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2 Die Villa Seilern

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Tänzlgasse 11

Eine der eindrucksvollsten und schönsten Villen – den massiven Betonanbau muss man ausblenden – befindet sich hinter dem Kurhaus; in diesem Teil Ischls entstehen Anfang der 1880er-Jahre etliche Villen, um den steigenden Bedarf nach standesgemäßen Sommerwohnungen zu befriedigen. Doch keine erreicht die Eleganz und Großzügigkeit der sogenannten Villa Seilern, die den Namen ihrer Erbauerin bis heute trägt.

1881 erwirbt Elise Reichsgräfin von Seilern ein großes Grundstück und beauftragt den Wiener Stadtbaumeister Wilhelm Pils mit der Ausführung des geplanten Hauses – interessant, dass auch bei diesem Projekt keiner der großen Wiener Stararchitekten der Ringstraße zum Zug kommt, sondern ein Praktiker. Ihm gelingt ein Bau, der seinesgleichen sucht, repräsentativ und großzügig zugleich. 1883 kann Elise Seilern bereits in der eigenen Villa absteigen – keine sehr lange Bauzeit für ein so großes Objekt. Über dem Eingang prangt ein Allianzwappen der Familien Seilern und Stürgkh, aus der Elise stammt. Gemeinsam mit ihrer Schwester Anna Gräfin Paar verbringt sie nun jeden Sommer in ihrem Ischler Refugium und führt hier ein großes Haus. Dabei vergisst sie jedoch nicht, der Ischler Bevölkerung Gutes zu tun, und ruft eine Wohltätigkeitsveranstaltung ins Leben, die 16 Jahre lang zum fixen Bestandteil des Ischler Sommerlebens zählt. 1890 findet erstmals eine Tombola im Kursalon statt, der Erlös kommt dem Armen- und Waisenhaus »Charitas« in Ischl zugute. Inserate in den Kurlisten machen das Publikum aufmerksam, Billetts kosten einen Gulden: »Diejenigen P. T. [Pleno Titulo] Wohlthäter, welche Gegenstände schenken wollen, werden ersucht, dieselben an Frau Gräfin von Seilern, Villa Seilern, Tänzelgasse Nr. 11, einzusenden.« Rund um Kaisers Geburtstag am 18. August befinden sich besonders viele Menschen in Ischl, Elise von Seilern nützt dies aus und wählt für ihre Veranstaltung immer ein Datum in zeitlicher Nähe zu diesem Höhepunkt des Ischler Sommerlebens. 1895 gibt es noch einen besonderen Anreiz, wie in der Kurliste propagiert wird: »So wie alle Jahre hat auch heuer der Allerhöchste Hof die Gnade gehabt, viele prachtvolle Gegenstände zu spenden.«


Villa Seilern, einst und heute


Inserat für die Tombola der Gräfin Seilern, Curlisten Bad Ischl, 18.8.1891

Ein Jahr vor ihrem Tod verkauft Elise Seilern im Jahr 1908 ihre Villa um 110 000 Kronen an Ernst Landau, und es kommt die Frage auf, wer sich denn diesen Prachtbesitz leisten kann?6 Dazu muss man ein wenig ausholen: Ernst Landaus Großvater, geboren im galizischen Brody, hat es in die Welt hinausgezogen. Über Odessa und Budapest ist er nach Wien gekommen, wo er sich als Großhändler erfolgreich etabliert und eine Basis für die kommende Generation legt. Sein Sohn mit dem wunderbaren Namen Horace lebt und wirkt in Triest und kann als Gigant der italienischen Finanzwelt mit großem politischen Einfluss gelten. Sein enormes Vermögen legt er in Büchern und Kunst an – eine beeindruckende Sammlung entsteht. Und wo zieht es einen dermaßen einflussreichen Bankier im Sommer hin? Richtig, nach Ischl, ins Zentrum der Macht. 1886 steigt Horace hier erstmals im Grandhotel Bauer ab.

1908 erwirbt also sein Neffe Ernst die Villa Seilern, er kann auf die großen finanziellen Reserven seiner Familie zurückgreifen, gehört doch seinem Vater Albert das Hotel Imperial in Wien, geerbt von dessen Bruder Horace. Albert wird als »sehr joviale Persönlichkeit und echter Lebenskünstler«7 bezeichnet. »In weiten Kreisen in Wien und in Budapest kannte man den hageren, aufrechten, heiteren weißbärtigen Greis mit dem sonoren Organ.« War sein Vater aus Galizien nach Wien gelangt, weitet Albert seine Tätigkeit bis nach Amerika und in den Orient aus – eine äußerst mobile Familie. Zehn Jahre lang dient nun die Ischler Villa als Mittelpunkt des sommerlichen Familienlebens, 1918 verkauft Ernst Landau. Das Ende der Monarchie markiert zugleich auch das Ende des sagenhaften Reichtums der Familie Landau.

Nach einem kurzen Zwischenspiel – die Villa ist für fünf Jahre im Besitz des k. u. k. Hof- und Armeelieferanten Matthias Wotroubek, der auch die benachbarte Nestroy-Villa, die als Egger-Villa bezeichnet wird, erwirbt (siehe Kapitel 3) – prägt ab 1923 eine weitere schillernde Familie die Geschichte der Villa: Oskar und Nelly Inwald von Waldtreu kaufen beide Villen und nennen somit einen Besitz von einem Hektar mitten in der Stadt ihr Eigen.

Oskars Vater Josef hat sein Geld mit Glasfabriken in Böhmen gemacht und hinterlässt seinen zahlreichen Kindern ein großes Vermögen. Oskar studiert Chemie, ein für die Glaserzeugung durchaus bedeutendes Fachwissen, doch ernsthafte Forschung und Produktentwicklung interessieren ihn nur mäßig. Sein eigentliches Faible gilt Autos. Er fungiert als Vizepräsident des Österreichischen Automobilclubs und ist mit diesem Amt offenbar völlig ausgelastet, seine Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied der familieneigenen Glasfabriken kann wohl eher als repräsentativ angesehen werden. Oskars Privatleben gestaltet sich turbulent: Im Jahr 1900 heiratet er in Washington Meta Wimpffen, die jedoch nur ein Jahr später bei der Geburt ihrer Tochter Maria stirbt. Oskar heiratet ein zweites Mal, seine zweite Frau Nelly stirbt im Jahr 1936 an den Folgen ihrer Drogensucht. Zu diesem Zeitpunkt ist seine Tochter Maria bereits seit zehn Jahren mit Géza Erös de Bethlenfalva verheiratet, dessen Familie Schloss Hüttenstein nahe St. Gilgen besitzt. Auch er stammt aus einer schillernden Familie. Gézas gleichnamiger Onkel war mit Elsa Gutmann8 aus der bedeutenden Kohlenindustriellen-Familie verheiratet, die in zweiter Ehe den regierenden Fürsten Liechtenstein heiratet, eine etwas unkonventionelle Verbindung. Géza junior und sein Schwiegervater Oskar Inwald teilen die Begeisterung für Autos und stehen im Mittelpunkt der Gesellschaft: Das Hochzeitsfoto von Géza und Maria wird im Wiener Salonblatt abgedruckt.


Die Hochzeit von Géza und Maria Erös im Salonblatt, 1.11.1925

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten handeln Oskar und Géza rasch, um den Besitz zu erhalten. Im Juni 1938 verfasst ein eifriger Ischler Bürger zahlreiche Informationsblätter über die jüdischen Villenbesitzer mit haarsträubenden Aussagen und Denunziationen. Es geht immer in dieselbe Richtung: Juden, die sich während des Krieges oder der sogenannten Inflationszeit bereichert hätten, würden sich nun in Ischl einkaufen, ein Klischee, das sich durch alle der beschriebenen Fälle zieht. »Er [Oskar] verkehrte nur mit Juden, hauptsächlich solchen aus der Tschechoslowakei, und war häufiger Besucher des Golfplatzes in Wirling, bei dem der als Kommunist bekannte Mandl eine Funktion hatte.«9 Was auch immer diese Informationen zur Sache tun.

Bald bekommen die Behörden jedoch heraus, dass ihnen dieser Besitz, einer der schönsten, größten und wertvollsten in Ischl, weggeschnappt wurde. Und zwar durch einen Kaufvertrag zwischen Oskar und Géza, der, von der Vermögensverkehrsstelle bewilligt, bereits am 8. Oktober 1938 ins Grundbuch eingetragen wurde. Nun zeigt sich einmal mehr, wie radikal die Ischler Nazis sich sogar gegen die Vermögensverkehrsstelle stellen. Am 10. Oktober empört sich Anton Kaindlsdorfer, der Direktor der Sparkasse Bad Ischl und seines Zeichens Ortsgruppenleiter, darüber: »Dieser Vertrag dient also in Wirklichkeit nur dazu, um diese wertvolle große Liegenschaft in Bad Ischl irgendwie der Familie zu sichern.«10 Damit hat er zweifellos recht. Und er schreibt auch gleich an die Gestapo: »Der Jude Inwald besitzt große Fabriken im Sudetenland und ist sehr reich. Sein Schwiegersohn Géza Erös hat einen großen Lebensaufwand geführt und ist für die Zukunft auch sonst von Seiten dieses Juden versorgt worden.« Die üblichen Denunziationen.

Dann kommt er auf den Punkt, denn es ist klar, »dass der Jude Inwald diese Liegenschaft im Werte von ungefähr RM 100 000 verkaufen muss und dass der Kaufpreis dann den Reichsbehörden jederzeit zum freien Zugriffe offensteht. Wenn der Jude Inwald ins Ausland reisen würde, dann muss er auch die Reichsfluchtsteuer zahlen.« In diese Berechnung fiele nun der Ischler Besitz nicht mehr, da Inwald ein »entgeltliches Rechtsgeschäft« mit seinem Schwiegersohn »fingiert« habe. Auch Géza Erös wird nicht verschont, denn dieser sei »geistig wenigstens ebenso verjudet« wie sein Schwiegervater und »körperlich nach den Mitteilungen, die uns zugekommen sind, zweifellos ein Halbjude«11. Was für ein Ton in der Welt der Denunzianten. Der Gestapo wird dieser Fall nahegebracht, um zu verhindern, dass vielleicht auch andere jüdische Villenbesitzer auf die Idee kommen, ihren Besitz an nichtjüdische Verwandte zu verkaufen – dann wäre der ganze radikale Arisierungsplan der Ischler verdorben. »Jeder Jude hat dann einen entfernten arischen Verwandten, dem er seine Liegenschaft übergibt und dann lebt wieder die ganze Mischpoche hier.« Dies würde die Enteignung wertvoller Besitzungen wie der Villa Landauer (siehe Kapitel 13) ernsthaft gefährden. Daher muss die Gestapo sofort eingreifen: »Unsere ganze mühevolle Arbeit hier ist dadurch wertlos und das dritte Reich, für welches wir kämpfen wollen, hat einen nicht wieder gutzumachenden Schaden.« Also: Die Gestapo möge die bereits im Grundbuch eingetragene Eigentumsübertragung revidieren und Oskar Inwald und Géza Erös gleich verhaften. Doch die Gestapo denkt überhaupt nicht daran, diesen Vorschlägen nachzukommen, und lässt sich mit der Recherche Zeit. Am 18. Juni 1940 erhält Wilhelm Haenel (siehe Kapitel 25) als Sonderbeauftragter für die Übertragung jüdischen Besitzes ein Antwortschreiben: »Auf Grund des Ermittlungsergebnisses konnte der Tatbestand der Tarnung jüdischen Vermögens nicht festgesetzt werden.«12

Oskar Inwald stirbt am 31. Dezember 1938 in seiner Wiener Wohnung, Géza und Maria Erös sehen keine Zukunft in Österreich und gehen nach New York. 1951 verkaufen sie die Villa Seilern an die Lehrerkrankenfürsorge für Oberösterreich – auf elegante Aristokratie und mondäne Nouveaux Riches folgen Kurgäste. Auch das ist ein Zug der Zeit des 20. Jahrhunderts.

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