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6. Am Großvenediger

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Seit mich am Rinnkogel beinahe eine Kuh gefressen hätte, war ich schon öfters wieder auf Wanderschaft hoch hinaus. Einmal hat mich der Wind vom Behälter des Gipfelbuches geblasen. Danach hat mir der Onkel Doktor zwei Wochen Bettruhe verordnet, damit die Kopfschmerzen vergingen, welche ich mir dabei zugezogen hatte. Auch das rechte Bein war verstaucht. Nun aber war alles wieder gut und eine Gletschertour auf den Großvenediger in den hohen Tauern stand bevor. Für so einen kleinen Teddybären eine fast überbärige Angelegenheit! Aber was soll´s? Hansi packt das schon! Und wie!


Zwei Tage dauert so eine Wanderung. Da wird der Rucksack mit vielen Dingen vollgestopft. Ein Schlafsack für die Hütte ist vonnöten. Warme Handschuhe und eine Pelzmütze, sowie ein dicker Pullover. Himbeersaft, wie üblich in den Bergen und zwei Honigriegel. Ganz wichtig waren Steigeisen, damit man nicht ausrutscht und in eine Gletscherspalte fällt. Gletscherspalten sind gefährlich und hintertückisch wie ein böser Zauberer. Oft ist eine dünne Schneebrücke darüber und der arme Wanderer, der sie betritt, fällt bis zu 30 Meter in die Tiefe.

Am 1. Tag geht es weit, weit das Obersulzbachtal entlang bis zur Seilbahn. Diese befördert den Rucksack bis zur Kürsingerhütte. Dann ist der steile, mit Seilen gesicherte Steig nicht so anstrengend. Trotzdem kam ich sehr müde beim Schutzhaus an. Meine Ausrüstung war bereits da. Ein Gläschen Himbeersaft, welches hier „Schiwasser“ heißt, löschte den Durst und eine kräftige Hühnersuppe den Hunger. Bezahlen konnte und brauchte ich nicht, weil ich es in der Küche ganz frech geklaut habe. Teddybären dürfen das. Aber nur Teddybären!

Hinter einem Polster auf der Bank im Gastzimmer schlüpfte ich in meinen Schlafsack und schlief ungestört bis zum Morgen. Das Frühstück war schnell gefunden. Nun konnte das Abenteuer Gletscher beginnen! Uiuiui, war das aufregend! Komisch, im Sommer auf Schnee zu gehen. Mutig ging es auf gefrorenem Schnee bergauf. Immer steiler. Vorbei an den ersten Spalten und allmählich wurde die Luft dünner. Auf der Venedigerscharte in 3405m Höhe war es höchste Zeit für eine Rast. Der ohnehin geliebte Himbeersaft schmeckt hier oben noch besser als unten im Tal.

Plötzlich stellte ich fest, dass ich die Steigeisen und den Schlafsack in der Hütte vergessen hatte! Wegen der gefährlichen Gletscherspalten unsicher geworden, überlegte ich wohl eine Umkehr, wollte aber unbedingt die letzten 260 Höhenmeter zum Gipfel noch schaffen. Viele unvorsichtige Bergsteiger haben solche Entscheidungen mit dem Leben bezahlt, entweder weil sie ohne Schutz im Schnee erfroren sind oder in einer großen Spalte nicht mehr gefunden wurden! Glücklich und erleichtert kam ich ganz oben an! Jetzt noch das kurze, ausgesetzte Grat und das Gipfelkreuz vom Großvenediger auf 3662m war erreicht!!! Welche Freude! Alle Mühe und Angst waren vergessen, der Honigriegel das Köstlichste, was ich jemals gegessen habe. Ein bisschen Saft war auch noch da. Herrlich! Schön, wunderschön ist es da oben. Grad als ob man dem lieben Gott nahe wäre. Ich habe das tief in meinem Herz gespürt!

Übermütig machte ich mich auf den Rückweg. Hei war das ein lustiges gehen und rutschen! Im Nu war die Venedigerscharte erreicht. Jetzt das steile Stück! Hinsetzen und ab die Post; steil, immer steiler; schnell, immer schneller! Neiiiiiiin! Hilfe! Hilfe! Zu spät, die Spalte kam rasant näher, bremsen ging nicht mehr. Ich fiel. Tief, tiefer...hupps! Benommen schaute ich um mich und begann zu rufen. Doch niemand hörte diese leise Fistelstimme. Langsam begann der Kopf wieder normal zu arbeiten. Gebrochen war nichts.

Auf einer Schneebrücke wurde der Sturz glimpflich abgefangen. Die Kluft führte hinunter in totale Finsternis, hier war nur leichte Dämmerung. Oben erleuchtete die Sonne den Spaltenrand. Eiszapfen strahlten und glitzerten um die Wette und der kleine Hansi saß in seinem weißen Gefängnis hilflos fest.


Vielleicht findet jemand die kleinen Steigeisen und den Schlafsack?

Ja freilich, und halten es für Puppenspielzeug. Das nützt gar nichts. Aber hier sterben wollte ich auch nicht. Ich dachte an die Mimi und bekam neue Hoffnung. Da, der Eiszapfen reichte fast zu mir. Mit einem verzweifelten Sprung kam ich zwar hoch, glitt aber ab und fiel zurück. Ein Teil der rettenden Schneedecke brach dabei ab. Nun wurde es arg knapp! Mich endlich meiner scharfen Krallen besinnend versuchte ich es noch einmal. Es gelang! Wie auf einem Baumstamm kletterte ich auf dem Eiszapfen hoch und war gerettet! Hurra!

Vorsichtig und mit weichen Knien ging ich zur Hütte, wo meine vergessenen Sachen noch hinter dem Polster lagen, und schlich mich in die Küche. Satt und glücklich entkam ich, bevor der Hauskater erschien.

Ohne weitere, besondere Vorkommnisse ging dieser abenteuerliche Tag zu Ende.

Hansi, der kleine Ausreißer

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