Читать книгу Trollingermord - Hendrik Scheunert - Страница 7
2. Kapitel
ОглавлениеDienstag
Der Rebschnitt war für Gerd Bäuerle und alle anderen Winzer eine besonders zeitintensive Arbeit. Jeder einzelne Stock musste begutachtet sowie individuell bearbeitet werden – dies konnte, bei allem technischen Fortschritt, keine Maschine der Welt für ihn erledigen. Allerdings durfte man den Schnitt nicht allzu früh angehen, da der Weinstock womöglich noch arbeitete. Doch jetzt, im Januar, schien die Rückverlagerung der Reservestoffe abgeschlossen, der ganze Saft hatte sich in die Wurzeln zurückgezogen, weshalb Gerd Bäuerle an diesem kalten Morgen beruhigt mit dem Beschneiden beginnen konnte.
An Tagen wie diesen, wenn er allein im Weinberg unterwegs war, wo nur die rotbraunen Triebe der Reben einen Akzent in der trostlosen Landschaft setzten, bereitete ihm seine Arbeit Freude.
Getrübt wurde diese jedoch dadurch, dass ihm Andre Kalter stets eine Nasenlänge bei Qualität und Ertrag voraus schien, was streng genommen gar nicht möglich sein durfte. Trotz alledem wurde er von ihm bei der letzten Blindverkostung des Weinkonvents Uhlbach erneut, wenn auch knapp, auf den undankbaren zweiten Platz verwiesen.
Dieses Jahr, so viel war sicher, würde sein Plan Früchte tragen oder – dabei konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen – eben nicht.
Nach getaner Arbeit wollte er sich auf den Heimweg begeben, der ihn durch die Weinberge des Uhlbacher Götzenberges führte. An der Weggabelung, von der es linker Hand zu einem wegen seiner guten Lage bekannten Ausflugslokal ging, hielt er inne. Verfolgte ihn da etwa jemand? Oder handelte es sich nur um einen dieser verrückten Jogger, die um diese frühe Stunde ihr Unwesen in den Weinbergen Uhlbachs trieben?
Gerd Bäuerle ließ sich nicht weiter beirren. Er setzte seinen Weg durch die Reben nach unten ins Dorf fort, da stand bei dem großen Stein wie aus dem Nichts jemand vor ihm und fing an, wie wild auf ihn einzureden.
Er kannte die Person nur zu gut, hätte jedoch nicht erwartet, ihn heute Morgen hier anzutreffen. Es entwickelte sich ein hitziger Wortstreit, an dessen Ende sein Gegenüber eine Flasche Wein in der Hand hielt, die er Bäuerle auf den Kopf schlug. Daraufhin drehte der Angreifer sich um und ging davon, als wenn nichts gewesen wäre.
Bevor er gewahr wurde, wie stark er blutete, stand erneut jemand in einem dunklen Jogginganzug und mit einer Mütze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, vor ihm.
»Na, erinnerst du dich an mich, du mieses Schwein?«
Bäuerle hielt inne. Kannte er dieses Gesicht? Doch im Augenblick konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Alle seine Instinkte schienen auf Überleben gepolt. Er wollte weglaufen, doch die Beine versagten ihren Dienst, sodass er sich an den großen Stein lehnen musste.
»Heute wirst du dafür bezahlen.«
Bäuerles letzter Blick fiel abermals auf die Weinflasche. Dann traf ihn diese erneut mit voller Wucht im Gesicht. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihn, als er mit dem Kopf auf den Boden knallte. Langsam wurde alles unscharf. So sieht der Tod aus, dachte er, während es um ihn herum für immer dunkel wurde.
*
Nein, der Wecker von Frank Jonas würde in absehbarer Zeit, zumindest aber bis zu seinem Ruhestand, kein Freund mehr werden. Die Versuche, jenes nervtötende Klingeln an dem Gerät zu eliminieren, waren nicht von Erfolg gekrönt. Erst eine Weile später stellte er fest, nicht der Wecker, sondern sein Telefon war die Ursache der morgendlichen Störung. Denn ginge es nach der Uhr, so hätte er noch über eine Stunde liegen bleiben können.
»Wer ist denn da?«, murmelte er.
»Weißhaar Gerhard, Polizeiobermeister von der Polizeidirektion Untertürkheim. Sind Sie von der Kripo Stuttgart?«, erkundigte er sich.
»Kommt drauf an, um was es geht. Bei Diebstahl oder Schlägereien nicht«, gab Frank zurück, der hoffte, der Beamte würde sagen, er hätte sich verwählt. Doch Gegenteiliges war der Fall.
»Na, dann bin ich ja bei Ihnen richtig. Wir haben eine Leiche in Uhlbach im Weinberg, genauer gesagt im Götzenberg, gefunden. Könnte ein Tötungsdelikt sein.«
»Könnte?«, fragte Frank.
»Na ja, ich glaub kaum, dass er sich die Flasche Wein, die neben ihm liegt, selbst über den Kopf geschlagen hat.«
Da mochte er recht haben, was bedeutete, es gab zwangsläufig wieder Arbeit für ihn sowie seine Kollegen.
»Götzenberg? Kenn ich nicht. Wie komm ich dahin? Ist die Spurensicherung schon informiert?«, wollte er wissen.
Weißhaar gab ihm eine derart ausführliche und detaillierte Wegbeschreibung durch, dass Frank bereits nach dem zweiten Satz den Faden verlor.
»Die sind schon auf dem Weg. Der eine Kollege, Herzog heißt er, glaube ich, wohnt ja gleich ums Eck«, beendete der Beamte letztendlich seinen Redeschwall.
Frank erinnerte sich dunkel daran, Adelbert Herzog erwähnte einmal, in Uhlbach ein Haus zu haben. Dann hatte er wahrhaftig einen kurzen Weg. Mord vor der Haustür quasi.
Er zog sich an, während die Kaffeemaschine in der Küche blubberte, um jenes dunkle Gebräu mit dem anregenden, würzigen Duft durch den Filter laufen zu lassen.
Wenig später saß er am Tisch in der Küche und schlürfte seinen ersten Kaffee. Ohne diesen wurde Arbeit gar nicht in Erwägung gezogen, geschweige denn eine Konversation bestehend aus mehr als einem Satz. Die meisten seiner Kollegen respektierten diesen Spleen. Derjenige, der trotzdem versuchte, mit Frank ein Gespräch aufzubauen, merkte schnell, welch hoffnungsloses Unterfangen dies war. Richard hatte es in den Anfangsjahren ihres gemeinsamen Dienstes ein paar Mal probiert, jedoch bald die Segel gestrichen.
Richard Bauer war Oberkommissar bei der Kripo Stuttgart, so die offizielle Bezeichnung seines Dienstgrades. Auf diese legte er allerdings keinen großen Wert. Mit seinen über 30 Jahren Erfahrung galt er im wahrsten Sinne des Wortes als graue Eminenz der Kriminaldirektion eins. Kurze Zeit später klingelte es bei ihm.
»Du bist ja schon wach«, wurde Frank von ihm begrüßt. »Wie kommt’s?«
»Komm rein, trink einen Kaffee und hör zu«, bekam er von einem unausgeschlafenen Frank Jonas zu hören. »Wir haben einen Mord im Uhlbacher Götzenberg.«
So leicht ihm dieser Satz nach mehr als 20 Jahren bei der Kripo Stuttgart über die Lippen zu kommen schien, für die Angehörigen des Opfers brach mit diesem Ereignis immer eine, wenn auch manchmal nicht so heile, Welt zusammen.
»Uhlbacher Götzenberg«, sinnierte Richard, »sagt mir was.«
»Der Kollege von der Polizeidirektion in Untertürkheim hat mir den Weg äußerst ausführlich beschrieben. So ausführlich, dass ich am Ende gar nichts verstanden habe. Aber Uhlbach werden wir schon finden, von dort ist es wahrscheinlich auch nicht mehr weit«, sprach er zu sich selbst.
Richard schien angestrengt zu überlegen, woher ihm der Name bekannt vorkam.
»Ah, jetzt weiß ich!«, rief er, sodass Frank vor Schreck fast die Tasse mit dem Kaffee aus der Hand gefallen wäre.
»Mann, schrei doch nicht so!«, schimpfte dieser.
Richard erzählte etwas von einer Judith Langer, die er vor einem Jahr kennengelernt hatte. Mit jener ging’s dann, so seine vage Erinnerung, auf eines der zahlreichen Weinfeste, die im Herbst rund um die Grabkapelle am Württemberg stattfanden und Heerscharen von Besuchern aus Stuttgart sowie der nahen Umgebung anzogen.
»Na, dann weißt du ja, wo sich der Tatort befindet. Lass uns losfahren«, erwiderte Frank. Derweil begann Richard, immer blumiger, respektive detaillierter über jene Judith zu erzählen. Er schien schon geneigt zu fragen, was denn dann einer Hochzeit im Wege gestanden habe.
Aber dies war bei seinem Kollegen ein heikles Thema. Schnitt man es zu einem ungünstigen Zeitpunkt an, so musste man darauf gefasst sein, sich den Weg seiner Scheidung sowie jenes damit verbundene Drama in mehreren Akten anzuhören. Frank war an diesem kalten, aber trockenen Januarmorgen nicht wirklich auf ausführliche Konversation aus.
Ausnahmsweise fuhren sie heute mit Richards Auto. Seine »alte Mühle«, wie Frank den blauen Opel stets spöttisch nannte, hatte zum Glück den Geist aufgegeben. Der Oberkommissar sah sich daher gezwungen, seine schwäbische Tugend der Sparsamkeit zu unterdrücken, um ein Autohaus aufzusuchen. Nach zähem Ringen sowie einem den Tränen nahem Autoverkäufer, der ob der Verhandlung mit Richard schon an einen Berufswechsel dachte, kaufte er sich ein SUV einer bekannten Marke aus Niedersachsen. Seine Versuche, ihn für ein schwäbisches Fabrikat entweder aus Sindelfingen oder Zuffenhausen zu begeistern, wurden mit der Begründung, dies sprenge seinen finanziellen Rahmen, abgeschmettert. So saß Frank Jonas heute Morgen neben einem glücklich dreinblickenden Kollegen in dessen SUV.
Das digitale Thermometer zeigte eine Außentemperatur unter dem Gefrierpunkt. Je weiter sie sich den Außenbezirken der Stadt näherten, desto tiefer fiel die Temperatur. In Uhlbach angekommen, wurden gar zweistellige Grade unter null angezeigt.
»Wohin jetzt?«, fragte Frank seinen ratlos dreinblickenden Kollegen, der an der Bushaltestelle rechts ranfuhr, um sich zu orientieren. In diesem Moment hörten sie ein sich von hinten näherndes Geräusch, welches ihm bekannt vorkam. Nachdem es immer lauter wurde, sahen sie, in eine weiße Nebelwolke eingehüllt, einen blauen VW Käfer, der augenscheinlich dem seit Kurzem mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichneten Walter Riegelgraf gehörte. Jener hatte neuerdings auch eine Visitenkarte, auf der in vergoldeten Lettern »Dr. h.c. Walter Riegelgraf, Rechtsmediziner« stand.
»Ich glaube, wir folgen der Wolke«, meinte Frank süffisant, »die sollte uns ans Ziel bringen.«
»Meinst du?«, erkundigte sich Richard skeptisch.
»Hat beim Moses damals auch geklappt. Also warum nicht auch bei uns?«
Sie folgten dem blauen VW Käfer, der in einem atemberaubenden Tempo bei der Kirche rechts abbog. Das Gefährt raste durch die engen Gassen des Örtchens in Richtung der Weinberge, als gäbe es kein Morgen. Dabei wurden die noch friedlich schlafenden Bewohner durch das Röhren des Vierzylinders unsanft aus dem Schlaf geholt.
»Der fährt wie eine gesengte Sau«, murmelte Richard. Er hatte trotz seines gut motorisierten SUV Mühe, bei diesem Tempo mitzuhalten. Kurz nach dem Ortsausgang bog Walter Riegelgraf links auf eine Weinbergstraße ab, der er zielsicher folgte. Etwas oberhalb der Weinberge sahen sie schon die Blaulichter sowie die rot-weißen Absperrbänder, welche den vermeintlichen Tatort kennzeichneten.
»Hier ist also der Uhlbacher Götzenberg«, stellte Frank nüchtern fest.
»Schaut so aus«, antwortete Richard, der mittlerweile die Umluft einschalten musste, um dem Gestank aus dem Vierzylinder des vor ihm fahrenden Walter Riegelgraf zu entgehen.
Der unweit der ehemaligen Stammburg der Württemberger gelegene Götzenberg lag in einem vor Nord- und Ostwind geschützten, sich zum kleinen Kessel öffnenden Seitental des Neckars oberhalb des Stuttgarter Ortsteil Uhlbach. Der Name ging auf einen Fund einer antiken Kultstätte aus der Hallstattzeit im Jahr 1820 zurück.
Der leicht erwärmbare Schilfsandsteinboden des mittleren Keupers prägte diese Lage ebenso wie die gute Durchlüftung, die durch ein sich bei Sonneneinstrahlung einstellendes thermisches Aufwindsystem bedingt wurde. Dadurch waren an dieser Seite des Tales besonders lange Reifezeiten der Reben möglich.
Mit quietschenden Reifen kam das vor ihnen fahrende Vehikel ruckartig zum Stillstand. Kurz darauf, so sah es zumindest aus, schälte sich ein bis zur Unkenntlichkeit vermummter Walter Riegelgraf aus dem blauen VW Käfer.
»Einen wunderschönen guten Morgen, die Herren von der Kripo. Ich hoffe, Sie konnten mir einigermaßen folgen«, rief er unbekümmert.
Eigentlich war der Rechtsmediziner stets eine Frohnatur. Frank musste lange nachdenken, um sich daran zu erinnern, wann er ihn einmal schlecht gelaunt bei der Arbeit gesehen hatte.
»Trägst du jetzt neuerdings Bart, oder ist dir Rasieren zu teuer geworden?«, frotzelte Richard, als er aus dem Auto stieg. Mit größter Überwindung entschloss sich Frank, ebenfalls den Wagen zu verlassen, um die anwesenden Kollegen zu begrüßen.
Die verbalen Dialoge des Kripobeamten und des Rechtsmediziners konnten so manche Bibliothek füllen. Dies trug zur allgemeinen Erheiterung bei, vor allem, wenn die Sprache auf die zahlreichen, jedoch meist erfolglosen Diätversuche des stets mit seinem Gewicht kämpfenden Walter Riegelgraf kam.
Doch dem exzellenten Essen seiner Frau daheim konnte er nicht widerstehen. Und wenn es in der Polizeikantine Zwiebelrostbraten mit Spätzle oder eine Rinderroulade gab, schienen die guten Vorsätzen schlagartig vergessen.
»Was haben wir denn hier?«, fragte er den Polizisten, der für die drei das Absperrband in die Höhe lupfte.
»Einen Toten«, war die kurze, knappe Antwort des Beamten. Der scheint noch keinen Kaffee gehabt zu haben, dachte Frank bei sich.
»Ah, die Herren von der Mordkommission sind auch schon zugegen. Schön, dass Sie es einrichten konnten, hierher in die Kälte zu kommen«, wurden sie von einem offenkundig schlecht gelaunten Adelbert Herzog empfangen, der gerade damit beschäftigt war, seine Sachen aus dem Auto zu holen. Wobei schlecht gelaunt auf den Chef der Spurensicherung fast immer zutraf. Dennoch – seine fachlichen Kenntnisse auf diesem Gebiet waren unbestritten. Deutschlandweit kannte man ihn als einen der fähigsten Köpfe. Warum er nicht beim BKA in Wiesbaden arbeitete, konnte man sich nur mit seiner Heimatverbundenheit erklären. Fragen diesbezüglich blockte er jedoch immer ab. »Schwäbisches Understatement«, fügte er dann hinzu.
»Für einen, der hier wohnt, bis du aber auch recht spät dran«, konterte Richard.
»Ich hab noch meinen Kaffee getrunken. So viel Zeit muss sein«, erwiderte Herzog leicht angesäuert. Frank seinerseits verstand sehr gut, konnte man bei diesen sibirischen Temperaturen seine Wohnung doch nicht ohne einen den Körper von innen wärmenden Kaffee verlassen, denn sonst drohten höchstwahrscheinlich Erfrierungen der äußeren Extremitäten.
Er stand mit seiner dicken Jacke, die Hände in den Taschen vergraben, eine Wollmütze auf dem Kopf am Wegrand und wartete, dass man ihn zu der Leiche führte. Eilig schien es an diesem Morgen hier keiner zu haben. Wieso auch. Der oder die Tote konnte nicht mehr weglaufen. Dazu kamen die gefühlten arktischen Temperaturen, die den Verwesungsprozess in erträglichen Grenzen hielten.
»Dort oben liegt die Leich. Schaut grausig aus.« Der Polizeiobermeister Gerhard Weißhaar zeigte mit seiner Hand auf den vor ihnen liegenden Weinberg.
Adelbert Herzog brummte etwas vor sich hin. Offensichtlich störte es ihn, dass wieder jemand vor ihm den Tatort betreten hatte, was meist ein mehr an Arbeit für ihn bedeutete, da etwaige wichtige Spuren unkenntlich gemacht worden waren.
Ein Positives schien die Steigung im Weinberg für alle Anwesenden zu haben: Es wurde ihnen warm, und sie vergaßen für ein paar Minuten die Kälte.
Walter Riegelgraf war schon am Ort angekommen, wo die, wie sich beim Sichtkontakt herausstellte, männliche Leiche eines älteren Mannes zwischen den Weinreben des Götzenbergs lag.
»Tod durch einen Schlag auf den Kopf«, konstatierte Richard beim Anblick des Toten.
Walter Riegelgraf, der sich über die Leiche bückte, blickte nach oben.
»Sieht zumindest so aus. Liegt noch nicht lange hier. Höchstens zwei bis drei Stunden. Eher weniger. Eine genaue Uhrzeit gibt’s erst nach der Obduktion. Vielleicht hat er zu viel getrunken. Wahrscheinlich ist er dann gestürzt.«
Frank stand zwischen den beiden, die Hände in den Taschen, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, um der Kälte so wenig nackte Haut wie möglich auszusetzen.
»Ich tippe eher auf Tod durch eine Schusswaffe«, meinte er, wobei er mit dem Finger nach oben zeigte.
Richard und Walter Riegelgraf folgten seinem Blick, sahen unweit der Leiche etwas im Gras zwischen den Reben liegen, was von der Sonne reflektiert wurde.
»Eine Patronenhülse«, rief Adelbert Herzog, der mit seinem Alukoffer mittlerweile ebenfalls den Fundort der Leiche erreicht hatte.
»Streber«, gab er zurück, machte sich aber gleich daran, das Projektil in einer Tüte zu sichern.
Richard war erstaunt über den scharfen Blick seines Kollegen.
»Alle Achtung. Aus der Entfernung eine Patronenhülse zu erkennen, noch dazu, wenn sie im Gras liegt.«
»Der ist halt nicht so ein Blindfisch wie du«, frotzelte Riegelgraf, während er sich die Leiche genauer ansah.
»Vorläufige Todesursache«, stellte er nach einer ersten Begutachtung fest, »der Mann hat mindestens einen ziemlich heftigen Schlag mit der Flasche hier auf den Kopf bekommen. Da wollte jemand auf Nummer sicher gehen.«
»Schlag? Was ist mit der Patronenhülse?«, fragte Frank, der oberhalb am Weg stand, um so besser auf den Tatort herunterschauen zu können. »Sieht mir nach einer Tat im Affekt aus.«
»Wahrscheinlich hat ihm da oben am Weg einer die Flasche auf den Kopf geschlagen. Er ist dann hier runtergefallen, aber einen Einschuss kann ich auf den ersten Blick keinen erkennen. Wer weiß, vielleicht ist die Patrone auch noch von der Silvesterballerei.«
Richard deutete auf den Weg weiter oben, grinste Frank an, machte dabei mit Daumen sowie Zeigefinger eine Pistole. Dieser quittierte seine Grimasse mit dem ausgestreckten Mittelfinger.
»Schade um den guten Tropfen«, seufzte Walter Riegelgraf, als er auf das Etikett der Flasche sah. »Ein Lemberger vom Uhlbacher Götzenberg. Sehr guter Jahrgang. Entfaltet auf dem Gaumen ein Aroma von Kirsche, Cassis und schwarzem Pfeffer.«
»Jetzt lasst mich mal hier meine Arbeit machen, ihr Weinexperten«, maulte Adelbert Herzog. »Man könnte ja meinen, ihr hättet sonst nix zu tun.«
»Wer hat ihn eigentlich gefunden?«, schaltete sich Richard ins Gespräch ein.
»Der Jogger da oben. Heute Morgen bei seiner Runde«, erwiderte der Polizeibeamte. »Wie kann man nur bei den Temperaturen durch die Weinberge rennen?« Er schüttelte verständnislos den Kopf.
Als Adelbert Herzog Richard beiseitegeschoben hatte, blieb er abrupt stehen.
»Das ist ja der Gerd Bäuerle!«, rief er völlig konsterniert. »Wie, um Himmels willen, konnte so was passieren?«
»Du kennst den Toten?«, erkundigte sich Richard erstaunt.
»Sicher. Der wohnt unten im Ort, ist Mitglied des Weinkonvents Uhlbach. Ein Zusammenschluss der örtlichen Winzer. Ein feiner Kerl. Zumindest, was ich über ihn gehört habe.«
Er brauchte eine Weile, um sich wieder zu sammeln, bevor er seine Arbeit aufnahm. Walter Riegelgraf zog sich die Handschuhe aus, wandte sich dann an die beiden Kommissare: »Alles Weitere nach der Obduktion. Aber die Todesursache scheint eindeutig zu sein.«
Frank stand am oberen Wegrand und blickte sich um. Sein Blick wanderte über ein kleines Häuschen im Weinberg, welches den Arbeitern zum Schutz vor Wind und Wetter diente, hinüber zu dem auf der Höhe liegenden Ausflugslokal Sieben Eichen, dem Bergkamm Richtung Rüdern, dann wieder zum im Tal gelegenen Örtchen Uhlbach. Auf der Bank vor dem großen, unbehauenen Stein saß, etwas abseits vom Fundort des Toten, völlig abwesend der Jogger, der die Leiche gefunden hatte.
»Mein Name ist Frank Jonas von der Mordkommission. Wir untersuchen den Todesfall hier. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«, begann er.
»Was wollen Sie wissen?« Der Mann, Anfang 30, dick vermummt, dazu eine Wollmütze auf dem Kopf, schaute ihn an.
»Ist Ihnen heute Morgen bei Ihrer Runde irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«, erkundigte sich Frank.
Der junge Mann schob seine Mütze etwas nach oben und schien nachzudenken.
»Nein, alles ruhig, nichts Ungewöhnliches«, antwortete er schließlich.
Frank bat um die Personalien des Mannes, dann gab er ihm seine Visitenkarte, mit der Bitte, ihn anzurufen, falls ihm noch etwas einfiel. Die meisten Menschen, die eine Leiche gefunden hatten, standen anfangs unter Schock. Die Erinnerungen an Details kamen erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder hervor, wenn das Erlebte einigermaßen verarbeitet worden war.
Deswegen machte es momentan für Frank keinen großen Sinn, ihn mit Fragen zu löchern. Zufriedenstellende Antwort würde er im Moment sowieso nicht erhalten.
Er verabschiedete sich von dem jungen Mann, der daraufhin im Laufschritt von dannen lief. Danach begab Frank sich wieder zum Tatort.
»Mit dem Todeszeitpunkt bist du dir in etwa sicher? Ich meine nur, falls wir jemand nach einem Alibi fragen sollten.« Er wandte sich an Walter Riegelgraf.
»Na ja, angesichts der Temperaturen ein schwieriges Unterfangen. Aber grob, wirklich ganz grob geschätzt, heute Morgen gegen 6 Uhr, vielleicht auch eine Stunde früher oder später.«
»Danke.«
Frank lief wieder ein paar Schritte den Weg nach oben. Weshalb, wusste er nicht so genau, aber es half ihm beim Nachdenken. Was wollte der Mann um diese Zeit hier draußen? Kein Auto stand in der Nähe. Auch Reifenspuren waren in der unmittelbaren Umgebung nicht auszumachen. Ziemlich rätselhaft, fand er. Einen Schuss, so er denn heute Morgen gefallen war, müsste jemand gehört haben. Er nahm sein Notizbuch hervor, für welches Frank von vielen belächelt wurde, und schrieb sich seine Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten, auf.
Er griff zum Telefon, rief seinen Kollegen Manfred Gühring an, der mit Sicherheit schon im Büro weilte. Lisa Danninger, die sie liebevoll »Küken« nannten, befand sich auf einer Fortbildung in Villingen-Schwenningen. Somit stand sie zurzeit nicht zur Verfügung. Ihr Vorgesetzter, Kriminaldirektor Horst Müller-Huber, erklärte sich zum Leidwesen der ermittelnden Kommissare spontan bereit, bei etwaigen Ermittlungen mit Rat und Tat zur Verfügung zu stehen. Man zweifelte zwar nicht am Sachverstand Müller-Hubers, nein, es war eher sein Mundwerk, für welches er, so Richard, einen Waffenschein benötigte. Auch seine Abneigung gegen jedwede drahtlose Kommunikationsmittel ging ihm langsam auf die Nerven.
»Gühring, Mordkommission Stuttgart«, meldete er sich. »Was kann ich für Sie tun?«
»Eine ganze Menge, lieber Kollege«, begrüßte ihn Frank. »Für den Anfang bräuchte ich die Meldeadresse eines gewissen Gerd Bäuerle.«
»Ah, die Herren Kriminalkommissare. Ich wünsche ebenfalls einen guten Morgen. Wo seid ihr gerade?«, fragte Manfred. Gleichzeitig suchte er im Melderegister nach dem genannten Namen, den er kurz darauf auch fand.
Frank brachte ihn derweil auf den Stand der Ermittlungen.
»Na dann werden wir mal wieder zum unangenehmen Teil unseres Berufes übergehen«, seufzte er.
»Hat unser Beruf eigentlich auch angenehme Seiten?«, frotzelte Manfred. »Abgesehen davon, dass wir jede Menge Überstunden machen, kein Wochenende haben, uns beschimpfen lassen müssen und uns um den Abschaum der Menschheit kümmern sollen.«
»Na ja, wir dürfen ungestraft mit Blaulicht durch die Gegend fahren. Ist doch auch was«, erwiderte Frank lakonisch, um sich gleich darauf zu verabschieden.
»Ich hab die Adresse«, rief er Richard zu, der sich mit dem Spurensicherer unterhielt.
Er stieg die schmale Treppe zwischen den Weinreben hinunter, wo sich sein Kollege derweil mit dem Spurensicherer unterhielt.
»Hast du was rausgefunden?«
»Manfred hat mir die Adresse des Toten rausgesucht. Ich denke, wir fahren da gleich mal vorbei, bevor es die Angehörigen von jemand anders erfahren. In so einem kleinen Dorf verbreiten sich derartige Nachrichten schneller als mit DSL.«
In dieser Hinsicht kam er nicht umhin, Frank recht zu geben.
»Hast du den Jogger befragt?«, erkundigte er sich, weil er bemerkte, dass der Sportler sich gerade im Laufschritt vom Tatort entfernte.
»Ja, aber der konnte auch nicht viel beitragen. Ich habe mir seine Adresse notiert. Mehr ist momentan nicht drin.«
»Was habt ihr eigentlich die ganze Zeit diskutiert?«, wollte Frank wissen.
»Ach, der Adelbert hat mir erklärt, wem welcher Weinberg hier in der Gegend gehört. Mit den Namen konnte ich freilich, außer von Gerd Bäuerle, nichts anfangen.«
»Aha«, gab der etwas lustlos zurück.
»Der Weinberg gegenüber gehört übrigens auch dem Gerd Bäuerle«, fuhr Richard fort, der zu merken schien, wie sich Franks Interesse dem Gefrierpunkt näherte. »Da frage ich mich schon, was er ausgerechnet hier gemacht hat. Noch dazu um diese Uhrzeit.«
»Ich kann’s dir nicht sagen«, antwortete Frank mit zuckenden Schultern. »Ein Spaziergang vielleicht?«
»So etwas glaubst du doch nicht wirklich«, meinte Richard. »Frühmorgens, bei den Temperaturen?«
Frank zweifelte diese Theorie selbst an. Aber ihm wurde trotz der warmen Kleidung langsam kalt, da war es schwierig, klare Gedanken zu fassen. Außerdem mussten sie schnellstmöglich die Angehörigen von Gerd Bäuerle informieren. Sie stiegen ins Auto, wo Frank Richard die Adresse des Toten gab.
Kurz bevor sie wieder auf die Straße, die hinunter nach Uhlbach führte, einbiegen wollten, kam ihnen ein roter Traktor entgegen, der eindeutig mit voller Absicht den Weg versperrte. Der Mann auf dem Gefährt gestikulierte wild mit seinen Händen und schien nicht gewillt, den Weg freizugeben.
»Fahr doch einfach nach links, dann lass uns vorbei«, schimpfte Richard in seinem Auto.
Doch der alte Mann ließ sich nicht beirren, denn er machte keine Anstalten, die Straße freizugeben. Richard blieb nichts anderes übrig, als auszusteigen.
Frank folgte ihm, wenn auch widerwillig. Sie gingen zum Traktor, auf dem jener Fahrer saß und vor sich hin brabbelte.
»Würden Sie freundlicherweise ein Stück nach rechts fahren, damit wir mit unserem Auto an Ihnen vorbeikommen«, bemühte sich Richard um einem höflichen Ton.
»Könnte Ihnen so passen. Erst die Abkürzung durch die Weinberge nehmen, dann noch so frech sein, hier vorbeifahren zu wollen«, schimpfte er.
»Ich glaube, Sie verstehen da was falsch«, schaltete sich Frank in die Konversation der beiden ein.
»Ich versteh überhaupt nichts falsch. Ihr fahrt jetzt schön wieder zurück, um die reguläre Straße zu benutzen, so wie die anderen auch«, gab er sich unversöhnlich.
Der Mann, den Frank auf Ende 80 schätzte, verschränkte seine Arme vor der Brust.
»Guter Mann, zum letzten Mal: Geben Sie den Weg frei«, versuchte es Richard erneut.
»Nein!«, war die prompte Antwort.
»Gut, dann müssen wir Sie leider anzeigen, weil Sie einen Polizeieinsatz behindern«, erwiderte Frank mit einem scharfen Unterton in der Stimme.
Zum ersten Mal schienen sich Zweifel im Gesicht des Traktorfahrers zu zeigen. Bevor er antworten konnte, holten Frank und Richard ihre Dienstausweise heraus, um sie dem Mann unter die Nase zu halten.
Ungläubig starrte er die beiden an.
»Seid ihr von da hinten gekommen? Vom Bäuerle seinem Weinberg?«, erkundigte er sich.
Richard nickte.
»Was ist mit dem Bäuerle? Ist er tot?«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Frank.
»Na, wärt ihr sonst da?«
Er überging die Frage.
»Dürften wir erfahren, wer Sie sind?«
»Hans Kupernick, mir gehören die Reben neben dem vom Bäuerle.« Er zeigte mit seiner knochigen Hand auf den Weinberg daneben.
»Danke, vielleicht werden wir im Laufe der Ermittlungen noch Fragen an Sie haben«, fuhr Richard fort, reichte ihm dann seine Visitenkarte. »Jetzt fahren Sie bitte mit dem Traktor rechts ran, damit wir vorbeifahren können.«
»Krieg ich ’ne Anzeige?«
»Verdient hätten Sie’s«, meinte Frank. »Aber für heute belassen wir es bei einer mündlichen Ermahnung.«
Sie gingen wieder zum Auto, während Hans Kupernick seinen Traktor nach rechts lenkte, woraufhin Richard ohne Probleme vorbeifahren konnte.
»Der muss jetzt erst mal verdauen, dass er um ein Haar eine Anzeige kassiert hätte«, meinte Frank amüsiert.
»Wenn schon. Dann haben wir wenigstens etwas Ruhe«, gab Richard zurück.
Nun mussten sie einem Angehörigen die Botschaft vom Verlust eines geliebten Menschen überbringen. Dies gehörte, so Franks Meinung, zu den unangenehmsten Aufgaben eines ermittelnden Beamten. Dabei etablierte sich im Laufe der Jahre ein, manch einer würde sagen, makabres Ritual. Beide spielten kurz zuvor Schere, Stein, Papier. Der Verlierer musste daraufhin den Angehörigen die traurige Botschaft überbringen.
Diesmal traf es Frank, nachdem er mit der Schere gegen den Stein verlor. Er überlegte, als sie vor dem Haus von Gerd Bäuerle in der Kufsteiner Straße hielten, wie er es für die Angehörigen am schonendsten formulieren konnte.
Im Gleichschritt gingen sie die Stufen zu dem frei stehenden Einfamilienhaus hinauf und betätigten die Klingel. Die Melodie des berühmten Big Ben in London ertönte. Einige Zeit später sahen sie durch die milchige Glastür, wie sich jemand auf sie zu bewegte. Dann wurde die Tür aufgeschlossen. Vor ihnen stand eine Frau Ende 30 mit braunen langen Haaren im beigefarbenen Morgenmantel. Offenkundig wenig erfreut, erkundigte sie sich nach dem Anlass ihres Besuches.
»Sie sind aber nicht von den Zeugen Jehovas?«, fragte sie. »Wir haben nämlich unsere Religion. Wechseln wollen wir auch nicht.«
»Guten Morgen«, entgegnete Frank, überging die Frage und zeigte ihr seinen Ausweis. »Kripo Stuttgart, sind Sie mit Herrn Gerd Bäuerle verwandt?«,
»Ich bin seine Frau, Greta Bäuerle«, erwiderte sie mit einem leicht pikierten Unterton in der Stimme.
Woher soll ich das wissen. Sie hätte ebenso gut die Tochter sein können, kam es ihm in den Sinn. »Dürfen wir kurz reinkommen?«
»Um was geht es?« Ihre Anspannung schien zu steigen. Ob sie etwas ahnte? Wenn sie die unzähligen, meist schlecht gemachten Fernsehkrimis sah, würde sie zumindest eine vage Vorahnung haben.
»Das würden wir gern drinnen mit Ihnen besprechen. Hier draußen ist es zurzeit etwas kalt«, meinte Richard.
»Also gut, kommen Sie rein, aber die Schuhe bitte ausziehen«, entgegnete sie.
Sie folgten der Anweisung und gingen durch den Flur in ein geräumiges Wohnzimmer, welches durch große Fliesen sowie Teppiche, die nicht billig zu sein schienen, eine gewisse Behaglichkeit ausstrahlte. Einige Holzscheite im Kamin neben der Terrassentür brannten vor sich hin und unterstrichen das edle Ambiente.
Sie nahmen auf dem großen Ecksofa Platz, während Greta Bäuerle mit einem Tablett, drei Tassen und einer Kaffeekanne den Raum betrat.
»Ich nehme an, Sie trinken um diese Zeit auch noch einen Kaffee«, sagte sie, in einem etwas freundlicheren Ton.
»Kaffee geht immer«, seufzte Frank, der hoffte, dadurch die unangenehme Nachricht aufzuschieben.
Greta Bäuerle setze sich auf den Diwan, nahm einen Schluck aus der Tasse.
»Also, um was geht es? Kripo, sagten Sie? Dann ist es bestimmt wegen des Einbruchs im Büro der Genossenschaft letzte Woche. Aber mein Mann ist leider unterwegs. Er musste heute Morgen in den Weinberg, die Reben beschneiden. Das kann dauern. Er ist erst gegen Mittag zum Essen wieder da.«
Frank stellte die Tasse auf den Glastisch, lehnte sich nach vorn, stützte seine Ellenbogen auf die Knie.
»Wir kommen nicht wegen des Einbruchs«, erwiderte er, »aber darauf werden wir im Laufe unserer Ermittlungen bestimmt noch einmal zu sprechen kommen.«
Er schaute ins angespannte Gesicht von Greta Bäuerle.
»Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir Ihren Mann heute Morgen tot aufgefunden haben.«
Nun war es endlich raus. Der Satz, der bei Angehörigen des Opfers für immer alles veränderte. Dieser eine Moment, wo eine bisher oft heile Welt zusammenbrach. Er schaute sie, die erste Reaktion erwartend, an.
Sie sagte nichts. Die Mimik ihres Gesichts ließ keine Rückschlüsse darauf zu, was in ihrem Inneren vor sich ging. Vom Weinkrampf über einen Ohnmachtsanfall bis hin zur Gleichgültigkeit schien in dieser Sekunde alles möglich.
Greta Bäuerle stand auf, die Tasse fest in der linken Hand haltend, und ging dann zur Terrassentür. Frank sah Richard fragend an.
»Wie ist es passiert?«
Die Frage überraschte Frank. Mit so einer Reaktion hatten beide nicht gerechnet.
»Was meinen Sie?«, erkundigte er sich irritiert. Es kam ihm vor, als würde sie diese Nachricht nicht aus heiterem Himmel treffen.
Sie sah aus dem Fenster. Frank konnte nur ihre Silhouette von hinten, nicht aber die Mimik in ihrem Gesicht erkennen. Stellte sie sich mit Absicht so hin, um ihre Reaktion auf die Nachricht vom Tod ihres Gatten zu verbergen?
»Wie ist er gestorben? Ich meine, Sie kommen ja nicht hierher, wenn er nicht getötet worden wäre.«
Sie drehte sich um, kam wieder zu ihnen und setzte sich an ihren Platz.
»Wir ermitteln immer bei einem Tötungsdelikt. Ob Selbstmord oder Mord ist für uns erst mal nicht relevant«, fuhr Richard fort.
»Dann hat ihn also jemand ermordet. Gerd hatte keinen Grund, sich umzubringen«, stellte sie emotionslos fest.
Frank musterte sie unauffällig. Bis jetzt konnte er sich kein für ihn zufriedenstellendes Bild von dieser Frau machen. Einzig, wie sie trotz der niederschmetternden Nachricht in der Lage schien, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, nötigte ihm Respekt ab.
»Ihr Mann wurde in der Tat ermordet«, erwiderte er. »Haben Sie eine Ahnung, wer so etwas getan haben könnte?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Gerd hatte keine Feinde. Schon gar niemanden, der ihm so etwas antun würde. Klar gab es hier die eine oder andere Meinungsverschiedenheit. Aber in einer Genossenschaft wie der unseren ist so was doch normal.«
»Sie erwähnten vorhin einen Einbruch. Wurde etwas gestohlen?«, erkundigte sich Richard. Unter Umständen bestand ein Zusammenhang zwischen den beiden Straftaten, auch wenn es sich dabei wahrscheinlich eher um eine Wunschvorstellung handelte. »Soweit ich weiß, wurde nichts gestohlen. Gerd hat sich nur aufgeregt, weil die Versicherung den Schaden mit der Glasscheibe nicht übernehmen wollte. Haben Sie sonst noch Fragen? Ich möchte jetzt gern allein sein.«
Für die Kommissare bestand vorerst keine Notwendigkeit für Nachfragen. Sie verabschiedeten sich und begaben sich wieder hinaus in die eisige Januarkälte.
»Die hat was zu verbergen«, sagte Richard.
»Wie kommst du da drauf?«
»Na überleg doch mal, wie sie reagiert hat. Richtig nüchtern. Als wenn sie froh ist, ihn endlich los zu sein. Der ist tot, sie kriegt sein Geld. Wenn ich so nachdenke, dann ist das bestimmt nicht wenig. Damit hätte sie jedenfalls ein prima Motiv.«
Frank wollte ihn erst mit dem Hinweis, jeder Mensch würde auf solche Nachrichten anders reagieren, unterbrechen. Ebendiese Begründung, die Richard aber nachschob, klang logisch. Letztlich wurden weit über 80 Prozent der Morde von engen Angehörigen begangen. Nicht, wie im Fernsehen immer suggeriert wurde, von dem großen Unbekannten.
»Vielleicht hast du recht. So was müssten wir prüfen. Schlecht sieht sie ja nicht aus«, stellte Frank fest.
»Nana. Du hast die Lisa. Wenn, dann ist sie eher was für mich«, grätschte Richard verbal dazwischen.
»Ich denke, du bist dafür schon wieder zu alt«, meinte Frank trocken.
»Älter vielleicht. Aber dafür mit Erfahrung«, grinste Richard.