Читать книгу ÜB IMMER TREU UND REDLICHKEIT - Helmut H. Schulz - Страница 4
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ОглавлениеEine billige kleine Dachstube im alten Berlin, die Decke ist niedrig, das Fenster halbrund, nach Art der Fledermausfenster. Es gibt wenig Mobiliar, ein Bett, am Fenster ein hoher Lehnstuhl mit Fußstütze, mit Fußstütze, ein Nähtisch. Neben einer Waschtoilette steht eine Kleiderpuppe, Hofuniform hängt darüber und ein Dreispitz. Auf der Waschtoilette steht ein Perückenstock mit der preußischen Soldatenperücke. Über einem Stuhl neben dem Bett hängt ein blauer Frack, helle Hosen und hohe Stiefel in Empire-Mode, kennzeichnen die beiden Stilepochen. Im Bett liegen Louis de Bovillard und seine Freundin Jülli. Er erwacht, macht sich aus ihrem Arm frei und will aufstehen. Sie hält ihn fest und zieht ihn zu sich herunter. Er küsst sie flüchtig, schiebt sie energisch weg und steht rasch auf. Er gießt Wasser in eine Schüssel und beginnt sich zu waschen.
Jülli: Musst du schon gehen, Louis?
Louis spöttisch: Ja, ma chère, heute ist Feiertag. Am 3. August 1770 erblickte seine Majestät, unser König, das Licht dieser Welt. Du wirst sagen, das ist lange her, und es hat keine Bedeutung, eh bien, ein Preuße fühlt da anders.
Jülli: Louis de Bovillard de Cerise, Nachkomme der Kammerherren des Sonnenkönigs und bekehrter Preuße!?
Louis: Du hast eine spitze Zunge bekommen, hoffentlich nicht durch meine Schuld. Aber im Ernst… Preußen! Was ist Preußen? Ein Land? Eine Armee? Beamte? Oder bloß ein Phantom, eine Einbildung, ein Mythos? Uns armen Refugees war Preußen einmal eine Heimat geworden. Mein Vater hat die Gunst des Königs hoch empor gehoben, bis zum Helfer des mächtigen Lombard. – Nur sind die Zeiten anders geworden.
Mit einer wegwerfenden Handbewegung
Schön, ich bin in Eile, ich muss nach Tempelhof zu einem Freund.
Jülli: Eine neue Dummheit begehen?
Louis lacht zustimmend.
Louis: Nein, Walter van Asten kennst du. Von meinem letzten Streich wird allerdings Berlin noch lange reden. Der Herr Geheimrat Lupinus im trauten Verein mit uns, seinen Gefangenen, und… Mon Dieu, sternhagelvoll und mit uns die Fensterscheiben der Bürgerhäuser ringsum mit Steinen bewerfend, im Namen des Königs, zu Ehren seines Geburtstages.
Glaub mir, es ist eine kuriose Welt, der arme Mann Lupinus wird die Zeche bezahlen, sein Amt als Stadtvogt wird er verlieren. Immerhin es war köstlich und am schönsten las sich die hohntriefende ausländische Presse zu diesem ausgewachsenen Skandal. Vermutlich ist Preußen aus der Sicht anderer ein Panoptikum.
Jülli: Hoffentlich zahlst nicht auch du.
Louis: Ja, das ist so eine Sache.
Er wird nachdenklich, setzt sich zu ihr.
Manches ist mit rätselhaft. Warum hat mein Vater mich in Schuldheft sitzen lassen? Sonst wurde mein Wechsel anstandslos eingelöst. Ich fürchte er wollte mich zwingen, wollte mir eine Lehre erteilen, zeigen wer der Herr im Hause ist. Und meine Freilassung? Da taucht ein Mann auf, mit einem langen Titel, ein Mann, den kein Mensch in Berlin kennt. Ihm geht der Ruf voraus, reich zu sein, ein Freund Napoleons. Legationsrat Baron von Wandel. Dieser Mann bittet um meine Freilassung, lanciert sein Schreiben mühelos an die richtige Stelle, an den allmächtigen Beyme, den Justizmeister. Majestät erlässt Order, mich sofort auf freien Fuß zu setzen. Verstehst du das?
Jülli hört aufmerksam zu, streichelt seine Hände.
Louis: Dieser Wandel kommt aus Paris mit einer Kiste Orden. Ein Privatmann darf preußische Beamte mit französischen Orden dekorieren. Majestät stiftet im Gegenzug sieben schwarze Adlerorden für französische Untertanen. Alles spielt sich im Salon der Fürstin Gargazin ab, einer kürzlich zugereisten Dame aus der Zaren-Suite. Ich will diesen Mann kennenlernen, der so viel auszurichten vermag, und diese Dame, die wie eine Königin residiert.
Jülli versteift sich, Louis bemerkt es.
Louis: Ich muss etwas unternehmen, mir wachsen die Schulden über den Kopf.
Jülli: Du wirst Erfolg haben, Louis.
Louis: Ich könnte ihn brauchen.
Jülli: Aber manchmal wünschte ich, dass die Leute dich abstoßend finden, und dumm und hässlich und aufgeblasen, dass du überhaupt keinem gefällst.
Louis: Touchez! Das würde den Unterschied zwischen uns aufheben, meinst du?
Jülli: Ja, könnten wir nicht einfach weggehen, und leben, wo uns keiner kennt?
Louis: Ach schlag dir den Unsinn aus dem Kopf. Einmal wird es mit uns zu Ende sein, lass uns die Zeit nutzen.
Jülli: Was bin ich für dich?
Louis: Asset, une affair amoureuse, ma chère Juliette. Ich muss gehen, einen Freund lässt man nicht warten.