Читать книгу Spiritueller Rausch der Lust | Erotischer Roman - Henriette Jade - Страница 6
Оглавление3. An Kanälen entlang
Als ich den Flutgraben in Kreuzberg erreichte, war er schon da. Mit einer verspiegelten Sonnenbrille stand er vor mir, sodass ich seine Reaktion auf unser Wiedersehen nicht einschätzen konnte. Wahrscheinlich hatte er sich über den Effekt, dass er mit der Spiegelbrille unnahbar erschien, keine Gedanken gemacht. Oder war es gar seine Absicht?
Wir gingen ins Restaurant »Der Freischwimmer« und suchten uns einen Tisch am Kanal. Jetzt endlich nahm er seine Brille ab, und ich blickte in seine grünen, ovalen Augen. Sein Haar war grau-meliert und etwas länger. Er wirkte trainiert, was ihm eine besondere Jungendlichkeit verlieh.
Als er meinen Blick erwiderte, stieg ein leichtes Kribbeln in mir auf. Gespannt konzentrierte ich mich auf ihn. Er erzählte mir von seiner Kindheit in Kreuzberg. Dann beschrieb ich ihm meinen Alltag mit Zoe und Lukas, dass mir meine Zeit bedauerlicherweise nicht zur freien Verfügung stand. Er nickte zu diesem Thema nur, konnte sich da nicht so direkt hineinversetzen. Er selbst hatte keine Kinder und führte ein Singleleben, wie er fast schon stolz zugab. Dann nahm er meine Hand und streichelte sie, führte sie zu seinen Lippen und bedeckte sie mit kleinen Küssen, zog dann zwei meiner Fingerspitzen zu seinem Mund. Diese schob er zwischen seine Zähne, biss leicht zu und hielt mich so gefangen. Mich überkam eine Gänsehaut. Ich konnte mich kaum mehr rühren und geriet in einen fast schon hypnotischen Zustand. Ich folgte seinen Bewegungen und hing im wahrsten Sinne des Wortes an seinen Lippen. Ich war seine Beute. Und er hatte mich am Wickel und wusste, dass ich an ihm klebte. Hinter ihm sah ich die rote Backsteinziegelmauer des gegenüberliegenden Fabrikgebäudes und das davorliegende vibrierende Wasser des Kanals, für einen Moment, der ewig zu dauern schien.
Schließlich aber kam ich zurück ins Hier und Jetzt. Ich löste meine Finger aus seinem Mund, und er gab sie frei. Wir verließen das Restaurant und spazierten Hand in Hand los. Doch schon auf der nächsten Brücke griff ich nach seinen Hüften und zog ihn an mich. Da war sie wieder, meine so lange unterdrückte Lust. Er ging auf sie ein, indem er meinen Nacken packte und mich küsste. Sanft schob er mir seine Zunge in den Mund. Ich fühlte seine Bewegungen und erwiderte sie. Wieder war unsere Berührung so intensiv, dass die Zeit stillzustehen schien und der Moment auf der Brücke uns einschloss. Als wir uns wieder lösten, war es geradezu eine selbstverständliche Konsequenz, seiner Aufforderung zu entsprechen und ihn nach Hause zu begleiten.
***
Er wohnte nicht weit entfernt in einer aufwendig ausgebauten Fabriketage. Zunächst liefen wir durch den Görlitzer Park. An lilafarbenen Rhododendronblüten summten Bienen. Auf der anderen Seite des Parks ging der Weg weiter durch eine schmale Straße, bis wir ein großes Tor erreichten, das offenbar auch Autos als Einfahrt diente. Wir gingen bis zum zweiten Hof und betraten den Seiteneingang eines alten Gewerbegebäudes. Die knarrenden Holzdielen auf der Treppe waren noch original.
Henri drückte meine Hand fester und nahm mich mit in die zweite Etage. Die zwei Schlösser der riesigen Metalltür schloss er umständlich auf. Dahinter verbarg sich noch eine zweite Tür, die eher einer normalen Wohnungstür glich. Was für eine Trutzburg. Auch sie hatte ein Sicherheitsschloss, das Henri entriegelte.
Das Loft hatte hohe Decken und war mit teurem Parkett im Fischgrätenmuster ausgelegt. Direkt vor uns lag die offene große Küche und dahinter kam ein Raum mit Säulen ins Blickfeld, die verputzt und weiß gestrichen waren. Henri führte mich durch die Küche hindurch gleich in diesen großen Raum. Vor seinem Kamin blieben wir stehen, und er erklärte stolz, dass er ihn selbst eingebaut hätte. Dann zeigte er mir im angrenzenden Bad den Whirlpool und die Sauna, die ich bewundernd betrachtete. Richtig zum Wohlfühlen. Überall standen Kameras, Lampen, Monitore und weitere technische Geräte für seine Fotoaufnahmen. Sogar ein Tonstudio hatte er sich eingerichtet, weil er früher ab und an auch Filme gedreht hatte.
»Magst du etwas trinken?«, fragte er dann einladend und ging zum Kühlschrank.
Ich nickte.
Er entschied sich für eine Flasche Rosé-Champagner, öffnete sie routiniert, füllte die Gläser und reichte mir eines. Wir prosteten uns zu.
»Also hier machst du deine Fotos?«, begann ich das Gespräch.
»Genau. Meistens kommen die Models zu mir, nur ab und an fahre ich zu ihnen«, erläuterte er.
»Und was sind das für Bilder, die hier entstehen?«
»Die meisten Frauen beauftragen mich, erotische Fotos von ihnen zu machen. Die sind für ganz verschiedene Zwecke gedacht. Jede Situation erfordert ihr eigenes Equipment, deshalb habe ich mir das Studio eingerichtet.« Er schaute mich mit prüfendem Blick an. »Hoffentlich irritiert dich das nicht?«
»Ach was, überhaupt nicht. Aktfotos sind doch total okay.«
»Dann bin ich ja beruhigt!«, sagte er und grinste dabei doppeldeutig. »Früher habe ich für Auftraggeber wie den ›Playboy‹ und andere Magazine gearbeitet. Von den damaligen Kontakten profitiere ich heute noch. Wenn man einmal einen Namen hat, kann man sich seine Fotoshootings irgendwann aussuchen. Und ich brauche nicht mehr um die halbe Welt zu jetten. Meistens jedenfalls.«
Er trat einen Schritt auf mich zu, umgriff meine Taille und zog mich sanft an sich heran. In mir aber sträubte es sich. Ich drückte mein Kinn zur Brust, steif wie ein Storch, der seinen langen Schnabel irgendwo unterbringen musste. Denn in mir stiegen unaufhaltsam warnende Gedanken auf. Wie, der hat für den »Playboy« gearbeitet, das geht doch wirklich nicht! Frauen, reduziert auf nackte, sich anbiedernde Püppchen, mit nichts in der Birne – und da macht er mit!
Henris Beruf passte so gar nicht zu dem in mir fest verankerten Wertekanon der Gleichwertigkeit von Mann und Frau und dem Ideal der Liebe als innerem Wert. Ich hielt ihn mit den Händen auf Abstand, ohne mich dabei ganz aus der Umarmung zu lösen. Mit solchen Männern hatte ich schlichtweg nichts gemein.
Henri konnte sich wahrscheinlich denken, was in mir vorging, und warum ich mich sträubte. Er sah mir direkt in die Augen, lächelte mich an und sagte dann: »Ich finde dich so unglaublich anziehend, deine blauen Augen sind umwerfend. Ich habe lange keine Frau mehr im Arm gehabt, die so faszinierend auf mich gewirkt hat und glaub mir, ich kenne mich da aus.«
»Das kann ich mir denken!«, erwiderte ich spitz.
Er ließ sich nicht irritieren, sondern lächelte weiter und streichelte meine Arme, meinen Po und schob sein Becken gegen das meine. Kurz ließ er mich los, ich taumelte zurück, er trat einen Schritt nach vorn, um mich im nächsten Augenblick wieder fest zu packen und zu halten. Ich musste lachen. Es war fast schon akrobatisch, was wir da anstellten, zumindest so etwas wie eine kleine Rangelei.
»Hey, was soll das jetzt?«, fragte ich ihn scherzend, als er mich von sich weggleiten ließ, um mich danach wieder festzuhalten.
Er antwortete nicht, sondern fasste meinen Nacken und zog meinen Kopf ganz nah an sein Gesicht. Dann küsste er mich mit viel Gefühl. Mein Widerstand löste sich nach und nach in Wohlgefallen auf. Als wäre ein Deich durchbrochen worden, der mich abgeschirmt hatte. Nun, da Henri den Wall überschritten hatte, flossen seine Bewegungen kontinuierlich über meinen Körper. Ich spürte seine rauen Hände, die über meine Haut glitten, meine Muttermale erkundeten, durch meine feinen Locken fuhren. Die Handgriffe saßen und er wusste genau, was er tat. Ich gab mich seinen Erkundungen hin, roch den Duft seiner dichten Haare, umgriff seine Schultern. Ich genoss seine Zunge, die ganz gezielt in meinen Mund stieß und dort zärtlich kreiste.
Da wir immer noch halb standen und gegen Tisch und Stuhl gelehnt waren, deutete er durch Körpergesten an, dass wir es uns doch in seinem Bett bequem machen könnten. Doch dazu kam es irgendwie nicht. Wir blieben stehen. Und er küsste mich lange und ausgiebig mit einem ganz speziellen Zungenspiel: Er schob mir seine Zunge so in den Mund, dass er sie stoßweise bewegen oder auch kreisen lassen konnte. Gleichzeitig saugte er an meinen Lippen, sodass er mich mit seinem Mund festhielt, und ich mich regelrecht gepackt fühlte. Es kam mir vor, als würden wir durch unsere Lippen bereits den Geschlechtsakt simulieren. Er war kein Anfänger. Immer wieder packte er mich und wir fielen in diesen intensiven Zungenkuss, der uns beiden Spaß machte. Mehr und mehr stöhnte ich in langen Atemzügen, und Bauch und Unterleib zogen sich wellenartig zusammen. Ich wurde immer erregter. Immer wieder nahm er mich so mit der Zunge, und ich schmolz dahin, in langen, lustvollen Krämpfen. Wie er mich küsste und anfasste, war eine Wonne für mich. Ich spürte sein Verlangen nach mir.
»Was machst du da mit mir?«, fragte ich ihn, während er mir eine kurze Atempause gönnte.
»Was denn?«, fragte er unschuldig. »Ich küsse dich doch bloß!«
Wenn das nur seine Küsse waren, dann war ich sehr neugierig, was er noch zu bieten hatte. Sein T-Shirt hatte ich ihm schon abgestreift, jetzt griff ich nach seinem Gürtel und öffnete mit zittrigen Fingern die Hose. Er trug keinen Slip, wie ich überrascht feststellte. Seine Bewegungen hielten inne. Ich spürte, dass er nicht wirklich damit einverstanden war, dass ich für einen Moment die Initiative ergriff. Zögernd taxierte er mich, während meine Hand sich um seinen halb erigierten Penis schloss und ihn aus der Hose zog. Doch er ließ es geschehen. Sein Glied fühlte sich samtig an und doch gleichzeitig hart und angespannt. Er war nicht beschnitten. Vorsichtig zog ich die Vorhaut zurück, und seine rot-bläuliche Eichel schob sich millimeterweise hervor. Er gefiel mir auf Anhieb. Länge und Dicke hielten sich in einem Maß, das Harmonie ausstrahlte. Ich bewegte meine Hand langsam auf und ab, und er wurde härter. Und da entdeckte ich ein weiteres Tattoo. Es befand sich in seiner Lendengegend. Es war eine in Wellen gezeichnete Schlange mit einer roten gespaltenen Zunge, die zu seinem Penis zu kriechen schien. War ich Eva, die dem süßen Apfel nicht widerstehen konnte? Unweigerlich verspürte ich großes Verlangen nach seinem schönen Glied. Ich ging in die Knie, und mein Mund näherte sich ihm. Doch als meine Lippen schon auf seiner Eichel lagen, intervenierte Henri. Er schob meine Hand weg und entzog mir das ersehnte Objekt der Lust.
»Nicht so schnell. Für heute ist es genug!«, sagte er bestimmt.
Überrascht ließ ich von ihm ab und sagte: »Warum das jetzt?«
Ich kniete immer noch vor ihm, mein Hintern sackte auf meine Fersen.
»Alles hat seine Zeit, so weit sind wir noch nicht! Aber keine Sorge, das heißt nicht, dass ich dich jetzt rausschmeiße.«
Er trat einen Schritt zurück, ließ dabei aber seine Hand an seinem Penis, stimulierte ihn nun selbst. Betrübt guckte ich zu Boden. Eindeutig wollte er die absolute Macht, die Kontrolle über seine und meine Lust innehaben. Meinen Impuls unterbinden.
Dann trat er wieder einen Schritt auf mich zu und befahl: »Dreh dich um und geh runter auf alle viere, zeig mir deinen nackten Hintern. Wackle mit ihm!«
Lüsternheit lag in seiner Stimme. Er griff nach meiner Kleidung und half mir, Rock und Slip auszuziehen. Ich tat, was er wollte, begab mich auf meine Knie in diese erniedrigende Position, wusste nicht, was ich davon halten oder was ich sagen sollte. Nackt glänzte mein Hintern nun vor ihm. Er benutzte mich einfach, als Objekt für seine Lust, ergötzte sich womöglich an meiner entblößten Muschi, die er geil betrachtete. Und ich ließ es geschehen, weil ich noch ganz im Taumel seiner stimulierenden Küsse stand. Er wichste seinen Schwanz so lange, bis ich ihn stöhnend kommen hörte. Dann drehte ich mich zu ihm um und sah sein Sperma, das über seine Hand und seinen Bauch verteilt war. Hatte er uns nicht gerade um eine wunderschöne, gemeinsame intime Erfahrung gebracht, oder war ich da einfach nur zu altbacken? Für eine Antwort war die Situation viel zu verwirrend. Mir blieb ohnehin nichts anderes übrig, als seine Entscheidung zu akzeptieren. Und er war nun wieder ganz bei sich, völlig auf Distanz zu mir.
Nachdem er sich gesäubert und die Hose hochgezogen hatte, sagte er: »Wenn du möchtest, darfst du hier gern übernachten.«
Was für eine Überleitung! Ich war nun vollends vor den Kopf gestoßen. Nichtsdestotrotz spürte ich, wie mich seine Nähe stimulierte. Ich wollte ihn nochmals fühlen und schlug deshalb sein Angebot nicht aus, sondern schmiegte mich aufs Neue an ihn. Er küsste mich abermals. Sein Körper war warm und kraftvoll. Wir tranken noch zwei Gläser Champagner, plauderten ein wenig und kuschelten uns dann in sein Bett.
***
Am nächsten Tag bestrich er mir ein Croissant mit Erdbeermarmelade. Ich stand angekleidet neben ihm und betrachtete ihn gebannt. Er war nackt und wirkte dabei extrem entspannt, wie er so in seinem Milchkaffee rührte und seine Nacktheit wie einen Morgenmantel trug. Ich hatte noch nie zuvor einen Mann getroffen, der sich so selbstverständlich wohl in seiner Haut fühlte.
Nach dem Frühstück bestellte er mir ein Taxi. Ich beobachtete den Taxifahrer im Rückspiegel und dachte mir, wenn der wüsste. Es war eine irritierende Nacht gewesen. Denn zwischen Henri und mir war sexuell gar nicht so viel geschehen. Er hatte das Ganze bewusst reglementiert und in Grenzen gehalten, mich für seine Lust benutzt. Aber emotional war ich stark getroffen, war hin und weg von ihm. Seine intensiven Küsse ließ ich immer und immer wieder in meiner Fantasie aufleben. Mir wurde innerlich ganz warm. Ich war aufgewühlt. Vielleicht ahnte der Taxifahrer etwas anhand meines Gesichtsausdrucks. Denn immerzu schaute er mit gerunzelten Augenbrauen in den Rückspiegel und schien mich zu beobachten. Zum Glück hatte ich die Freiheit, mich auch auf solch eine zwiespältige Affäre einlassen zu können, dachte ich beinah trotzig. Und irgendwie wollte ich, dass mehr aus der Beziehung würde.
Einer Eingebung folgend suchte ich in meiner Tasche nach dem Kalender, zog einen Bleistift aus dem seitlichen Innenfach und hatte auf einmal diesen Drang, mir ein paar Notizen zu den Eindrücken der vergangenen Nacht zu machen. Es war nichts Tiefgründiges, sondern einfach eine Art Tagebucheintrag. Dass ich so etwas überhaupt aufschreiben wollte, kam mir seltsam vor. Aber ich hatte eine Ahnung, dass etwas Wichtiges mit mir vorging, sich etwas Bedeutsames in meinem Leben entwickelte.