagatellisiert werden. Damit besteht die Gefahr, dass im Rahmen der üblicherweise durchgeführten medizinischen Diagnostik relevante Probleme übersehen werden.
Das geriatrische Assessment wurde als ein umfassender multidimensionaler und strukturierter Prozess entwickelt. Es soll bei der Entscheidungsfindung helfen, in wieweit therapeutisch präventiv, restituierend oder kompensatorisch erfolgsversprechend behandelt werden kann. Dabei werden die Wünsche und Ziele des Patienten immer mit in ein umfassendes Behandlungskonzept integriert.
Ein so aufgebauter strukturierter Prozess benötigt Zeit und dauert im Durchschnitt ca. 60 Minuten pro Patient. Daher müssen bei der Durchführung eines geriatrischen Assessments immer auch die Belastung des Patienten und seine Ausdauer berücksichtigt werden. Nicht immer kann eine Abklärung als Ganzes erfolgen, sondern muss unterbrochen werden und in kleineren Einheiten erfolgen (sog. rolling assessment), um valide Ergebnisse zu liefern.
Diese Problematik muss unbedingt erkannt und dokumentiert werden, denn ein unter starren äußeren Vorgaben zeitlich komprimierter Assessmentprozess kann falsche Eindrücke liefern und zu falschen Konsequenzen führen.
Nicht jeder ältere Mensch benötigt ein umfassendes geriatrisches Assessment. Die Auswahl der Patienten basiert auf der Zielsetzung des Assessments. Das Spektrum reicht dabei vom Erhalt der Funktionalität bei bisher nicht eingeschränkten Personen über die Aufdeckung latenter Defizite bis hin zur Quantifizierung prävalenter Einschränkungen.
Ältere Menschen, die im Alltag komplett selbstständig sind und keine relevanten Einschränkungen haben, sind eine ideale Zielgruppe für eine Prävention. Hier wäre ein umfassendes geriatrisches Assessment zu umfangreich. Auch die Konsequenzen des Assessments wären gering. Daher ist die Herangehensweise hier ein gezieltes Screening mit sich anschließendem umfassenderen Assessment nur bei Auffälligkeiten.
Auch Personen mit andauernder erheblicher Pflegebedürftigkeit würden im ambulanten Bereich weniger vom Ergebnis eines umfassenden geriatrischen Assessments profitieren. Die älteren Personen mit dem höchsten Benefit leiden typischerweise an mehreren Erkrankungen und therapiebaren funktionellen Einschränkungen (Stijnen et al. 2014).
Eine weitere Gruppe mit Benefit sind elektive chirurgische oder onkologische Patienten vor einer Intervention. Das Ziel ist hier, im Vorfeld Risikofaktoren für einen ungünstigen periinterventionellen Verlauf zu identifizieren und präventiv zu behandeln (Partridge et al. 2014).
Die entscheidende Frage lautet, welchen Benefit der Patient von einem geriatrischen Assessment hat? Studien zeigen zum Beispiel, dass ältere Menschen mit Multimorbidität von einem faktorisolierenden medizinischen Ansatz, der sich nur auf eine einzelne Erkrankung konzentriert, nicht profitieren (Gates und Mills 2005). Ein geriatrisches Assessment ist hingegen umfassender und thematisiert die für den alten Menschen relevanten Probleme unabhängig von der vorliegenden Multimorbidität.
So ließ sich zeigen, dass zu Hause lebende Personen mit pflegerischer Versorgung eine höhere Lebensqualität hatten und seltener in ein Krankenhaus oder ein Pflegeheim aufgenommen werden mussten, wenn zuvor ein geriatrisches Assessment mit entsprechenden gezielten Interventionen erfolgte. Auch die Mehrkosten für diese Intervention waren durch diese günstigen Effekte mehr als ausgeglichen (Ekdahl et al. 2016).
Eine weitere wichtige Frage ist die, welche Inhalte ein umfassendes geriatrisches Assessment haben muss, um einerseits effektiv zu sein und andererseits nicht durch unnötige Ausdehnung den Patienten und den Untersucher zu überfordern.