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II. Ketil Plattnase,

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Wikinger einst, ein in Norwegen in seinem Thingbezirk mächtiger Herse, gab den Anstoß; er berief seine Verwandten und Thinggenossen ein, trug ihnen seinen Entschluss vor, Norwegen zu verlassen und stellte ihnen frei, sich ihm anzuschließen oder zu bleiben und sich der Königsmacht zu beugen. Seine Blutsverwandten, Pächter und freie Bonden mögen allerdings kaum eine Wahl gehabt haben. Selbst wenn sie sich unterworfen hätten, wäre ihr Eigentum in den Besitz eines der Königsmänner übergegangen und sie mit ihren Familien in die Abhängigkeit geraten und in die Armut getrieben worden. Verbrieftes, geschriebenes Recht auf Landbesitz gab es nicht; die Erbfolge war durch Herkommen geregelt. Man besaß, was man am Leibe trug oder so viel, wie man mitnehmen und verteidigen konnte. Knechte und Sklaven hatten weder etwas zu verlieren, noch etwas zu gewinnen, ob sie blieben oder ausreisten. Die Mehrzahl entschied sich dafür, ihrem alten Führer Ketil Plattnase zu folgen, wohin er sie auch bringen würde. Ketil, ein Sohn von Björn Buna und Yngvild, Ketil Vedrssdóttir, einem alten berühmten Hersengeschlecht, lebte im norwegischen Raumstal. Es sind dies historisch gesicherte Namen und Daten. Die Söhne Ketils, Björn, Björn aus dem Osten genannt, und Helgi Bjolan, empfahlen, unverzüglich aufzubrechen und nach Island zu segeln, aber Ketil, der die Insel aus seiner Wikingerzeit kannte, wollte die Fahrt nicht mehr wagen. Er fühlte sich zu alt für eine Ansiedelung in diesem unwirtlichen Land, um als Siedler von vorn anzufangen. Sein Ziel war das nahe Schottland. So trennten sich die Wege; es war ein Abschied für immer. Während die Söhne zur Islandfahrt rüsteten und mit ihren Thinggenossen aufbrachen, segelte Ketil Plattnase in Begleitung seiner Tochter Unn der Weisen und ihrem Sohn Thorstein, mit dessen Kinder und allen Verwandten, die Plattnase folgen wollten, nach Schottland. Er wurde, liest man, von den Schotten auch gut aufgenommen, was immer das heißt. Thorstein schloss mit den Einheimischen einen Vertrag, der ihm die Herrschaft über ein Kleinreich einräumte. Von ihrer alten Lebensweise, der des Wikingers, waren Thortstein und Ketil also nicht wirklich losgekommen. Das Abkommen, falls es eins gewesen ist, brach schnell auseinander. Thorstein führte Krieg; nach Ansicht des Chronisten brachen die Schotten treulos den Friedenspakt. In den Kämpfen bei Katanes, sicherlich kleinerer Art, fiel Thorstein. Ketil kam ebenfalls ums Leben; so war der Traum von einem Kleinreich in Schottland zu Ende, die gewohnte Lebensweise des Herrenrechtes war nicht fortzusetzen. Immerhin waren die Norweger als Eroberer gekommen und die Schotten Verteidiger ihrer Rechte. Ketil Plattnase ist dennoch, obschon er und Thorstein tot waren, in seinen Söhnen und mehr noch in seiner Tochter Unn der Weisen, Stammvater der am Breidafjord siedelnden Familien geworden. Unn der Weisen fiel nun die Führerschaft über alle zu, die ihrem Vater Ketil Plattnase gefolgt waren. Da sie keine Wahl hatte, entschied sie sich dafür, Schottland zu verlassen und ihren Brüdern nachzureisen. Mit Umsicht ging sie daran, ihre Flucht vorzubereiten; versteckt im Wald von Katanes ließ sie ein Lastschiff bauen und nahm an Bord, wer ihr folgen wollte, Koll, einen Hersen und Hörd, unter anderen und brachte auf ihrem Schiff unter, was sie mitnehmen musste oder wollte, Menschen und Sachen. Dass die beiden genannten Hersen einer Frau die Führerschaft überließen, lässt auf das Vertrauen in ihre Umsicht und Führerschaft schließen, aber kein einziger Mann in ihrer Gefolgschaft dürfte als Seemann und Krieger unerfahren gewesen sein. Wie Unn die Weise diese Fahrt vorbereitet und ausgeführt hat, und was sie danach in Island für ihre Sippe, für die Siedler tat, das brachte ihr schon zu ihren Lebzeiten Bewunderung ein.

Die Ankunft von Unn der Weisen in Island in das Jahr 890 n. Chr., verlegt, ist überliefert. Demnach muss der Tod ihrs Vaters Ketil und das Ende ihres Sohnes Thorstein auf dem Schlachtfeld einige Jahre zurückverlegt werden, etwa in die Zeit als Harald Schönhaar Hjarfagr Norwegen mit harter Hand zu einem Königreich vereinigte hatte. Ein Jahrzehnt vor ihr dürften Björn aus dem Osten und sein Bruder Helgi Bjolan in Island Land genommen haben. Björn aus dem Osten, also Björn Ketilsohn beanspruchte Wiesen und Äcker zwischen der Strafa und dem Hraunfjord und gründete Bjarnardhöfn, Björnhafen, auf dem er bis an das Ende seines Lebens wohnen blieb, allem Anschein nach ohne in schwerere Händel verstrickt zu sein, aber auch unter Verzicht auf das Godenamt, für das er wohl auch nicht in Betracht gekommen wäre. Sein Bruder Helgi Bjolan siedelte auf Kjalarnes und wirtschaftete so gut, dass er dort ebenfalls sesshaft wurde.

Unn die Weise übernahm also die Leitung der Auswanderung. Da sie nicht wussten, was sie in Island erwartete und ob sie die Insel überhaupt finden würden, was keineswegs sicher, mussten sie mitnehmen, was sie zum Überleben brauchten. Für eine Langreise kam nur die warme Jahreszeit in Betracht. Das Nordmeer wurde zwar bis spät in den Oktober hinein befahren, aber selbst wenn sie im Laufe des Sommers noch rechtzeitig in Island angekommen wären, um Saatkorn in den Boden zu bringen, wäre das Getreide jeder Art und Sorte erst später in ausreichender Menge vorhanden gewesen. Für einen solchen Auszug war einiges vorauszusetzen. Der Führer musste über genügend Mittel und Menschen verfügen, um ein Lastschiff zu bauen und alle für längere Zeit zu beköstigen. An Geld dürfte es der Unn nach der Niederlage ihres Vaters Ketil nicht gefehlt haben; dass sie mit den Männern der Sippe an die Aufgabe gehen konnte, ein Schiff zu bauen, spricht für ihr Vermögen.

Die Frage, wie groß diese Lastschiffe waren, gibt immerhin Auskunft über Menschen und Fracht. Da lohnt es, einen Blick auf den Schiffbau jener Zeit zu werfen, als die Wikingerschiffe berühmt und gefürchtet waren und ihresgleichen an Seetüchtigkeit und Schnelligkeit suchten. Vier Klassen sind zu unterscheiden; der große Dakar; das bekannte Drachenschiff hatte eine Länge über alles von 48 Metern und eine Breite über alles von 7,50; bei 72 Riemen; zu beiden Seiten konnten je 36 Ruder ausgesteckt werden, demnach saßen auch zweiundsiebzig Rudergasten an den Duchten. Insgesamt bot der Dakar bis zu dreihundert Mann Platz. Das Langschiff der nächst unteren Klasse war 30 Meter lang, konnte immerhin zweihundert Mann Besatzung aufnehmen und zwanzig Tonnen Last stauen; die Tonne nach heute üblichem Gewicht. Beide Schiffe, Dakar und Langschiff waren also Kriegsschiffe, die einen erheblichen Aufwand an Kosten und Unterhalt erforderten. Das Karvi, die dritte Schiffsklasse, war noch kleiner; mit 21 Meter Länge über alles und 5 Meter Breite über alles, konnte das Schiff mit 32 Riemen gerudert werden. Die Knorr, das kleinste der Typenreihe mit nur 16,50 Länge über alles und 4,50 Breite über alles fasste immerhin noch 15 Tonnen Last. Die Knorr war als Transporter das geeignetste Auswandererschiff. Das Größte jemals in dieser Zeit in Norwegen auf Kiel gelegte Schiff war die Ormen Lange, die lange Schlange, mit einer Länge über alles von 48 Meter, deren Bau von König Olaf Thryggvasson 998 n. Chr. befohlen wurde. Die Ormen Lange, mit vergoldeten Steven reich verziert, dürfte allerdings ein Prunkschiff gewesen sein. Eine der Voraussetzungen für den norwegischen Schiffbau war der Reichtum an Bauholz, an Eichen, das beste Material für den Schiffbau. An Werkzeug genügten dem norwegischen Zimmermann Keile, Axt und die Breitaxt. Zwar war die Säge bekannt, aber nicht benutzt; alle Bohlen wurden durch Spaltung des Stammes gewonnen, und mit der Axt oder der Breitaxt auf Dicke gebeilt. Wasser oder Wasserdampf, um die Planken zu formen, ist nicht angewendet worden; eiserne Nägel und Beschläge schmiedeten die Schiffbauer selbst. Über den Kiel aufgelegt, bauten sie zunächst die Außenhaut in Klinkerbauweise auf, dann erst kamen die Spanten in den Rumpf. So etwa werden bis heute geklinkerte Holzboote über Mallen gezimmert.

Unn die Weise, den Schiffbau anregend und ihn überwachend, verstand sich offenbar darauf, ihre Leute anzuweisen und den Bau, vermutlich einer Knorr, voranzutreiben. Sie reiste mit nur einem Schiff, der Erzählung nach. Wie lange der Bau eines solchen Schiffes dauerte und wie viele Handwerker dazu nötig sind, darüber wissen wir nichts. Jedenfalls sind kurze Bauzeiten anzunehmen, berücksichtigt man die Menge der Fahrzeuge, die gegen Ende des zehnten Jahrhunderts gebaut wurden und zum Einsatz kamen. Das Überleben vieler Menschen für längere Zeit voller Gefahren und Zufälligkeiten auf dem Nordmeer zu sichern, gehörte zu den Aufgaben des Führers; er sollte etwas von Seefahrt und von Navigation verstehen; Auswanderer und Seemann in einem sein. Das Nordmeer und der Atlantik sind keine stillen Gewässer. Unter ihrer Rahtakelung konnten die Wikingerschiffe nicht hoch am Wind segeln, also nicht gut gegen den Wind kreuzen. Dem entsprechend wurden viele Hände an den Ruderbänken gebraucht, in dem Fall, dass für längere Zeit Flaute herrschte. Es sollen die Langschiffe unter Riemen immerhin an neun Knoten erreicht haben, etwas weniger als zwanzig Stundenkilometer; manche geben die Fahrtgeschwindigkeit noch höher an. Die Überfahrt von Norwegen nach Island beträgt ohne Umweg oder Ablenkungen rund 1.350 km; also zirka 580 nautische Meilen. Eine Knorr, die 7,5 Knoten Fahrt unter Segel macht, soll fünf bis sechs Tage für die Reise gebraucht haben. Nach Koppelrechnung wären diese Angaben zutreffend. Anders, ohne günstigen Wind hatte sich der Rudergast ins Zeug zulegen, um im Takt zu rudern und das Schiff lenz zu halten. Großes Selbstbewusstsein, Mut und Erfahrung, die Hoffnung auf ein besseres Leben in einem freien Land, das hielt sie zusammen und trieb sie vorwärts. Wie lange die Auswanderer unterwegs sein würden, ob sie überhaupt ihr Ziel erreichten, hing von den Wetterbedingungen auf der nördlichen Halbkugel der Erde ab.

In neuerer Zeit haben Seeabenteurer mit Langschiffen versucht, die frühen Reisen nachzustellen. In einer dokumentierten Fahrt brauchten die rudernden Amateure von Dänemark bis Dublin nördlich um Schottland herum zwanzig Tage, und kamen völlig entkräftet in Irland an.

Da sich ein regelmäßiger Verkehr zwischen der Insel und dem Festland entwickelt hatte, dürften die späteren Fahrten der Kauffahrer Routine gewesen sein und die Fahrtzeiten unter vierzehn Tage gelegen haben. An ein raues Klima waren die Norweger gewöhnt; als Seefahrer abgehärtet und verwegen, vertrauten sie ihrem Mut und ihrer Kraft. Auf den Lastschiffen gab es keine Bequemlichkeit, der Rudergast saß auf seiner Seekiste, die seinen persönlichen Besitz enthielt und er schlief auch an seinem Arbeitsplatz. Wurde gesegelt, konnte der Mann aufstehen und Kraft sammeln. Das Heck war für die Führer mit Wollstoff gedeckt, der das Wasser abwies, sonst waren die Schiffe bis zum Bug hin offen und Wind und Wetter ausgesetzt. Beim Heck, steuerbords, war der Platz des Steuermannes. Mit den Vorräten und Gütern, mit den unbedingt nötigen Zuchttieren, dürften die Auswandererschiffe so hoch wie nur möglich gestaut gewesen sein. Die jeweils anliegenden Kurse, alle in West- und Südwestrichtungen, waren den Steuerleuten bekannt; erfahrene Seeleute hatten Segelanweisungen für die Nachkommen hinterlassen. Von der norwegischen Westküste aus wurden häufig die Inselgruppen der Hebriden, der Orkneys und der Faröer angelaufen, Wasser und Proviant übergenommen oder ergänzt, vielleicht eine kurze Ruhezeit eingelegt, ehe zur Weiterreise aufgebrochen werden konnte. Häufig genug lagen die Auswandererschiffe wegen widriger Wetterverhältnisse länger als geplant in den Küstenorten fest. Berichtet wird, dass Führer und Besatzungen vereinzelt in die alten Gewohnheiten der Wikingerzeit fielen, und die Küstennester Schottlands und Irlands brandschatzten und Sklaven raubten.

Die Söhne Ketil Plattnases, Björn und Helgi Bjolan waren wie schon erwähnt, bereits in Island angekommen. Ihre Schwester Unn die Weise, in anderen Handschriften Unn die Unerschrockene oder auch Aud die Unerschrockene genannt, folgte ihnen zwar, fuhr aber ins Ungewisse. Unns Steuermann, ihr Enkel Olaf Feilan Thorsteinsson war durch den Tod seines Vaters ohne Besitz und Erbe. Zwar beginnt die Familiengeschichte der Einwanderer am Breidafjord in der Hauptsache mit den Söhnen Ketils, die aber weit weniger für die Entwicklung wie für den Bestand der Siedler im Laxartal getan haben als ihre Schwester Unn. Ein anderer sesshaft gewordener Björn als Björn Ketilsson hatte mit seiner Frau Ljuta, eine Tochter namens Jorun. Der Eigenname Björn ist häufig und bedeutet Bär; was auf die Abstammung der Sippe von einem Bären hinweist, dem stärksten und mächtigsten Tier des Nordens.

Koll, durch Unn mit Thorgerd Thorsteinsdóttir, also einer Tochter Thorsteins verheirate, hinterließ seinem Sohn Höskuld am Breidafjord einen Hof. Höskuld trat das Erbe an, wurde sesshaft, warb um Jorun Björnsdóttir und bekam sie zur Frau. Alle Heiraten waren gut überlegt und stets sozial begründet; die Frauen der Ansiedler spielen eine bedeutende Rolle in der frühen Geschichte Islands; sie standen hinter den Leistungen ihrer Männer kaum zurück, wenn es darum ging, den Alltag zu meistern. Man heiratete wie in allen bäuerlichen Gesellschaften unter einem praktischen Gesichtspunkt. Waren nüchterne Erwägungen für eine Verbindung entscheidend, so spielte die Zuneigung der jungen Männer und Frauen doch eine wichtige Rolle. Selten zwang ein Vater seiner Tochter einen Mann auf, den sie ablehnte. Tat er es doch, dann hielten diese Ehen meist nicht lange, wie die Saga zu berichten weiß. Eigentlich aber haben die Frauen der Islandsiedler die Verhältnisse ebenso stark wie ihre Männer gestaltet, obschon ihre Rechte im Freistaat gering waren. In der Saga vom Weisen Njal sind an sechshundert handelnde Personen herausgerechnet worden, von denen also nur der kleinste Teil in Blutfehden und das über Jahre hinweg verwickelt gewesen sein kann; man ging der Blutrache und ihren Folgen eher aus dem Weg.

Der Isländische Freistaat in Sagas

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