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Kapitel 2: Kerina

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Hamburg, Deutschland

Hamburg-Mitte

22.1.03 3:31 a.m.

Kerina, so nannten sie die Leute seit sechs Tagen. Sie war in der Elbe gefunden worden. Nackt bis auf ein paar fetzen Stoff war sie gewesen. Man hatte sie ins Krankenhaus gebracht und sie untersucht, körperlich schien ihr nichts zu fehlen. Doch sie wusste nicht, wer sie war oder wie sie hierher gekommen war. Und sie wusste nicht, wieso ihr die Sprache fremd vorkam, die die Menschen sprachen. Sie verstand ihre Bedeutung, sie konnte sie sprechen, aber sie wusste, dass sie sie nie gelernt hatte. Sie hatte einfach gewollt, dass sie sie konnte und sie konnte sie. Sie verstand nicht, wer sie war und was mit ihr los war. Sie war im Krankenhaus in eine Abteilung für Traumata verlegt worden und dort versuchte man ihr zu helfen. Sie glaubte nicht daran, dass sie es schaffen würden, sie spürte, wie hilflos die Ärzte waren.

Sie hatte Albträume. Immer wieder träumte sie seltsame Dinge, sie konnte sich nach dem Aufstehen nicht mehr an den Inhalt erinnern, doch dass sie etwas geträumt hatte, wusste sie genau. Es waren schlimme Träume, sie fühlte sich nach dem Schlafen immer elend und ermattet. Hoffnungslos.

Sie hatte heute Nacht zum ersten Mal ihr Zimmer im Krankenhaus verlassen, sie hatte einfach die Tür geöffnet und war gegangen, ohne dass sie jemand bemerkt hätte. Sie wusste nicht, wie es geklappt hatte, doch sie wusste, dass, wenn sie es wirklich wollte, die Dinge einfach geschahen. Nun spazierte sie in dieser fremden Stadt im Schein des untergehenden Mondes umher.

Sie fühlte sich beobachtet, obwohl die Straßen leer waren. Etwas war nicht in Ordnung, ein Raubtier war hinter ihr her, da war sie sich sicher, doch sie konnte mit diesem Gefühl nichts anfangen, es war keine Bedrohung zu sehen.

Plötzlich hörte sie ein Rascheln. Ein Mann mit Adlerflügeln kam von oben auf sie herab und seine Hand glühte bläulich. Er trug nur eine Flecktarnhose, am Oberkörper eine Art Rüstung, sie bestand aus mehreren metallenen Platten, in die Symbole eingeritzt waren, zwischen denen kleinere, matt glimmende Edelsteine leuchteten. Er wirkte überrascht, dass sie ihn bemerkt hatte. Sie sprang zur Seite und seine Faust schlug in den Boden, aus dem Splitter des Asphalts hochflogen, wegen der immensen magischen Kraft.

„Wer bist du?“, fragte sie. Sie wusste nicht, ob sie etwas falsch gemacht hatte. Doch da war etwas. Ein Gefühl sagte ihr, dass dieser Mann böse war. Dass es nicht an ihr lag, sondern dass er ihr Schlechtes wollte. Inzwischen erkannte sie, dass das, was in seiner Hand leuchtete, ein blauer flacher Stein war. Er bewegte seine Hand, als würde er ein Schwert benutzen, um nach ihr zu schlagen, und sie hob instinktiv ihre Arme, um sich zu schützen. Eine blassbronzene Kugel aus Licht umgab sie und fing die Schnitter ab, die er ihr entgegen geworfen hatte. Erstaunt blickte sie die Kugel um sich herum an. Er wirkte ebenfalls überrascht, doch der Ausdruck wich Frustration.

Er hob die Hand erneut und hellrote Flammen schossen heraus und auf sie zu. Einen Moment war sie vollkommen geblendet, als die bronzene Kugel vom Feuer eingehüllt wurde, doch sie wurde nicht beschädigt. Es wurde nicht einmal warm. Sie wusste nicht, was er wollte, aber es war ihr gleich. Sie war wütend, er wollte ihr weh tun, ohne Grund. So jemand durfte nicht zaubern. Böse Menschen sollten nicht zaubern dürfen. Sie richtete beide Hände auf ihn und wie Rauch schoss etwas Dunkles daraus hervor. Es umhüllte ihn und drang in seine Ohren, seine Nase, seinen Mund. Er schrie, doch der Schrei wurde durch ein Gurgeln erstickt. Er brach zusammen und versuchte noch einmal, Flammen nach ihr zu werfen. Doch dieses Mal kam nur eine kleine Flamme heraus, die nicht einmal ihre bronzene Schutzhülle erreichte. Er atmete schwer und blutige Tränen kamen aus seinen Augen. Er griff an seine Hüfte, an der er ein Stilett trug, das er nach ihr warf. Es war Runenüberzogen und hatte am Griff einen roten Rubin. Sie wusste instinktiv, dass dies eine Waffe war, um Magier zu töten. Das Stilett durchdrang ihre Schutzkuppel nicht, sondern tauchte bis zur Hälfte darin ein, blieb dann aber stecken. Wütend schrie der Geflügelte auf. Er wollte erneut an seinen Gürtel fassen, doch sie ließ ihn nicht. Sie machte eine Bewegung mit ihrer Hand und der Geflügelte schrie qualvoll auf, als sein Arm wie von einer gigantischen unsichtbaren Kraft herumgerissen wurde, so dass er oberhalb des Handgelenks gebrochen wurde.

*

„Rikarda?“, fragte Jakob plötzlich. Er blickte suchend umher. Auch sie wirkte, als hätte sie ein weit entferntes Geräusch gehört. Doch in Wirklichkeit hatten die beiden etwas Magisches gespürt. Irgendwer zauberte, und zwar jemand sehr Mächtiges. Es war so als wenn etwas auf See explodierte, es ging von starken magischen Aktionen eine Art Druckwelle aus, die in der Umgebung zu spüren waren. Bei wirklich mächtigen Magiern konnte es passieren, dass man noch über 300 Meter entfernt etwas spürte.

Sie waren nun schon die ganze Zeit auf Patrouille und hatten immer noch nichts gefunden. Langsam ging der Mond unter.

„Ja, ich spürte es auch. Da lang.“

Sie rannten so schnell sie konnten durch ein Wohngebiet, in der Nähe der Asklepios Klinik Altona.

Sie bogen um eine Ecke und sahen eine seltsame Szene. Eine Frau stand in einem perfekten Schutzzauber da. Ein Stilett, das vermutlich mit Runen verziert war um Schutzzauber zu brechen, ragte zur Hälfte aus der schimmernden Kugel heraus. Vor ihr kniete schreiend ein Thurul, dessen Arm gebrochen zu sein schien, in einer seltsamen Rüstung. Rikarda konnte deutlich spüren, dass ein Darate-Zauber auf ihn angewandt worden war. Er war benannt nach dem stärksten Magier, der ihn je angewandt hatte. Beim Darate wurde eigene magische Energie in eine Art schwarzes Pulver verwandelt, das in den Gegner eindrang und seine Verbindung zur Magie schwächte oder gar zeitweise kappte. Doch wer immer sie war, sie hatte die Verbindung des Thurul nicht nur wie üblich für einige Minuten gekappt, sondern sicherlich für Tage. Er musste sich fühlen wie taub.

„V.I., sie beide sind verhaftet wegen unerlaubter magischer Aktivitäten“, rief Rikarda und stellte sich auf Widerstand ein.

„V.I.?“, fragte die junge Frau. Sie wirkte verwirrt. Die Abkürzung schien ihr nichts zu sagen.

„Venatores Iniuriae. Sie wissen nicht, wer wir sind?“, fragte Rikarda vollkommen überrascht. Sollte das heißen, dass eine so mächtige Magierin vollkommen unbehelligt und normal unter Menschen gelebt hatte, all die Jahre? Das war unmöglich, sie war so mächtig, sie hätte zwangsläufig auffallen müssen.

„Was ist geschehen?“, mischte sich nun Jakob ein.

„Er hat mich angegriffen, grundlos, wie ich denke. Er wollte mich töten. Ich... wusste es“, erklärte die Frau.

„Ob er es ist?“, fragte Rika.

„Vielleicht“, erwiderte Jakob, während er sein Handy zog, um Verstärkung zu rufen. Doch in dem Moment, wo er die Nummer zu wählen begann, hielten ein VW-Bus und zwei kleinere Fiats mit quietschenden Reifen. Jana Skolwaski stieg aus, und einige andere Leute, die Rika und Jakob kannten. Sie waren vom Aufräum-Kommando. Sie würden den Straßenschaden beheben und sich umsehen, ob irgendein Mensch etwas gesehen hatte oder noch schlimmer, etwas mit dem Handy aufgenommen hatte. Sie alle lebten, weil niemand von ihnen wusste, und das war der Grund für die Reinigungskommandos.

„Ich habe bereits im Hauptquartier gespürt, was hier vor sich geht, warst du das, Mädchen?“, fragte Jana.

Die junge Frau wirkte zwar nicht älter als 30, doch „Mädchen“ empfand sie eindeutig als unpassend.

„Vielleicht“, erwiderte sie. Sie wirkte unsicher. „Ja“, fügte sie nach einem Moment hinzu. „Aber ich weiß nicht wie.“

In diesem Moment brach der Schildzauber zusammen und das Stilett fiel klappernd zu Boden.

„Das ist okay, du bekommst keinen Ärger“, sagte Jana nun, sie wirkte viel freundlicher. Rika war wohler, wenn Jana in der Nähe der Fremden war, denn nach dem, was sie hier sah, fühlte sie sich der jungen Frau nicht gewachsen. Jana hingegen beherrschte angeblich mehr die Magie als die meisten Magier Europas.

„Wie heißt du?“, fragte Jana.

„Man nennt mich Kerina.“

*

Sie nahmen Kerina mit auf die Wache und brachten sie in einen Verhörraum, der magisch gesichert war, so dass sie ihre volle Kraft nicht ohne Probleme nutzen konnte. Der Thurul wurde schnellstens zu Dr. Reikel gebracht, um ihn zu versorgen, man hatte Sorge, dass er seinen Verletzungen erliegen würde.

„Nun, Kerina, wie geht es dir? Kann ich dir irgendetwas bringen lassen?“, fragte Jana ruhig und freundlich, als sie mit Kerina alleine im Verhörraum war. Hinter einem Sichtschutz hörten Rikarda und Jakob mit, doch das Verhör wollte Jana persönlich übernehmen. Das wollte ihr auch niemand streitig machen, immerhin war sie die Einzige, die es mit Kerina problemlos aufnehmen können würde, sollte diese anfangen durchzudrehen.

„Nein, danke. Oder doch, ich hätte gerne etwas zu trinken, ich fühle mich matt“, sagte Kerina.

„Natürlich, das wird daran liegen, dass du vorhin ziemlich starke Magie angewandt hast. Das kann einen schon mal erschöpfen“, erklärte Jana und reichte ihr ein Glas und eine Wasserflasche, die sie aus einem Schrank hinter ihnen holte.

„Magie?“, fragte Kerina. „So nennst du es?“

„Ja, du hast gezaubert, Magie angewandt.“

„Ich habe lediglich gewollt, dass etwas passiert und...“

„Dann ist es passiert“, vollendete Jana ihren Satz. „Das ist die ursprünglichste Form von Magie, die meisten denken, man muss an den Zauber denken, den man ausführen will, also fest an einen Schnitter denken und dann passiert er, aber wenn man mächtig genug ist, muss man sich nicht einmal daran halten, wie man konventionell zaubert, man muss es wollen und dann passiert es.“

„Heißt das, wenn ich gewollt hätte, dass er einfach tot umfällt, wäre er das?“

„Ja, im Prinzip schon. Doch dafür musst du präziser denken, du musst dir zum Beispiel vorstellen, wie sein Herz aufhört zu schlagen. Aber ganz so einfach ist es nicht, wenn er selber zaubern kann, wehrt er sich unbewusst magisch dagegen. Zudem trug er eine Rüstung, die ihn vor dem Meisten hätte schützen sollen, sein Pech war, dass deine magischen Fähigkeiten über denen der meisten liegen. Wieso hat er dich angegriffen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wirklich keine Idee? Kennst du ihn von irgendwoher? Oder hat er dich schon öfter beobachtet?“

„Er war einfach da, erst war da dieses Gefühl verfolgt zu werden, dann wusste ich, er würde mich von oben angreifen, vorher habe ich ihn noch nicht gesehen“, erklärte sie.

„Hattest du in letzter Zeit öfter das Gefühl beobachtet zu werden?“, fragte Jana. Sie war überrascht, dass das Mädchen gespürt hatte, dass er angreifen würde. Nur ziemlich starke Magier konnten bei einem anderen Lebewesen wirklich eine Absicht wahrnehmen, die meisten spürten allerhöchstens, wenn sie sich Mühe gaben, schwach die Gefühlslage des Gegenübers. Und dieses Mädchen hatte unbewusst eine Absicht bei jemandem gespürt, ohne sich auch nur leicht zu konzentrieren. Sie konnte sehr wertvoll für die V.I. sein, oder sehr gefährlich.

„Ja, ein, zwei Mal. Aber sie kontrollieren einen auch dauernd im Krankenhaus. Sie sagen, es sei zu meinem Besten, sie wollen nicht, dass ich etwas Dummes tue, sie glauben, ich bin verrückt.“

„Im Krankenhaus?“

„Ja, dort wohne ich. Ich weiß nicht, wer ich bin, meine letzte Erinnerung ist, wie ich in diesem großen Fluss hier treibe, der Elbe. Jemand zieht mich heraus, dann, später, ist da Lärm, und dann wache ich in hellen Räumen auf.“

„Verstehe, und dann?“, hakte Jana nach.

„Nichts dann, man erklärt mir, dass man mich nackt im Fluss fand, alle sind aufgeregt und ich werde herumgereicht, weil keiner etwas mit mir anzufangen weiß“, erwiderte Kerina mit leichter Verbitterung in der Stimme.

„Ich werde sehen, ob ich dir helfen kann, bei dem Finden deiner Vergangenheit“, versprach Jana und stand auf. „Jetzt aber muss ich los, ich habe einiges zu tun. Entschuldige mich.“

„Warte“, sagte Kerina und blickte sie seltsam an. Sie legte den Kopf schief und hatte dadurch etwas Katzenhaftes.

„Ist noch etwas?“, fragte Jana.

Kerina nickte. „Du wirst jetzt zu dem Geflügelten gehen, zu dem Menschenengel, nicht wahr?“

„Ja, ich werde auch ihn befragen müssen“, erklärte Jana ruhig. Sie fragte sich im Stillen, ob Kerina Gedanken lesen konnte oder nur grobe Absichten spüren. Oder gut raten. Es machte ihr zunehmend Sorge, wie viel magisches Potential dort unkontrolliert auf dem Stuhl vor ihr saß.

„Ich will mit dabei sein, ich will wissen warum“, sagte Kerina ruhig. Sie wirkte in keiner Weise diskussionsbereit. Es war kein Vorschlag, es war eine Feststellung, dass sie mitkommen wollte.

„Kerina, ich mag dich, aber hör mir zu, ich darf dich als Zeugin nicht einfach zu einer Befragung mitnehmen. Vor allem nicht, wenn es sich um einen Fall...“, begann Jana, doch Kerina fuhr dazwischen. „Wenn es sich um einen Fall von Körperverletzung wie diesen hier handelt, ja, aber trotzdem wirst du. Weil du neugierig bist und weil du mich nicht aufhalten kannst. Ich spüre, dass du unsicher bist, du strahlst mir gegenüber nicht die gleiche Selbstsicherheit aus wie allen anderen gegenüber. Ich will nur mitkommen, ich werde ihn schon nicht umbringen, ich will nur Antworten“, erklärte Kerina. Jana nickte langsam. Es könnte interessant werden, das musste Jana sich eingestehen. Zudem spürte sie irgendwo in sich, dass Kerina tatsächlich keine bösen Absichten hatte.

„Komm mit“, sagte sie zu Kerina und ging mit ihr auf den Flur.

Rika McGrath stand dort und blickte überrascht auf Kerina. „Sie nehmen sie tatsächlich mit?“

„Ja, ich will sehen, wie der Thurul reagiert, vielleicht verrät er sich, wir müssen erfahren, wieso sie“, erklärte Jana und ging gefolgt von den beiden Frauen den Flur entlang zum Fahrstuhl.

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