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Vorwort

„Ich habe in meinem Leben bisher nicht gewusst, was Hass heisst. Wenn man so viel in der Welt herumkommt, sieht man schon aus Selbsterhaltungstrieb mehr das Verbindende als das Trennende. Aber seit heute kenne ich dies Gefühl. Hier gibt es keinen Kompromiss mehr, hier werden wir die harten Soldaten Adolf Hitlers, die die europäische Kultur entweder zu einer neuen Blüte führen oder sie mit uns in den Abgrund völliger Vernichtung ziehen.“1

Aus einem Feldpostbrief von der Ostfront. Nach neun Tagen Russlandfeldzug.

Ostfront – noch heute, sieben Jahrzehnte nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Russland, schwingt etwas Bedrohliches im harten Klang des Wortes mit. Ostfront – das bedeutete Tod und Verstümmelung für Millionen sowie traumatische Erinnerungen für die Überlebenden. Längst nicht alle Zeitzeugen sprachen darüber, viele schwiegen, und die Generation, die dabei war, wird nicht mehr lange berichten können. Was der Nachwelt bleibt, sind die dokumentierten Erinnerungen.

Mir persönlich haben sich die Worte meines Großvaters eingeprägt: „Dann kamen die Russen über den zugefrorenen Ilmensee gestürmt, und unsere MG haben sie totgeschossen.”

Ein einziges Mal, es war an einem Sonntag in den 80er Jahren, hatte er uns vier Enkelkindern über seine Kriegserlebnisse an der Ostfront berichtet. Auch darüber, dass er Brennnesselsuppe löffelte und als guter Schütze Krähen abknallen musste – „zum Essen”. Und dass ein Kamerad zu neugierig war, sein Haupt über den Grabenrand streckte und prompt „einen Kopfschuss“ erlitt. Viel mehr hat er nicht erzählt, und doch weckte die brutal kurze Rückschau meine jugendliche Neugier. Wie auch jenes Buch mit tannengrünem Deckel, das mein Großvater von ehemaligen Kameraden geschenkt bekam: „Der Kampf am Wolchow und um Leningrad” von Werner Buxa aus dem Jahr 1969. Der Bildband machte einen unheimlichen Eindruck auf mich – im doppelten Wortsinn. Als ich volljährig war, las ich schließlich Paul Carells Klassiker über den Russlandfeldzug. Seine Standardwerke („Unternehmen Barbarossa”, „Verbrannte Erde“) packten, führten – und verführten mich. Denn der Krieg, diese ewige Geißel der Menschheit, kann ungemein faszinieren, vor allem aus der sicheren Distanz. Damals wie heute.

„Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen ...“

Ein typisches Zitat von Veteranen, auf das man immer wieder stößt. Die Mahnungen der Kriegsgeneration helfen, der großen Versuchung zu widerstehen, die furchtbaren Kämpfe als kunstvolle Schlachtgemälde zu inszenieren. Oder gar in blumige Landser-Romantik zu verfallen. Blut und Blüte passen nicht so recht zueinander. Vor allem die schlichten Erinnerungen der kämpfenden Zeitzeugen, ihre Erlebnisse, vermitteln unverblümt das brutale Wesen des Krieges. Sie bringen mehr Licht in das dunkelste Kapitel deutsch-russischer Geschichte, als die überwiegend euphemistischen Memoiren der ehemaligen Generale. Zum Beispiel Mansteins „Verlorene Siege“. In seinen Erinnerungen wird der Kelch des Edelmuts bis zum Überdruss geleert. Darüber scheinen nicht allein die Siege, sondern auch Teile der Erinnerung verloren gegangen zu sein. Die Politik etwa, die Hitler in den besetzten Ostgebieten betrieb, sei kontraproduktiv und nicht im Sinne der Militärs gewesen, stellte der Feldherr rückblickend fest. Von einer anderen Mentalität zeugen die rund 30.000 Juden, die 1941/42 bei Massakern im Hoheitsbereich von Mansteins 11. Armee umgebracht wurden. Der General forderte seine Soldaten gar auf, die Massenmorde der Einsatzgruppe D als „Notwenigkeit der harten Sühne am Judentum”2 gutzuheißen. Hier klingt sie laut durch, die brutale Sprache der Vernichtungskrieger. An der Ostfront tobte eben ein Kampf der Weltanschauungen – Unternehmen „Barbarossa” wütete in wahrhaft monströsen Dimensionen. Man muss sich erst den kleinen Ausschnitten nähern, um die Riesen-Tragödie in ihren ganzen Ausmaßen fassen zu können. Einzelschicksale berühren mehr als Armee-Chroniken. Und wenn ein im Verlauf des Feldzuges hoch dekorierter Landser3 offen darüber berichtet, dass „hin und wieder gar keine Gefangenen“ und mit Partisanen und Kommissaren „kein langer Prozeß gemacht“ wurde, kommt man bei manch strittiger Frage der Wahrheit viel näher. Für diese Erkenntnisse brauchte es nicht erst Kenntnis der Aufsehen erregenden Abhörprotokolle4 deutscher Soldaten. Das Grauen wird durchaus auch ganz offen geschildert, sei es in Erzählungen, Tagebüchern, Feldpostbriefen.

So las ich zwischen meinem 18. und 40. Lebensjahr Hunderte Bücher, sichtete zahllose Dokumente – von kleinen und großen Verlagen, von Historikern und Scharlatanen, von ehemaligen Generalen und Gefreiten, von Opfern und Tätern, von Helfern und Rettern. Daraus formte sich ein Gesamtbild, ein gleichsam anziehendes wie verstörendes, in jedem Fall fesselndes. Man wurde zum Autodidakten des Ost-Kriegswesens, zum „Experten”, allerdings zu einem sehr stillen. Es brauchte erst die gut 20-jährige Recherche in Verbindung mit der journalistischen Laufbahn, um daraus eine lesbare Form zu schaffen, die mitzuteilen lohnt. Zudem: Man muss es sich erst verdienen, über dieses wahrhaft epochale Ereignis berichten zu dürfen.

Derart sensibilisiert, wirkt der schlimmste Krieg aller Zeiten bis heute nach. Man besucht die Gräber der Familienangehörigen und nimmt auf dem Weg dorthin auch jene Steine mit dem markanten Eisernen Kreuz viel bewusster wahr. Zum Beispiel den von Konrad Thobaben. Auf der Inschrift steht: gef. 14.8.1941 Russland. Man fragt sich, was der 28-jährige in dem fremden Riesenland wohl erlebte und erlitt. Wo kämpfte und wie starb er? Oder der Blick bleibt an der großen Tafel eines Kriegerdenkmals hängen, um entsetzt festzustellen, dass von einer einzigen Familie drei Söhne gefallen sind. Man nimmt Anteil. Anfangs nur für die eigene Seite.

Jahrzehnte später führten Reisen auch ins Reich des ehemaligen Gegners, und zwar in die öde Gegend bei Murmansk am Eismeer sowie nach Astrachan, das südlich von Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, in der Steppe liegt. In Russland gibt es natürlich ebenfalls jene Denkmäler für die Krieger, die in diesem Fall allerdings Sieger und wohl gelittener sind. Und man nimmt endlich auch hier Anteil, zollt stillen Respekt für die andere Seite, die einem bis zur „Wende“ 1990 fremd, unheimlich, gar verhasst war.

Aus dem geschärften Blick entwickelten sich schließlich Gespür und Methodik für die richtige Bewertung. Man lernt Wahres von Übertriebenem oder gar frei Erfundenem zu unterscheiden. Historisch belegen lassen sich die Erlebnisse der Zeitzeugen längst nicht in allen Details. Und doch sind die persönlichen Erinnerungen von unschätzbarem Wert, nicht zuletzt für das Verständnis im großen Maßstab. Man fühlt mit den Akteuren, empfindet Sympathie und Hass, Bewunderung und Abscheu, Verständnis und Scham. Nur wer auf das Individuum blickt, wird vor der außerordentlichen Dummheit gefeit sein, pauschal zu verdammen oder zu verklären. Auch die hoch geachteten Persönlichkeiten Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker und Rudolf Augstein sind Teil der heute zunehmend verachteten Wehrmacht gewesen.

Eingefügt in den großen historischen Rahmen, schärfen sich nach und nach die Konturen eines gigantischen Gesamtbildes, das sich in seiner ganzen überwältigenden Wucht erst abzeichnet, wenn die Fäden der Einzelschicksale zum Strang über der großen Schädelstätte Ostfront verflochten werden. Im Fokus dieser Betrachtung steht die alles entscheidende erste Phase des Unternehmens „Barbarossa“, die Zeit vom Sommer 1941 bis zum Frühjahr 1942. Dabei konnte und durfte der Verfasser den Dokumenten keine Zensur auferlegen. Erst der Schock über die oft unfassbare Gewalt lässt Anteil nehmen und macht Abkehr von der stets lauernden Anziehungskraft des Bösen möglich. Starke Erschütterung kann helfen, Augen zu öffnen – zu erkennen, wie es damals wirklich war, als der beißende Rauch der Brände den Himmel im Osten verhüllte und die Augen mit Tränen erfüllte. Man empfindet Demut, ist dem Schicksal dankbar dafür, die größte Knochenmühle aller Zeiten nur durch das Fernrohr der Geschichte betrachtet und nicht am eigenen Leib erfahren zu haben. So wie mein Großvater, der in diese Hölle blickte und dazu beitrug und nicht vergessen konnte, dass der unberührte weiße Schnee auf dem Ilmensee zu einem riesigen, schmutzig rot getupften Leichentuch wurde.

Vaters alter Herr blieb 1944 auf dem „Felde der Ehre”, gefallen am 26. September an der Westfront bei Aachen. Mit 40 Jahren noch zum Endsiegen eingezogen, gab er sich keinen Illusionen mehr hin.

Zum Abschied sagte er: „Ich komme nicht wieder.”

Ja, wieder kommt immer nur der Krieg – jedenfalls solange es Sieger gibt. Und der Wahnsinn beginnt von neuem. Der Ostfront-Veteran Johannes Werner Günther hat dafür sehr eindringliche Worte gefunden:

„Wenn du all das Grauen eines Krieges gesehen hast, wenn du gesehen hast, wie während eines Angriffes dir ein Kamerad entgegenkommt, mitten im Kampfgetümmel, und hält statt seinem Gewehr seinen abgeschossenen Arm in der Hand, und du hörst ihn schreien, er will ihn wieder dran haben, wenn du den Wahnsinn und das Wissen, er muss sterben, in den Augen eines starken Mannes siehst, dessen Bauch ein Granatsplitter aufgerissen hat und der seine Gedärme in den Händen hält mit zum lautlosen Schrei geöffneten Mund, da ihm der furchtbare Schrecken des Geschehens die Sprache nahm, wenn du gesehen hast, wie unschuldige Menschen – Zivilpersonen – erschossen werden, nur um ein Exempel zu statuieren, die Schreie und das Betteln um Gnade von Frauen und Kinder gehört hast, die Hilferufe der Verwundeten, denen du nicht helfen konntest, weil du mitten im Kampf warst, wenn du all die Toten gesehen hast, die im Dreck lagen und oft nicht geborgen und begraben werden konnten. Wenn du all dieses Grauen gesehen hast, wo bleibt da noch der Heldenmut, wo die aufgezungene Pflicht, fürs Vaterland zu sterben? Nur der Überlebenswille poltert noch durch dein Gehirn und verdrängt Erbarmen und Mitleid.“5


Auf den Heimat-Friedhöfen stehen die Gedenksteine mit dem Eisernen Kreuz, während die Gebeine der Gefallenen in fremder Erde ruhen; allein 2,2 Millionen in der ehemaligen Sowjetunion.


Hinrich Ropers, der Großvater des Verfassers, auf Fronturlaub bei seiner Familie. Der Niedersachse kämpfte in der Heeresgruppe Nord – und hatte viel Glück: Er überlebte den Krieg.


Heinrich Stühring stand im Herbst 1944 an der Westfront im Einsatz. Der Großvater des Verfassers väterlicherseits fiel bei den Endkämpfen ums Reich im heftig umkämpften Aachener Raum. Die alte Kaiserstadt wurde am 21. Oktober von US-Truppen erobert.

1 Manfred von Plotho, Offizier im Infanterieregiment 194/71. Division, an seine Frau, Dokumentiert unter www.museumsstiftung.de/feldpost (3.2008.2195)

2 Armeebefehl AOK 11, Abt. Ic/AO Nr. 2379/41 vom 20.11.1941

3 Franz Schmid, Angehöriger der 17. Panzerdivision, Träger der Nahkampfspange in Gold (s. Möbius, Immer wieder Nahkampf, S. 66)

4 Neitzel/Welzer, Soldaten

5 Günther, Im Osten das Grauen, S. 71/72

Als der Osten brannte

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