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Kapitel 6

Reine Routine

Pünktlich um acht bin ich am nächsten Tag an der Hauptschule. Der Liachtl ist schon fleißig am Werkeln und hat die zwölf PCs in den Computerraum gebracht. Stolz erzählt uns der Rektor, dass hier an der Schule vor fünfunddreißig Jahren eines der fortschrittlichsten Sprachlabore Bayerns installiert wurde. Mit ganz neuen Kassettenrekordern und Kopfhörern konnten die Schüler Englisch lernen, als Wahlfach gab’s Französisch. Hightech zu der Zeit! Jetzt wird das ganze alte Zeug weggeschmissen und die Schule bekommt zwölf nigelnagelneue Computer.

Das Budget des Kultusministeriums hätte das nicht hergegeben. Entweder weniger PCs oder zwölf alte Krücken. Gott sei Dank haben daraufhin der Wolkenstein und ein paar andere Firmen (ich auch) mehrere Euros draufgelegt, und so können wir an der Schule superschnelle PCs mit modernen Flachbildschirmen und allerlei brauchbarer Software einrichten.

Da der Liachtl schon alles vorinstalliert hat und die Blechkisten nur noch hingestellt und angeschlossen werden müssen, kann der Rektor den neuen Computerraum zusammen mit den Sponsoren und einer Schulklasse pünktlich um zwölf Uhr eröffnen.

Ein Foto wird natürlich auch gemacht und so sind dann der Liachtl und ich wohl in den nächsten Tagen in der »Hallertauer Zeitung« abgebildet.

Den Pressetermin und die Ansprachen lass ich über mich ergehen, dann wird’s aber langsam Zeit, dass ich mich auf den Weg zu meinem Doktor mache und schau, wer ihn da so beobachten könnte. Damit ich nicht ganz vom Fleisch fall, nehm ich mir noch zwei Häppchen vom kleinen Buffet mit, das der Rektor zur Feier des Tages hat herrichten lassen.

Laut Programm ist der Dok heute ab vierzehn Uhr zusammen mit dem Landwirtschaftsminister und einer Delegation aus scheinbar ganz wichtigen Leuten bei uns unterwegs. Hopfenrundfahrt! Zuerst hält der Minister eine Ansprache im Hopfenmuseum in Wolnzach, dann geht’s per Bus quer durch die Holledau. Zum Schluss landet die Gruppe in Buchkirchen und besichtigt die Hightech-Hopfendarre vom Grantlbauern, so das Programm.

Vor dem Hopfenmuseum ist natürlich kein Parkplatz mehr frei. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mein Auto im Parkverbot abzustellen und mein sauber laminiertes Schild »Notarzt im Einsatz« gut sichtbar innerhalb der Windschutzscheibe anzubringen. Wegen der Anwesenheit des Ministers stehen überall Security-Typen rum und wollen am Eingang doch glatt meine Einladung sehen.

»Tja, meine Herren, ich bin von der Lokalpresse, das sehen Sie doch. Ich brauch keine Einladung«, sag ich zu dem einen und deute auf meinen großen Fotoapparat, der vor meiner Brust hängt. Er lächelt und lässt mich rein. Notfalls hätte ich denen meinen Presseausweis gezeigt, schaut echt professionell aus. Ich hab mir da vor einiger Zeit mal einen ansehnlichen fälschen lassen. Hat mich zwar einen Hunderter gekostet, aber so ein Presseausweis macht echt was her und hat sich schon einige Male bezahlt gemacht.

Wie sollst jetzt da unter den zwei- oder dreihundert Leuten einen rausfinden, der den Dok vielleicht verfolgt? Ich bleib einfach kurz nach dem Eingang stehen, von da aus hat man einen guten Überblick über die sitzenden Zuhörer. Um mich herum lauter gelangweilte Gesichter mit einem Fotoapparat um den Hals, also alles »Pressekollegen«, perfekte Tarnung. Von meinen Privatagentenkollegen aus München ist allerdings keiner dabei.

Obwohl die Sicht von schräg hinten nicht optimal ist, ist der Dok in der ersten Reihe gut zu erkennen. Er trägt das gleiche Sakko wie gestern. Der Platz rechts neben ihm ist frei, da wird wohl der Landwirtschaftsminister sitzen, der gerade spricht. Links von ihm sitzt ein junges Mädel im Dirndl mit einer Art Diadem im Haar, die Hopfenkönigin der Hallertau. Es scheint gewisse Vorteile zu haben, wenn man sich in der Hopfenforschung etwas auskennt.

Für meine Ermittlungen hilft mir das alles im Moment wenig. Der Minister beendet seine Rede und ich renn mit den Fotografen mit, um ein paar Fotos zu schießen. Mein Dok, die Hopfenkönigin und dazu noch ein paar graue Eminenzen scharen sich um den Minister, und ich knipse, was der Apparat hergibt. Dann dreh ich mich um und mach mehrere Fotos von den Fotografen, von den ganzen Zuhörern und was sonst noch so im Saal rumläuft, man weiß ja nie.

Für die geladenen Gäste geht’s nach der Ministerrede per Bus durch unsere eindrucksvolle Hügellandschaft, die jetzt, zu Beginn des Hopfenzupfens Mitte/Ende August, am schönsten ist. Die Hopfengärten sind voll mit ganz nach oben gewachsenen Hopfenreben, und der Hopfen selbst verbreitet während der Erntezeit diesen wunderbar herben, aromatischen Duft. Eine schöne Zeit!

Die Rundfahrt kann ich mir sparen, ich kenne meine Hallertau. Laut Programm landen die Busse, wie gesagt, am Ende in Buchkirchen beim Grantlbauern. Ich steig in meinen Wagen und fahr los.

Es bildet sich ein kleiner Konvoi von fünf Autos, deren Fahrer anscheinend alle die gleiche Idee haben. Wir folgen nicht den Bussen, sondern fahren direkt zum Grantlbauern. FS, PAF und KEH fahren vor mir und hinter mir ein DD. Bis auf den DD alles lokale Kennzeichen. Während der Hopfenernte sind die Straßen in der Hallertau nicht gerade die saubersten und somit wirbeln die paar Fahrzeuge ganz schön Staub auf. Das Autowaschen kannst du dir während dieser Zeit sparen.

Der Autokonvoi biegt nach einigen Kilometern Fahrt in den Hof vom Grantlbauern ein, wo schon ein paar Parkplatzeinweiser stehen. Immer mehr Autos sammeln sich hier, und nach circa einer halben Stunde treffen die Busse ein. Eng wird’s trotzdem nicht auf dem prächtigen Anwesen, da könntest du noch immer Fußball spielen. Manchen Hopfenbauern geht’s dann doch nicht so schlecht, sind halt alles fleißige Leut.

Doktor Treikert steigt als einer der Ersten aus seinem Bus, dicht gefolgt von einer attraktiven Dame im Dirndl, es ist allerdings nicht die Hopfenkönigin. Er unterhält sich sehr angeregt mit ihr, die scheinen sich gut zu kennen. Während nun eine Art Führung am Hof beginnt und der Minister sich bei der Arbeit an der Hopfenpflückmaschine versucht, beginnt wieder die große Knipserei. Dabei fällt mir auf, dass sich nicht alle Pressefuzzis dem Minister widmen, sondern einer sehr oft auf meinen Doktor und seine Begleitung zielt. Das könnt zwar auch Zufall sein, aber den schau ich mir trotzdem näher an. Jeans, blaues T-Shirt und ein dunkelblaues Sakko, wir haben anscheinend denselben Schneider. Einen Presseanstecker hat er am Revers, wenn das mal kein plumper Trick ist!

Was soll’s, für mich ist das mein erstes Zielobjekt und ich mach ein paar Schnappschüsse von ihm und bleib an ihm dran. So, wie es aussieht, kennt er auch einige von den Silberrücken oder zumindest einen, mit dem unterhält er sich sehr angeregt. Sicherheitshalber mach ich ein Foto von meinen beiden Verdächtigen.

Nach geschätzten drei Minuten Arbeit an der Hopfenzupfmaschine ist unser Landwirtschaftsminister inzwischen ganz schön ins Schwitzen gekommen. Anmerken lässt er sich allerdings nichts. Bereitwillig und äußerlich locker nimmt er nach einer kurzen Pause die mindestens vierzig Stufen hinauf zur Hopfendarre, die Hightech-Trocknungsanlage will doch bewundert werden. Einigen seiner Politikerkollegen fällt der Weg nach oben nicht gar so leicht und auch die Pressevertreter schwächeln etwas. Auf halbem Weg ist für die meisten Schluss. Den wenigen, die es bis nach oben schaffen, wird’s in der Darre schnell zu warm. Die Technik wird nicht so eingehend erklärt, schließlich soll ja der Hopfen die Flüssigkeit verlieren und nicht die Prominenz. Ein öffentlichkeitswirksames Foto, bei dem sich neben dem Minister auch die wenigen Feierabendpolitiker, die es bis nach oben geschafft haben, in Szene setzen können, muss allerdings schon noch sein. Beim Weg hinunter über die steilen Stufen heißt es dann schön aufpassen, damit man nicht direkt im kalten Buffet landet, das inzwischen vorbereitet wurde. Sichtlich erschöpft lässt sich die Obrigkeit auf den bereitgestellten Biertischgarnituren nieder. Sattgrüne Hopfenkränze liegen auf den weißblauen Tischdecken mit Rautenmuster - wenn’s einen da nicht nach einem guten Bier und einer Brotzeit gelüstet, dann weiß ich auch nicht mehr.

Mein Doktor sitzt neben dem Minister, ganz wie es sich gehört. Jeder hat eine Maß Bier vor sich stehen, randvoll eingeschenkt mit einer werbereifen Schaumkrone. Vermutlich werden die hohen Herrschaften nur alkoholfreies Bier trinken, sie müssen ja noch arbeiten. Aus dem Hintergrund drängt sich nun mein zweiter Verdächtiger an den Tisch des Ministers. Das gefällt meinem Doktor gar nicht und er bekommt einen roten Bimbus auf. Ich geh näher ran und erkenn erst jetzt, dass das ja einer der Mitbewerber für den Professorenjob ist. Das ist Dr. Knochert, wenn ich die Bilder aus dem Internet recht in Erinnerung hab.

Wie schon gesagt, das schmeckt meinem Doktor überhaupt nicht, dass der sich nun den Minister krallt und ihn zutextet. Jetzt heißt es fighten, Dok!

Die meisten anderen Besucher haben sich nun von dem alkoholfreien Blembbe abgewandt und sind, wie man rasch an der Stimmung merkt, zum weitaus beliebteren normalen Hellen und Weißbier übergegangen. Es hat schon seinen Grund, wieso die Leute mit Bussen hierher kutschiert wurden. Der Grantlbauer spart ausnahmsweise nicht mit Freibier und Brotzeit, was wiederum zur Folge hat, dass viele Besucher gar nicht mitbekommen, dass der Minister schon nach dreißig Minuten wieder abhaut. Wichtige Termine, versteht sich. Seine Staatskarosse war ohne ihn brav den Bussen gefolgt, als sich der Minister volksnah im Bus die Hallertau zeigen ließ.

Nur einige wenige Köpfe sieht man im ersten Bus, der bereits kurz nach der Ministerkarosse den Bauernhof verlässt. Die zweitwichtigsten Leute eben. Meinen Dok glaube ich in vorderster Reihe zu erkennen. Einige Sitzreihen dahinter seinen »Nebenbuhler« um die Professur.

Etwas abseits der ganzen Meute verschwindet mein Verdächtiger Nummer eins, der Presseheini, Richtung Parkplatz. Den werd ich mir näher anschauen, denk ich, und folge ihm. Er geht schnurstracks zum Auto mit DD-Kennzeichen, sperrt auf, steigt ein und beginnt zu telefonieren. Ich schleich mich hinter den Wagen, kann das Telefonat aber nur schwer verstehen. Was ich allerdings verstehe, ist, dass der keinen Dialekt spricht, sondern auf Englisch telefoniert.

»I’ve taken some very nice pictures of Mr. Treikert and his girlfriend, you will be excited.«

Ja so ein Bazi, also kein Fotograf, sondern ein Kollege? Der Treikert ist sicherlich nicht begeistert, dass einer Fotos von ihm und seiner Begleitung macht, ohne ihn zu fragen.

Der Kerl telefoniert noch weiter, spricht aber zu leise und ich hör nix mehr. Als er den Motor startet, mach ich mich besser vom Acker, bevor der mich noch sieht oder mich gar arschlengs, also rückwärts (kommt halt vom Allerwertesten) mit dem Auto über den Haufen fährt.

Die Blaskapelle hat inzwischen zu spielen begonnen und etwa fünfzig bis sechzig lustige Gäste scheinen wohl noch für längere Zeit beim Grantlbauer zu bleiben. Da vermutlich keiner der Anwesenden meinen Doktor verfolgen will, pack ich meine Kamera weg und misch mich unters Volk, vielleicht erfahr ich noch was Interessantes. Den Grantlbauern kenn ich von früher. Wie er mich sieht, geht er gleich zu mir her:

»Ja sag einmal, Vinzenz, was hat dich denn heute nach Buchkirchen verschlagen?«

»Servus, Sepp, wenn du schon so hohe Prominenz bei dir hast und ausnahmsweise Freibier ausgibst, interessiert mich das halt auch. Wen hast du denn da wieder geschmiert, dass die Großkopferten alle bei dir sind?«

»Weißt, Vinzenz, es könnt ja sein, dass man irgendwann mal einen von denen braucht, und in dem Moment ist es nicht schlecht, wenn du auf die eine oder andere ›gute Tat‹ hinweisen kannst.«

Wir unterhalten uns noch ausgiebig und der Sepp weiß mancherlei über seine hohen Gäste zu erzählen. Mir werden dabei auch verschiedenste Zusammenhänge klar, zumindest während der ersten Maß, später wird’s dann etwas undurchsichtiger.

Weil der Sepp auch Zimmer vermietet – »Urlaub auf dem Bauernhof « – und ich im Laufe des Abends locker die 0,8-Promillegrenze überquere, bleib ich lieber gleich bei ihm. Schöne Zimmer, zu einem Bruchteil des Preises von Bad Wiessee.

Am nächsten Morgen bin ich fast topfit. Beim Frühstück kann ich mir noch Zeit lassen, danach muss ich allerdings weg. Mein Telefontermin! Pünktlich um acht Uhr fünfundvierzig ruf ich den Treikert an und der ist auch gleich dran.

»Hallo Herr Graflinger, was haben Sie zu berichten?«

Für den Dok pack ich mein bestes Hochdeutsch aus.

»Also, während des Ministerbesuchs ist mir aufgefallen, dass sich tatsächlich ein Kerl besonders bemüht hat, Fotos von Ihnen und der Dame im Dirndl zu machen. Der Verdächtige fuhr einen Wagen mit Dresdner Kennzeichen. Gegen Ende des Aufenthalts beim Grantlbauer ging er zu seinem Auto und telefonierte, auf Englisch. Er hat jemanden informiert, dass er ein paar schöne Fotos von Ihnen und Ihrer Freundin geschossen hat. Ach ja, der mit der Dresdner Autonummer und der Dr. Knochert haben sich sehr wahrscheinlich gekannt, zumindest haben sie miteinander gesprochen.«

Nach einer kurzen Pause sagt der Dok: »Meine Vermutungen sind also richtig. Dieser Dresdner wurde - höchst wahrscheinlich von Tropasora Chemicals - beauftragt, in meinem Privatleben herumzuschnüffeln, und ein Zusammenhang mit Knochert besteht auch. War sonst noch was, Herr Graflinger?«

»Nein, eigentlich nicht, aber ich würde zu gerne wissen, wer die Dame im Dirndl war, die Sie begleitet hat, und wieso Ihnen der Knochert und die von Tropasora Chemicals an die Wäsche wollen.«

»Nun, es ist zwar nicht wichtig für Sie, aber gut. Die Dame im Dirndl ist meine Lebensgefährtin, Frau Dr. Klara Ader. Sie hat als Pflanzenbiologin gearbeitet, dann allerdings vor einigen Jahren den elterlichen Hof in Reichertsegg übernommen. Sie geht ganz neue Wege im biologischen Hopfenanbau. Da meine Scheidung noch nicht durch ist, bereiten mir meine ›Kollegen‹ damit schon seit einiger Zeit Probleme und wollen meine Chancen auf die Professur vernichten. Des Weiteren versuchen meine Mitbewerber mit allen Mitteln, meine Forschungsergebnisse zu torpedieren. Ich habe vor gut einem Jahr ein Patent angemeldet, das die Krebsbekämpfung revolutionieren wird. Versetzt man bestimmte Hopfenbestandteile mit von mir entdeckten biologischen Substanzen, so kann das Wachstum bestimmter Krebszellen gestoppt werden. Letzte Woche habe ich den Bescheid erhalten, dass das Patent in Kürze anerkannt wird und meine Forschungen wohl mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützt werden.«

»Donnerwetter, Herr Treikert, das wäre ja fantastisch. Hopfen gegen Krebs, stimmt das wirklich?«

»Ganz so einfach ist es nicht. Meine Forschungen haben jedoch zweifelsfrei bewiesen, dass es möglich ist, und sobald mein Patent anerkannt ist, wird die Fachwelt aufhorchen.«

»Eine Frage noch, Herr Doktor: Laut Terminplan sind Sie heute ganztags am Institut, da würde ich mich gerne ein wenig umsehen, geht das?«

»Das kann ich arrangieren. Ich werde Sie am Empfang anmelden, als einen meiner Besucher für heute. Viel Zeit werde ich nicht für Sie haben. Fotografieren ist am Forschungsinstitut strengstens verboten, lassen Sie Ihre Kamera also zu Hause, die wird Ihnen sonst abgenommen. Also dann, bis später!«

Ohne mich noch zu Wort kommen zu lassen, legt der Doktor auf.

Grünes Gold

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