Читать книгу Europäer, unterwegs - Henning Puvogel - Страница 7
4.
ОглавлениеJetzt, um kurz nach zehn, trug Petersen sein Landgangspäckchen, sozusagen.
Jeans, neutrales weißes T-Shirt, leichte braune Lederjacke. Aber halbwegs neue Bootsschuhe, die er extra eingepackt hatte.
Er war ein wenig über die vereinbarte Zeit, weil er das Motorrad weit hinter der hohen Deichauffahrt in der schattigen, baumgesäumten Allee mit den kleinen Cafés abgestellt hatte.
Es wurde schon wieder heiß. Im grellen Sonnenlicht lag vor ihm jetzt ein weitläufiger, nicht öffentlicher Jachthafen mit Fingerstegen, schicker, flaggenbewehrter Tankstelle und flachem Wellenbrecher.
Hunderte von Segel- und Motoryachten – kaum eine unter zwölf Metern.
Hinter der Bunkerpier die Vorführmodelle, zwei Sechzigfüßer – Ein- und Zweimaster mit 30-Meter-Masten. Megateure, funkelnagelneue Spitzenmodelle ihrer Art. Längsseits festgemacht mit einer Armada dicker Ballonfender, Gangway ausgebracht.
Als Paradestück davor eine riesige schwarze Motorjacht mit ausgeprägtem negativen Sprung, schwärzlichen, blickdichten Glasflächen und langer Badeplattform. Keine Öffnungen, nirgendwo – nur hinten eine Art Tresortür aus schwarzem Panzerglas.
Von innen blickte man wahrscheinlich heraus wie aus einer klimatisierten, luxuriösen Grabkammer des Thutmosis I. Von außen wirkte sie, als sei sie luftdicht in hochglänzende, transparente Zellophanverpackung eingeschweißt. Das bucklige Design sollte möglicherweise an einen sprungbereiten Panther gemahnen – es gab jetzt auch solche Mercedeswagen, deren ganz ähnliche Formen allerdings mehr das vergebliche Bemühen offenbarten, sich britischem Jaguardesign anzunähern. Offenbar nahm der Geschmack der poser, der Zuhälter und der neuen Börsenelite auch solche Verirrungen klaglos, wenn nicht begeistert hin.
Davor ein riesiger, pseudo-kubistischer Gebäudewürfel mit asymmetrisch ansteigender Dachfront und verglastem Eingangsbereich. Endlos lange Bootshallen, daran angebaut. Weitläufige, geschwungene Parkplätze, mit rotem Klinker zugepflastert; dekoriert mit Volvo- und BMW-SUV. Von superkurzen, besprengten Rasenflächen umgeben, auf denen summend zwei Mähroboter wie Riesenkäfer aus Plastik scheinbar orientierungslos umherruckelten.
Er betrat die kühle Eingangshalle und sah sich in dem menschenleeren Raum um. Von irgendwoher tönte gedämpft instrumentale, weichgespülte Popmusik – er glaubte, Evergreens wie Hello, Goodbye zu erkennen.
Mehrere geschwungene weiße Tresen, Sitzgruppen mit modernistisch gestylten Ledersesseln mittendrin, blitzende Espressomaschinen. Alles in weiß gehalten, auch der riesige Schriftzug NOVA YACHTING. Weiße Kaffeebecher mit dem Aufdruck Navigare necesse est.
Nicht nur John Lennon, auch Klaus Mewes hätte sich in seinem Seemannsgrab auf der Doggerbank vermutlich umgedreht.
Immer diese Erinnerungen, die einen so unvermittelt anfielen – wahrscheinlich wurde man alt… wann war das gewesen, als sie in die Altdeutsche Diele nach Steinhausen gefahren waren, wo der Hamburger Dichter Kinau am flackernden Kaminfeuer aus seinem Buch vorgelesen hatte? Das er ihm anschließend lächelnd signiert hatte mit ‚Rudl Kinau’, als sei er ein besonderer Kinderfreund… wie hieß es doch, ‚Braune Segel im Wind’…? Damals eines seiner Lieblingsbücher – neben „Seefahrt ist Not“ natürlich.
Auf der Rückfahrt nach Hause war es so neblig gewesen, dass Vater, ohnehin durch seine Kriegsverletzung fast nachtblind, seine neuen Halogenscheinwerfer hatte einschalten müssen und es nur im Schritttempo voranging… zehn musste er gewesen sein. -
Ganz hinten in dem mit imitiertem Fischgrätenparkett ausgelegten Raum öffnete sich jetzt eine Glastür. Ein noch junger Angestellter in hellem Sommeranzug hielt auf ihn zu. Halb Dressman, halb Leibwächter – mit tadellosen Manieren und maßgeschneiderten, braunen Sebagos an den Füßen.
Mit einem Blick hatte er Erscheinung und Outfit seines Gegenübers einsortiert – war aber weit entfernt davon, auch nur ansatzweise eine Augenbraue zu heben oder ein noch so unauffälliges Lächeln über sein gebräuntes, langes Gesicht huschen zu lassen. Dafür war er ein zu perfekt geschulter und erfahrener Verkäufer.
Im Jachtbusiness musste man mit allem rechnen… der abgerissenste Hippie konnte noch der Erbe eines Fabrikanten sein. Das schwarze Schaf der Familie, dem der Firmentycoon wenigstens ein vierstöckiges Parkhaus am Genfer See vererbt hatte, damit der Taugenichts ein Monatseinkommen hatte und nicht zur Gänze von der staatlichen Fürsorge abhing.
Solche Gedanken galt es in Zukunft allerdings wohl besser ein bisschen fernzuhalten – er saß ja neuerdings selbst ziemlich im Glashaus, was dubiose Erbschaften betraf… aber d a s Geld war seinem Halbbruder ja von einem norwegischen Reeder aufgedrängt worden. Quasi eine Art Abfindung… bis heute war ihm nicht restlos klar, warum Per ihm eigentlich ohne Erklärung die Hälfte davon überwiesen hatte. Wahrscheinlich als eine Art Schweigegeld.
Ob sich diese Summe allerdings auf seinem Kontokorrentkonto gut ausmachte – davon war Anneke schon seit längerem nicht mehr überzeugt. -
Der alerte, aber nicht unsympathische Verkäufer streckte ihm verbindlich, ein wenig flüchtig lächelnd die Hand entgegen:
„Schöne guten Morgen – willkommen in den Niederlanden, Herr Peters… hatten Sie eine gute Fahrt, hoffe ich?“
Es war der gleiche Mann, den er vor Tagen am Telefon gehabt hatte. Der Nachname war nicht gut zu verstehen gewesen, mit dem er sich eben vorstellte. Aber er erkannte die etwas raue Baritonstimme, die eher zu einem weit älteren Mann gepasst hätte, und den Tonfall wieder.
Der Holländer war riesig – da fehlte wenig oder gar nichts an zwei Metern. Fehlendes Selbstbewusstsein war seine Sache nicht, und sein Deutsch war fast fließend.
Aber verglichen mit dem Telefonat war er heute geradezu wortkarg. Petersen fragte sich, woher er offenbar wusste, dass er der erwartete Kunde-in-Spe war. Er hatte noch kein Wort gesagt.
„Kommen Sie – ,“ einladend und ohne auf eine Vorstellung des anderen zu warten, wies der semmelblonde Hüne auf eine der Sitzgruppen in der Halle,
„wir gehen da herüber… nehmen einen Kaffee, wenn Sie mögen – dort sind wir ungestört und können uns unterhalten. “
Er ging voraus und lud im Vorbeigehen selbst die silberne Kanne, die offenbar vorgefüllt war, zwei Becher sowie Zuckertütchen und Stanniol-Milchdöschen auf ein Tablett, stellte alles auf dem Tisch ab, verteilte und setzte sich Petersen gegenüber. Schenkte ihm und auch sich selbst ein und lehnte sich zurück, nicht völlig entspannt:
„Sie kommen wegen der Sechsundvierziger Hallberg, wenn ich mich gut erinnere – Mijnheer Peters, doch richtig…? Wir hatten telefoniert. Sehr schönes Schiff, die Walhalla … der Eigner will vielleicht verkaufen. Auch ein Deutscher… sollen wir hinfahren? Eine Blick darauf werfen, wie sagt man?“
Er warf einen dezenten Blick auf seine Armbanduhr:
„Es würde grade passen – ich fahre Sie hin.“
Petersen verrührte mit dem gelochten Plastikstäbchen den Zucker in seinem Kaffee und nahm einen Schluck, unangenehm überrascht.
„Hinfahren… dann liegt das Boot gar nicht hier…? “ –
Sein Gegenüber hatte den Kaffee nicht angerührt, nestelte ein superflaches Smartphone aus der Hosentasche, schielte drauf und legte es vor sich hin.
„Der Eigner hat es an seinem festen Liegeplatz gelassen… nicht weit von hier. Eine halbe Stunde mit dem Wagen. In Port Zelande – wissen Sie, wo das ist? Dort wohnt er auch manchmal und hat ein Appartement, glaube ich… wir sind ja Generalimporteur von Ferretti Crafts, Mangusta und Hallberg-Rassy. Hier in unseren Hafen haben wir nur unsere neue Schiffe. Wir brauchen den Platz, auch wenn wir bald erweitern wollen. Mit gebrauchte Boote machen wir eigentlich nur, die wir ’reinnehmen – aber dies haben wir mit angeboten. Wir kennen den Eigner schon lange…“
Er griff in die Innentasche, fummelte eine Visitenkarte aus Karton heraus und warf einen Blick darauf, bevor er sie ihm über den Tisch hinschob.
„Ich kann mir den Namen nicht sehr gut merken – er ist nicht wie Schmidt, oder Peters…“
Petersen nahm sie auf und warf einen Blick darauf: Arthur Theyß-Blomquardt, jun.
Nur der Name – kein Beruf, keine Adresse, nichts weiter.
„Wollen wir hinfahren…? Sehr gepflegtes Schiff, schon etwas älter… und ein sehr fairer Preis!“
Petersen legte den rechten Fuß auf sein linkes Knie und lehnte sich bequem zurück, die elegante Mugg in der Hand. Er war leicht irritiert – aber entschlossen, sich nicht anstecken zu lassen von der verhalten ungeduldigen Aura, die der andere bei aller Höflichkeit ausstrahlte. Als warteten noch andere, weit wichtigere Termine auf ihn.
„Doch, sicher… deswegen bin ich hier. So etwas in der Art suche ich. Ich wusste allerdings nicht…“
Er ließ den Satz in der Luft hängen und nahm zögerlich einen Schluck von dem frischen Kaffee. Schüttelte unmerklich den Kopf und blickte zweifelnd, als sei sein Interesse nun ins Wanken gekommen – er ein bisschen getäuscht worden.
Der andere schob seinen Becher zurück, lächelte jungenhaft und erhob sich spontan: „Kommen Sie – kein Problem, Mijnheer Peters. Sie werden begeistert sein. Ich hole die Schlüssel aus dem bureau.“
Er betonte die erste Silbe wie ein Schweizer.
„Trinken Sie inzwischen in aller Ruhe – Ihre Koffie aus… ich bin gleich wieder da.“
*
Als sie den langen, leicht schief liegenden Betonschwimmsteg hinuntergingen, vorbei an den endlosen Reihen der Jachten, stiegen erneut fast zwangsläufig Erinnerungen hoch – wie er vor fünfundzwanzig Jahren mit Anneke in Fehmarnsund dem greisen Eigner der „Jan van Gent“ mit seinem wehenden Lodenmantel gefolgt war, der ihnen, deutlich widerwillig, dann doch sein Schiff vorgestellt hatte. Das dann fast zwei Jahrzehnte in ihren Besitz übergegangen war, bis sie es selbst verkauft hatten. Verkaufen mussten… damals kannten sie sich grade mal drei Jahre und waren mit seinem uralten Passat angereist. Weder Lisa noch Jonas waren schon auf der Welt gewesen, Anneke war grade dreiundzwanzig geworden… sie waren jung, blauäugig und hatten alle Ersparnisse zusammengekratzt…
Tempi passati. Jetzt waren sie im metallic-silbernen SUV mit der Aufschrift NOVA YACHTING zu diesem riesigen Schiffsparkplatz gerauscht. Den die Niederländer in gewohnt hemdsärmeliger Manier, wahrscheinlich in einem Jahr Bauzeit, an der Südseite des Absperrdammes zwischen den Halbinseln Duiveland und Goeree in eine künstlich aufgespülte Insel hineingebaggert hatten.
Marina Port Zelande: vorn dreistöckige Betonklötze mit Luxusappartements, Liegeplätzen davor und „Harbour-Maisonnettes“, was immer das war – dahinter zur Seeseite Jachtliegeplätze, schätzungsweise fünfhundert.
Aber sie hatten schon auch echte Blauwassersegler dort liegen. Weit hinten.
Petersen hatte den weißen Rumpf mit den zwei Masten, vor dem der Verkäufer jetzt stehen blieb, längst ausgemacht. Das Schiff war das letzte in der Reihe – es lag an Heckpfählen und Bugleinen, es gab keinen Schwimmsteg. Dafür war es zu lang.
Richtig – das war sie. Sah genau so aus wie auf dem einzigen Foto im Inserat der Bootsbörse, vermutlich vom selben Standpunkt aus fotografiert. Zeitlos und zweckmäßig wie ein Landrover, mit dem man Wüsten durchquert. Nur nicht so kantig – bei Wasserwüsten ja auch wenig sinnstiftend. Und den Landrover hätte man an Deck stellen können, fast.
Formschöne, nicht zu weiche Linien ohne verspieltes Design-Schnickschnack – oder gar diesem modischen, graden Vorsteven, den jetzt alle großen Segeljachten plötzlich hatten. Der wie ein Hackmesser in jede Welle fuhr.
Wuchtiger Lateralplan, den er zu Haus lange auf der Zeichnung studiert hatte. Gemäßigter Kurzkiel, tonnenweise Blei darin.
Aber, mein Gott… ein wenig kleiner hätte sie sein können – vierzig Fuß hätten auch gereicht… fast widerwillig spürte er, wie sein Herz im Brustkorb zu klopfen begann. Damit würden sie ihre Liga verlassen.
Eine riesige Centerboardketch, reichlich vierzehn Meter lang und fast fünf Meter breit. Länger als ihr Häuschen… sie hatte gut doppelt so viel Freibord wie ihr altes Schiff. Aber das Erscheinungsbild war dennoch unaufdringlich, ästhetisch und aus einem Guss – alle Proportionen stimmten.
Er blieb in einiger Entfernung stehen, um ihren konservativen, zeitlosen Riss mit dem aufragenden Vorsteven und dem flachen Sprung auf sich einwirken zu lassen. Trat noch weiter zurück, ohne sich um den verwunderten Blick des Verkäufers zu kümmern, der in seinen Taschen zu kramen begann.
Aus einiger Entfernung wirkte sie wieder fast zierlich. Man sah ihr an, dass sie in den Achtzigern konstruiert worden war – ein Klassiker, vielleicht nur in hundert Exemplaren gebaut, den zu erschaffen manchen Werften mit ihrer ganzen Modellpalette nicht gelang. Weil sie glaubten, dem zeitgeistigen Kundengeschmack entgegenkommen zu müssen – den sie selbst erschaffen hatten: Modellwechsel, Umsatz.
Nicht übertrieben hohe Masten, Kutter-Rigg. Die feste Sprayhood war eigentlich ein flaches doghouse, das halbe Mittelcockpit nach achtern überdachend – schön in die Linien integriert, ohne plumpe Motorseglerumrisse anzunehmen. Keine irgendwie keilförmigen, schwärzlichen Glasflächen, bemüht stylish in die Linien integriert – sondern rechteckige kleine Fenster, Bullaugen fast aus dickem Glas in Rumpf und Aufbauten. Nichts Protziges, nichts Aufdringliches – bei aller herben Eleganz.
Nur der klobige, armdicke Nirostapfahl hinterm Besanmast störte – mit dem Schlitzstrahler des Radars, dem Wald von GPS-Aktiv- und UKW-Antennen, der ganz achtern am Heckkorb draufgeklotzt war. Nach vorn würde es dicke Mastschatten auf dem Schirm geben.
Und der Name, um Himmels willen – aber das war nun wirklich eine Nebensächlichkeit… Eigentlich taufte man Schiffe ja nicht um – bei der „Jan van Gent“ hatten sie das nie getan. Der alte Name passte, hatte ihnen gefallen, und es hatte ihnen in achtzehn Jahren zumindest kein Unglück gebracht.
Aber diesen daneben gegangenen, zwei Nummern zu groß geratenen Schriftzug am Bug, dazu noch in verschnörkelten Frakturbuchstaben, würde man eliminieren müssen – ganz zu schweigen von dem eigentlichen Namen. Das ging gar nicht – noch war er kein gefallener Krieger, der sich pflegen lassen musste. Von Walküren schon mal gar nicht.
Schade auch, dass das Großsegel nicht in den Mast hineingerollt wurde, sondern in den Baum – der dadurch unschön überdimensioniert wirkte.
Petersen schlenderte heran. Der Verkäufer wühlte immer noch in seinen Jackentaschen, dann in seinen Hosentaschen und sah ihm entgegen, etwas betreten offenbar. Er hatte eine grellblau verspiegelte Sonnenbrille mit schwarzem Rahmen aufgesetzt – eine frappierende, überraschende kleine Geschmacklosigkeit. Jetzt nahm er einen Schlüssel mit Korkball als Schwimmer aus der Tasche, dessen Label er stirnrunzelnd musterte:
„Tut mir wirklich leid – ich habe die falschen Schlüssel mitgenommen. Sorry – wir können nicht einmal hinein. Das ist wirklich peinlich…“
Er zog die klobige Brille ab und legte sie auf den soliden, mannshohen Tritt vor sich – eigentlich eine Holztreppe mit fünf Stufen, die es ermöglichte, den hoch aufragenden Vorsteven durch die Öffnung des Bugkorbs zu betreten.
„Das Dumme ist – ich weiß auch gar nicht, wo ich ihn noch haben könnte – habe ihn eben lange gesucht, im bureau. Aber dies ist doch ein anderer. Sehr dumm, jetzt können wir nicht hinein… wollen wir an Bord gehen und uns an Deck umsehen, wenigstens…? Die Papiere und Zubehörliste habe ich allerdings im Kontor. Den Preis kennen Sie – zweihundertzwanzigtausend Dollar, entsprechend Euro. Das ist nicht viel für ein solches Schiff… es ist zwar schon etwas älter, aber der Neupreis war mehr als doppelt so hoch. Und schauen Sie das Zubehör. Diese Schiffe verliert kaum Wert, das wissen Sie selbst. Sie sind genauso, wie ein Mercedes. Und dies hier ist werftgepflegt von uns und wenig gesegelt – das sehen Sie auch jetzt, hoffe ich. Wir kennen den Eigner schon lange – sehr lange.“
Er fand zu seiner alten Verkäuferkompetenz zurück, die er schon am Telefon unter Beweis gestellt hatte – sah aber unauffällig ein weiteres Mal auf die Uhr.
Petersen ließ seinen Blick an der neuen blauen Abdeckung der Rollfock hoch wandern und wieder herunter zum teakstabbelegten, dezent gewölbten Dach der festen Sprayhood mit den drei Scheibenwischern an den dicken, stahlgefassten Frontscheiben. Auch dort konnte man bequem mit zwei Personen in der Sonne liegen, quer… vielleicht sogar mit der ganzen Familie. Wenn man zuvor die millimeterdicke Salzschicht der letzten Biscayastürme mit Frischwasser abgespült hatte und alles in der heißen Sonne der Kanaren getrocknet war.
„Ich schlage vor, das machen wir anders… Sie sagten, der Eigner ist vor Ort und wohnt hier sogar. Sie setzen sich mit ihm in Verbindung und morgen treffen wir uns hier. Oder heute noch, wenn Sie ihn erreichen. “ –
Der andere schien unschlüssig.
„Ich muss prüfen, ob er da ist… aber sicher, okay, wir können es probieren. Sie sind ja extra angereist aus Deutschland, nehme ich an…“
Er begann, etwas tiefer auszuloten, als sei ein Verkauf ohnehin Nebensache:
„Wollen Sie das Schiff denn – für sich selbst, oder sollen Sie – wie sagt man – die Terrain soundieren für jemanden…? Kommt auch ein anderes Boot in Frage, woanders vielleicht…? Oder – haben Sie Vollmacht und sollen es vielleicht gleich überführen? Ich will niet zu nahe treten – Sie sehen aus wie ein Mann, der sich mit Schiffe auskennt – das müssen Sie mir erlauben zu sagen. Allerdings…“
Er machte eine entschuldigende Geste und beugte sich näher heran, als verrate er Insiderwissen – seine Stimme klang fatalistisch-vertraulich, als spräche er von einem drohenden Konkurs:
„Sie glauben vielleicht gar nicht, was wir hier erleben mit angebliche Interessenten. Leute, die von eine Gratis-Segeltörn zum nächsten reisen…“
Petersen brach in lautes Gelächter aus.
„Das gibt es…? Aber keine Sorge – wir hatten lange einen holländischen Fahrtensegler… einen Vierzigfüßer, gebaut in Aalsmeer. Ich suche nach einem anderen Schiff für uns. Aber ich lege mich – natürlich nicht fest, ohne es betreten zu haben. Wenn es konkreter wird und überhaupt in Frage kommen sollte, will ich das Boot draußen testen. Das wird doch möglich sein…? Ich kaufe so ein Schiff nicht, ohne es geprüft zu haben. Segel und Motor, Zubehör – das muss ich Ihnen doch nicht sagen. Und wenn der Eigner hier vor Ort ist und es wirklich verkaufen will… will er das denn überhaupt…?“
„Ja, sicher, sicher – er will verkaufen. Er hat uns beauftragt, und sein Sohn. Es ist ein schon älterer Herr, der sich auch viel in Spanien aufhält, glaube ich…“
Er nahm seine Sonnenbrille vom Podest und setzte sie wieder auf.
„Kommen Sie – ich versuche, einen Termin mit ihm zu machen. Es wird nicht so einfach sein. Ich hoffe, dass er hier in sein Appartement ist und nicht an der Cote d’Azur oder irgendwo. In Bruinisse habe ich seine Handynummer – kann ich Sie denn telefonisch erreichen? Noch einmal – es tut mir wirklich leid, dass es so gekommen ist. Können Sie denn einen weiteren Tag – einplanen, wenn es klappen sollte – morgen?“
Petersen spürte kaum Bedauern oder Enttäuschung. Eher Erleichterung.
Noch war gar nichts entschieden.
Sollte er ein paar Fotos machen und ihr nach Hause schicken…?
Aber das brachte gar nichts, er musste ohnehin anders vorgehen diesmal. Anneke hing mit ganzem Herzen an ihrem alten Schiff und den Erinnerungen, mit den Kindern – würde sich höchstens fragen, ob er größenwahnsinnig geworden war. Nur dass die Riesensumme dann endlich vollständig vom Konto verschwunden sein würde, wäre vielleicht ein Argument.
Vielleicht, wenn er fünfzig Meter zurückging und dort vom Steg aus knipste… aber nein. Wenn sie den Namen sehen würde, wäre es ganz aus. Er beschloss, es für diesen Tag genug sein zu lassen.
Er gab dem Makler seine Handynummer und erwähnte, dass er ganz in der Nähe in einer Pension übernachten werde – in Noordgouwe.
Der Holländer setzte ihn wunschgemäß direkt vor einem Straßencafé in Bruinisse ab und hielt ihm die Hand hin: „Nochmals sorry – wir finden eine Lösung, Mijnheer Peters. Morgen klappt es – ich rufe Sie auf jeden Fall an, noch heute. Ich bin Henk, übrigens.“
*
„Na ja. Interessante Landkarte, wirklich. Und so viele Farben…“
Petersen zog jetzt doch die Lesebrille aus der Brusttasche – trat näher heran, entzifferte und las halblaut vor:
„Protektorat Böhmen/Mähren – Danzig-Westpreußen – Wartheland – Kurhessen-Ostmark… was soll das sein, Sir?“
Er trat etwas zurück und musterte den aufwendig gerahmten, großformatigen Druck, der an der Stirnseite des Schiffssalons hing. Halbwegs fatalistisch amüsiert, schon nicht mehr sehr überrascht:
„Dann sind wir hier in der Westmark, oder was…?“
Er nahm die Brille wieder ab und drehte sich halb um:
„Erinnert mich an den Geographieunterricht in der Sexta, irgendwie… da sahen die Landkarten, die aufgehängt wurden, nicht viel anders aus. Und – es gab auch mal ein Wahlplakat aus den Sechzigern mit ähnlichen Grenzen – von der CDU glaube ich: ‚Dreigeteilt? Niemals!’ stand da drauf… da sah Deutschland ähnlich aus. Viele trugen damals silberne Anstecknadeln – das Brandenburger Tor…viele Lehrer, meine ich.“ -
Heute, am zweiten Tag, waren sie zu viert am Hafen von Port Zelande.
Der Eigner und sein Sohn waren gekommen. Begleitet vom langen Henk, der in dieser Kajüte keinerlei Schwierigkeiten mit seiner Körpergröße hatte.
Jetzt stand er abwartend und sichtlich verlegen einige Meter hinter ihnen, vor dem fünfstufigen Niedergang. Zwischen dem Navigatorplatz an Steuerbord mit der tischgroßen Schalttafel und der geräumigen Pantry an Backbord.
Bei Petersens etwas scheinheiliger Frage hob er die Augen kurz an die weiß getäfelte Decke mit dem eingelassenem skylight. Vielleicht überlegte er auch, ob man es öffnen könnte – es war sicher lange nicht gelüftet worden. Roch nach teurem Teaköl, Edelholzpolitur und Lederfett. Nicht die leiseste Spur von Dieselkraftstoff, Motoröl oder heiß gewordenen Leitungen. Aber noch ein anderer, undefinierbarer Geruch hing in der Luft.
Der Alte lehnte seinen gedrechselten Jägerstock mit dem Wurzelknauf an einen der beiden fest eingelassenen Sessel an Steuerbord, zwischen denen sich ein vorstehendes Vertiko mit Glasschrank, ziselierten Scheiben und Getränkebar befand. Er tastete sich am Salontisch auf die andere Seite und ließ sich gegenüber auf die Polster des U-förmigen Sofas sinken, auf dem sieben oder acht Personen bequem hätten sitzen und speisen können.
Ganz vorn an der weichen Kante saß er, sehr aufrecht. Sein schmaler, schmächtiger Altmännerkörper konnte den blauen Marineblazer, der ihm früher vielleicht gepasst hatte, nicht mehr ausfüllen. Unter dem hageren, tief gebräunten Raubvogelgesicht wirkte der Mann wie verloren in dem riesigen Schiffssalon. Kurze weiße Bartstoppeln, gleichwohl sorgfältig gestutzt und in Form gebracht, wuchsen auf seiner Oberlippe. Er nestelte an seinem buntseidenen Halstuch, das vorhin beim Übersteigen verrutscht war, und strich sich einmal über das noch dichte weiße Haar. Sein Antlitz wandte sich Petersen zu – man konnte seine Augen nur erahnen, weil er eine Brille mit getönten Gläsern trug:
„Das war viel später, junger Mann… da ging es um die Oder-Neiße-Linie in der SBZ. Wo Brandt, Bahr und diese vaterlandslosen Gesellen uns verraten haben – dies hier sind unsere Reichsgaue von 1943! Eine Westmark gab es nie – die Städte, das schon! Arnheim, Nimwegen, Herzogenbusch… aber davon wissen Sie nichts.“
Seine Stimme war dünn und hoch, fast greisenhaft – der Tonfall mit leicht stimmlosem ‚s’ norddeutsch eingefärbt. Aber fest und nicht zittrig:
„Diese Karte ist ein Familienerbstück – hing lange Jahre im Kontor meines Onkels, der nach diesem ganzen Theater auch Honorarkonsul in Spanien war. In Vigo – wissen Sie, wo das ist… nun, einerlei. Damals jedenfalls, in den Sechzigern – als es noch aufwärts ging mit dem Land unter Franco. Steil aufwärts.“
Er ließ seinen Blick umherschweifen über das von keinem Kratzer verunzierte Mobiliar aus Teak und Mahagoni, über den silbernen Kerzenleuchter und die beiden massiven Trinkbecher, die zwischen den blauen Velourssesseln auf dem Büfett standen, über die leise schaukelnde, an Messingketten von der Decke hängende Salonlampe mit dem cremeweißen Glasschirm.
„Alles vorbei. Heute ist das Land am Boden, wie unseres auch. Wie alle in diesem so genannten Europa. Die Sozialisten verschleudern alles – konnten noch niemals mit Geld umgehen. Jeder weiß das. Lassen dafür das ganze Gesocks herein – junge Burschen, die zu feige sind, ihr Vaterland im Krieg zu verteidigen. Und dafür unsere jungen Mädchen erstechen! Messermänner – da hat diese Dame schon recht. Geben ihnen unser sauer verdientes Geld, damit sie hier die Hände in den Schoß legen können. Oder Schlimmeres…“
Der rundliche Junior war ihm auf die andere Seite gefolgt – stand neben ihm, als könne der Alte jeden Moment umfallen. Er konnte ebenso gut vierzig wie auch fünfzig Jahre zählen. Trug nicht eben geschickt zusammengestellte, maritim gemeinte Kleidung – jedenfalls Hose und Schuhe, dazu aber ein pfeffer- und salzgemustertes Jackett und ein rosa Hemd, ebenfalls mit Halstuch. Am Aufschlag der Jacke prangte die Anstecknadel eines Jachtclubs mit zwei gekreuzten Flaggen.
Er war blass und nahezu kahlköpfig. Die Kiefer in dem glatt rasierten Gesicht mahlten unruhig, bevor er jetzt ganz behutsam dem Alten die Fingerspitzen auf die Schulter legte, als sei dort eine Dynamitladung verborgen:
„Vater, bitte – wir wollten doch…“
Er beugte sich weit hinunter – als müsse er allen Mut zusammenraffen und seinem Vater eine schlimme Nachricht zuraunen. Zu verstehen war jedoch nichts mehr – er sprach immer leiser in Richtung auf das kleine Hörgerät hinter der Ohrmuschel des Alten.
Aber auch so ging ein Ruck durch den zähen Körper. Er streckte gebieterisch den Arm aus, worauf sich der Junior aufrichtete, auf die andere Schiffsseite eilte und ihm seinen Stock reichte. Er ergriff ihn wortlos und stellte ihn zwischen seine Knie kerzengrade hin – sich mit beiden Händen am Knauf abstützend. Die Brillengläser wandten sich dem Fremden auf seinem Schiff zu, er straffte sich merklich – machte aber keine Anstalten, sich wieder zu erheben:
„Sie wollen mein Schiff kaufen, höre ich. Nun, nur zu, junger Mann… schauen Sie sich immerhin um. Jetzt, wo wir schon einmal hier sind… den Preis kennen Sie. Ich sage Ihnen gleich, dass es keine Probefahrten irgendwelcher Art geben wird. Das ist bei Schiffen dieser Herkunft, dem ganzen Zubehör und dem Pflegezustand kaum notwendig. Jeder kennt diese Werft und ihre Jachten, die Eigenschaften sind über jeden Zweifel erhaben. Dies hier ist von einem argentinischen Konstrukteur mit germanischen Wurzeln konstruiert worden! Damit ist dieser Gebhard Rollo um die ganze Welt gesegelt, mit der Zweiundvierziger allerdings. Haben wir auch noch im Programm, wie? Eberhard…?“
Er kicherte überraschend und blickte zu seinem Sohn auf. Dann sprach er wieder in den Raum hinein:
„Das wäre vielleicht eher etwas für Sie. Fahren Sie hin nach Benalmadena, da liegt sie. Oder fliegen Sie hin…! Malaga und eine Stunde mit dem Taxi – so macht man das heute. Die wird jedenfalls öfter gesegelt als unsereWalhalla hier! Dort ist es ja auch wärmer – C osta del Sol! Ideal für Warmduscher… nicht wahr? Eberhard…?“
Er blickte mit einigermaßen scheußlichem Lächeln hoch, fuhr jedoch alsbald in seinem Verkaufsgespräch fort.
„Dies hier – nun, entschuldigen Sie…! Es kommt mir ein bisschen überdimensioniert für Sie vor…! Verfügen Sie denn überhaupt über die Mittel!“
Er sah hoch und entblößte eine perfekte obere Zahnreihe. Das durchs Skylight einfallende Sonnenlicht ließ die selbstfärbenden Brillengläser anthrazitfarben nachdunkeln.
Dabei umspielte ein kleines, aasiges Lächeln seine Lippen – als wolle er sich für diese Unverschämtheit nicht etwa entschuldigen, aber doch, gleichsam im Vorbeigehen, auf das Selbstverständnis hingewiesen haben, dass man unter seinesgleichen rasch auf den Punkt kommt. Jedenfalls, was Pekuniäres betraf.
Henk hinter ihm hatte offenbar genug, er mischte sich ein. Vielleicht wollte er retten, was zu retten war… sein sonorer Bassbariton bildete einen entspannenden Gegensatz zu den kommandoartig hervorgestoßenen Halbsätzen.
„Kommen Sie, Herr Peters… ich zeige Ihnen einmal die Eignerkabine. Ich darf doch…?“
Er sprach die Bitte halb in den Salon hinein, als sei dort niemand.
Der Besitzer machte eine unbestimmte Geste – eine Mischung aus Schulterzucken und wegwerfender Bewegung, ohne seine übereinander liegenden Hände zu lösen. Nur der Stock ruckte einmal unwillig, als führe er ein Eigenleben. Dann saß der Alte wieder wie eine basiliskenhafte Statue da.
Henk entschwand durch den Gang an Backbord nach hinten – der zwar schmal, aber hoch genug war, dass er sich nicht zu bücken brauchte; nur seine Schultern musste er etwas längsschiffs ausrichten. Auffordernd warf er Petersen einen Blick zu, ihm zu folgen.
Dann standen sie beide im Achterschiff.
Ein fast fünf Meter breites Schlafzimmer mit Doppelbett, Clubsessel mit Schreibtisch fest eingebaut. Noch ein breites Einzelbett daneben. Eine massive Holztür mit auf Hochglanz polierten Messingbeschlägen, die Henk jetzt aufzog, führte in einen separaten Waschraum mit Toilette und Nasszelle.
Beeindruckend. So einen Komfort hätte sich der capitán der „Nina“ in seinem Achterkastell sicher auch gewünscht… Petersen hatte in La Palma einmal die sagenhaft enge Replica dieser Columbus-Karavelle besichtigt. Sie war wenig länger gewesen – gedacht dazu, mit ihren neunzehn Metern Länge neunzig Siedler zu befördern.
Ganz zu schweigen von den offenen Frachtern der Wikinger, wo es einzig für das wertvolle Zuchtvieh einen überdachten Unterstand achtern für einen Bullen und eine Kuh gegeben hatte, wenn sie sich auf den Weg nach Island und Neufundland machten – weit vor Columbus.
Henk sah ihn an, einen Augenblick länger… nun atmete er tief und hörbar aus, als sei ihm im Salon die Luft zu stickig geworden. Aber pragmatisch kam er wieder zur Sache – wies auf die zahlreichen mannshohen, eingebauten Schränke und Schapps:
„Nun – was sagen Sie, Herr Peters… das Schiff ist wie neu. Das kann man überall sehen. Gehegt und gepflegt, könnte man sagen. Ich kann es Ihnen gleich erzählen, unter uns – es ist tatsächlich kaum gesegelt worden. Wenn überhaupt mal, war ein Skipper und eine Stewardess da, von einer Crewing-Agentur … es ging dann nach Scheveningen, oder nach Deauville. Einmal auch nach Hamburg – das war vor Jahren, glaube ich. Es hat immer hier gelegen, seit der Hafen da ist – und davor in Middelburg. So ein Schiff kann man auch als mobiles bureau benutzen. Sie haben gesehen – es hat eine satcom-Antenne? Sie haben auch die Geschirrspülmaschine in der Pantry gesehen…? “
Er senkte seine Stimme zu einem noch gedämpfteren Ton und blickte durch das rechteckige Heckfenster, durch das man aufs Wasser hinaussah. Machte aber eine unmerkliche Kopfbewegung Richtung Vorschiff und sprach wie zu sich selbst, den Blick abgewandt:
„Sie haben auch anderswo noch Hallbergs liegen, wenn ich das richtig weiß. Nicht von uns gekauft – sie sind überall gut im Geschäft. In Spanien, in Paraguay, auf die Kanarische Inseln. Aber hier können Sie trotzdem nichts falsch machen, mit diesen Schiff – da bin ich echt aufrichtig. Ihnen kann man so nichts vormachen mit Jachten, fürchte ich. Wir können gleich die Instrumente und den Motor anwerfen, das Radar auch – Sie können die Maschinenraum besichtigen, wir können einen Blick auf die Logge werfen… Sie werden sehen, da ist nicht viel zusammengekommen. Nur, mit die Preis. Da werden Sie auf Granit beißen.“
Seine Stimme wurde noch leiser.
„Sie haben den Mann gesehen. Das sieht er – sehr starrwitzig.“
Petersen war schon wieder im Durchgang nach vorn. Öffnete dort geräuschlos die Tür zum Maschinenraum, steckte seinen Kopf hinein, schaute auf den meergrün lackierten VOLVO-PENTA-6-Zylinder, auf den genoppten Schallschutz aus dickem Schaumstoff an den Schotten, die gläsernen Doppel-Dieselfiltergehäuse mit dem Umschalter und den glänzenden Leitungen, die Diesel- und Warmwasserheizung. Alles wie geleckt. Auf den Betriebsstundenzähler brauchte er ohne Lesebrille gar nicht zu schauen.
Er ließ die Tür leise wieder zuklicken.
Von vorn war erregtes, gedämpftes Gemurmel zu hören – das laute, diesmal eindringlichere Flüstern des Juniors:
„Nein, Vater – du irrst dich! Du irrst dich mit Sicherheit, glaube mir – die Zweiundvierziger ist verkauft, seit Jahren. In Benalmadena haben wir nichts mehr, auch nicht in Pasito Blanco. Es gibt nur noch die Grimgerde in Puerto Rico und die neue Fünfziger in Lissabon, die jetzt provisorisch im Tereira do Trigo liegt. Etwas anderes konnte ich dort unten noch nicht bekommen – bis jetzt. Aber ich versuche es weiter. Und – wir müssen nun vielleicht ein wenig…“
Das Flüstern brach mittendrin ab, weil Petersen wie eine Heimsuchung den Salon wieder betrat. Ein Entschluss war in ihm gereift – ihm war, als sei ein Kelch an ihm vorübergegangen. In der Folge legte er ein Auftreten an den Tag, als feierten in seinem Gemüt nassforsche Munterkeit, grenzenlose Erleichterung und gutgelaunte Dreistigkeit fröhliche Urständ:
„Ach – Sie haben anderswo auch noch Ihre Jachten liegen… chapeau, das findet man selten, Senor…! Puerto Rico, Glückwunsch – wo auch die Garuda Stammgast ist – und Puerto Mogan gleich nebenan – herrlich…! Das kanarische Venedig!“
Denn soeben war ihm klar geworden, dass dieses herrliche Segelschiff, dieser fast auf seine Vorstellungen zugeschnittene Traum, diese große Blauwasserjacht niemals in ihren Besitz übergehen würde. Er hätte es gleich spüren sollen.
Aber das ungute Gefühl war anfangs noch zu diffus gewesen – er hatte es nicht gleich einordnen können. Oder wollen. Oder gehofft, es übertünchen zu können mit der Zeit.
Aber es war zu stark, und allgegenwärtig.
Schiffe hatten vielleicht nicht unbedingt eine Seele – nicht alle.
Aber sie wurden von ihren Eignern geprägt… hier hatte sich wie falscher Mehltau an der Unterseite von edlen Wein- oder Tabakblättern eine weißliche Schicht wie kaum sichtbarer Pilzrasen in alle Poren geschlichen und festgesetzt. In alle Schotten, Spanten – ins gesamte Mobiliar, ins ganze Schiff.
Das würde niemals wegzukriegen sein. Er würde immer an sie denken müssen, an diese Herren mit ihren ewigen Machtgelüsten. Er würde sie immer hier sitzen sehen, hier in diesem Salon – diese Ewiggestrigen mit ihren inhumanen Wahnvorstellungen von tausendjährigen Reichen.
Henk schaute kurz zu ihm hin – dann desillusioniert zu Boden. Aber er lächelte – wenn auch gezwungen. Er war ein guter Verkäufer – er sah, dass es vorbei war.
Der Eigner blickte unangenehm berührt und verzog das Gesicht, als habe er auf eine Zitronenscheibe gebissen. Er zögerte, konnte dann aber nicht widerstehen:
„Das ist Ihre Sache nicht, junger Mann! Und was wissen S i e schon von Burdas Schiff… trotzdem gebe ich Ihnen eine Antwort! Familien wie die unsere haben ihre Eigenheiten… wir haben in mehreren Orten unsere Dependancen. Wo es uns beliebt, und zwar weltweit – ob man sich dort ein Appartement kauft oder ein Schiff hinlegt, ist einerlei! Aber das soll Sie nicht interessieren! Was mich aber interessiert, woher Sie diese Information haben! Ich will nicht hoffen, dass Ihnen – dieser Verkäufer…“
Er senkte seine Stimme nicht im Mindesten – ließ den Satz aber unvollendet, als müsse er stärkere Verbalinjurien mit Mühe zurückhalten.
Henk hatte eine unbewegte Miene aufgesetzt. Er stieg immer mehr in Petersens Achtung.
Dafür ergriff Sohn Eberhard eilig das Wort:
„Nun, nun … schauen Sie gern auch ins Vorschiff, Herr… zwei separate Eingänge, mit getrennten Nasszellen und Kabinen! Ideal für ein Skipperpaar und weitere zwei Matrosen. Man kann zusätzlich Kojen herunterklappen, für die. Diese Anordnung war ein Wunsch meines – Herrn Vaters, eine Direktive an die Werft. Ganz vorn, hinter dem Ankerkasten ist noch eine Waschmaschine eingebaut – haben Sie das gesehen? Da kann die Besatzung die Schiffswäsche vornehmen, wenn die couchettes wieder hochgeklappt sind. Es gibt auch noch einen Hafengenerator, wenn einmal kein Strom…“
Seine Stimme wurde leiser und erstarb, als er Petersen anschaute. Der hatte eine Eingebung, wie man die Sache zu einem schnellen Ende bringen könnte.
„Was sagten sie – was war Ihre Forderung für dieses fast dreißig Jahre alte Schiff? Zweihunderttausend Dollar?“
Vater und Sohn blickten auf und rührten sich nicht.
„Ich biete Ihnen hunderttausend Euro – zahlbar jetzt sofort. Das ist ein verbindliches Angebot.“
Der Eigner hob den Kopf – echsenhaft ruckartig, als habe ihm etwas Ähnliches geschwant. Er bewahrte eisern die Contenance, blickte ihm ins Gesicht und entblößte ein weiteres Mal die Zähne in einem grimmigen Lächeln. Einzig seine Stimme musste er durch ein scharfes Räuspern auf Vordermann bringen, sozusagen:
„Sie sind ja nicht recht bei Trost… wenn das alles ist, was Sie vortragen können, verlassen Sie augenblicklich mein Schiff, Herr! Das muss ich mir nicht anhören, auch nicht von einem Landsmann!“
Petersen steckte die Lesebrille zurück in die Brusttasche. Er verbeugte sich andeutungsweise vor Henk, reichte ihm die Hand zum Abschied und wandte sich wortlos zum Gehen.
Als er die Salontreppe hochgestiegen war und an Deck einen Augenblick tief die Seeluft einatmete, wusste er mit einem Mal, woran ihn der Alte erinnerte: Er sah selbst aus wie der greise Caudillo in seinen letzten Jahren.
Eine grünbraune Uniformmütze, weiße Stulpenhandschuhe und eine purpurfarbene Schärpe über der ordensdekorierten Brust hätten einen passablen Doppelgänger aus ihm gemacht.