Читать книгу Die Mission der tollkühnen Bücher - Hendrik Lambertus - Страница 8
Оглавление»Für diese Mission braucht es einen Ritter von echtem Schrot und Korn!«, rief Don Quichotte, ein alter, ledergebundener Band mit einer kaputten Lanze in der Hand. Ihr Schaft war notdürftig mit Gummiband geflickt.
»Du kennst den Codex, Drac«, sagte Tabula Smaragdina und warf Dracula einen strengen Blick zu. »Regel Nummer fünf: Agenten müssen früh beginnen, um Erfahrung zu gewinnen. Und wenn ich mich richtig erinnere, hattet ihr eure letzten Einsätze, als es noch Petroleumlampen und Pferdekutschen gab. Unsere jungen Freunde hier werden ihre Sache gut machen!«
»Verlass dich nur auf uns, Tabula Smaragdina«, sprach Reginald Ratlos mit einer tiefen Verbeugung, was bei einem Buch recht merkwürdig aussah. »Wir werden diesen Fall mit unserem Scharfsinn zu deiner vollsten Zufriedenheit lösen! Schon bald werden wir erste Ergebnisse …«
»Kommst du jetzt endlich?«, rief Paulchen vom Ausgang aus. Hedy war schon fast bei dem Piratenbuch. Reginald blinzelte irritiert und beeilte sich, ihnen mit seinem mehr oder weniger würdevollen Pinguingang zu folgen.
Draußen wartete ein schmutziger Hinterhof auf Paulchen, Reginald und Hedy. Es war ein kühler Herbstmorgen, und Regentropfen glänzten auf den Mülltonnen und dem Gerümpel, das die Menschen hier lagerten. Die drei Agenten huschten ungesehen an der Wand entlang.
»Bis zur Stadtbibliothek sind es mehrere Straßen«, überlegte Hedy Hexensocke besorgt. »Das ist ganz schön weit … Hoffentlich kommen wir nicht zu spät!«
»Lasst uns doch einfach eine Abkürzung rüber zur Hauptstraße nehmen!«, rief Paulchen und zeigte auf die hohe Ziegelmauer, die an das Antiquariat angrenzte.
»Wie sollen wir da denn bitte schön rüberkommen, ohne gesehen zu werden?«, fragte Reginald skeptisch und schaute an der Mauer hoch.
»Ach, du bist immer so übervorsichtig!« Das Piratenbuch nahm einfach Anlauf. Es stieß sich mit einer Luftrolle vom Boden ab, lief einige Schritte an der nackten Wand hinauf und schwang sich schließlich auf die Mauerkrone.
»Jaaahuu! Klar zum Entern!«, jubelte Paulchen und winkte den anderen mit dem Säbel zu. Diese starrten mit großen Augen die Mauer hoch.
»Na, kommt schon! Mir nach«, sagte Paulchen ungeduldig. »Du zuerst, Reginald.«
»Wie denn?«, wiederholte das Detektivbuch.
»Bist du nicht ein Vogel?«
»Erstens können Pinguine nicht fliegen«, erwiderte Reginald würdevoll, »und zweitens ist meine Hauptperson ein Vogel und nicht ich. Das ist ein Unterschied, wie du sehr wohl weißt. Ein Buch über einen Pinguin ist eben kein Pinguin.«
»Du läufst aber wie einer«, hakte Paulchen nach.
»Ich kann fliegen«, warf Hedy ein. »Mit der Zauberkraft meiner Hexensocke. Ich werde dich tragen.«
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist …«, murmelte Reginald.
Doch Hedy hörte ihm gar nicht zu. Sie zupfte ihre übergroße Ringelsocke zurecht und sprach fröhlich ihren Zauberspruch:
»Fli, fla, fliegen, himmelwärts!
Hoch mit uns, das ist kein Scherz!
Flü, Fla, Flügel, schön und bunt,
tragen uns über die Wund … äh, Wand!«
Ein Paar schillernder Schmetterlingsflügel, regenbogenbunt gestreift wie die Socke, glänzten plötzlich an Hedys Einband. Damit sah sie aus wie eine seltsame, buchförmige Blütenfee. Sie packte Reginald mit beiden Armen – und zischte zusammen mit ihm in den Himmel empor wie eine Feuerwerksrakete. Viel weiter, als die Mauer hoch war.
»Iiiiih!«, kreischte Reginald gänzlich unwürdevoll.
»Ich glaube, ihr seid zu ho-hoch!«, rief ihnen Paulchen nach, die Hände vor dem Mund zu einem Trichter geformt.
Von oben war Hedys ferne Stimme zu hören:
»Flügel, stopp!
Setzt uns opp … nein, ab!«
Sofort kamen die beiden wieder herunter. Im freien Fall, so elegant, wie Bücher ohne Flügel eben fallen können. Paulchen tat, was zu tun war. Das Piratenbuch sprang von der Mauer und versuchte, die beiden im Flug aufzufangen. In einem Chaos aus Buchseiten und Einbänden klatschten die drei nacheinander auf den Boden. Paulchen lag ganz unten, um den Sturz der anderen beiden abzubremsen.
»Au«, stöhnte Reginald. »Ich glaube, ich habe ein Eselsohr.«
»Das war schön«, schwärmte Hedy, die schon wieder auf den Beinen stand. »Sooo hoch!«
»Jetzt weiß ich, warum Pinguine nicht fliegen«, brummte Reginald.
»Immerhin sind wir auf der anderen Seite der Mauer«, stellte Paulchen gut gelaunt fest.
»Hoffentlich hat uns niemand gesehen …«, erwiderte Reginald und schaute sich besorgt um. Sie standen nun direkt vor ihrem Antiquariat. »Ich wünschte, wir hätten einfach den Vordereingang benutzt«, seufzte das Detektivbuch.
»Bist du verrückt?«, erwiderte Hedy. »Wie sähe denn das für die Menschen aus, wenn plötzlich ein Buch fröhlich pfeifend zur Tür herausspazierte?«
Reginald wollte gerade etwas erwidern, da rumpelte ein Lastwagen die Straße entlang und fuhr durch eine Pfütze, dass das Wasser nur so aufspritzte. Die drei Bücher sprangen eilig zurück an die Mauer. Nässe konnten sie gar nicht leiden! Als der Lastwagen um die Ecke bog, bemerkte Reginald zwei Kinder auf der anderen Straßenseite: ein hochgewachsenes Mädchen und einen lockenhaarigen Jungen mit Brille, der einen Kopf kleiner war als sie. Der Junge schaute mit großen Augen quer über die Straße, ungefähr dorthin, wo sich die Buchagenten in den Schutz der Mauer duckten. Hatte er sie etwa gesehen?
»Kommt jetzt!«, rief Paulchen Piratenkind unternehmungslustig. »Auf zur Stadtbibliothek!«
Die drei setzten ihren Weg fort, wobei sie von einer dunklen Ecke in die andere huschten. Misstrauisch warf Reginald einen letzten Blick über seine Schulter. Der Junge schien ihnen immer noch hinterherzustarren.