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Die geteilte Welt

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Jawohl, die Welt ist geteilt. Es gibt Schwarz und Weiß, es gibt die Guten und die Bösen, die Armen und die Reichen. Es gibt die Nichtraucher, das sind eben die Guten –und es gibt uns, die Raucher, die Stinker. Verbannt vor die Türen der Restaurants und Hotels, gequält auf stundenlangen Fahrten in komplett rauchfreien Zügen der Bahn oder nicht enden wollenden Flügen, deren Zwischenstopps keine Erleichterung sind, da auch auf Flughäfen strenges Rauchverbot besteht, und das Verlassen des Areals während eines Zwischenstopps gewöhnlich nicht möglich ist. WIR SIND AUSSÄTZIGE!

Wir sind geächtet, verbannt, ungeliebt. Und das nur deshalb, weil wir dieses harmlose kleine Laster haben, weil wir Raucher sind. Na und? Wir können eben genießen! Wir sind eine Spezies, die noch vor wenigen Jahren gesellschaftlich anerkannt war. Doch ungefähr nach den ersten elf Jahren des neuen Jahrtausends hatten sich die militanten Nichtraucher irgendwie durchgesetzt. Sie haben es geschafft, die Welt ein weiteres Mal zu spalten. Sie waren es! Und sie haben uns in den Schatten geschoben. Auf die Seite der Schlechten, der Verlierer. Wir sind die Schmuddelkinder –dabei tun wir doch gar nichts Böses, es ist doch nur ein wenig Lebensfreude, die wir uns gönnen!

Ein Plädoyer für unser Laster, ein Plädoyer für unsere Sucht. Eine Verteidigungsrede für unsere Schwäche. Oft habe ich sie mir selbst gehalten, damals. Sie hat so etwas Tröstliches. Nur leider ist sie falsch.

Erstens, und das ist die schlechte Nachricht, das Rauchen ist, entgegen der Jahrzehnte langen Werbe-Attacken der Tabakindustrie, eben kein harmloser Spaß. Eigentlich wissen wir das alle längst, und doch schieben wir dieses Wissen gerne beiseite, wenn uns die Plakate anstrahlen - lustig, listig, fröhlich und selbstbewusst. Obwohl auf den Schachteln ziemlich groß aufgedruckt sein muss, dass Rauchen töten oder zur Impotenz führen kann.

Aber gut, wie oft denn noch. Wir übersehen diese Kleinigkeit, wir machen uns das Gewissen rein. Nicht drüber nachdenken. Aber es stimmt dennoch. Fakt ist: Nikotin ist eine Droge, die im Bezug auf ihr Suchtpotenzial durchaus gemeinsam mit Kokain oder Heroin genannt werden darf. Dazu später mehr.

Zweitens, und das ist die gute Nachricht: Die Welt ist gar nicht geteilt in Raucher und Nichtraucher. Zwar hat jemand, der nie geraucht hat, nicht die leiseste Ahnung, was in einem Raucher vor sich geht. Aber jeder Raucher war irgendwann in seinem Leben einmal Nichtraucher. Bei mir waren das die ersten 15 Jahre meines Lebens. Und bei Ihnen? Ich habe damals, vor diesen ersten Zügen an einer Zigarette, nicht begreifen können, was man daran gut findet, so einen übel riechenden Rauch einzuatmen (den ich wenige Monate später gar nicht mehr übel fand).

Damals, als Kind, hat mir nichts gefehlt - jedenfalls kein Nikotin!

So, und jetzt kommt’s: Wir waren damals dieselben Menschen wie heute, und wir werden wieder dahin zurückkehren, in diesen Zustand, dass uns Nikotin nichts bedeutet! Wir werden nicht mehr rauchen, und wir werden nichts vermissen - gar nichts! Damals haben wir uns gefragt: Warum rauchen die? Wieso brauchen die das? Ich brauche das ganz sicher nicht!

Dies gilt auch heute noch, denn es gilt immer. Sagen Sie es sich doch einmal vor:

Ich brauche das nicht!

Das klingt gut, aber jetzt denken Sie sicher: Es weiß doch heutzutage jeder, dass man das Rauchen eben nicht einfach so lassen kann. Nicht so einfach - das ist richtig. Aber: Sie können zurück. Es gibt diesen Weg, der Ihnen bislang völlig unmöglich schien. Es ist kein Zauberstück, was wir hier planen. Dieser Weg hat eine ganz bestimmte Länge, und er ist ein wenig steil, das möchte ich gar nicht verschweigen. Aber es ist ein relativ kurzer Weg im Vergleich jener Odyssee, die Sie wahrscheinlich in Begleitung Ihrer Zigaretten hinter sich haben - oder auch noch vor sich, wenn Sie weiter rauchen bis zu Ihrem Tod.

Ich sagte es bereits: Rund elf Jahre dauerte meine rauchfreie Zeit nach dem ersten Entzug. Daran gemessen, war es eine lächerlich kurze Zeit, bis ich “über den Berg” war. Und dass ich dann, nach dieser langen Zeit noch einmal wieder anfing zu rauchen, liegt schlichtweg daran, dass ich vergessen hatte, wie schnell und wie stark Nikotin abhängig macht. In einer Partylaune glaubte ich, die Sache so fest im Griff zu haben, dass ich doch mal einfach ein, zwei Zigaretten rauchen könnte.

Natürlich ging die Sache anders aus als gedacht. Zwei Tage später kaufte ich die erste Schachtel, eine weitere Woche später das erste Päckchen Drehtabak, und nun vergeudete ich mein Geld und meine Gesundheit weitere drei Jahre, bis ich den Mut zu einem neuen Entzug fand.

Diesmal allerdings tat ich etwas, das ich beim ersten Mal versäumt hatte: Ich dokumentierte mein Befinden an allen Tagen des Entzuges. Ich sprach mit Fachleuten und analysierte die Gründe für mein Befinden, ich befragte eine große Zahl von Rauchern und ehemaligen Rauchern über ihre Gewohnheiten. Ich studierte das Wesen der Sucht, um zu verstehen, was mit meinem Hirn in jener Nacht geschah, als ich die erste Zigarette anzündete - und was nun geschah, in den Tagen, da ich wieder loszukommen versuchte von der Sucht.

Ich schaffte es, und auch heute, knapp ein Jahr nach diesem zweiten Anlauf, bin ich nicht nur sicher, dass ich nie wieder eine Zigarette mehr anzünden werde - etwas anderes ist viel wichtiger: Es macht mir überhaupt nichts aus!

Ich finde es wieder völlig natürlich, ohne Zigaretten zu leben. Sie fehlen mir nicht, ich denke nicht einmal an sie. Ich kann auch mit rauchenden Freunden zusammen sitzen und Bier trinken, ohne die Spur einer Versuchung zu empfinden. (Und auch, ohne jeden Raucher gleich zu verdammen!). Allerdings bemerke ich anschließend wieder, was sich meiner Wahrnehmung in der Zeit, als ich rauchte, entzogen hatte: Einen Abend unter Rauchern, und die Klamotten stinken fürchterlich.

Ist unsere Welt also geteilt? Besorgt macht mich auf jeden Fall, dass von über 7,5 Millionen Deutschen, die jährlich versuchen aufzuhören, nur gerade drei Prozent damit erfolgreich sind. Natürlich gibt es Menschen, die stärker abhängig sind und jene, die kaum Probleme haben, die “liebe Gewohnheit” wie sie diese Sucht gerne beschreiben, abzulegen. Allerdings: Zur zweiten Gruppe, das kann ich Ihnen hier mit Nachdruck versichern, habe ich niemals gehört. Lieber bin ich nachts quer durch die Stadt gefahren als ohne Zigarette ins Bett zu gehen. In Ermangelung von Streichholz und Feuerzeug habe ich Toaster in Betrieb gesetzt oder Herdplatten zum Glühen gebracht, um die Zigarette anzuzünden. Und wenn ich nicht mehr sprechen konnte, weil mir die Bronchitis die Luft raubte - die Zigarette musste sein. Bei 40 Fieber änderte der Tabakrauch merkwürdiger Weise den Geschmack, die Zigaretten schmeckten strohig, aber ans Aufhören war kein Gedanke. Und morgens war Nikotin fast immer das Erste, das ich zu mir nahm. Nein, von Genuss war längst keine Rede mehr.

War es denn überhaupt jemals Genuss? Ja - aber nur in einem sehr trügerischen Sinne. Nikotin täuscht das Gehirn. Es belohnt das Hirn für nichts. Deshalb scheint es wie ein Genuss. Eine verhängnisvolle Täuschung. Es war nichts als Sucht.

Diese Sucht werden Sie nun wegblasen. Für immer. Denn die Welt ist nicht geteilt. Sie waren Nichtraucher, und Sie werden wieder Nichtraucher sein. Sie werden sich fragen, wie Sie sich als Kind gefragt haben: Was soll an diesem Rauch nur so toll sein? Ich brauche das nicht!

In zwei Wochen frei

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