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Der Selbstmörder

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Werner, etwa 25 Jahre alt, steht in einer Telefonzelle der U-Bahn-Passage Schottentor. Sein Gesichtsausdruck zeigt Verbitterung und Resignation, als er zu telefonieren beginnt. Er wählt die Nummer von Veronika, die ihn kurz zuvor verlassen hat.

Veronika: Hallo?

Werner: Servus, Veronika. Ich bin's, Werner. Ich wollte …

Veronika: (ihn barsch unterbrechend) Du wolltest mich noch einmal beknien, zu dir zurückzukommen. Vergiss es! Ich habe dir gesagt, es ist aus, und dabei bleibt es.

Werner: Veronika, bitte. Hör mir doch wenigstens zu. Ich schaffe es nicht ohne dich. Ich fühle mich so einsam … ich brauche dich.

Veronika: Such dir eine andere Klagemauer, das Spiel habe ich bis zum Überdruss genossen. Ciao, ich leg' jetzt auf.

Werner: Veronika, nein, warte. Wenn du mich verlässt, bring ich mich um. Ich werf' mich vor die U-Bahn.

Veronika: Ich habe dich verlassen … im Übrigen: Den Mumm hast du sowieso nicht. (legt auf)

Werner: Veronika, bitte, Veronika … (hört schluchzend noch ein paar Sekunden dem Tuten im Hörer zu, legt dann auf. Einige Münzen fallen in das Ausgabefach zurück, aber er registriert es nicht. In völlig geknickter Körperhaltung schlurft er aus der Telefonzelle.)

Ein Sandler(26), der die Szene verfolgt hat, eilt zum Telefon, entnimmt ihm die Geldstücke, verliert dabei aber so gut wie nie den Blickkontakt zum Rücken Werners, der Richtung U-Bahn wankt. Nachdem die Münzen in einer Tasche der abgerissenen Kleidung des Sandlers verschwunden sind, geht er dem Verstörten hinterher.

Werner: (zu sich selbst murmelnd) Was soll das alles noch? Sinnlos, total sinnlos. Die wird schon sehen, dass ich genug Mut habe. Wenn's mi von der Garnitur kratzen, wird ihr das sehr, sehr leid tun. Aber dann kann sie mi nimmer anrufen und um Verzeihung bitten, dann is' sie allein mit dem Problem.

Er nähert sich den Entwertern und entnimmt aus reiner Gewohnheit seiner Brieftasche einen Fahrschein. Bevor er ihn in den Schlitz schiebt, hält er aber inne, betrachtet ihn eine Weile und legt ihn dann auf das Kästchen obenauf. In diesem Augenblick kommt ein Kontrollor in Uniform die Treppe heraufgerollt. Er sieht, wie Werner den Fahrschein auf den Entwerter legt. Im Hintergrund der folgenden Szene sieht man den Sandler, der hocherfreut auch den Fahrschein einsteckt.

Kontrollor: (mit sich selbst sprechend) Was macht denn der da? Na, jedenfalls a leichte Beute. (geht energisch und zielsicher auf Werner zu und spricht ihn mit Triumph in der Stimme an) Guten Tag, Ihren Fahrausweis, bitte.

Werner: (zuckt zusammen) Was? A Schwarzkappler! Des halt i ned aus. (geht weiter)

Kontrollor: (umläuft Werner und stellt sich ihm erneut in den Weg) Bleiben Sie stehen! Zeigen Sie mir Ihren Fahrschein!

Werner: (sieht dem Kontrollor lang, tief und sehr ernst in die Augen und spricht dann mit Grabesstimme) Tote brauchen keinen Fahrschein. (lässt den verwirrten Mann stehen und geht weiter auf die Rolltreppe zu)

Kontrollor: (nach einer ausgiebigen Schrecksekunde) Sie san aber no sehr lebendig für an Toten. Der Schmäh is guat, aber ned guat gnua fia mi. Wenn Sie sich nicht sofort ausweisen, rufe ich die Polizei. (Da Werner unbeeindruckt weiterschlurft, greift der Schwarzkappler zu seinem Funkgerät) Zentrale? Rasch, an Streifenwagen zur U2 Schottentor. I versuch, den Schwarzfahrer so lange aufzuhalten. Ende. (Hastig schaltet er ab, lässt das Gerät wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückrutschen und stürzt hinter Werner her, der nur noch zwei Schritte von der Rolltreppe entfernt ist.)

Der Mann in Schwarz umläuft Werner und verbarrikadiert mit seinem Körper die einzige nach unten führende Rolltreppe. Werner, momentan irritiert, hält inne und versucht dann, den Mann aus dem Weg zu schieben. Es entwickelt sich ein Handgemenge. Die beiden nähern sich bedrohlich der Brüstung der über einen Teil des Bahnsteigs gebauten Galerie, gut sechs Meter geht es von dort hinunter. Der Sandler, der dem Geschehen aus nächster Nähe beiwohnt, spricht aufgeregt, nachdem er seine kurz zuvor erworbenen Schätze wieder hervorgekramt und begutachtet hat, den nächstbesten Passanten an. Dieser ist leidlich fein gekleidet.

Sandler: Sechs Schüling und an Anzelfoarschein auf'n Schwarzkappler.

Passant: (der den Ereignissen ebenfalls seine hingebungsvolle Aufmerksamkeit schenkt) Einverstanden. (Sie schlagen ein. Beide wischen ihre Hände an den Hosenbeinen ab und starren weiter auf die Rauferei.)

In diesem Augenblick gelingt Werner ein schwerer linker Haken, der den Kontrollor über die Brüstung befördert. Dumpfer Aufprall, aufgeregte Schreie. Werner beugt sich über das Geländer; aus dieser Perspektive sieht man den Uniformierten in einer Blutlache regungslos liegen. Ein Schwenk bringt zwei Polizisten ins Bild, die, von den Schreien angetrieben, die letzten Meter im Laufschritt bewältigen. Einige Passanten zeigen auf Werner, der immer noch fassungs- und regungslos über die Brüstung gebeugt dasteht. Rufe wie „Der war's!“, „Mörder!“, Schnappt's ihn euch!“ machen den beiden Polizisten die Entscheidungsfindung sehr einfach. Von links und rechts ergreifen sie gleichzeitig den verhinderten Selbstmörder, ein prüfender Blick nach unten überzeugt sie von der Richtigkeit ihres Tuns. Werner, schon wieder von einer neuen Situation überfordert, will sich heftig losreißen, woraufhin beide Polizisten in einem synchronen Bewegungsablauf die Gummiknüppel ergreifen, Schwung holen und punktgenau, einer von links, einer von rechts, einen Schlag auf Werners Kopf landen. Ohne einen weiteren Laut bricht Werner zusammen. Jetzt kommen wieder die beiden Wetter ins Bild.

Sandler: A Unentschieden; baade san k.o.

Passant: Der Kontrollor ist wohl eher tot. Außerdem war der Zweikampf eindeutig entscheiden; das Eingreifen der Polizei hatte mit unserer Wette nichts zu tun. Sie schulden mir sechs Schilling und einen Einzelfahrschein. (Hält die Hand auf)

Sandler: (gibt ihm widerstrebend das Gewünschte) Heast, Oida, host a poar Schüling?(27)

Passant: (im Wegdrehen) Ja. (entfernt sich mit raschen Schritten)

****************

Ein Gerichtssaal. Geschworene, volle Ränge.

Richter: (mit Blick auf die Geschworenenbank) Sind Sie zu einem einstimmigen Urteil gekommen?

Sprecher der Geschworenen: Das sind wir, euer Ehren. Wir befinden den Angeklagten für schuldig.

Richter: Angeklagter, erheben Sie sich. (Werner, sehr bleich im Gesicht, befolgt die Aufforderung) Das Hohe Gericht verurteilt den Angeklagten zu lebenslänglicher Haft. Nehmen Sie das Urteil an?

Werner: Nein, ich will die Todesstrafe.

Richter: Hamma ned. Lebenslänglich also. (Der Richterhammer knallt aufs Pult.) Die Sitzung ist geschlossen.

© 1992

Der Bürg mit dem Hundehalsband

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