Читать книгу Im Gang der Menschheit - Helmut Lauschke - Страница 3
Herr Simonis junior vor der Würstchenbude
ОглавлениеZur neuen Zeit am alten Platz
Da stehen sie, die nassen Gestalten aus der ersten und der dritten Welt, dazu die Kinder, Waisen und die Alten, als hätte man sie einbestellt.
Gedrängt steht ihr, nun sprecht! Bei eurem Anblick wird’s mir schlecht, es ist spät, die Nacht bricht an, die Turmuhr schlägt das Irgendwann.
Und wie in alten Tagen stehn sie da mit Stimmen und mit Tragen voll Kinder und mit vielen Fragen und rufen laut die altbekannten Klagen.
Dass nun die Menge draußen brüllt, ihr Ruf die Straßen durchdringt, sie füllt, ich kann’s verstehn, sie sind am Ende, Hunger schreit nach Brot und Wende.
Dunkel kräuseln Bänder, kleine Fahnen Kopf an Kopf, hohle Wangen tausendfach starren, zucken aus dem Geist der Ahnen im kalten Regen ohne Schirm und Dach.
Schluss muss sein mit dem Nichtverstehn so kann Armut doch nicht weitergehn. Brot und sauberes Wasser müssen her, die Wasserbäuche der Kinder wiegen schwer.
Der Wind pfeift kräftig durch die Fugen, laut schlagen Türen auf und zu. Zum Teufel mit den Neunmalklugen, jeder schnüre seinen eignen Schuh.
Aufgeblasen, wie der Gutgenährte geht, dann noch wichtig vor dem Schreibtisch steht. Solang es aufgedunsene Kinderbäuche gibt, solang bleibt Hoffnung in den Sand gesiebt.
Bei der großen Zahl ist’s schwer, die Mägen zu füllen, schreiende Babys an schlaffen Brüsten zu stillen, wenn Brot und Milch zum Leben fehlen, aus Hunger schon die Kinder stehlen.
Die Luxusperspektive ist zu klein , weniger Armut im Leben sollt es sein, das tät Kindern und den Alten gut, gäb ihnen Grund zum Lebensmut.
Budenbesitzer.
Ihr beiden, die ihr mir so manches Mal geholfen habt beim Bauen meiner Bude, ihr, der Egon und die lahme Trude, manchmal ward ihr schon ‘ne Qual, wenn ihr Würste nahmt von den Regalen und die Nüsse aus den flachen Schalen, da hatte ich dann keine andre Wahl, als euch den Hintern zu versohlen, das war, weiß Gott, wie anbefohlen.
Jetzt sitzt ihr wieder hier, der eine unrasiert und beide fern der Heimat, seid nicht mehr als eine faule Saat, stiert nach dem Kasten mit dem Bier. Was seid ihr nur für leere Flaschen, wen wollt ihr da noch überraschen, wenn ihr hier den Tag versitzt und aus den Klamotten übel schwitzt.
Herr Simonis junior.
Was gibt es doch für trübe Tassen, bei denen sitzt der Sex im Kopf, man sollt sie mit der Zange fassen, abschneiden den verfilzten Schopf.
Man sollte ihnen Märsche blasen, da helfen keine frommen Phrasen, man muss sie von den Sitzen reißen, muss rohe Eier an die Köpfe schmeißen.
Wie soll im Leben was passieren, wenn sie nur sitzen und parlieren statt zu stehen, anzupacken, mitzutragen und nicht ständig faul herumzuklagen.
Mutig muss gehandelt werden gegen Gier, Neid und Betrug, so vieles mehr gibt’s auf Erden, das weder gut ist, edel oder klug.
Noch einmal wollen wir’s versuchen ohne wendehälsig gleich zu fluchen, krumm Gebogenes gerad zu biegen, ein Versuch, ohne gleich zu lügen.
Es bleibt das Wagnis in der Zeit, vielleicht ein Wunder, das mag sein, draufzuschlagen auf den bösen Stein, damit er splittert weit und breit.
Denker.
So einfach ist die Sache nicht, da braucht man doch mehr Sonnenlicht, als ständig in die Dunkelheit zu sehn zu reden, ohne etwas zu verstehn, wenn eine Sache zu bedenken ist, das von oben bis nach unten, von den Seiten rechts und links, bevor die Scheiben auseinanderspringen.
Man sollte sich die Ruhe nehmen auf einer Bank im Park, nicht aber im Park der Banken, wo jene Schlinggewächse ranken, die zänkisch sich um dünne Hälse ziehn; sie sind zu sehn die Würgeschlingen, was sie im Wucher schmerzhaft bringen, wenn sie zugezogen werden, denken lässt’s sich leicht.
Herr Simonis junior.
Die Scherben, die noch liegen auf den Straßen, vor den Türen, auf Tischen, Stühlen oder Betten, was kann man da noch retten, wenn sich keiner helfen lässt im Kopf nicht und nicht in den Beinen mit den vielen, vielen Leinen unter Bäumen und auf Steinen.
Vieles wird sich noch zerscherben völlig sinnlos für die Erben, nicht Blätter sind’s, die hängen, sondern Köpfe an scharfen Strängen. Zugezogen sind die Röhren, da wird keiner mehr den andern stören; zum Atmen fehlt der kleinste Raum unter dem verfluchten Galgenbaum.
Das Porzellan in den Vitrinen klappert nicht mehr hin und her, von den weichenlosen Schienen kippen die Waggons ins Meer. Verstecken lässt’s sich nicht, nicht bei Nacht und nicht bei Licht mit den Beinen und den Köpfen, dem Unrat und den vielen Töpfen.
So ist das, was die Freundschaft hielt, zersprungen, ertränkt, erschlagen; darüber mag man lange klagen, wenn nichts ist, was übrigblieb. Was Jugend war, ist alt geworden ohne Lust und Freude, ohne Weisheit, denn weiter geht’s wie nicht gescheit mit Knebel, Folter und dem Morden.
Im Durchdenken wird es sonnenklar mit Blick auf das, was gut und sinnvoll war, es ins Wort zu bringen, wird dann schwer, da geben Hülsen leerer Reden doch nichts her.
Witzbold.
Wie im Himmel so auf Erden, was nicht ist, das kann noch werden, drum Freunde, lasst den Mut nicht sinken, gleich werden wir ein Bierchen trinken. Dann wird alles besser gehn, wie geschmiert, ihr werdet’s sehn; was gestern schwer war, ist heut leicht, denn Witzbold hat euch die Hand gereicht.
Denker.
Sprichst du wieder dummes Zeug, man sollt dir eine knallen, bald wirst du wieder lallen, wenn dir in den Kopf steigt mit dem Geschwätz das Bier, du alter Tölpel, dummes Tier! Als wär die Not nicht groß genug, kommst du wie ein Schwerenöter wie ein verwegner Frauenlöter, als gäb es nichts Besseres zu tun.
Witzbold.
Was willst du denn, du Gescheiter, kommst daher wie Schimmelreiter, nimmst den Mund gar üppig voll, das mit dem Gescheiten machst du toll, nur hast du damit nichts geändert als bloß die Augen rot gerändert. Willst du’s immer noch nicht glauben, dass die Welt sich anders dreht anstatt mit Gescheitheiten rumzuschnauben, die nicht halten, wenn sie der Wind verweht. Sieh doch, wie sie sich geil vergaffen diese abgeleckten schnöden Affen, als wüssten sie, was Sache ist, am Ende sich jeder doch verpisst. Die Angst steckt in den Knochen tief gepaart mit Eitelkeit und Schminke, vieles liefe nicht so schief vor der Tür mit der großen Klinke, wenn sie Verstand und Mut nur hätten und nicht den Charakter ganz verplätten, was sie in arroganter Dummheit tun in Socken, Latschen, Stöckelschuhn.
Budenbesitzer.
Hört nur, wie die beiden labern und der eine sich noch wichtig nimmt, bestimmt, da leg ich meine Hand ins Feuer, wer gescheit sein will, ist nicht geheuer. Es kratzt, im Getriebe reibt der Sand, was noch? Ihr seht’s, das schwarze Öl klebt an der Wand, die Straßen sind verschmiert wie stets.
Ich sag euch: lasst uns an die Arbeit gehn, bevor’s zu spät ist mit dem Lohn; seht auf die Uhr, es ist halbzehn, das alles ist ja fast ein Hohn. Nun sollten wir nicht länger warten mit der Bude und den Brettern, da hilft auch nicht das Wettern, nicht das Fummeln mit den Karten, wenn es einen Anfang haben muss nicht bei Methusalem dem Alten, nein, bei den neuen Krummgestalten, die da kommen mit der harten Nuss.
Was war, da stehn die Uhren lange still, ob man’s glaubt und doch nicht will; die Zeiten rasen weiter wie verrückt, mit dem Verquerten ist es ganz verzwickt. Unterm Teppich sind die Schreiben, da sollen wir nicht länger bleiben, drum hab ich die Bretter mitgebracht, damit ich meine Bude hab. Da bin ich sicher, dass sich nichts verkriecht, weil nichts ist, wo sich was verkriechen kann.
[nach einer kurzen Pause, in der er nach den richtigen Brettern sucht]
Nun kommt!, schafft, packt zu, dann habt ihr später eure Ruh. Umsonst ist nichts weder Luft noch Licht, so bauen wir die Bude auf und füllen sie mit leck’ren Dingen, sie werden kommen und zuhauf, Mütter werden ihre Kinder bringen. Doch schnell muss es gehn, um die Sachen zu besehn, die zum Kauf sind angeboten von Süßigkeiten bis zu Pfefferschoten.
[der Budenbesitzer ist noch mit dem Bau der Bude beschäftigt, bei dem ihm zwei runtergekommene Typen helfen.]
Erster Passant.
Bist du immer noch beim Bretternageln, da machst du aber kein Geschäft; die Würste sollten längst schon braten, das Geschäft, heute wird’s dir nicht geraten.
Budenbesitzer.
Komm in einer Stunde wieder, dann kriegst du Würste und noch Lieder gar gebraten und ganz knackig, zackig wird der Tag noch werden. Auf eine Stunde kommt’s nicht an, wenn du etwas Gutes haben kannst; fass dich etwas in Geduld, das Ganze ist nicht meine Schuld, wenn ich von einem Platz zum andern ziehen muss der hohen Miete wegen, da kämst du auch ins Wandern, wenn das Geld fehlt, meine Güte.
Zweiter Passant. [kommt von der anderen Seite]
Was redest du für einen Stuss, mach mit deiner Bude Schluss, qualmst uns blödes Zeug nur vor anstatt Vernünftiges zu tun.
Budenbesitzer.
Was redest du denn da herum, hast du die Wahrheit denn gepachtet? Du sprichst von Vernunft so dumm, der Mensch hat sie längst verachtet.
Mach du, was du zu tun hast, und lass mich mit deinem Zeug in Ruh; zieh dir den Senkel ein in deinen Schuh , und ich kümmere mich um meinen Gast.
Witzbold.
Ihr seht, sie lassen’s nicht und fahren sich in die gekämmten Haare schon am frühen Morgen und kennen nicht die Ware.
Wie soll es dann am Tage werden, na, ihr wisst es schon, nicht anders, als es schon ist, denn sie lernen nichts dazu.
Immer kommen sie mit alten Sachen, wollen sich dann wichtig machen, als wär’s der Weisheit letzter Schluss mit der harten Schale um die kleine Nuss.
Ich will es euch verraten, sie werden sich selber noch verbraten, wenn sie weitermachen wie bisher, da kann man sie nicht halten, bitte sehr!
Lehrer. [öffnet im Zorn das Fenster am Haus gegenüber]
He, du da, mit dem Nageln , kannst du das nicht lassen, es ist doch nicht zu fassen mit deinen Brettern und dem Krach.
Ich muss die Hefte korrigieren, mir läuft die Tinte übers Blatt. Was soll ich den Schülern sagen, wenn sie mich nach den Klecksen fragen?
Witzbold.
Hört ihr, nun kommt der Lehrer auch der Neunmalkluge mit dem spitzen Bauch, der lässt mit sich nicht spaßen, denn dem geht Schule über alle Maßen.
Wenn er über den Heften sitzt und schwitzt, mit dem Lupenauge nach dem Fehler sucht und den Vermerk des Fehlers als Erfolg verbucht, das Blatt dabei verschmiert und knickt.
Denn darin sind sich Lehrer einig, der Lerngang muss hart sein und auch steinig, denn die Kinder sollen etwas lernen, ob sie es verstehen wollen oder nicht.
Mal sehn, was der Budenmann dem Bildungsrat zu sagen hat, dem Zornesadern dick geschwollen sind, als wär er ernsthaft narrenblind, was mich nicht verwundern würde bei all der Lehr- und Fehlerbürde.
Budenbesitzer.
Herr Lehrrat, erst den guten Morgen, das nimmt doch schon die halben Sorgen, wenn sie mit den Heften weitermachen mit der roten Tinte in den Fehlersachen, dann wird es ihnen leichter fallen, auch das ohne Fehler noch zu sehn.
Doch ich muss mit meiner Bude leben, die zusammengenagelt werden muss; da führt kein Weg am Nageln vorbei, es sei, ich hätte das Kolumbusei.
Lehrer.
Was redest du geschwollen daher, wo sind die Manieren, wenn du mit einem Lehrer sprichst? Sag mir lieber, wer Kolumbus ist!
Budenbesitzer.
Er war Entdecker und kein Rat, er hatte Mut und schritt zur Tat, stach mit festem Holz ins Meer, für Wochen sah er nur noch Wasser, schaukelte über hohe Wellenberge, ob er seekrank wurde, weiß ich nicht, dann sah er Land, es war soweit, er setzte den Fuss auf unbekanntes Land mit trockner Absicht und nasser Hose.
Student. [hat das Dachfenster geöffnet, lacht schallend und ruft von oben runter]
Budenmann, gut hast du’s gesagt, was denkt er nun der hohe Rat, du scheinst ihm nicht zu schmecken, er hält dich für einen Narren.
So ist es mit den Gecken, was sonst hat er noch zu tun, wenn er nicht meckern kann, dann ist er krank.
Lehrer. [dreht den Kopf nach oben]
Sei du doch still, du dummer Kerl, dein Heft wird es dir zeigen, darin ist die reinste Blütenlese, voller Fehler ist dein Blatt.
Dass du es wagst, es ist unglaublich, den Lehrer noch zu kritisieren, der seine Tinte in deinem Heft verschwendet, um zu korrigieren, was zu korrigieren ist.
Budenbesitzer.
Es ist genug, vertragt euch endlich, setzt euch wieder an die Tische, korrigiert die Hefte, lernt die Stücke, du da oben, mach die Mücke.
Student.
Das Pensum, was zu lernen ist, ist groß, die Dinge fallen mir nicht in den Schoß, vor allem jene nicht von oben mit dem Denken und dem Geist.
Lehrer.
Mit der Jugend ist es schlimm, vorlaut ist sie, stinkend faul; anstatt zu lesen und zu lernen, gafft sie blöde nach den Sternen.
Sie wird es noch merken, nur ist es dann zu spat, wenn es blitzt an dem Gerät und sie wie ein Esel glotzt. [der Lehrer schließt das Fenster]
Budenbesitzer.
Dieses Schwadronieren führt zu nichts, da sind die Bretter doch viel besser und die Klinge an dem Messer, wenn der Kern herauszuschälen ist.
Was soll ich mit dem ganzen Wissen, wenn das Regal zusammenstürzt und der Boden aus der Bude bricht, dann steh ich da wie angeschissen.
Deshalb müssen Nägel richtig sitzen, auf den Kopf soll’s nicht gleich gehn; da kommt man doch ins Schwitzen, soll ich trocken in der Bude stehn. [die Bude steht, die Regale werden gefüllt]
Es fängt an zu regnen. Der Budenbesitzer deckt die Ware in der Auslage ab.
Mutter mit dem Kind.
Einen Lutscher bitte.
Budenbesitzer.
Wie soll der Lutscher schmecken, Erdbeer, Pfirsich, Ananas?
[die Mutter fragt das Mädchen, das die Geschmackspalette überdenkt]
Mädchen.
Erdbeer!
Budenbesitzer. [gibt den roten Lutscher am Stiel]
Drei Groschen, bitte.
[die Mutter holt den Lutscher aus der Klarsichthülle und legt ein Markstück hin]
Budenbesitzer.
Haben sie’s nicht klein? ich bin knapp an Wechselgeld.
Mutter.
Ich habe nur zwei Groschen.
Budenbesitzer.
Dann ist’s recht. Das Kind kriegt den Lutscher dann für zwei Groschen. [Mutter zieht mit dem Kind ab]
Bettler.
Mann, mir knurrt der Magen, das geht schon an den Kragen; nun sind es schon zwei Tage, dass nichts auf die Zunge kommt.
Budenbesitzer.
Das will ich dir schon glauben, doch was geht’s mich an, wenn dir der Magen knurrt, mir geht es nicht viel anders.
Bettler.
Mann, du hast leicht sagen, wenn es nur ein wenig ist, ich würde dich nicht fragen, wenn der Magen nicht so schmerzt.
Ich sag dir: hab ein Herz, ein Stück Bratwurst und ein Brötchen, mehr soll es gar nicht sein, da werd doch nicht zum Stein.
Budenbesitzer. [gibt ihm eine halbe Bratwurst und ein Brötchen]
Hier, das nimm! Mehr beim besten Willen nicht, sonst kann ich gleich die Bude schließen, wenn für mich nichts übrigbleibt.
Was du brauchst, ist Nächstenliebe, die Kirche ist gleich nebenan, geh doch mal da rüber, die helfen dir bestimmt.
Bettler.
Was denkst du Budenmann von der Kirche, da war ich schon, da gibt es nichts, was zu essen und zu trinken wäre
Die geben nur den Glauben, dass der Schmerz im Magen sich von alleine legen wird, wenn du nur lange genug wartest und nicht weniger lange hungerst.
Erster Passant.
Bist du fertig mit dem Nageln, dann gib mal eine Bratwurst her; gib die lange, dicke von dem Rost, sie soll braun und knackig sein.
Budenbesitzer.
Ich hab sie gerade aufgelegt, der Herr sollt etwas warten; vielleicht geht er eben übern Platz, wenn er zurückkommt, ist sie fertig.
Erster Passant.
Heute läuft wohl nichts am Schnürchen, hattest eine schlechte Nacht; was für eine Bude ist das gegen zehn, wenn die Würste nicht gebraten sind?
Bettler.
Warum hast’s der Herr so eilig, wenn die Zeit so schnell vergeht; er sollt sich mit Geduld die Weile nehmen, damit der Bratenduft ihm nicht entgeht.
Erster Passant.
Was redest du mit mir du abgeschabtes Murmeltier, hab ich was mit dir zu tun? Aus einer Höhle komm ich nicht.
Bettler.
Ich bin in einem Schloss geboren, ging als Kind durch Überfluss; dann, als meine Eltern starben, begann für mich das Waisentum.
Erster Passant.
So kann gleich jeder redden, geboren in einem Schloss, du meinst wohl eine Hütte, wenig größer als für einen Hund.
Bettler.
Mit ihnen will ich mich nicht straiten, dafür hör ich zuviel Eitelkeiten; was ich sagen will: das Schloss ist nichts, wenn es die Eltern für das Kind nicht gibt.
Erster Passant.
Wem sagst du das?
Bettler.
Zu mir, der Herr, denn sie haben mit mir nichts zu tun und ich mit ihnen noch weniger, da kenne ich mich aus.
Zweiter Passant.
Die Bude hat was Gutes, man trifft auf Menschen aller Art; da ist das Leben hoch und tief, bei den meisten hängt es schief.
Man redet frei und ungeniert, wie der Schnabel halt gewachsen ist; das macht die Bude interessant, weil hier das Leben hautnah spielt.
Budenbesitzer.
Was kann’s für sie sein, die Würstchen sind gleich fertig; ein Bierchen zwischendurch regt den Appetit schon an. [er öffnet eine Flasche und stellt sie dem Passanten auf das Thekenbrett]
Bettler.
Ich muss gehn, sonst läuft der Speichel aus dem Mund; ob ihr’s glaubt oder nicht, wer nichts hat, dem drängt sich keiner auf. [er geht]
Student.
Schule, wie sie ist, ist eine Qual, Hausaufgaben sind lästig allemal; die Logik ist nicht leicht erklommen, leicht aber ist sie auf den Hund gekommen.
Ob es stimmt, was ich geschrieben, der Lehrrat wird’s schon sieben; was da rauskommt unterm Strich, wer weiß, ich weiß es nicht.
Budenbesitzer.
Junger Freund, anders ist das Leben, die Schule soll dir nur das Rüstzeug geben, dass du nicht an der ersten Hürde kippst, sie mit Bravour aus deinem Zeuge nimmst.
Darum sei dem Rat doch dankbar, dass er mit roter Tinte das markiert, was falsch ist, richtig werden muss, bevor der Startschuss für das Leben fällt.
Student.
Du hättest Lehrer werden sollen, Budenmann, du hättest das Zeug, die Schüler zu motivieren, ihnen mit dem Finger zu zeigen, wo der Punkt liegt und wo nicht, was die Mitte ist in all dem Lernen, dass der Unterricht den Sinn bekommt, der allzuoft beim Rat verschwimmt.
Budenbesitzer.
Der Beruf hätte mich gereizt, ich geb es zu, nur fehlte mir das Geld, ohne dem kein Staat zu machen ist, die Schule gab mir die Probleme nicht, die mir jetzt das Leben gibt.
Mein Lehrer sagte: dumm bist du nicht, doch fürs Studium hast du nicht die Eltern, damit aus deiner Intelligenz was wird. So kam ich auf die Bude, zieh mit ihr von einer Stelle zur andern, solange ich die Platzmiete zahle, sind die Menschen freundlich zu mir.
Lehrer. [die Glocken läuten; der Lehrer hat das Fenster geöffnet und spricht zu sich selbst]
Wieder läuten die Glocken bis auf meinen Tisch. Wo bleibt die Erleuchtung, dass ich das Läuten versteh?
[weiter im Selbstgespräch]
Rat, du Rat, du törichter Rat, wo auf dem Berg ist der Grat, auf dem du gehen kannst, um den Geist der Erleuchtung zu sehn?
Habe gelernt, bin doch studiert, wie meine Vorväter es waren; mühe mich nach Kräften ab, die Dinge im Wirken zu verstehn.
Nun steh ich da mit meinem Wissen und kriege die Erleuchtung nicht; vor hohen Stapeln bleib ich sitzen, verflucht, wo ist das Licht?
Berge sind geschrieben und gedruckt, viel rote Tinte ist geflossen; ich warte, dass es mich durchzuckt, im Mühen steh ich unverdrossen.
Habe gelesen , Blätter und Hefte korrigiert, war mit dem Stift ganz ungeniert. Hat mich die Bildung denn verlassen, war es ein Gang durch dunkle Gassen?
Die Frage stellt sich immer klarer, je dicker meine Brillengläser sind.
Bei all dem Roten und dem Toten mit den Lagen aus Muff und Staub, ich warte auf den klopfenden Boten, doch hör ihn nicht. Bin ich denn taub?
Witzbold.
Stühle, Stühle! Wo sind die Gefühle? Gebrechlich auf den Beinen, verdrillt, verknotet an den Leinen, nicht anders ist’s bei denen, die sich drücken in die Lehnen.
Wo alter Staub geschichtet liegt, noch aus Urväters Zeiten wiegt, Sinn mit Unsinn sich vermischt, als stünde Zukunft vor Gericht, sitzt und grübelt wie ein Tropf der Alte überm leeren Suppentopf.
Klopf, Topf! Topf, klopf! Der weise Kopf mit grauem Schopf blickt trübe durch das Fenster, er sieht wohl schon Gespenster.
Was ist das für ein Getriebe, in dem der Sand laut knirscht; immens ist das Stuhlgeschiebe, wenn der Lehrrat durch die Klasse pirscht.
Nun geht er im Zimmer auf und ab, wartet, dass die Himmelskräfte kommen durchs offene Fenster bis zum Tisch, an den er sich setzt wie halb benommen.
Das Klopfen gegen die verschlagene Tür, er hört es nicht, fern tragen ihn Gedanken, hoch schwebend über altem Staub beginnt das Schwanken, sind die Ohren taub.
Lehrer.
Was soll ich mit den Stößen von Papieren, soll ich bis ans Lebensende korrigieren, rumsortieren, ausprobieren, ob sich so das Richtige finden lässt.
Wenn über Fehlern rote Tinte nässt, nichts anderes ist als ein Stagnieren, wenn ich wissend auf dem Trocknen sitze und mich blutleer schwitze?
Das macht mein Leben trist und fad, besser wäre mir der andere Rat mit dem Leben und der frischen Tat, mit dem Wandern durch die Wiesen, mit dem Blick auf Berges Riesen, mit dem Windrad einer Mühle, mit allem ohne Tisch und Stühle.
Himmelherrschaftszeiten! Schluss muss sein mit all den Wissenspleiten, die zum Leben doch nicht taugen als zum Zwicken blinder Hühneraugen.
Der Begriff, dass ich nichts weiß flimmert vor mir glühend heiß; es ist der Topf, der auf dem Feuer steht, an den, weil ohne Henkel, keiner geht.
Soll ich’s anders nun probieren mit der Zunge mehr als mit Studieren, damit ich den Geschmack become, der bislang mir ausgeblieben ist.
Herr Simonis junior.
Wär’s ein Schauspiel , ich wünschte mir ein größeres herbei, ein Spiel aus den Quellen jungen Lebens, wo es ausbricht, flutet, strömt, die Knospe sprosst, die Blüte duftet.
Am Lauf des Flusses sollt er stehn, statt der Hefte eine rote Rose sehn; hier in der Enge bleibt’s vergebens, wo der verstaubte, vollgepackte Tisch mit alten, abgesessenen Stühlen steht, auf denen schon die Väter saßen und im Eifer des Korrigierens das Leben vergaßen.