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III. Unn die Weise,

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dürfte bereits das dreißigste Lebensjahr überschritten haben, als sie sich unter dem Zwang der Verhältnisse, zur Auswanderung entschloss. Sie war verwitwet, hatte erwachsene Kinder und schon Enkel. Ihr Vater Ketil Plattnase lebte nicht mehr und ihr Sohn Thorstein war gefallen. Sie trug die Verantwortung für die von ihm hinterlassenen Kinder und Enkel. Sie wird nicht ohne Nachricht gewesen sein, wo sich ihre Brüder ungefähr niedergelassen hatten, als sie aufbrach. Was ihr Lebensalter betrifft; die Germanen pflegten ihre Söhne und Töchter früh zu verheiraten. Mit zwölf Jahren galt der Sohn und Erbe, der künftige Sippenvorstand, als voll rechts- und handlungsfähig. Hatte der Junge früh einen Totschlag verübt, galt dies als ein Zeichen von Tapferkeit und von Männlichkeit. Vierzehnjährige führten als Wikinger Kriegs und Handelsschiffe über den Atlantik in die Nord- und Ostsee und blieben für einige Monate, oft für länger, im Ausland, in Norwegen oder Dänemark und bis in die Baltische See hinein. Mädchen wurden selten später als mit vierzehn Jahren vermählt. Die Nordländerin war also verhältnismäßig jung, wenn sie selbst Kinder besaß und schon Enkel unter ihrer Aufsicht standen. Jorun Björnsdóttir, mit Höskuld verheiratet, galt als einer der schönsten und tüchtigsten jungen Frauen im noch schwach besiedelten Laxartal und Höskuld Kollsson als Hofbesitzer und Handelsmann als einer der wohlhabendsten Männer. Jorun dürfte wenig älter als vierzehn Jahre gewesen sein, als sie Höskuld als Frau nahm und er ihr die Leitung des Herrenhofes Höskuldsstadir übertrug, den er gegründet hatte.

Je ausgedehnter der Grundbesitz, je höher der Viehbestand und je größer die Bevölkerung an Kopfzahl, desto rascher wuchsen auch die Aufgaben der Goden, in deren Händen das Rechtswesen beim Bezirks- und Althing, beim Viertelgericht und die Ordnung in ihren Bezirken lagen. Zwangsläufig waren sie oft längere Zeit von ihren Gehöften abwesend, sei es, weil sie auf dem Viertelthing, das regelmäßig mehrmals im Jahr tagte, oder sogar zu Sondersitzungen einberufen wurde, wo sie Rat und Stimme innehatten, sei es das Althing im Spätsommer, der Zusammenkunft aller Bezirksvertreter Islands in Thingvellir, eine wochenlange oft bis in den Herbst hinein andauernde Versammlung, die Legislative des Freistaates, wenn man will. Zu all diesen Treffen mussten rechtzeitig Ladungen an die Thinggemeinschaft durch berittene Boten, herausgehen. Sesshaft geworden, hatte Höskuld den Godentitel durch die Unterstützung des Weisen Njal erworben, der vieles durchsetzen konnte. Als Weiser wird man nicht geboren, Klugheit erwirbt man durch Erfahrung. Während Höskulds Abwesenheit lag die Leitung der Wirtschaft also in Händen der jungen Bäuerin Jorun. Wenn von Jorun die Rede ist, wird sie nicht nur als eine schöne Frau beschrieben, sondern auch als eine besonders tüchtige Wirtschafterin, die echte tatkräftige und umsichtige Bäuerin. Sie trug den Beinamen Mutterwitz, konnte sich demnach scharf oder treffend ausdrücken. Als gut erzogene Isländerin beherrschte sie neben den gewöhnlichen ländlichen Arbeiten, dem Buttern, der Käseherstellung, der Konservierung von Fleisch und Fisch, dem Anlegen von Wintervorräten, der Nahrungssicherung für viele Menschen, vor allem die Kunst des Garnspinnens und des Webens. Die Bäuerin braute das Bier, schnitt die Kleidung für sich, für die Mägde und für die Männer zu, nähte Hemden und Mäntel. Knöpfe waren auf Island lange unbekannt; die Hemdsärmel wurde an den Handgelenken mit Nähnadeln und einem groben Faden, Wolle oder Hanf, zugenäht. War die Bäuerin für die Wirtschaft auf einem Herrenhof unentbehrlich, so war ihr Einfluss auf die Entscheidungen, die innerhalb der Sippe und weiter auf den Versammlungen getroffen wurden, entsprechend hoch.

Unn die Weise hatte alle diese Arbeiten beherrscht und die jungen Frauen ihrer Sippe angeleitet; sie stiftete viele Ehen, wurde zumindest um Rat gefragt, wenn eine Tochter verheiratet werden sollte und sich ein Brautwerber eingestellt hatte. In der zweiten Generation der Einwanderer am Breidafjord ist im Grunde jeder mit jedem näher oder entfernter verwandt. Geheiratet wurde vorwiegend im Bezirk. Nach ihrem Aufbruch war Unn die Weise zunächst nach den Orkaden gesegelt und solange dort geblieben, bis sie ihre Enkelin Groa Thortsteinsdóttir verheiratet hatte, für die sie nach dem Tod des Vaters sorgen musste. Groa blieb auf einer der Orkadeninseln zurück und man weiß von ihr, dass sie mit ihrem Mann ein bedeutendes Geschlecht von Hersen gründete. Hersen sollte es nach Einführung der Königsmacht eigentlich nicht mehr gegeben haben, aber dass die Verhältnisse auf den Inseln andere waren als im Mutterland, ist möglich.

Dann war Unn die Weise weiter gereist, zur Inselgruppe der Faröer und verheiratete ihre andere Enkelin, Olof Thorsteinsdóttir, die durch den frühen Tod Thorsteins ebenfalls verwaist war und wusste sie nun versorgt. Weiter hatte Unn die Weise für die Zukunft ihres Enkels Olaf Feilans, dem Sohn Thorsteins, zu sorgen und für die unverheirateten Schwestern Olafs in ihrem Gefolge ein Auskommen zu schaffen. Verheiraten konnte sie keine von beiden, nahm sie mit nach Island. Höskuld Kollsson war mit drei Handelsschiffen über das Rauchkap am Eingang des Fjordes und dem Schneebergkap in den Breidafjord eingelaufen und hatte am Südufer des Fjordes Buden für seine Waren gebaut. Daher erhielt die Gegend den Namen Budental, was auf ein ziemlich großes, auf Dauer angelegtes Warenlager schließen lässt. Es war die zweite Handelsreise, die Höskuld Kollsson unternommen hatte, Frau und Kinder in Island zurücklassend; über die Verhältnisse wird noch zu reden sein. Höskuld wurde bald zur überragenden Gestalt der ersten Landnahmezeit; nicht nur als Erbe Kolls wohlhabend, sondern schon als reicher Mann in den Fjord gekommen, wo sich Björn Ketilsson zwischen dem Strand und einem schmalen Bergrücken auf einem Küstenstreifen festgesetzt und alles Land zwischen Strafa und dem Hvammrfjord in Besitz genommen hatte, war sein Wohlstand schneller gewachsen. Hier ist zu erwähnen, dass der Isländer in Norwegen Berührung mit dem Königtum gesucht und gefunden hatte; Höskuld zählte zu den Gefolgsmännern des Königs, anscheinend ohne die Taufe genommen zu haben. Bei der frühen Landnahme war es trotz der Ausdehnung des beanspruchten Besitzes kaum zu Streitigkeiten gekommen. Wer als erster seine Pflöcke in den Boden schlug, der behielt das volle Besitzrecht daran. Das änderte sich bald; freies Land wurde knapp. Die jetzt kamen, mussten für die Bewirtschaftung geeignetes Land suchen, in der Regel kaufen oder pachten, was ihnen angeboten wurde, Ackerland und Weiden. Beides konnten nur Großgrundbesitzer abgeben, entweder durch Verkauf oder durch Verpachtung. Die Strandbauern besaßen auch das Fisch- und das Strandrecht, behielten, was das Meer antrieb, verendete Grönlandwale nicht selten, ein wertvoller Fleisch- und Specklieferant.

Unn die Weise hatte sich mit dem Aufbruch zur Islandreise aus vielen Gründen Zeit gelassen, Zeit lassen müssen, um für ihre Enkel und Verwandten zu sorgen. Die beiden verwaisten Töchter Thorsteins waren nicht wohlhabend genug, um selbst Höfe zu gründen; sie konnten ohne Mitgift in Island kaum auf eine Heirat rechnen, mussten also wie Mägde unter dem Dach ihrer Großmutter leben. Sicherlich hatte Unn die Weise für Groa und für Olof das übliche Heiratsgut, wie es die Sitte und die Vorsicht gebot, hinterlegt. So erreichte sie denn spät im Sommer 890 n. Chr., die Südküste Snaefjellsnes bei Vikarkskeid und erlitt Schiffbruch, konnte aber Menschen und Gut an Land retten und von Glück sagen, bei der Strandung nicht alles verloren zu haben. Ihr Bruder Helgi Bjolan, an den sie sich mit zwanzig Mann ihrer Begleitung wendete, um ihn um Aufnahme zu bitten, konnte oder wollte seine Schwester mit ihrem Anhang nicht bei sich unterbringen; er erbot sich aber neun davon aufzunehmen.

Zwanzig Männer waren, laut Erzähler, in ihrem Gefolge, von denen sich Unn nicht trennen wollte. Mit dieser Zahlenangabe kann man sich immerhin ein Bild vom Umfang des Unternehmens machen. Es dürfte eine Knorr gewesen sein, die von Unn zur Reise benutzt wurde. Empört über den Geiz des Bruders lehnte es Unn ab, sich von ihrem Anhang zu trennen. Möglicherweise hatte Helgi Bjolan nicht genügend Vorräte, um eine solche Anzahl Menschen zusätzlich zu seinem eigenen Hausstand längere Zeit zu versorgen. Ihr anderer Bruder, Björn Ketilsson, kam ihr auf dem Wege über die Landzunge zu ihm entgegen. Er behielt sie denn auch mitsamt ihren Leuten den Winter über bei sich. Im Frühjahr darauf segelte sie über den Breidafjord und machte am Frühstückskap Halt; in anderer Beschreibung Tagmahlskap; in den Karten steht vielleicht Dögurdarnes, Frühstückslandspitze am Merdallfjelsstrand. Sie wird sich mit ihren Leuten länger als für die Dauer eines Frühstücks da aufgehalten haben. Von dort aus segelte sie weiter in den Hvammrfjord hinein, der sich vom Breidafjord aus nach Osten tiefer ins Land erstreckt und einen Kessel bildet. Hier endete die Reise Unns der Weisen, mit einem schlimmen Verlust; sie verlor ihren Kamm, ein in jener Zeit schwer zu ersetzendes Utensil. Seither und bis heute heißt der Ort Kambnaes, und die Laxa fließt oberhalb des Ortes in den Fjord. Dort liegen oder lagen beieinander die Höfe Kessel, dem späteren Herrensitz der Unn und im weiteren Umkreis die beiden großen Anwesen der Siedler nach Björn und Helgi, nämlich Höskuldsstadir, entstande aus Kollsstadir und später der Herrensitz Hrutsstadir; in nördlicher Richtung Hjardaholt, Hördenhöh und Laugar im Quellental. Alle kamen bald zu Wohlstand und Einfluss und bildeten am Breidafjord und dem Laxartal eine wirtschaftliche und soziale Gemeinschaft. Kessel, der Besitz Unns der Weisen, der Hof Laugar oder Quellen, Badfarm, Herrensitz Osfivres, dessen Tochter Gudrun in die Sippe der Unn einheiratete und den tragischen Schluss einer langen und bewegten Familiengeschichte schrieb.

Hier und auf Höskuldsstadir, auf Hrutsstadir und Kessel spielen wesentliche Teile der Saga vom Weisen Njal, deren Ende der Mordbrand ist, dem Njal mitsamt seiner Familie, seinen erwachsenen Söhnen, zum Opfer fällt. Auf Snaefjelsnes, der Landzunge am Südufer des Breidafjord liegt Helgafjell, Heiligenfeld, mit einem der ersten Kirchenbauten auf Island, dem Aufenthalt Gudruns, dort ist sie auch begraben, als eine der ersten Christinnen von Rang. Angeblich hatte sie bei einer Pilgerreise nach Rom den Schleier genommen und war Nonne geworden. Auf Island gab es kein Nonnenkloster. Weiter nördlich lagen der Hof Borg, dem Sitz Egil Skallagrimssons und südlich Thingvellir am Öxarelf und dem Gebirge Silur, der Ort des Althings, dem Zentrum des Freistaates, von sechsunddreißig Goden und Häuptlinge regiert, ein heiliger Ort der alten nordischen Welt. Die Landnahme Islands ist deshalb einmalig, weil die Insel unbesiedelt war, niemand gehörte und keine anderen dort lebten, die Heimatrechte geltend machen konnten und verdrängt werden mussten. Unter diesen Bedingungen eigneten sich die ersten norwegischen Einwanderer beliebig viel freien Grund und Boden an. Dass die Insel eigentlich nur in den südlichen und südwestlichen Küstenbereichen über größere Strecken Ackerland verfügte, schränkte den Landbesitz der Siedler ein; das Hochland wurde nicht erschlossen, es blieb, wie gesagt, unbesiedelt und Alm. Während des Sommers trieben die Bauern große Schafherden ins Hochland, Fleisch- und Wolllieferanten, um die Tiere sich selbst zu überlassen und sie vor Wintereinbruch wieder einzustallen, zu sichten und zu zählen, da selbst an die raue Witterung gewöhntes Nutzvieh auf den Almen kein Futter gefunden hätte. Auch die Pferde blieben über den Sommer auf dem Hochland sich selbst überlassen; die Pferdezucht war eine so vornehme wie kostspielige Beschäftigung der Großbauern, das Pferd als Reittier aber unentbehrlich. Auf Island gab es weder Wege noch Wagen; wer von einem zu einem anderen Ort wollte, der musste gehen oder eben reiten. Auf den großen Höfen wurden entsprechend viele Pferde gehalten. Viel ist relativ; wenn in der Saga vom Hochlandkampf bis zu achthundert beteiligter Bauernkrieger aufgeboten werden, so wäre eine ganze Generation Isländer in die Auseinandersetzung verwickelt gewesen.

Die Insel unter dem Polarkreis im Nordmeer war sicherlich einer der unwirtlichsten Orte Europas.

Unn die Weise beging im Frühjahr nach ihrer Strandung das Laxatal, um es nach Wohnplätzen für sich und für ihre Gefolge abzusuchen. Sie richtete ihren Hof Hvammr oder Kessel, am Fjord ein; in diesem Jahr hatte Koll, ein Bruder der Unn, Thorgerd, die Tochter Thorsteins des Roten zur Frau bekommen. Unn richtete die Hochzeit und gab ihnen das ganze Laxatal in Besitz, ihrer beider Sohn war Höskuld, und somit verwandt mit Unn der Weisen. Höskuld tritt in die Saga ein, als Koll schon gestorben und Thorgerd Witwe geworden war. Auch Unn die Weise dürfte an das Ende ihrer Tage angekommen sein. Vor ihrem Tode aber teilte sie Land unter ihr Gefolge auf, um sie für ihre Treue zu belohnen, laut Erzähler; sie gab Hörd das Hördatal nach Westen. Ihrem freigelassenen Knecht Erp gab sie einen Landstrich Suadafjell zwischen Tungua und der Mida; einem Mann namens Sökkolf siedelte sie im Sökkolfstal an, und so teilte sie vor ihrem Ende auf, was sie in Besitz genommen hatte; von diesen Schenkungen sprachen die Leute als eine durchaus ungewöhnlich Handlungsweise. Am Ende legte sie den Hof Hvammr in die Hände ihres Lieblingsenkels Olaf Feilan, der das Gut Hof allerdings längst bewirtschaftet hatte. Bemerkenswert viele Knechte aus ihrem Gefolge wurden von Unn der Weisen freigelassen, zu Bonden gemacht. Sie ist ungekrönte Königin Islands der Landnahmezeit; es wäre Zeit, ihr ein Denkmal zu setzen; jedenfalls ist uns kein ähnlicher Fall bekannt.

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