Читать книгу Europäer, unterwegs - Henning Puvogel - Страница 8
5.
ОглавлениеPetersen holte sich mal noch ein frisch gezapftes Bier vom Elektriker – der machte heute den Ausschank am Tresen.
Dann sah er sich suchend nach einem Platz um – hielt schließlich auf einen Tisch zu, wo zwischen den Arbeitern des Tonnenhofs noch eine Lücke mit zwei Stühlen frei war. Zu seiner Besatzung brauchte er sich nicht auch heute noch zu setzen – sie sahen sich schon die ganze Woche lang täglich zum Mittagessen, in der Messe der NORDEROOG.
Noch war die Schlange vor dem Tisch mit den Speisen lang. Snirtjebraten mit Rotkohl und Kartoffeln, wie meist – der würde ohnehin lange noch im Magen liegen. Wie alle diese rustikalen Speisen, bei denen man sich immer zu viel auftat.
Die alljährliche Weihnachtsfeier, zu der die Schiffsbesatzungen mit eingeladen wurden, war ein ähnlicher Fall: Grünkohl mit Bauchspeck, Kassler und Pinkel war nichts für schwache Mägen. Auch wenn man vorher eine zweistündige Boßelpartie im Schneeregen durch die Dünen hinter sich gebracht hatte, mit einigen wärmenden Doppelkörnern unterwegs.
Aber Weihnachten war weit entfernt. Draußen war Hochsommer – Anfang August.
Petersen hatte immer noch kein neues Boot, und gelinde Unzufriedenheit über diesen Schwebezustand begann sich sacht in ihm auszubreiten.
Er war zurück in seinem Job, natürlich – was auch sonst. Eine wie auch immer geartete Möglichkeit, vorzeitig seinen Abschied aus dem Berufsleben zu nehmen, war ihm noch nicht eingefallen.
Heute jedenfalls, am Donnerstag, fast schon Wochenende, wurde hier auf der Insel die Verabschiedung des langjährigen Tonnenleger-Kapitäns gefeiert – eines Kollegen, der nach fast vierzig Dienstjahren in den Ruhestand ging. Alle drei Schiffe des Amtes lagen im Hafen – der große und der kleine Tonnenleger und die NORDEROOG. Die Besatzungen, auch die Arbeiter des Bauhofes waren im geräumigen Frühstücksraum versammelt – eigentlich ein gar nicht so kleiner Saal, in dem leicht fünfzig Personen sitzen und feiern konnten. Stimmengewirr, gedämpftes Gemurmel und gelegentlich lautes Lachen erfüllten den Raum.
Und eine Delegation des Amtes war zu diesem besonderen Anlass mit der Fähre vom Festland angereist. „Die Obrigkeit“, wie solche Abordnungen gelegentlich genannt wurden. Der Amtsleiter hatte bereits die Abschiedsrede auf den Jubilar gehalten – natürlich auf Platt. Dieser launige Rückblick auf sein Berufsleben, vom Chef selbst, hatte dem verdienten Schiffsführer, einem untersetzten, auch bei seiner Stammbesatzung beliebten Seefuchs, mit fünfzehn als Schiffsjunge zur See gegangen, bei etlichen Passagen rasch die Sonnenbrille aufsetzen lassen… so etwas hatte der Chef echt drauf.
Auch seine humorvoll-hintergründigen Geschichten auf plattdeutsch, die er bei der Weihnachtsfeier mitunter fast frei vortrug, wurden immer ausgiebig beklatscht. Und zwar nicht, weil der Chef eine Rede hielt – das machten Ostfriesen nicht. Sondern weil sie ankamen.
Später, bei den Hauereien zu fortgeschrittener Stunde, wenn die Stühle flogen, wenn das Bier und der Inhalt der Kornflaschen zur Neige gingen, wenn alte Rechnungen zwischen den Bauhofarbeitern beglichen wurden, war er mit seinen Leuten längst wieder fort.
No news are good news. -
Petersen stellte sich in die Schlange, konterte Flachsereien, ging mit gefülltem Teller zurück zum Tisch und überlegte kauend, wie lange es her war, dass er den Amtsleiter beim damaligen Vorstellungsgespräch zum ersten Mal gegenüber gesessen hatte. Länger als zehn Jahre jedenfalls, und vorurteilsbelastet… auch damals war der schon ein wenig grau um die Schläfen gewesen. Allerdings nicht so weißkopfseeadlermäßig wie jetzt.
Seither jedenfalls hatte er seine Meinung über ihn schon ein paar Mal revidieren müssen. Offenbar ein Mann, der die Amtsgeschäfte meist souverän durch mitunter schwierige Fahrwasser führte – sich im Notfall aber für jeden einzelnen seiner Leute einsetzte, auch persönlich. Obwohl er in seiner Eigenschaft als Behördenchef ständig auch selbst „irgendwelche Verfahren und Klagen am Hals hatte“, wie er Petersen einmal aus gegebenem Anlass verraten hatte.
Angefeindet wurde er jedenfalls fleißig, auch intern – hauptsächlich von seinen jüngeren Sachbereichsleitern, die Gewehr bei Fuß standen, seinen Posten zu übernehmen.
Und – an Kunst und Kultur schien er weit mehr als der typische Bildungsbürger interessiert. Das hatte Petersen schon vor Jahren erfahren müssen, als der Chef seinen Antrittsbesuch auf der NORDEROOG machte – als er in der Mannschaftsmesse gestanden hatte und einigermaßen verwundert auf das dortige Wandbild geblickt hatte… Petersen war immer der Meinung gewesen, dass es sich vielleicht um einen Schiele oder Feininger handelte. Aber der Chef klärte ihn auf: der Druck eines Klimt-Gemäldes, genannt Der Kuß.
Schon überraschend als Wandschmuck für ein Arbeitsschiff in der Mannschaftsmesse, wo auch schon mal rustikalere Auseinandersetzungen stattfanden – deren lange sichtbare Folgen man höchstens mit einem Pferdekuss vergleichen konnte. Profan aber die Erklärung: der quadratische Druck war als farbiges Dekorationsbild in die große Geräteklappe der Klimaanlage eingelassen – die auch quadratisch war. -
Jetzt, nach dem Essen, konnte man eigentlich zum gemütlichen Teil übergehen.
Noch war es recht gemütlich. Petersen sah bei diesen Feiern immer zu, dass er beizeiten die Kurve kriegte, bevor es zu hoch herging. Er brachte seinen leeren Teller zurück, nahm sein halbvolles Glas Bier mit und sah sich um.
Vorn saß der Jubilar neben dem Chef – sie unterhielten sich angeregt über den schönen Bildband, das Abschiedsgeschenk der Amtsleitung.
In der anderen Ecke am langen Tisch suchte jetzt Petersens unmittelbarer Vorgesetzter Wilko Visser, den der Amtschef zur Feier des Tages mitgebracht hatte, seinen Blick und winkte ihm verhalten zu – wies ein bisschen vage auf den freien Platz am Tisch. Er nahm Kurs auf ihn, stellte sein Glas ab und ließ sich nieder – sie begrüßten sich mit Handschlag.
Ein sympathischer, ruhiger Kollege, vor Jahren schon vom Kapitänsposten des großen Tonnenlegers zum nautischen Beamten mit dem skurrilen Titel ‚Seehauptkapitän’ aufgestiegen. Ein Büroposten, wo Einsätze zu organisieren waren; auch bei Havarien und den schwierigen Schiffsüberführungen der Meyerwerft-Riesen hatte Visser die Hand im Spiel. Alle Schiffsführer hatten gelegentlich, eher selten mit ihm zu tun, in der Regel telefonisch. Man war natürlich beim kameradschaftlichen ‚Du’ – auch wenn eine gewisse Distanz zu spüren war:
„Achim – sei gegrüßt. Wir sehen uns ja nicht grade oft.“
„Wilko – dass es dich auch mal hierhin verschlägt…! Zu uns Männern auf verlorenem Posten…“
Smalltalk, Lächeln. Bisschen gezwungen, irgendwie.
Die Schiffsbesatzungen der Außenstelle auf den Nordseeinseln hatten eine Art Sonderstellung: alle anderen Fahrzeuge des Amtes waren auf dem Festland beheimatet. Sie lagen zum Dienstschluss nachmittags wieder an ihren angestammten Liegeplätzen. Die Besatzungen fuhren nach Hause und kamen morgens wieder zum Dienst, da sie ausnahmslos in der Nähe wohnten.
Die ‚Norderneyer’ aber blieben die Woche über an Bord, da sie im Außendienst eingesetzt waren. Vor allem die NORDEROOG lag fast jeden Wochentag woanders – mal in Borkum, mal in Langeoog; je nach Einsatzplan. Sie vermaß das gesamte Seegebiet, alle Fahrwasser und Seegatten für zwei Ämter zwischen Ems und Jade – ein intern höchst unbeliebter Job.
*
Visser war etwa gleichaltrig mit ihm. Petersen streckte die Fühler aus, auch um ein Gespräch in Gang zu bringen:
„Wie lange hast du noch, Wilko – wann kannst Du weg…?“
Der Kollege gab vage Auskunft – vielleicht war ihm die Frage zu persönlich.
Richtig gut schien es ihm hier irgendwie nicht zu gehen – er schaute sich unruhig um, lehnte hastig den Doppelkorn ab, den der mit der Flasche an den Tischen vorbeischnürende Elektriker in die bereit stehenden Schnapsgläser schenken wollte, und kam unvermittelt auf offenbar bevorstehende Urlaubspläne zu sprechen. Schlug jetzt einen vertraulicheren Ton an, einer Betriebsfeier vielleicht angemessen:
„Ich muss jetzt langsam mal ’raus aus der Tretmühle, Achim. Wenigstens für vierzehn Tage… nicht so weit weg, vielleicht mal auf unsere Inseln. Obwohl das da jetzt bestimmt ziemlich voll ist, wenn ich mir euer Norderney so anschaue… warst du mal in Helgoland?“
Petersen blühte auf. Endlich konnte er was erzählen, vielleicht sogar einen Tipp abgeben:
„Helgoland – klar doch…! Das ist mein zweites Zuhause gewesen so ungefähr, als ich noch mit meinem Segler unterwegs war. Die einheimischen Fischer sagten schon ‚Moin’ zu mir, wenn sie mich bei den Hummerbuden von weitem sahen… und dem Rummel kann man ganz leicht entkommen – wenn du da Urlaub machen willst. Einfach mit’m Börteboot auf die Düne ’rüber! An der Ostseite ans Wasser, neben die Kegelrobben… da siehst du nicht mal mehr den roten Felsen hinter dir, nur Sanddünen und Nordseestrand. Der ganze Rummel mit den Tagesgästen von den Bäderdampfern ist weit weg. Wie auf ’ner anderen Insel…wenn’s zu heiß wird, legt man sich in den Leuchtturmschatten, direkt am Strand! Und abends fährt man wieder ’rüber in die gemütliche Pension, vorher auf ein Bierchen in die Düne Süd… hat da nicht auch unser Sozialwerk irgendwo…?“
Der andere nickte trübe – schien sich nicht wirklich für Petersens farbige Schilderung erwärmen zu können. Jetzt zögerte er, griff zu seinem halbvollen Bierglas – aber warum zitterte seine Hand, sein ganzer Arm unübersehbar so stark, dass er es wieder absetzen musste, ohne auch nur genippt zu haben…? Petersen sah taktvoll zur Seite, halb verlegen. So vertraut waren sie nicht miteinander, dass er fragen wollte, was los war.
Unvermittelt erhob sich Visser:
„Na dann… ich geh mal kurz nach draußen, eine rauchen. Hier drinnen geht das ja wohl nicht so gut. Wir sehen uns…“
Sein Glas ließ er stehen.
Petersen erhob sich und ging noch einmal an den Tisch mit den Speisen, um eine kleine Rote Grütze als Nachtisch zu nehmen. Er löffelte stehend am Ausschank – wechselte beiläufig ein paar Worte mit dem dort lehnenden Kranführer.
Unauffällig sah er zwischendurch auf die große Uhr an der Wand des Saales – lange brauchte er nicht mehr zu bleiben. Aber mit der Hauptperson dieser Feier wollte er schon noch ein paar Worte wechseln, ihm auch gratulieren und alles Gute wünschen – bevor er unter dem Vorwand, die 18-Uhr-Fähre zum Festland kriegen zu müssen, die Festivität verließ. Denn morgen war ein seltener Brückentag und dienstfrei – er freute sich auf das Wochenende zu Hause.
Jetzt war vielleicht Chance: Er sah, wie der Amtsleiter sich erhob und dem Ausgang zustrebte. Der Platz neben dem Jubilar war frei.
Aber vorher noch mal eben auf die Toilette… beim Rückweg, auf dem Gang draußen stand ihm aber der Chef halbwegs im Weg. Er war eben dabei, sich eine Zigarette aus der Packung zu klopfen:
„Herr Petersen… noch gar nicht gesehen heute! Die anderen habe ich alle schon begrüßt. Hallo…“
Er streckte ihm die Hand hin und drückte sie wie immer kräftig.
„Ich wollte grade draußen meiner Sucht frönen – kommen Sie doch kurz mit, wenn Sie mögen…“
Petersen mochte eigentlich nicht, aber das konnte man schlecht abschlagen.
Zusammen traten sie durch die schwere Eingangstür hinaus – direkt auf die zwei Meter hoch gelegene Rampe davor, die sich auf ganzer Länge an dem hochwassergeschützten Arbeits- und Bürogebäude gegenüber der Tonnenhalle hinzog.
Schon mehr als einmal hatten sie an Bord erlebt, wie das Wasser knapp unterm Eingang geschwappt hatte in winterlichen, dunklen Sturmflutnächten. Wenn die Vorleinen der Schiffe im Wasser verschwanden und von der Verladepier nichts, gar nichts mehr zu sehen war – außer vielleicht ein paar sacht schaukelnden Seezeichen: aufgeschwommene, überholungsbedürftige Fahrwassertonnen am überspülten Kai, die nicht rechtzeitig vom Gabelstapler in die Halle geholt worden waren. -
Der Chef schlenderte im Sonnenschein rauchend die Rampe hinunter zur nächsten, offen stehenden Schiebetür. Sie führte in die rußgeschwärzte, aber sauber aufgeräumte Schmiede und Blechwerkstatt. Hier wurde geschweißt und Stahl geschnitten – Haralds Reich, der nicht nur Kranführer war, sondern auch die eingezogenen Seezeichen reparierte und neue anfertigte.
Petersen trat hinter ihm ein, sie waren allein. Der Chef sah sich um – betastete den Hebel der riesigen Rahmenblechschere, wies auf den großen Rauchabzug:
„Sogar eine richtige Esse gibt es hier noch. Mit Kohlefeuer, wie früher… aber das wird wohl nicht mehr benutzt – oder doch?“
Er wandte sich Petersen zu – erwartete aber sichtlich keine Antwort, sondern nahm einen Zug von seiner Zigarette und blickte ihm bedeutungsvoll in die Augen.
„Tja, Herr Petersen – so sieht’s aus. Sie sind ja nun auch schon eine ganze Weile bei uns – wie lange, fünfzehn Jahre…?“
Er schien abermals keine Antwort zu erwarten, sondern fuhr gleich fort, als müsse er eine wenig vergnügliche Erklärung abliefern:
„Es ging nicht anders, in diesem Fall.“
Er räusperte sich einigermaßen heftig – musste offenbar einen Frosch im Hals loswerden:
„Sehen Sie – kein Mensch sagt bei uns, dass Sie dort an Bord auf der NORDEROOG nur bella figura machen oder Ihren Job nicht können, bestimmt nicht. Wenn man bedenkt, was dort früher los war… aber das konnte ich Ihnen heute nun nicht ersparen. Habe Herrn Visser selbst angewiesen, diese Abmahnung auszusprechen. So etwas geht nicht ohne Genehmigung – wir haben grade mit Ausflügen dieser Art früher jede Menge Ärger am Hals gehabt. So lange haben Sie ja nicht mehr – nun sollten Sie sich solche Eintragungen in Ihrer Personalakte aber auch vom Hals halten!“
Er blickte ihm nachdrücklich in die Augen und schaute sich dann um, wo er den Rest seiner Zigarette lassen könne. Ging zur Kohlenesse hinüber und drückte dort den Stummel sorgfältig aus:
„Eine mündliche Abmahnung ist ja nun noch kein Bein ab. Aber lassen Sie’s genug damit sein. Wir hatten in der Vergangenheit so genannte Kapitäne, die mit Ausflügen nach Helgoland einen schwunghaften, ich sage mal: Nebenverdienst mit Schnaps und Zigaretten machten. Da kam richtig Geld zusammen – Zoll, Polizei, Staatsanwaltschaft waren eingeschaltet und alles. Schon in meiner Amtszeit. Das ist ein ganz heikler Punkt, den ich nie wieder erleben möchte. Sie wissen, auf so was wartet die lokale Presse nur, vor allem bei uns. Behörde, Staatsdiener… wir mussten den damaligen Schiffsführer aus dem Dienst entfernen – und das hat Jahre gedauert. Es kam zum Prozess, den wir fast noch verloren hätten. Sie wissen, wie schwierig das bei uns ist. Öffentlicher Dienst – Personalrat, Gewerkschaft pipapo.“
Petersen, durch diese standpaukenartig vorgetragenen Erläuterungen schlagartig über das eigenartige Verhalten seines Kollegen Visser aufgeklärt, blickte erst belustigt, dann ärgerlich, dann verhalten reumütig und lieferte eine Erklärung.
„Ich habe da ein völlig reines Gewissen. Na gut, diese Genehmigung… aber das glaubte ich in diesem besonderen Fall vertreten zu können. Sie meinen doch die Übernachtungen in Helgoland? Es war nicht das erste Mal… wenn wir an der Jademündung in der Blauen Balje zu tun haben und einen neuen großen Plan machen müssen, für den wir zwei, manchmal auch drei Tage brauchen, kann ich Schiff und Crew besser auf Helgoland übernachten lassen. Dort können wir jederzeit einlaufen, Überstunden fallen nicht an. In den Hafen von Wangerooge, der wenig näher liegt, wenn wir im Osten arbeiten müssen, kommen wir nicht mehr ’rein, weil die Ebbe schon eingesetzt hat… können die Barre nicht mehr passieren. Und irgendwo müssen wir ja bleiben.“
„Um Gottes willen – das will ich gar nicht gehört haben, Herr Petersen… also Helgoland jedenfalls geht gar nicht. Bleiben Sie da einfach weg in Zukunft. Sie machen ja keine Bereisungen – und selbst dann müssen Abstecher dorthin, wenn sie auf dem Weg liegen, beim Seehauptkaptän angemeldet werden. Ihre Kollegen auf den anderen Schiffen haben Ihr AIS-Signal natürlich mitverfolgt und uns dann informiert, was dachten Sie denn! Ich musste Ihnen durch Visser diese mündliche Abmahnung heute aussprechen lassen. Aber – das ist ja nun geschehen, halten Sie sich in Zukunft einfach daran. Sie wollen sich doch nicht das Ende Ihres Berufslebens hier versauen…“
Er steckte den Kopf zur Tür hinaus und schaute auf der Rampe einmal nach links und rechts, kam dann zurück:
„Ich möchte Sie – warnen. Machen Sie sich nicht angreifbar. Diese Helgolandsache ist das eine – aber Sie müssen sich immer darüber im Klaren sein, dass wir hier eine Bundesbehörde sind – dass Ihr Schiff den Bundesadler in der Dienstflagge führt.“
Er schien nicht recht zu wissen, wie er weitermachen solle. Er wand sich nicht, das passte nicht zu ihm, suchte aber nach Worten – geduldig, als kläre er einen begriffsstutzigen Schüler auf:
„Hier, im Öffentlichen Dienst hat man mitunter – ganz andere Möglichkeiten untereinander. Nicht nur, dass wir alle ein gläsernes Gehalt haben. Auch andere Sachen sind ganz schnell mal gläsern und durchleuchtet – angeschlossene Behörden, Landesbehörden auch sind schnell über alle möglichen Aktivitäten der Mitarbeiter informiert…heute, wo alles vernetzt ist… ein kurzes Amtshilfeersuchen, par l’ordre du mufti – und dann geht das so über die Bühne. Auch ich bin nicht immer über alles zur Gänze informiert, was meine Mitarbeiter gegen mich so anleiern… “
Aber nun tappte Petersen ganz im Dunkeln.
„Ich glaube nicht, dass man mir da irgend etwas anhängen kann. Auch wenn die lieben Kollegen meinen Weg so genau mitverfolgen… steht alles wie gewohnt genau im Schiffslogbuch! Da gab es nichts zu verbergen. Wir waren am nächsten Morgen um sieben zu Dienstbeginn an der Jademündung vor Ort und haben unsere Messarbeiten wieder aufgenommen, bei Flut. Niemand von der Besatzung hat irgendwelche verbotenen zollfreien Waren gekauft oder weiter veräußert, dafür verbürge ich mich. Könnte man notfalls auch nachprüfen, bei den Schiffshändlern dort. Und der Treibstoffverbrauch des Schiffes durch diesen etwas längeren Weg fiel kaum ins Gewicht, da wir beide Male den Ebb- bzw. Flutstrom mit uns hatten und ich economy fahren konnte. Nach Wangerooge wären wir gar nicht mehr hereingekommen zum Dienstschluss – der Hafen fällt trocken.“
Der Chef trat an ihn heran und blieb dicht vor ihm stehen.
„Sie haben mich noch nicht verstanden… das sind nautische Einzelheiten, die kann ich ohnehin nicht beurteilen. Nun lassen Sie mal diese Helgolandsache beiseite, das ist für uns jetzt abgehakt. Aber Sie sollten…“
Er brach tatsächlich ab und suchte erneut nach Worten.
„Ich will Ihnen nichts Böses, Petersen. Das wissen Sie spätestens seit dieser leidigen Sache mit Ihrem Vorgänger, anfangs – diesen ominösen Morddrohungen, wo wir für Sie da waren. Obwohl Sie sich ja auch selbst helfen konnten – diese Geschichte ging damals im ganzen Amt rund, und noch weiter hoch…“
Er stieß einen kurzen trockenen Lacher aus – als erinnere er sich an eine witzige Schnurre. Kam aber sofort wieder zur Sache:
„Mir persönlich ist auch einerlei, wie Sie Ihr Geld verdienen und was für Einkünfte Sie noch so haben. Aber anderen vielleicht nicht… und eines sollten Sie wissen: es passt nie gut zusammen, wenn kleine Angestellte oder Beamte wie Sie und ich, die noch nicht einmal einen Kugelschreiber annehmen dürfen, außergewöhnliche Bewegungen auf ihrem Gehaltskonto haben. Womöglich aus dem Ausland, bei denen kein Mensch weiß, wo sie herstammen. So, Punkt… jetzt lassen Sie uns mal wieder ’rübergehen, sonst hören da einige Leute noch wieder das Gras wachsen.“
Er wandte sich ab, als sei alles gesagt und ließ Petersen reichlich nachdenklich zurück.