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Der Aufstand des böhmischen Adels

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Der Fenstersturz

von Rainer Maria Rilke

»Naht Verrat mit leisem Schritte,

ungerächt, bei der Madonna,

bleibt er nicht! Nach alter Sitte

zu den Fenstern« schrie Colonna.

»Schont den Popel! Doch die andern,

jeder eine feige Natter,

aus den Fenstern lasst sie wandern!

Mitleid? – Werft ihn mit, den Platter!«

Bange hangt am Fensterstocke

Martinitz noch – Da Geröchel:

Turn schwingt seine Degenglocke

und zerschmettert ihm den Knöchel.

Um zum nächsten: »Sag, wie heißt er,

Böhmens Herr? du sollst mirs deuten!«

»Graf von Turn!« – »Der Bürgermeister

lasse alle Glocken läuten!«

(Rainer Maria Rilke: Erste Gedichte. Leipzig 1913, S. 49 f)

Was Rainer Maria Rilke hier poetisch verewigt hat, entspringt nicht der Dichterphantasie, sondern basiert auf realen geschichtlichen Ereignissen. An dem Tag, der als »Der Prager Fenstersturz« in die Geschichtsbücher einging, waren in der Hofkanzlei zwei königliche Statthalter anwesend: der im Gedicht namentlich erwähnte Jaroslav Borsita Graf von Martinitz und Wilhelm Slavata. Diese schienen durch das Auftauchen der insgesamt 200 erbosten Ständevertreter ziemlich überrascht gewesen zu sein, da sie nicht den mindesten Versuch unternahmen, sich zu wehren. Die Eindringlinge veranstalteten eine improvisierte Gerichtsverhandlung, deren Ergebnis allerdings bereits fest stand. Danach wurden die beiden »Schuldigen« und ein anwesender Sekretär namens Philipp Fabrizius aus dem Fenster der Kanzlei geworfen.

Die erbosten Adeligen griffen hierbei zu einer in Böhmen beinahe traditionellen Form des Protestes. Der Prager Fenstersturz vom 23. Mai 1618 war nicht der erste seiner Art, aber der wohl folgenschwerste. Nach offizieller Zählung gab es drei Fensterstürze. Leitete der erste sehr blutige Prager Fenstersturz vom 30. Juli 1419 die Hussitenkriege ein, so war der zweite von 1618 zwar unblutig, führte aber zum schlimmsten kriegerischen Ereignis der europäischen Geschichte vor den beiden Weltkriegen. Der dritte Prager Fenstersturz vom 10. März 1948 schließlich bedeutete die endgültige Machtübernahme durch die Kommunisten in der Tschechoslowakei.

Die drei von den Ständevertretern aus dem Fenster geworfenen Männer fielen immerhin etwa 17 Meter tief, überlebten aber alle ohne ernsthafte Verletzungen. Später wurde behauptet, sie wären auf einen Misthaufen gefallen, ein Gerücht, das von heutigen Prager Fremdenführern eifrig immer aufs Neue in Umlauf gebracht wird. Doch die Drei hatten einfach großes Glück, da die abgeschrägte Wand den Fall bremste und sie dicke Kleidung trugen. Als die Ständevertreter sahen, dass ihre Opfer die Bestrafung überlebt hatten, zielten sie noch mit einigen Schüssen auf sie, die sie allerdings verfehlten. Die beiden schockierten Statthalter konnten entkommen und fanden Unterschlupf bei einer katholischen Adeligen. Der ebenfalls entkommene Sekretär Fabrizius machte sich gleich auf den Weg nach Wien, um dem Kaiser von dem Aufstand zu berichten.

Ferdinand sah nun den ersehnten Zeitpunkt gekommen, um gegen die rebellischen Stände und die protestantischen »Ketzer« vorzugehen. Er wollte den Krieg und er sollte ihn haben. Für die Finanzierung legte er Kaiser Matthias folgende Strategie vor: »Die eingezogenen Güter der Rebellen werden die Unkosten für den Krieg reichlich kompensieren, und der Schrecken der Hinrichtungen wird die Stände zum Gehorsam bringen.« (Zitiert nach Milger 1998, S. 41), Um die Kontroverse jedoch nicht noch weiter zu schüren, richtete Matthias einen versöhnlichen Brief an die Rebellen. Der für die Spanier tätige Graf Bucquoy am 1. Juni nach Wien geholt, um eine Stelle als kaiserlicher Feldmarschall anzutreten. Es wurden nun auch einige Regimenter aufgestellt und Kriegspläne besprochen. Auch wenn sich der Kaiser dagegen sträubte, schien der Konflikt nicht mehr aufzuhalten zu sein, da die Aufständischen nicht bereit waren, nachzugeben.

Nach dem Prager Fenstersturz wurde von den böhmischen Ständen eine Verwaltung ins Leben gerufen, die aus insgesamt 30 Direktoren aus ihren Reihen bestand. Ein kompletter Bruch mit dem Kaiser war zunächst nicht beabsichtigt. Doch schon bald gewannen jene Kräfte die Oberhand, die die vollständige Anerkennung der »Confessio Bohemica« und die Wiederherstellung der Ständefreiheiten forderten. Außerdem wurde letztlich auch noch die Wiedereinführung des alten böhmischen Wahlkönigtums verlangt. Die böhmischen Stände ersuchten die niederländischen Generalstaaten, den Herzog von Savoyen, die protestantische Union und den Kurfürsten der Pfalz um Unterstützung, die ihnen allerdings nicht in dem von ihnen erwünschten Ausmaß zuteilwurde, da vor allem die Niederländer mit dem Konflikt mit Spanien beschäftigt waren. Doch finanzierte schließlich der Herzog von Savoyen eine Söldnerarmee unter Peter Ernst II. von Mansfeld zur Unterstützung Böhmens.

Heinrich Matthias Graf Thurn war der Anführer der Aufständischen und spielte in dieser Funktion eine bedeutende Rolle. Der am 24. Februar 1567 geborene Thurn hatte protestantische Eltern, war jedoch nach dem Tod seines Vaters massiven katholischen Umerziehungsversuchen ausgesetzt gewesen. Doch der junge Adelige stand fest zu seinem protestantischen Glauben. Thurn hatte im Laufe seiner Karriere verschiedene Ämter inne. So war er beispielsweise Teil der kaiserlichen Gesandtschaft, die Istanbul besuchte. Er unternahm weite Reisen, die ihn unter anderem in den Orient führten, focht gegen die Türken in Ungarn und verließ die Armee als Oberst und Kriegsrat. Durch seine Vermählung mit Susanna Elisabeth, der Tochter des Freiherrn Otto von Teuffenbach, erwarb er ein großes Vermögen und wurde Mitglied der böhmischen Stände. Obwohl er niemals Tschechisch erlernte, fand er in Böhmen seine Heimat. Von Kaiser Rudolf II. zum Burggrafen von Karlstein erhoben und dann wegen seiner protestantischen Gesinnung von diesem Posten wieder abgesetzt, war er von großem Hass gegen die Habsburger erfüllt. Thurn hatte in der Steiermark auch die Brutalität der Gegenreformation im Stil Erzherzog Ferdinands erlebt. So kam es, dass er der Hauptverfasser der von den böhmischen Ständen aufgesetzten Apologie war, mit der Erstere ihr Verhalten zu rechtfertigen versuchten. Obgleich er militärisch unvermögend war, wurde er schließlich auch zum militärischen Führer des ständischen Heeres ernannt.

Im August 1618 fiel der kaiserliche Oberst Dampierre mit einer Söldnertruppe in Böhmen ein. Die Bauern und Bürger des aufständischen Landes bekamen als erste die Gräuel des beginnenden Krieges zu spüren. In Böhmen nahmen Raub, Mord und Brandschatzungen ihren Anfang und sollten Mitteleuropa für die nächsten 30 Jahre in Angst und Schrecken versetzen. Dampierres Kommando über die kaiserlichen Regimenter wurde bald vom niederländischen Grafen Bucquoy übernommen, der als erprobter Kriegsmann galt. Der neue Kommandeur stieß auch bis Caslau vor, das nur acht Meilen von Prag entfernt ist. Dort konnte er sich jedoch nicht lange halten, da die nachrückenden Kriegstruppen des kaiserlichen Regiments nur unzulänglich ausgebildet waren, ein Manko, das zugleich einen bitteren Vorgeschmack auf den weiteren Verlauf des langen schrecklichen Krieges darstellte. Bucquoy zog sich mit seinen Truppen nach Budweis zurück und der militärisch unfähige Thurn konnte seine Offensive nach Niederösterreich in die Wege leiten, wobei er vorerst die Stadt Zwettl verwüstete. Die Sache Ferdinands schien nun eher schlecht zu stehen und man erwartete einen Angriff auf Wien.

Immer häufiger tauchte in den Berichten vom Kriegsschauplatz das Wort »Plünderung« auf. So berichtete eine zeitgenössische Quelle:

»Im Februar 1619 hat das Kriegsvolk der Böhmen die kaiserlichen Heerestruppen in Budweis und Krumau belagert. Trotzdem haben sie sich herausgewagt und etliche Streifzüge in die Herrschaft Schwanberg getan, etliche Flecken und Dörfer geplündert, zum Teil gar abgebrannt. Bisweilen sind sie von den Böhmen ereilt und tapfer gezwackt worden.«

(»Theatrum Europaeum«, zitiert nach Milger 1998, S. 48)

Eine Anzahl bedeutender Ereignisse der Weltgeschichte wurde mit dem Erscheinen von Kometen in einen Deutungszusammenhang gebracht. So auch der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Ein mitteldeutscher Chronist (Volkmar Happe) berichtete:

»Den 3. November 1618 ist ein schrecklicher Comet am Himmel erschienen, der etliche Monat und gar bis in das folgende Jahr gesehen war, denn darauf in aller Welt Krieg, Aufruhr, Blutvergießen, Pestilenz und theure Zeit und unaussprechlich Unglück erfolget. Kein schrecklichen Comet man spürt, der nicht groß Unglück mit sich führt. In diesem Jahre ist der Böhmische Krieg angegangen und stark continuiret worden.«

(Chronikon Tuhringiae. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena)

Ferdinand gelang es nun mit spanischer Rückendeckung, den eher um Ausgleich bemühten Kardinal Klesl als Kanzler des schwachen Kaisers Matthias auszuschalten. Der Kardinal wurde von der Kriegspartei unter fadenscheinigen Anschuldigungen verhaftet und in der Folge nach Rom gebracht, wo er jahrelang als Gefangener festgesetzt wurde. Der Kaiser wurde durch diese Maßnahme vollkommen überrumpelt, was letztlich zu seiner Entmachtung beitrug. Er starb bereits am 20. März 1619 und machte damit endgültig dem erzkatholischen Ferdinand Platz, wodurch eine folgenschwere Wende eingeleitet wurde.

Matthias von Thurn eroberte mit seinen böhmischen Truppen am 26. Mai 1619 die Stadt Laa an der Thaya. Diese im nordöstlichen Niederösterreich gelegene Stadt war eine der ersten, die im Dreißigjährigen Krieg zu Schaden kam – unzählige weitere Städte im Heiligen Römischen Reich sollten folgen. Die böhmischen Truppen hielten Laa monatelang besetzt und trieben es wirtschaftlich in den Ruin. Das umfangreiche Stadtarchiv mit allen alten Urkunden und Protokollen ging verloren. Als die Böhmen schließlich abzogen, war die ehemals blühende Stadt schwer geschädigt und sollte nie mehr ihre alte Bedeutung erlangen. Wie für die meisten Städte im Reich blieb es nicht bei dieser Heimsuchung, denn 1645 kamen die Schweden in die Stadt. Als sie abzogen, waren die meisten Häuser verwahrlost und die Bevölkerungszahl stark zurückgegangen. Laa hat sich vom Dreißigjährigen Krieg letztlich nie wieder richtig erholt – ein Schicksal, dass die Stadt mit zahlreichen anderen Städte in Mitteleuropa teilte.

Der 5. Juni 1619 brachte die so genannte »Sturmpetition« der protestantischen Stände Niederösterreichs zu Ferdinand II. in die Wiener Hofburg. Die etwa 50 Adeligen kamen unter der Führung von Paul Jakob von Starhemberg, eines Angehörigen eines der bedeutendsten österreichischen Adelsgeschlechter, der zum Sprecher des protestantischen Adels bestimmt worden war, zu einer offiziellen Aussprache in den kaiserlichen Palast. Sie forderten religiöse Freiheit und Frieden mit Böhmen. Ein entsprechendes Schriftstück war bereits aufgesetzt und es wurde lange Zeit hitzig verhandelt. Die Situation war bedrohlich und Tätlichkeiten waren zum Greifen nahe. Später kam das Gerücht auf, dass Andreas von Thonradel, der Herr von Ebergassing, den geschockten Ferdinand beim Wams genommen habe, um ihn zur Unterschrift zu zwingen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Ferdinand dabei bereits als ein weiteres Opfer eines Fenstersturzes sah. Als die Spannung schier unerträglich schien, ritten plötzlich einige Kornette (Kompanien) des Regiments Dampierre unter der Führung von Gilbert de Saint Hilaire in die Hofburg ein. Die Adeligen glaubten daraufhin, die Reiter seien zu ihrer Verhaftung angerückt, mäßigten ihren Zorn und sahen von ihren Handgreiflichkeiten ab. Allein dem Eintreffen von Dampierres Regiment ist es zu verdanken, dass Ferdinand es wagte, die Forderungen der Protestanten abzulehnen, und so blieb die Sturmpetition am Ende ohne Wirkung. Es spricht für Ferdinands Bigotterie, dass er seine Errettung dem Gebet vor einem noch heute existierenden Kruzifix zuschrieb. Dieses Ereignis wurde später zu einem der »Wunder des Hauses Habsburg« stilisiert und in Gemälden und Druckwerken wirkmächtig in Szene gesetzt. Das Kürassierregiment von Dampierre erhielt für seine Dienste eine Auszeichnung und seinem Kommandanten wurde bis 1918 das Privileg zuteil, unangemeldet beim Kaiser vorzusprechen.

Thurn stand mit seinem ständischen Heer am 6. Juni 1619 vor den Toren von Wien. Hier blieb ihm jeder militärische Erfolg versagt, da er weder über ein passendes Belagerungsgerät, noch über die nötige Artillerie verfügte. Überhaupt erwies sich der politisch eloquente Graf nicht gerade als militärisches Genie und dies stellte er auch im weiteren Verlauf des Dreißigjährigen Krieges auf tragische Weise immer wieder unter Beweis. Bezeichnend ist hierbei, dass der böhmische Vorkämpfer Thurn sich niemals die Mühe machte, die böhmische Sprache zu erlernen.

Am 10. Juni 1619 kam es bei Záblat zwischen Bucquoy und dem Grafen von Mansfeld zur Schlacht. Letzterer galt später als der Prototyp eines Söldnerführers und Condottiere (italienische Bezeichnung für einen Söldnerführer und Kriegsunternehmer) des Dreißigjährigen Krieges. Seine militärischen Leistungen entsprachen aber trotz seines persönlichen Heldentums selten den in ihn gesetzten Erwartungen. Berüchtigt wurde er durch sein brutales Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung, flächendeckende Plünderungen und Brandschatzungen. Ein Kuriosum ist, dass er später als einer der unermüdlichsten Vorkämpfer des Protestantismus galt, obwohl er sehr wahrscheinlich. Zeit seines Lebens Katholik geblieben ist (Deschner 2008, Bd. 9, S. 334). Die böhmischen Stände hatten sich seiner Dienste versichert, weil gute Söldnerführer schwer zu bekommen waren und Mansfeld immerhin dem Herzog von Savoyen nicht ganz ohne Erfolg gedient hatte. Er konnte auch am 21. November 1618 das belagerte Pilsen unter seine Kontrolle bringen. Als sich jedoch die Kriegslage in Böhmen kritisch zu gestalten begann, trug Mansfeld dem Herzog von Savoyen erneut seine Dienste an – dieses Mal jedoch erfolglos. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in Böhmen der Schlacht zu stellen.

Das gegnerische Aufeinandertreffen bei Záblat stellte die erste wirklich bedeutende Schlacht des Dreißigjährigen Krieges dar. Das Dorf Záblat befindet sich in der Nähe von Budweis und ist damit nicht allzu weit von der österreichischen Grenze entfernt. Mansfeld wollte nach Budweis marschieren und wurde von Bucquoy zur Schlacht genötigt. Obwohl der Kampf nicht lange andauerte, verlor Mansfeld etwa 1.500 Mann und seinen gesamten Tross. Die Truppen der böhmischen Stände waren in der Folge gezwungen, die Belagerung von Budweis abzubrechen und der Graf musste sich vorerst von seinem Schock erholen und blieb einige Zeit militärisch inaktiv. Als Reaktion auf die verlorene Schlacht soll er seine Dienste sogar dem Kaiser angetragen haben.

Die böhmischen Stände brachen nach der Niederlage von Záblat ihren ohnehin wenig aussichtsreichen Versuch einer Belagerung Wiens ab. Die Truppen waren schlecht ausgerüstet und verfügten nicht über fähige Befehlshaber. Dennoch waren die böhmischen Standesherren weiterhin siegesgewiss und setzten ihren Kurs konsequent fort. Am 19. August 1619 wurde Ferdinand II. als böhmischer König durch die Stände für abgesetzt erklärt. Am darauffolgenden Tag schlossen die Stände eine Angriffsallianz mit Gábor Bethlen, dem Fürsten Siebenbürgens. Dieser wurde am 25. August durch den Landtag von Neusohl (Banská Bystrica) zum König von Ungarn gewählt. Dieser umstrittenen Königswahl folgten jedoch einige weitere nach, denen noch eine weitaus größere Bedeutung zukam.

Man schrieb den 27. August 1619, als um die Mittagszeit in Prag das Donnern der Kanonen widerhallte. Die Stände hatten dem Land einen neuen König gegeben – es war Friedrich V. von der Pfalz. Bereits einen Tag später wählten in Frankfurt die Kurfürsten einen neuen Kaiser für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation – Ferdinand II. Der neue böhmische König Friedrich V. traf erst am 31. Oktober 1619 mit großem Gefolge aus seiner pfälzischen Heimat in Prag ein. Seine offizielle Krönung zum König fand am 4. November im St. Veits-Dom statt. Die Kathedrale wurde nur wenige Wochen später von den Calvinisten aufs Schlimmste verwüstet, wobei eine große Anzahl bedeutender sakraler Kunstwerke vernichtet wurde. Der neue König hatte große Probleme mit der europäischen Anerkennung seiner Herrschaft, denn viele Fürsten nahmen eine abwartende Haltung ein oder gingen gar auf Distanz zu ihm.

Die Krönungszeremonie für Kaiser Ferdinand II. wurde knapp zwei Wochen nach der Wahl, am 9. September 1619, in hochherrschaftlicher Weise in Frankfurt vollzogen. In der Titulatur des deutschen Kaisers findet sich der Passus vom so genannten »immer Mehrer des Reiches«. Diese Apostrophierung ist aus dem lateinischen semper Augustus abgeleitet und basiert auf der fälschlichen Ableitung von Augustus von dem lateinischen Verb augere, das »vermehren«, »vergrößern« bedeutet. Der »immer Mehrer« hatte entsprechend der lateinischen Etymologie die Pflicht, die Rechte des Reiches nach außen hin zu schützen, etwa, indem er Gebietsverluste verhinderte. Ferdinand II. und sein Sohn wurden dieser Pflicht in keiner Weise gerecht, denn wie kaum ein Herrscher vor ihnen trugen sie durch ihre Politik zur Verkleinerung und Entmachtung des Reiches bei.

Am 8. Oktober 1619 schlossen Kaiser Ferdinand II. und Herzog Maximilian I. den so genannten »Münchener Vertrag«, in dem Herzog Maximilian von Bayern versprach, den Kaiser gegen die rebellischen Böhmen und ihren neuen König zu unterstützen. Ferdinand II. sagte daraufhin im Geheimen die Übertragung der Kurwürde der Pfalz an Bayern zu. Unterstützung hatte der Kaiser auch dringend nötig, denn am 14. Oktober kam es zur Schlacht bei Preßburg. Gábor Bethlen konnte den kaiserlichen Truppen unter Rudolf von Tiefenbach eine schwere Niederlage bereiten und die Stadt einnehmen. Der Siebenbürge stellte jetzt auch eine durchaus ernst zu nehmende Bedrohung für die Kaiserstadt Wien dar.

Als Thurn mit seinem böhmischen Ständeheer erneut gegen Wien vorrückte, entfachten sich zwischen ihm und den Truppen von Karl von Bucquoy erbitterte Kämpfe, die vom 24. bis zum 26. Oktober andauerten und derer sich Karl von Bucquoys Truppen schließlich erwehren konnten. Thurn blieb jedoch trotz aller militärischen Misserfolge weiterhin hartnäckig. Immerhin konnte er auf ein Bündnis mit den protestantischen Ständen Niederösterreichs zählen. Am 26. November 1619 versuchte er erneut, die Stadt Wien zu belagern, hatte jedoch abermals keinen Erfolg. Die protestantischen Soldaten konnten bei ihren Kämpfen mit kaiserlichen und katholischen Truppen ihrerseits bisher nur wenige Triumphe verbuchen und mussten sich nun auf einen massiven Gegenschlag einstellen.

Am so genannten »Liga-Tag« in Würzburg im Dezember 1619 beschlossen die Teilnehmer unter dem Kommando von Tilly 21.000 Mann Infanterie und 4.000 Reiter gegen Böhmen aufzustellen. Der Plan war, König Friedrich aus drei Richtungen gleichzeitig anzugreifen. Der Kurfürst von Sachsen sollte in Schlesien, der Ober- und der Niederlausitz einfallen, während der spanische Statthalter gegen die Niederlande und Erzherzog Albert gegen die Pfalz vorgehen sollte. Die vereinten Truppen der Liga und des Kaisers sollten den Hauptstoß in das böhmische Kernland ausführen. Am 6. Juni 1620 wurde Herzog Maximilian I. von Bayern vom Kaiser offiziell mit dem militärischen Eingreifen in Böhmen beauftragt. Durch Verhandlungen konnte auch erreicht werden, dass die protestantische »Union« (ein 1608 ins Leben gerufener Zusammenschluss von acht protestantischen Fürsten und 17 protestantischen Städten im Heiligen Römischen Reich) mit den Katholiken am 3. Juli 1620 in Ulm einen Nichtangriffspakt schloss, wodurch Friedrich von der Pfalz weiter isoliert werden sollte.

Der unermüdlich aber erfolglos kämpfende Graf Thurn wurde am 12. Juli 1620 in der Nähe von Wien erneut von den kaiserlichen Truppen unter Bucquoy geschlagen. Am 24. Juli 1620 marschierten die ersten Truppen der Katholischen Liga (1609 in München gegründeter Zusammenschluss katholischer Reichsstände) in Oberösterreich ein und eröffneten damit jenen Feldzug, der den so genannten »Böhmischen Krieg« letztlich in der Schlacht am Weißen Berg zugunsten des Kaisers entscheiden sollte. Im August griff eine 22.000 Mann starke spanische Armee von den Niederlanden aus die Pfalz an. Wenig später rückten auch die vereinigten Truppen der Liga und des Kaisers in Böhmen ein. Das böhmische Heer musste vor dem überlegenen Gegner rasch zurückweichen.

Ermöglicht wurde der erfolgreiche Vorstoß der katholischen Truppen auch durch die Passivität von Mansfeld, der mit seinen Truppen während der entscheidenden Zeit untätig im Raum Pilsen verweilte. Dieses Verhalten erklärt sich dadurch, dass der Söldnerführer zwar den geforderten Titel eines Feldmarschalls erhalten hatte, die ebenfalls verlangten Geldzahlungen und die Befehlsgewalt über die böhmischen Truppen ihm aber verwehrt blieben. Aus diesem Grund führte Mansfeld einen fast privaten Kleinkrieg um Budweis und Tabor und konzentrierte die Mehrzahl seiner Truppen um die Stadt Pilsen herum.

Der Hofprediger Herzog Maximilians, Jeremias Drexel, schrieb zu jener Zeit über die Leiden der Zivilbevölkerung:

»Viele Bauernfamilien hatten sich in allen möglichen Schlupfwinkeln versteckt. Ich wage zu sagen, dass ich in meinem Leben niemals bleichere Gesichter gesehen habe. Durch Hunger und Trauer waren die Bauern und anderes Volk hier und anderswo elend und ausgezehrt. Überall sahen wir Gräber und Kadaver. Der Krieg ist das wunderschöne Antlitz aller Bedrängnisse und Mühsal.«

(Zitiert nach Milger 1998, S. 81)

Auch in der Oberpfalz hatten die Katholiken große Erfolge zu verzeichnen. So eroberten die Truppen von Herzog Maximilian I. am 23. September 1620 die Stadt Cham. Sächsische Truppen besetzten nun auch die Lausitz. Der protestantische sächsische Kurfürst spekulierte darauf, durch Ausnutzung der Situation neue Gebiete dazu zu gewinnen. Alle in den Machtbereich von König Friedrich eindringenden Truppen waren im Wesentlichen erfolgreich. Die Schlinge um den Hals der böhmischen Stände und ihres pfälzischen Königs begann sich zuzuziehen. Am besten organisiert schien die Armee des bayerischen Herzogs, die dank der gefüllten Kriegskasse von Maximilian regelmäßig entlohnt wurde und über ausreichend Nachschub verfügte, während andere Truppenkontingente rasch wegen unregelmäßiger Soldzahlungen zum hemmungslosen Plündern übergingen.

Friedrich von der Pfalz und die böhmischen Stände wussten, dass es irgendwann zu einer großen Entscheidungsschlacht kommen würde. Deshalb engagierte man einen neuen Oberbefehlshaber, der den ungeeigneten Thurn ersetzen sollte. Dieser neue Oberbefehlshaber war Fürst Christian von Anhalt, der sich zur Unterstützung seinen Sohn an die Seite stellte, in den er große Hoffnungen setzte. Nur allzu bald sollte sich jedoch herausstellen, dass die optimistischen Erwartungen, die man an die beiden Heerführer richtete, von diesen nicht erfüllt werden konnten. Christian von Anhalt-Bernburg war ein wenig bedeutender deutscher Kleinfürst, der zwar über einige militärische Erfahrung verfügte, jedoch keine großen Erfolge vorweisen konnte. Er war streng antihabsburgisch eingestellt und einer der wichtigsten Männer und Gründungsmitglied der protestantischen Union. Stets auf den Konflikt mit den Katholiken aus, erstreckte sich seine feindliche Haltung nun auch auf das militärische Gebiet, auf dem er jedoch kläglich scheiterte.

Die Spanier waren unter Ambrosio Spinola, der von einigen Militärhistorikern als bester spanischer Befehlshaber jener Zeit angesehen wird, aus Flandern kommend in die linksrheinische Pfalz eingefallen und brachten sie zum größten Teil rasch unter ihre Kontrolle. Spinolas 23.000 Mann starker, schlagkräftiger Armee fielen schnell alle wichtigen Städte und festen Plätze in die Hände. Die Bevölkerung wurde in verheerendem Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen und für die Pfalz begann nun ein langer Leidensweg, der schlussendlich dazu führte, dass das Land niemals wieder seine alte Bedeutung zurückerlangte.

Der Aufenthalt der spanischen Armee in der Pfalz wurde durch ein bedeutendes Ereignis schon bald wieder beendet: Nach einem zwölfjährigen Waffenstillstand war der spanisch-niederländische Konflikt um die Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlande wieder aufgeflammt. Die Spanier rückten aus der Pfalz ab und ihre Truppen zogen nach Norden, um die niederländischen »Ketzer« erneut zu bekriegen. In Teilen der Pfalz ließen sie jedoch spanische Besatzungen zurück, was weitere Kämpfe nach sich zog.

Der Dreißigjährige Krieg

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